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VergMan ® - Vergaben rechtssicher durchführen: Generalplanervergabe im vergaberechtlichen Spannungsfeld

von Thomas Ax

Eine Generalplanervergabe verstößt nicht gegen den Grundsatz der losweisen Vergabe, wenn begründbar ist, dass wirtschaftliche und technische Gründe i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB eine Gesamtvergabe erfordern.

Nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Leistungen grundsätzlich in Losen zu vergeben. Hiervon kann nach Satz 3 nur dann abgesehen werden, “wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern”. Mit dieser 2009 eingeführten Regelung sollte der Mittelstandsschutz gestärkt werden; es sollten die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Deshalb sollte von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können (BT-Drs. 16/10117, Seite 15).

Dieses klare Regel-Ausnahme-Verhältnis bedeutet aber nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18).

Innerhalb dieser im Rahmen des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorzunehmenden Interessenabwägung steht dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (OLG München a.a.O.; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 97 Rn. 184; Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, 6. Aufl., VOB/A § 5 Rn. 26). Die Frage, ob technische oder wirtschaftliche Gründe es im Sinne des Gesetzes “erfordern”, von einer Losbildung abzusehen, setzt eine Bewertung voraus.

§ 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber nunmehr in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18). Das Vergaberecht soll eine wirtschaftliche und den vom öffentlichen Auftraggeber gestellten Anforderungen entsprechende Leistungsbeschaffung gewährleisten (Kus a.a.O., Rn. 186). Der Basiszweck jeder Auftragsvergabe besteht darin, einen durch die Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben hervorgerufenen Bedarf zu decken. Dies spricht dafür, das Beschaffungsbestimmungsrecht des Auftraggebers im Rahmen der Abwägung bzw. der Tatbestandsvoraussetzungen einer Losvergabe oder ausnahmsweise erfolgenden Gesamtvergabe zu berücksichtigen, ohne dass dadurch das Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil verkehrt würde (Kus a.a.O. Rn. 176 f.). Die Beschaffungsautonomie ist kein Freibrief für eine Gesamtvergabe. Auch bei komplexen Projekten genügt es in aller Regel nicht, einen einheitlichen Beschaffungsgegenstand zu definieren, ohne sich im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe auseinanderzusetzen (OLG München a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund ist der Verzicht auf eine in Fachlose aufgeteilte Vergabe der Planungsleistungen nicht zu beanstanden, wenn folgende Spielregeln eingehalten werden:

1
Notwendig ist eine umfangreiche Stellungnahme zur Zulässigkeit einer Generalplanervergabe.

2
Insbesondere Aspekte wie die Verringerung von Schnittstellen­problemen, die einfachere Verantwortlichkeit bei Schlechtleistungen und der geringere Abstimmungsaufwand des Bauherrn sind Folge jeder Losvergabe und von vorneherein nicht als einzelfallbezogene technische oder wirtschaftliche Gründe i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB zu berücksichtigen.

3
Nachvollziehbar dargestellt werden kann aber zB, dass technische Gründe i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB aufgrund der Komplexität der verfahrensgegenständlichen Planungsleistungen und den zahlreichen Schnittstellen zwischen den verschiedenen Planungsdisziplinen vorliegen.

Beispielsweise bestehen im Bereich Neubau/ Sanierung kommunaler Bäder in eigentlich allen Fällen erhebliche Verknüpfungen der Anlagengruppe Badewassertechnik und Elektrotechnik mit dem Hochbau und der Tragwerksplanung. Auch bei der Beckenkonstruktion ist eine erhebliche Verknüpfung der Tragwerksplanung und der Hochbauplanung im Zusammenhang mit der Festlegung der Korrosionsschutzklassen und der Beckenstatik erforderlich. Hinzu kommen hohe bauphysikalische und bautechnische Anforderungen in allen Anlagengruppen und Bauteilen durch die bei der Planung eines Hallenbads immer zu berücksichtigende Feuchtigkeit.

