vorgestellt von Thomas Ax
Hat der Auftragnehmer vertraglich eine “unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Vertragserfüllungsbürgschaft eines in der EU zugelassenen Kreditinstituts oder -versicherers” zu stellen, ist die Ausgestaltung der Vertragserfüllungsbürgschaft abschließend geregelt. Ein etwaiges Formularmuster des Auftraggebers ist insoweit ohne Bedeutung. Der Auftraggeber eines Bauvertrags ist nicht einseitig berechtigt, in einem dem Auftragnehmer nach Vertragsschluss übergebenen Muster über die vertraglichen Regelungen hinaus verschärfende Bedingungen zu verlangen. Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags, die den Auftragnehmer verpflichtet, zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers ausschließlich eine unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft zu stellen, ist wirksam (BGH, IBR 2004, 245). Eine isoliert betrachtet wirksame Sicherungsvereinbarung, die als Allgemeine Geschäftsbedingung zu werten ist, kann im Zusammenwirken mit einer individuellen (Stundungs-)Vereinbarung den Auftragnehmer unangemessen benachteiligen (hier bejaht).
OLG Köln, Urteil vom 08.12.2022 – 7 U 43/22
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Auszahlung einer von dieser am 01.12.2015 ausgegebenen Vertragserfüllungsbürgschaft Nr. N01 über einen Betrag in Höhe von 125.000,00 EUR in Anspruch.
Die Klägerin errichtete auf einem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück ein Mehrfamilienhaus. Mit der Errichtung des Bauvorhabens beauftragte die Klägerin zunächst die T. (nachfolgend: “Generalunternehmerin”) und schloss mit dieser einen Generalunternehmervertrag (Anlage K3; im Folgenden: “GU-Vertrag”). Das Bauvorhaben sollte gemäß § 6 Abs. 1, 2 GU-Vertrag bis zum 01.12.2016 fertiggestellt werden. Die Vergütung wurde auf einen Festpreis von 3.140.000,00 EUR festgelegt (§ 13 des Vertrags), inklusive einer Schlusszahlung gemäß vereinbartem Zahlungsplan in Höhe von 240.000,00 EUR.
Gemäß § 15 GU-Vertrag sollte die Generalunternehmerin eine Vertragserfüllungsbürgschaft stellen.
In dessen Absatz 1 heißt es:
“Der GU ist verpflichtet, dem AG eine unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Vertragserfüllungsbürgschaft eines in der Europäischen Gemeinschaft zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers in Höhe von zehn Prozent der Nettoauftragssumme spätestens zwei Wochen vor dem Baubeginn zur Verfügung zu stellen.”
Dessen Abs. 2 lautet:
“Die Vertragserfüllungsbürgschaft ist nach der Abnahme des Bauvorhabens durch den AG und Beseitigung der wesentlichen bei der Abnahme vorbehaltenen Mängel sowie nach Vorlage der Schlussrechnung zurückzugeben Zug um Zug gegen Übergabe einer Gewährleistungsbürgschaft in Höhe eines Betrages von fünf Prozent des Bruttoschlussrechnungsbetrages. Die Gewährleistungsbürgschaft ist auf fünf Jahre ab dem Datum der Abnahme durch den AG zu befristen.”
Die Generalunternehmerin bat die Klägerin um Vorschlag eines Bürgschaftstextes. Daraufhin übermittelte die Klägerin einen Text, der eine Bürgschaft auf erstes Anfordern und einen einstweiligen Verzicht auf Einwendungen aus dem Hauptschuldverhältnis sowie einen Verzicht auf die Einreden der Anfechtbarkeit und der Aufrechenbarkeit vorsah. In diesem Bürgschaftstext strich die Beklagte den Satz über die Leistung auf erstes Anfordern und den einstweiligen Verzicht auf Einwendungen aus dem Hauptschuldverhältnis. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtung aus dem GU-Vertrag legte die Generalunternehmerin der Klägerin sodann die von der Beklagten begebene Vertragserfüllungsbürgschaft Nr. N01 vom 01.12.2015 über einen Betrag in Höhe von 125.000,00 EUR vor. Hinsichtlich des genauen Inhalts wird auf die Anlage K4 Bezug genommen.
