Ax Vergaberecht

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Von der Redaktion - Der Vergabesenat bei dem OLG Düsseldorf hat sich in neuer Besetzung zu der Frage geäußert, OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2023 - 27 U 4/22, ob die Informations- und Wartepflicht nach § 134 GWB Vergaben unterhalb der Schwellenwerte erfasst.

„Gemäß § 106 Abs. 1 GWB gilt der die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen betreffende Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nur für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Der hier nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 lit. d der Vergaberichtlinie 2014/24/EU einschlägige Schwellenwert bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV der Richtlinie, wozu Dienstleistungen im juristischen Bereich gehören, beträgt 750.000 Euro. Dieser ist vorliegend unstreitig bei weitem nicht erreicht.“

Auch für eine entsprechende Anwendung des § 134 GWB im Unterschwellenbereich sei kein Raum.

„Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschrift als kartellvergaberechtliche Sondervorschrift ohnehin nicht analogiefähig ist (so KG, Urteil vom 7. Januar 2020, 9 U 79/19, NZBau 2020, 680 Rn. 10 m. w. Nw., entgegen Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 161), da eine analoge Anwendung des § 134 GWB mit Blick auf die in der Diskussion des Entwurfs der Unterschwellenvergabeordnung erkannte und diskutierte Problematik der Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich jedenfalls nunmehr mangels planwidriger Regelungslücke ausscheidet (OLG Celle, Urteil vom 9. Januar 2020, 13 W 56/19, NZBau 2020, 679 Rn. 24). Eine planwidrige Regelungslücke erfordert ein unbeabsichtigtes Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan (BGH, Urteil vom 17. März 2022, III ZR 79/21, NZM 2022, 340 Rn. 38), das vorliegend nicht gegeben ist.“

Die seit dem 9. Juni 2018 auch von den Vergabestellen des Landes Nordrhein-Westfalen anzuwendende Unterschwellenvergabeverordnung vom 2. Februar 2017 kenne keine vorgelagerte Informations- und Wartepflicht.

„Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 UVgO unterrichtet der Auftraggeber jeden Bewerber und jeden Bieter unverzüglich über den Abschluss einer Rahmenvereinbarung oder die erfolgte Zuschlagserteilung. Die UVgO sieht also nur eine nachgelagerte Unterrichtung über den bereits erfolgten Abschluss beziehungsweise die Zuschlagserteilung vor (so selbst Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 169). Von einer § 134 GWB entsprechende Informations- und Wartepflicht ist nach Diskussion gerade abgesehen worden (vgl. Gerlach in Heiermann/Zeiss/Summa, juris-PK-Vergaberecht, 6. Aufl. 2022, Vorbemerkung UVgO Rn. 14). Auch von der Möglichkeit, landesgesetzlich eine Verpflichtung zur Mitteilung vor Zuschlagserteilung zu schaffen (vgl. Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 134 GWB Rn. 169), hat das das Land Nordrhein-Westfalen trotz dieser Diskussion und anders als eine Reihe anderer Länder gerade keinen Gebrauch gemacht, weshalb eine planwidrige Regelungslücke nicht gegeben ist.“

Die Schaffung einer Vorabinformations- und Wartepflicht als besondere Vorkehrung für die Durchsetzung von Primärrechtsschutz auch im Unterschwellenbereich sei auch nicht aufgrund des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich geboten.

„Es liegt im gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, das Interesse des Auftraggebers an einer zügigen Ausführung der Maßnahmen und das des erfolgreichen Bewerbers an alsbaldiger Rechtssicherheit dem Interesse des erfolglosen Bieters an Primärrechtsschutz vorzuziehen und Letzteren regelmäßig auf Sekundärrechtsschutz zu beschränken. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet, eine auch faktisch realisierbare Möglichkeit eines Primärrechtsschutzes im Vergaberecht in der Gestalt einer Pflicht der vergebenden Stelle zu einer rechtzeitigen Information der erfolglosen Bieter zu schaffen, wie sie für Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte besteht (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03, NJW 2006, 3701 Rnrn. 71 ff, Rn. 74).“

Es könne vorliegend dahinstehen, ob sich eine Informations- und Wartepflicht im Interesse vollständigen Rechtsschutzes aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben kann, wie dies der Senat in einem Orbiter Dictum zu seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, 27 U 25/17, unter Verweis auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz vertreten hat (NZBau 2018, 168 Rn. 17), da eine Binnenmarktrelevanz vorliegend nicht gegeben ist.

