Ax Vergaberecht

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Kurz belichtet – Unvorhersehbarkeit im Vergaberecht

von Thomas Ax

Unvorhersehbarkeit ist im Hinblick auf die eine Vertragsverlängerung nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB oder auf einen Interimsauftrag nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV erfordernden Umstände nur unter bestimmten Voraussetzungen anzunehmen.

Im Rahmen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB ist der Begriff der Unvorhersehbarkeit am 109. Erwägungsgrund der Vergaberichtlinie auszurichten und bezeichnet solche Umstände, die auch bei einer nach vernünftigem Ermessen sorgfältigen Vorbereitung der ursprünglichen Zuschlagserteilung durch den öffentlichen Auftraggeber unter Berücksichtigung der diesem zur Verfügung stehenden Mittel, der Art und Merkmale des spezifischen Projekts, der bewährten Praxis im betreffenden Bereich und der Notwendigkeit, ein angemessenes Verhältnis zwischen den bei der Vorbereitung der Zuschlagserteilung eingesetzten Ressourcen und dem absehbaren Nutzen zu gewährleisten, nicht hätten vorausgesagt werden können (MüKoEuWettbR/Jaeger, 4. Aufl. 2022, GWB § 132 Rn. 43).

Unvorhersehbarkeit ist danach nur dann anzunehmen, wenn der Auftraggeber bei der Vertragsgestaltung alle Möglichkeiten zur Reduzierung der Ungewissheit ausgeschöpft hat und die eventuellen aus der Ungewissheit folgenden Notwendigkeiten zur Vertragsanpassung auch nicht als Option oder Überprüfungsklausel nach § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GWB abgebildet werden konnten (Ziekow/Völlink/Ziekow, 4. Aufl. 2020, GWB § 132 Rn. 53; Beck VergabeR/Hüttinger, 4. Aufl. 2022, GWB § 132 Rn. 54; s.a. EuGH, Urteil vom 7. September 2016 – C-549/14 „Frogne“, juris, Rn. 36). Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass eine Vergabestelle bei der Konzeption eines Vergabeverfahrens auch die Folgevergabe in den Blick zu nehmen hat und dabei immer mögliche Behinderungen dieses Vergabeverfahrens berücksichtigt (ebenso KG, NZBau 2022, 544, 546 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. März 2015 – 15 Verg 9/14, juris, Rn. 24; Hirsch/Kaelble in Müller-Wrede, VgV/UVgO, § 14 VgV. Rn. 213).

Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Vergabestelle den konkreten Grund der Verzögerung noch nicht kennt. Es genügt, dass der Ablauf eines Vergabeverfahrens vielfältigen Verzögerungen ausgesetzt sein kann. Dazu gehören selbst entdeckte Fehler bei der ursprünglichen Ausschreibung, Neudefinitionen des Bedarfs während des Verfahrens, Nachprüfungsanträge von Bietern, gegen die Vergabestelle ausfallende Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen etc.. Keinesfalls darf die Vergabestelle bei ihrer Planung die rechtsstaatlichen Gewährleistungen ausblenden. Sie hat die Zuschlagsbedingungen daher soweit nötig so zu gestalten, dass derartigen Verzögerungen durch die Laufzeit des Vertrags Rechnung getragen wird (vgl. auch die Entscheidung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. März 2015 – 15 Verg 9/14, juris, Rn. 24), insbesondere kann sie Optionsrechte vorsehen, oder den Vertrag nach einer Mindestlaufzeit als erst im Zuge des Zuschlags im Folgeverfahren oder einer daran anknüpfenden Kündigung endend konzipieren.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. November 2022 – 11 Verg 5/22 –, juris