In der Folgezeit kündigte die Klägerin den GU-Vertrag (Anlage K10). Bis zu diesem Zeitpunkt zahlte die Klägerin an die Generalunternehmerin insgesamt 418.780,00 EUR. Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2019 forderte die Klägerin die Beklagte als Bürgin wegen einer ihr ihrer Auffassung nach gegen die Generalunternehmerin zustehenden Forderung zur Zahlung des Bürgschaftsbetrages in Höhe von 125.000,00 EUR bis zum 13.12.2019 auf (Anlage K24). Über das Vermögen der Generalunternehmerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 30.06.2020 zu Az. 70c IN 80/20 das Insolvenzverfahren eröffnet (Anlage K23).
Mit Urteil vom 02.02.2022, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien, der gestellten Anträge und der Begründung im Einzelnen gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 125.000,00 EUR aufgrund der von letzterer übernommenen Bürgschaft verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, zwischen der Klägerin und der Generalunternehmerin sei im Rahmen des GU-Vertrages eine wirksame Sicherungsabrede über die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft geschlossen worden. Ob es sich bei § 15 GU-Vertrag um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB handelt, könne im Ergebnis dahinstehen. Denn selbst wenn man dies zugrunde lege, führe dies nicht zur Unwirksamkeit des § 15 GU-Vertrag. Weder § 15 Abs. 1 GU-Vertrag noch § 15 Abs. 2 GU-Vertrag seien gemäß § 307 Abs. 1 u. 2 BGB unwirksam. Eine Übersicherung der Klägerin liege nicht vor, auch sei ihr Anspruch gegen die Beklagte entgegen der von der Beklagten erstinstanzlich vertretenen Auffassung nicht verjährt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Sie ist weiterhin der Ansicht, bei dem GU-Vertrag handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. § 15 GU-Vertrag sei wegen Erfüllungsübersicherung unwirksam. Die Klägerin hätte bei Abnahmereife der Hauptschuldnerleistung bis zur Schlusszahlung über Gesamtsicherheiten von ca. 19,1 % der Netto-Vergütung verfügen können. Eine Gesamtunwirksamkeit ergebe sich ferner daraus, dass das klägerseitige Musterbürgschaftsschreiben die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern verlange. Auch der Verzicht auf alle Einreden des Bürgen aus § 768 BGB und der Anfechtung und Aufrechenbarkeit aus § 770 Abs. 1 u. 2 BGB sowie der Verzicht auf das Hinterlegungsrecht führten zur Gesamtunwirksamkeit.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des LG Köln vom 02.02.2022, Az.: 4 O 84/21, abzuändern und die Klage insgesamt kostenpflichtig abzuweisen,
vorsorglich der Beklagten für jeden Fall von ihr zu erbringender Sicherheitsleistung nachzulassen, diese auch durch Vorlage einer unbedingten, unbefristeten und selbstschuldnerischen Bürgschaft eines im Inland zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers erbringen zu dürfen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil aus den ihrer Auffassung nach zutreffenden Gründen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands zweiter Instanz wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von 125.000,00 EUR aus der von letzterer übernommenen Bürgschaft zu. Die Beklagte kann dem Zahlungsbegehren der Klägerin gem. § 768 S.1 BGB den Einwand der Unwirksamkeit der zwischen der Klägerin und der Generalunternehmerin getroffenen Sicherungsabrede entgegen halten. Die Beklagte als Bürgin ist deshalb der Klägerin als Bürgschaftsgläubigerin zur Zahlung nicht verpflichtet (vgl. st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2010, VII ZR 7/10, NJW 2011, 2125 ff.; Urteil vom 12.02.2009, VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 ff.).
Vorliegend erweist sich die in § 15 des zwischen der Klägerin und der Generalunternehmerin geschlossenen Generalunternehmervertrages (GUV) getroffene Sicherungsabrede wegen Übersicherung gemäß § 307 Abs. 1 BGB als unwirksam.
Im Einzelnen:
1. Rechtsfehlerhaft ist die Beklagte allerdings der Auffassung, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Wirksamkeit der vertraglichen Vereinbarungen seien die in dem der Generalunternehmerin später übergebenen Bürgschaftsmuster enthaltenen Regelungen in die Würdigung einzubeziehen.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil an. Die Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien ergibt auch unter Berücksichtigung der als nachrangig vereinbarten Geltung der VOB/B, dass die Generalunternehmerin (nur) eine unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Vertragserfüllungsbürgschaft zu stellen hatte.