„Ein hierfür erforderliches grenzüberschreitendes Interesse bei Unterschwellenvergaben, das zu prüfen Sache des öffentlichen Auftraggebers ist, wobei Kriterien der Auftragswert und der Ausführungsort (EuGH, Urteil vom 15. Mai 2008, Rs. C-147/06 und Rs. C-148/06, ECLI:EU:C:2007:711, NZBau 2008, 453 Rnrn. 30, 31 – SECAP), aber auch Besonderheiten des betroffenen Marktes sind (Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, Einleitung, C. Europäisches Vergaberecht Rn. 186), hat der Beklagte zu Recht verneint. Hierfür ist allein die Grenzlage Nordrhein-Westfalens nicht ausreichend. Das Auftragsvolumen liegt nur bei gut einem Viertel des Schwellenwerts. Zudem setzt die nachgefragte Dienstleistung eine Qualifikation gerade im nationalen Recht voraus.“

„Im Übrigen wären die Rahmenverträge selbst bei Annahme einer aus einem Gebot vollständigen Rechtsschutzes abzuleitenden Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB nicht nichtig, da aus Zuwiderhandlungen gegen diese, allein die Beklagte verpflichtenden Regelung keine Nichtigkeit eines gleichwohl abgeschlossen Vertrages folgt.“

§ 134 BGB ordne für ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nicht ausnahmslos Nichtigkeit an.

„Während festgestellte Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts ohne weiteres zu dessen Nichtigkeit führt (§ 138 BGB), macht § 134 BGB diese Rechtsfolge davon abhängig, dass sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. § 134 BGB kann deshalb nicht ohne Rückgriff auf das verletzte Verbot angewendet werden. Ordnet diese Regelung selbst eine Rechtsfolge an, ist sie maßgeblich; fehlt – wie vorliegend – eine verbotseigene Rechtsfolgenregelung, so sind Sinn und Zweck des verletzten Verbots entscheidend. Dies erfordert eine normbezogene Abwägung, ob es mit dem Sinn und Zweck des Verbots vereinbar oder unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung hinzunehmen beziehungsweise bestehen zu lassen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187).“

Für die nach § 134 BGB gebotene Abwägung sei wesentlich, ob sich das betreffende Verbot an alle Beteiligten des Geschäfts richtet, das verhindert werden soll, oder ob das Verbot nur eine Partei bindet. Sind beide Teile Adressaten des Verbots, kann regelmäßig angenommen werden, das verbotswidrige Geschäft solle keine Wirkungen entfalten.

„Richtet sich das Verbot dagegen nur gegen eine Partei, ist regelmäßig der gegenteilige Schluss berechtigt. Diese unterschiedliche Bewertung kommt bereits in den “Motiven zu dem Entwurf eines BGB” zum Ausdruck (Bd. I, S. 210), entspricht seit dem Beschluss der Vereinigten Zivilsenate des Reichsgerichts vom 17. März 1905 der Rechtsprechung und ist auch vom Bundesgerichtshof seiner ständigen Rechtsprechung zugrunde gelegt worden (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187). Ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, dessen Vornahme nur einem Beteiligten verboten ist, ist daher in der Regel gültig (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12, NVwZ 2014, 807 Rn. 107).“

Nichtigkeit nach § 134 BGB trete dann nur ein, wenn einem solchen einseitigen Verbot ein Zweck zu Grunde liegt, der die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts erfordert, weil er nicht anders als durch dessen Annullierung zu erreichen ist und die getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013, KZR 66/12, NVwZ 2014, 807 Rn. 107; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1999, X ZR 34/98, NJW 2000, 1186, 1187).

„Eine Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB wäre daher schon aus Rechtsgründen nicht geeignet, eine Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen sie erteilten öffentlichen Auftrags zu begründen.