4
Im Einzelnen ist sich mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinanderzusetzen und sodann eine vertretbare umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange zu treffen.

5
Notwendig ist insbesondere eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Koordinierungspflicht des Objektplaners in Bezug auf alle Fachplanerleistungen als Grundleistung in den Lph 1-3 und 5 nach Anlage 10 zu § 34 HOAI. Man kann hier bei der Abwägung im Rahmen des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellen, dass der Objektplaner schlecht leisten und seiner Koordinierungspflicht nicht nachkommen wird. Erforderlich ist eine dokumentierte Auseinandersetzung damit, ob der Komplexität des Vorhabens und den zahlreichen Schnittstellen auch dadurch Rechnung getragen werden könnte, dass anstelle einer Generalplanervergabe lediglich einzelne Fachplanungsleistungen, wie z.B. der gesamte Gebäudetechnikbereich zusammen vergeben werden.

6
Als maßgeblicher Aspekt für die Wahl einer Generalplanervergabe kann das Interesse betont werden, „ganzheitliche“ fachplanungsübergreifende Lösungsvorschläge für die Planungsleistungen als Zuschlagskriterium bewerten zu wollen.

6.1
Der Wunsch solche fachplanungsübergreifenden Lösungsvorschläge bereits im Rahmen der Vergabe als Zuschlagskriterium berücksichtigen zu können, erscheint nachvollziehbar und sachgerecht. Der Normzweck des § 76 Abs. 1 Satz 1 VgV Architekten- und Ingenieurleistungen im Leistungswettbewerb zu vergeben, kann so gut erreicht werden.

6.2

6.2.1
Die Absicht, fachplanungsübergreifende Lösungsvorschläge für die Planungsleistungen als Zuschlagskriterium verwenden zu wollen, darf bei der Abwägung des Für- und Wider einer Losvergabe berücksichtigt werden. Bei der Abwägung dürfen nämlich die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele wie Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte Berücksichtigung finden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 – 11 Verg 4/18). Zwar ist die Absicht, solche Zuschlagskriterien zu verwenden, ebenso wie die Beschaffungsautonomie kein Freibrief für eine Gesamtvergabe (OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 – Verg 10/18), allerdings können sich aus einem derartigen zulässigen und nachvollziehbar gewählten Zuschlagskriterium Belange ergeben, die der Auftraggeber bei der Abwägung für oder gegen eine Losvergabe berücksichtigen kann.

6.2.2
Es kann bspw dargelegt werden, dass die – uU auch für eine angestrebte Förderung relevanten – Aspekte hohes Innovationspotential, Energiekonzepte zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes und den konzeptionellen und baulichen Qualitätsanspruch dadurch hinreichend abgesichert werden sollen, dass entsprechende Lösungsvorschläge von den Bietern eingefordert werden, die als Zuschlagskriterium wertungserheblich sind. Da die Fördervorgaben projektbezogen und nicht teilbereichsbezogen sind und weil es bei dem vorliegenden Projekt (Neubau eines Hallenbades) zu besonderen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen gestalterischen, konstruktiven, technischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten kommt, könnten die Lösungsvorschläge auch nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung wertungserhebliche Aussagekraft entfalten. Eine isolierte Bewertung von losbezogenen Ideenskizzen (Lösungsvorschlägen) berge die Gefahr eines Musters ohne Wert.

6.2.3
Diese Erwägungen sind nachvollziehbar. Derartige fachplanungsüber­greifende Lösungsvorschläge kann man im Stadium der Vergabe nur im Wege einer Generalplanervergabe erhalten. Würden die Planungsleistungen in Fachlosen oder Losgruppen vergeben, fände die übergreifende Abstimmung der Planungsdisziplinen erst nach den Zuschlägen im Zuge der Vertragsausführung statt und man könnte fachplanungsübergreifende Lösungsvorschläge für die Zuschlagswertung kaum erhalten. Das entsprechende Zuschlagskriterium hat in der Wertung auch erhebliches Gewicht.

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