Nach § 15 (1) des GU-Vertrages war von der Generalunternehmerin eine
“unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Vertragserfüllungsbürgschaft eines in der Europäischen Gemeinschaft zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers”
zu stellen. Bereits damit war die Ausgestaltung der Vertragserfüllungsbürgschaft abschließend geregelt. Ein etwaiges Formularmuster der Klägerin ist insoweit vertraglich ohne Bedeutung. Selbst wenn gemäß § 17 Nr. 4 S. 2 VOB/B Bürgschaften nach Vorschrift des Auftraggebers auszustellen sind, wird der Inhalt der Sicherungsabrede hierdurch nicht berührt; der Auftraggeber ist nicht berechtigt, die vertragliche Sicherungsabrede durch ein Muster zu ändern (vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2004 – VII ZR 247/02, NZBau 2004, 323, beck-online). Insbesondere ist der Auftraggeber nicht einseitig berechtigt, in einem dem Auftragnehmer übergebenen Muster über die Regelungen in § 17 Abs. 4 VOB/B hinaus verschärfende Bedingungen, z. B. eine unangemessene Höhe der Sicherheit oder eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu verlangen (Kapellmann/Messerschmidt/Thierau, 7. Aufl. 2020, VOB/B § 17 Rn. 141).
Eine andere Auslegung der Vertragsbestimmungen wäre sogar dann nicht gerechtfertigt, wenn der Generalunternehmerin bereits bei Vertragsschluss ein von den in der Vertragsurkunde enthaltenen Sicherungsvereinbarungen abweichendes Muster der Bürgschaft übergeben worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2004 – VII ZR 247/02, NZBau 2004, 323, beck-online). Die Beschreibung der zu übergebenden Bürgschaften in dem nach den vertraglichen Vereinbarungen ausdrücklich vorrangig vor den Vorschriften der VOB/B geltenden schriftlichen GU-Vertrag stellte sich auch in diesem Fall als eine abschließende Regelung dar. Die Generalunternehmerin durfte aus ihrer maßgeblichen Sicht als Erklärungsempfängerin vorliegend daher die sogar erst auf ihre Bitte hin erfolgte nachträgliche Übergabe eines Musters durch die Klägerin nicht dahin verstehen, dass sich der Inhalt der geschuldeten Bürgschaften nicht nur nach dem Vertragstext, sondern auch nach dem ihr erst nachträglich auf ihre Anforderung hin übergebenen Bürgschaftsmuster richten musste (vgl. auch BGH, Urteil vom 26.02.2004 – VII ZR 247/02, NZBau 2004, 323, beck-online).
Dem steht auch nicht das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 12.10.2016, Az.: 11 U 3/16, entgegen. Bestandteil des zwischen der dortigen Auftraggeberin als Klägerin und der Bauunternehmerin geschlossenen Bauwerkvertrags waren ausweislich der Einbeziehung zu Ziffern 4 und 6 auf Seite 2 oben des dortigen Werkvertrags die ZVB der Klägerin sowie – ausdrücklich – “Die Verwendung des Bürgschaftsmusters des AG (Anlage 7)”. Die ZVB nahmen zu Ziffer 12.2 nochmals ausdrücklich Bezug auf diese Anlage 7 (“Die Bürgschaft hat im Übrigen der Anl. 7 zu entsprechen”) (siehe OLG Köln Urteil vom 12.10.2016 – 11 U 3/16, BeckRS 2016, 128245 Rn. 14, beck-online). So liegt der Fall hier aber gerade nicht. Das der Generalunternehmerin später übergebene Muster war nach den allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen, wie oben bereits ausgeführt, nicht, auch nicht über den explizit als nachrangig geltend vereinbarten § 17 Ab. 4 VOB/B, in den Vertrag einbezogen.
2. Ist nach den vorstehenden Ausführungen der Bürgschaftstext in die Prüfung der Rechtswirksamkeit der vertraglichen Sicherungsvereinbarungen nicht einzubeziehen, bestehen gegen die Regelung in § 15 (1) des GU-Vertrages zwar für sich betrachtet keine Bedenken. Sie ist weder intransparent noch überraschend. Isoliert betrachtet benachteiligte sie die Generalunternehmerin auch nicht unangemessen. Die Verpflichtung zur Stellung einer (einfachen) selbstschuldnerischen Vertragserfüllungsbürgschaft in AGB des Auftraggebers ist vielmehr vom Grundsatz her wirksam (Kniffka/Koeble, Teil 9 Anspruchssicherung bei Bausachen Rn. 32, beck-online).