Das aus der Informations- und Wartepflicht zu folgernde Kontrahierungsverbot wäre nur ein einseitiges, den öffentlichen Auftraggeber bindendes Verbotsgesetz, bei dem ein Verstoß nur dann zur Nichtigkeit führen würde, wenn es mit Sinn und Zweck des Verbotes nicht vereinbar wäre, die durch das Geschäft getroffene Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen. Dies ist nicht der Fall. Es würde einen in keiner Weise nachvollziehbaren Wertungswiderspruch darstellen, wenn im Kartellvergaberecht die Verletzung der dort nach § 134 GWB bestehenden Informations- und Wartepflicht nur nach den aus Gründen der Rechtssicherheit einschränkenden Vorgaben des § 135 GWB geltend gemacht werden könnte, während bei den unterschwelligen Aufträgen entsprechende Rechtsgeschäfte allgemein nach § 134 BGB nichtig wären. Zudem würden hier schutzwürdige Belange des Auftragnehmers, den die Informations- und Wartepflicht gerade nicht trifft, missachtet. Die Unwirksamkeitsfolge würde einen schwerwiegenden Eingriff in seine durch den Vertragsschluss mit dem öffentlichen Auftraggeber begründete Vertragsposition darstellen, der auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls ohne – hier, anders als im Kartellvergaberecht mit § 135 GWB – fehlende gesetzgeberische Rechtsgrundlage kaum zu rechtfertigen wäre (KG, Urteil vom 7. Januar 2020, 9 U 79/19, NZBau 2020, 680 Rn. 12, Rn. 14; Senatsbeschluss vom 2. Mai 2022, 27 W 1/22).“

Und dann:

„Soweit der erkennende Senat in einem Obiter Dictum zu seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, 27 U 25/17, eine Nichtigkeit des unter Verstoß gegen eine ungeschriebene Informations- und Wartepflicht bei Unterschwellenvergaben geschlossenen Vertrages gemäß § 134 BGB für konsequent erachtet hat (NZBau 2018, 168 Rn. 18), hält er daran vor dem Hintergrund der vorgenannten Wertungswidersprüche in vollständig neuer personeller Besetzung und in Fortführung seiner bereits mit Beschluss vom 2. Mai 2022, 27 W 1/22, geänderten Rechtsprechung nicht fest. Der in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnde Grundsatz der Gewährleistung tatsächlich wirksamer gerichtlicher Kontrolle erfordert nicht zwingend die Gewährleistung von Primärrechtsschutz. Eine Kompensation kann auch über Schadensersatz erfolgen. Dass der mit Erteilung des Zuschlages zustande gekommene Vertrag wirksam und daher die Erlangung von Primärrechtsschutz nicht mehr möglich ist, hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht infrage gestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NVwZ 2004, 1224, 1226; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2010, 1 S 107/10, NVwZ-RR 2011, 293, 294).“

Auch ein Verstoß gegen die primärrechtlichen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gebiete – Binnenmarktrelevanz unterstellt – nicht die Nichtigkeit des Vertrags.

„Das Unionsrecht sieht auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge keine allgemeine Regel vor, nach der die Rechtswidrigkeit einer Handlung in einem bestimmten Stadium des Verfahrens zur Rechtswidrigkeit aller späteren Handlungen in diesem Verfahren führen und ihre Aufhebung rechtfertigen würde (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, Rs. C-518/17, ECLI:EU:C:2018:757, BeckRS 2018, 22236 Rn. 57 – Rudigier). Soweit der Unionsgesetzgeber keine spezifische Bestimmung in Bezug auf einen Verstoß vorgesehen hat, ist eine entsprechende Regelung Angelegenheit des nationalen Rechts. In Ermangelung einer näheren unionsrechtlichen Verfahrensregelung zur Durchsetzung eines Rechts ist es nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes einzelnen Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, Rs. C-518/17, ECLI:EU:C:2018:757, BeckRS 2018, 22236 Rnrn. 60, 61 – Rudigier).“

Dementsprechend habe auch das Europäische Gericht erster Instanz seine Vergabeanforderung einer Informations- und Wartepflicht, auf die sich der Senat in seinem Orbiter Dictum vom 13. Dezember 2017 im Rahmen der Begründung einer solchen Pflicht auch im Unterschwellenbereich gestützt hat, gerade damit begründet, dass dem abgelehnten Bieter eine angemessene Frist bis zur Unterzeichnung des Vertrags verbleiben muss, um die Zuschlagsentscheidung überprüfen zu können (EuG, Urteil vom 20. September 2011, Rs. T-461/08, ECLI:EU:T:2011:494, BeckRS 2011, 81495 Rn. 121), was die Annahme einer Wirksamkeit des unterzeichneten Vertrags bedingt.  

…“

Damit ist diese Frage anscheinend endgültig geklärt.

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