Zu Recht weist die Beklagte allerdings darauf hin, dass die belastende Wirkung einer für sich allein gesehen noch hinnehmbaren Klausel durch eine oder mehrere weitere Vertragsbestimmungen derart verstärkt werden kann, dass der Vertragspartner des Verwenders im Ergebnis unangemessen benachteiligt wird. (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10.05.2012 – 24 U 118/11 -). So kann eine isoliert betrachtet wirksame Sicherungsvereinbarung, die als Allgemeine Geschäftsbedingung zu werten ist, auch im Zusammenwirken mit einer individuellen (Stundungs-)Vereinbarung den Auftragnehmer und Sicherungsgeber unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB benachteiligen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10.05.2012, ebenda).
So liegt der Fall hier.
a) Der Anwendungsbereich des § 307 Abs. 1 BGB ist eröffnet. Bei § 15 (1) GUV handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB.
Die Klägerin behauptet hierzu zwar, sie und auch ihre Gesellschafter hätten nur dieses eine Bauvorhaben beabsichtigt und auch nur dieses realisiert. Der GU-Vertrag sei extra für dieses Bauvorhaben entworfen und auch nur deshalb 2x verwendet worden, weil die zuerst beauftragte Generalunternehmerin habe gekündigt werden müssen.
Um eine rechtliche Einordnung als AGB zu treffen, müssen indes der Formulierer der Klausel und der Verwender nicht identisch sein. §§ 305 ff. BGB können deshalb auch dann anwendbar sein, wenn eine Vertragspartei die von Dritten vorformulierten Vertragsbedingungen stellt. Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH nicht nur bei öffentlich zugänglichen Formularverträgen, sondern auch dann, wenn auf Vertragsbedingungen anderer Personen wie Architekten, Unternehmer, Notare und Anwälte zurückgegriffen wird, die zur Vielfachverwendung entworfen worden sind. Das gilt selbst dann, wenn der Verwender selbst diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur einmal verwenden will (so ausdrücklich Kniffka/Koeble, Teil 2 Bauvertrag, Verbraucherschutz im Baurecht und Allgemeine Geschäftsbedingungen im Bauvertrag Rn. 165, beck-online).
Es kommt mithin nicht darauf an, ob die Klägerin oder ihre Gesellschafter die Vertragsklausel nur einmal verwenden wollte(n). Entscheidend ist nur, ob derjenige, der die Klausel formuliert hat, die Klausel nur einmal verwenden wollte.
Grundsätzlich liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Allgemeinen Geschäftsbedingung bei der Beklagten, die sich hier auf den Schutz des § 307 BGB beruft. Die Beklagte hat jedoch ihrer Darlegungs- und Beweislast durch die Vorlage des – gedruckten – GU- Vertrages sowie den von der Klägerin unbestrittenen Vortrag, die Vertragsbestimmungen seien auch bei dem Nachfolgeunternehmen inhaltsgleich verwandt worden, genügt. Aus den beiden Verträgen folgt auch unter Berücksichtigung ihrer drucktechnischen Gestaltung der Anschein eines zur Mehrfachverwendung entwickelten Vertrages (vgl. zum Anscheinsbeweis OLG Koblenz, Urteil vom 26.03.2010 – 8 U 1325/05 -; BGHZ 118, 238; Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 305 Rn 239). Dies gilt insbesondere deshalb, weil auch die im GU-Vertrag verwendeten Vertragsklauseln den Anschein der Mehrfachverwendung erwecken (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27.11.2003 – VII ZR 53/03 -, BGHZ 157, 102-117, Rn. 24). Eine Vielzahl der im GU-Vertrag enthaltenen Vertragsklauseln, insbesondere auch die hier streitgegenständliche, finden sich form- und inhaltsgleich in einer Vielzahl von Bauverträgen. Dies ist dem Senat als Spezialsenat gemäß § 119 a Abs. 1 Nr. 2 GVG gerichtsbekannt.
Den danach zugunsten der Beklagten eingreifenden Anscheinsbeweis hat die Klägerin nicht zu widerlegen vermocht. Nach dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hat ihr Prozessbevollmächtigter den Vertragsentwurf für sie erstellt. Dieser hat auf Nachfrage des Senats erklärt, er habe die in § 15 des Generalunternehmervertrages zu lesende Klausel in den Vertrag hineingeschrieben. Er könne nicht ausschließen, dass er dabei aus einem Formularbuch oder auch aus verschiedenen Formularbüchern diese Klausel zusammengestellt habe oder auch aus Verträgen, die er früher schon einmal gelesen habe. Rekonstruieren könne er das heute nicht mehr. Bedient sich der Ersteller einer Klausel jedoch eines Musterformulars, handelt es sich um ein von einem Dritten für eine Vielzahl von Verträgen angefertigtes Formular, auch wenn der Ersteller der Klausel es seinerseits nur für einen einzigen Vertrag verwendet (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.1990 – V ZR 217/89 -, Rn. 12; MüKoBGB/Fornasier, 9. Aufl. 2022, BGB § 305 Rn. 19).
b) Die als solche isoliert betrachtet wirksam vereinbarte Klausel benachteiligt im Zusammenwirken mit der individualvertraglich vereinbarten Regelung des Zahlungsplanes die Auftragnehmerin unangemessen und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 BGB auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr unwirksam.
Der Zahlungsplan der Parteien (Bl. 419 LGA) sieht eine ratenweise Begleichung der Werklohnforderung gestaffelt nach Datum und zu diesem Tag als erbracht geplanten Bauleistungen vor.
Die Regelung der Parteien im Zahlungsplan führt jedoch dazu, dass die Klägerin an Abschlagszahlungen während der Bauphase letztlich im Ergebnis nur etwas über 90 % des Baufortschrittes geleistet hätte, da laut dem vereinbarten Zahlungsplan trotz endgültiger Fertigstellung des Bauvorhabens nach der Baufeinreinigung zum 9.12.2016 noch ein offener Betrag i.H.v. 240.000,00 EUR als Schlusszahlung ausgestanden hätte (vgl. Bl. 420 LGA).
Dies ist nach Auffassung des Senates gleichbedeutend mit einem ca. 10 %-igen Einbehalt von Abschlagszahlungen, da es im Hinblick auf die Beurteilung einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers wegen einer Übersicherung des Auftraggebers keinen Unterschied machen kann, ob der Auftraggeber von jeder einzelnen Abschlagszahlung 10 % einbehält oder über die Regelung im Zahlungsplan bereits von vornherein nur eine Zahlung von 90 % vorgesehen ist. Wäre eine Zahlung von 100 % der Bauleistungen im Zuge des Baufortschritts vereinbart gewesen, dürfte sich nach Fertigstellung und Endreinigung des Bauvorhabens kein offener Vergütungsanspruch des Generalunternehmers mehr ergeben. Dies ist jedoch, wie vorstehend ausgeführt, nicht der Fall.
Es entspricht indes allgemeiner Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, dass die Vereinbarung eines 10-prozentigen Einbehalts von den Abschlagsrechnungen während der Bauzeit im Zusammenwirken mit der Vereinbarung der Gestellung einer 10-prozentigen Vertragserfüllungsbürgschaft jedenfalls in zwei (AGB-) Klauseln unwirksam ist (vergleiche Thierau in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 7. Aufl., 2020, 91, OLG München, Urteil vom 15.10.1991-9 U 2951/91, Baurecht 1992,234 ; Beck’scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Aufl. 2013, RN 240; BGH, Urteil vom 09.12.2010 – VII ZR 7/10, Rn. 24 mit weiteren Nachweisen).
Gleiches gilt auch für eine an sich wirksame AGB-Klausel, die erst durch das Zusammenwirken mit einer Individualvereinbarung bewirkt, dass die Gesamtbelastung durch die vom Auftragnehmer zu stellenden Sicherheiten das Maß des Angemessenen überschreitet (vgl. BGH, Urteil vom 16.06. 2016 – VII ZR 29/13).
So liegt der Fall hier. Das Zusammenwirken beider Vertragsklauseln bewirkte vorliegend, dass der Klägerin als Auftraggeberin während der Bauphase ein Anspruch auf eine Sicherheit von insgesamt 19,1 % der Nettoauftragssumme zustand. Zulässig ist nach h.M. eine Sicherung in Höhe von ca. 10%. Diese Grenze ist durch die vorliegende Regelung einer 19,1 %-igen Sicherheit deutlich zulasten des Auftragnehmers überschritten.
Die Klägerin vermag sich auch nicht mit Erfolg darauf zu berufen, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.06.2016 (- VII ZR 29/13) zugrundeliegende Sachverhalt sei mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar.
Der Bundesgerichtshof ging im dortigen Fall von einer Übersicherung aus, weil nach den zwischen der dortigen Auftraggeberin und der Werkunternehmerin vereinbarten Zahlungsplänen zum einen die letzten 3 Abschlagsforderungen abweichend von dem gesetzlichen Leitbild des § 632 BGB a.F. erst nach einem gegebenenfalls längeren Zeitraum nach der mangelfreien Fertigstellung des Bauwerks fällig werden sollten. Zudem war nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die Fälligkeit der letzten 3 Abschlagsforderungen von Voraussetzungen abhängig, die außerhalb des Einflussbereichs der Werkunternehmerin lagen. So war die drittletzte Abschlagsforderung i.H.v. 5 % der vereinbarten Vergütung erst nach” Fertigstellung und Übergabe an den Kunden des Auftraggebers” fällig. Maßgeblich für die Beurteilung durch den Bundesgerichtshofs war daher, dass zwischen der mangelfreien Fertigstellung des Bauwerks und der Übergabe sämtlicher Wohneinheiten ein erheblicher Zeitraum hätte liegen können, insbesondere wenn die dortige Auftraggeberin noch nicht für sämtliche Wohneinheiten Erwerber gefunden hatte. Während dieses Zeitraums wäre die Werkunternehmerin dem Insolvenzrisiko der Auftraggeberin ausgesetzt gewesen.
Nach § 14 Abs. 5 des hiesigen GU-Vertrages betrug die Zahlungsfrist für die Schlussrechnung, die spätestens 2 Wochen nach der Fertigstellung und der Abnahme sämtlicher Arbeiten vorzulegen war, 21 Bankarbeitstage nach dem Eingang der Schlussrechnung beim Auftraggeber. Hieraus folgt zwar zum einen, dass es der Generalunternehmerin unbenommen war, die Schlussrechnung unmittelbar nach Fertigstellung und auch vor Abnahme sämtlicher Arbeiten vorzulegen. Abs. 5 des § 14 sieht nämlich lediglich vor, dass die Schlussrechnung spätestens 2 Wochen nach Fertigstellung und Abnahme vorzulegen ist, hindert den Auftragnehmer jedoch nicht an der vorherigen Vorlage der Schlussrechnung beim Auftraggeber. Eine Frist von 21 Bankarbeitstagen zur Zahlung der Schlussrechnung ist grundsätzlich zur Prüfung durch den Auftraggeber angemessen und bewegt sich mit 21 Bankarbeitstagen auch noch im Rahmen der in § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B vorgesehenen Frist von grundsätzlich 30 Tagen nach Zugang der Schlussrechnung. Eine vertragliche Verlängerung der 30-tägigen Frist ist in § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B als möglich auch ausdrücklich vorgesehen.
Gleichwohl ist vorliegend von einer die Auftragnehmerin unangemessen benachteiligenden Übersicherung der Klägerin als Auftraggeberin auszugehen. Während der Bauphase stand ihr nicht nur der sich auf umgerechnet 9,1% belaufende Betrag aus der Schlusszahlung, sondern auch die Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% der Nettoauftragssumme als Sicherheit zur Verfügung. Die Stellung der Bürgschaft belastete ebenso wie der faktisch vorgenommene Einbehalt von den Abschlagsrechnungen die Avalkreditlinie und die Liquidität der Auftragnehmerin (vgl. BGH, Urteil vom 09.12. 2010 – VII ZR 7/10, NJW 2011, 2125, beck-online).
Eine Übersicherung kann auch nicht mit den Ausführungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung verneint werden, die Schlusszahlung habe keinem Sicherungszweck gedient, weshalb keine Übersicherung vorliegen könne. Die Klägerin hätte gegen die Forderung der Auftragnehmerin auf Zahlung der Schlusszahlungsrate jederzeit die Aufrechnung erklären und darüber hinaus zusätzlich die Bürgin in Anspruch nehmen können. Insofern standen ihr entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung sowohl der Einbehalt als auch die Bürgschaft zeitgleich als Sicherungsmittel zur Verfügung.
Der Senat setzt sich mit seiner Entscheidung auch nicht in Widerspruch zu dem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 29.01.2013 – 13 U 3214/12 (BeckRS 2016, 12072, beck-online). Im dortigen Fall war nur eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5% und ein 5%iger Einbehalt vereinbart worden, so dass die Sicherheit in Summe 10% nicht überstieg. Hier hingegen betrug die Sicherheit insgesamt 19,1% und damit fast das Doppelte der zulässigen Höhe.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat die Sache allein unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles entschieden.