Ax Vergaberecht

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Aufhebung der Aufhebung des Vergabeverfahrens und die Fortsetzung des ursprünglichen Vergabeverfahrens in den Stand vor der Aufhebungsentscheidung können angezeigt sein

von Thomas Ax

Bei der rechtlichen Überprüfung der Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist zwischen der Wirksamkeit und der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers zu unterscheiden.

Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist für einen öffentlichen Auftraggeber in vergaberechtlich zulässiger Weise und damit rechtmäßig möglich, wenn einer der in § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 VgV enthaltenen Aufhebungsgründe gegeben ist. Soweit die Antragsgegnerin ihre Aufhebungsentscheidung auf § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 VgV gestützt hat, greift dieser gesetzlich normierte Aufhebungsgrund nicht durch. Zum Merkmal einer rechtmäßigen Aufhebung zählt, dass der Aufhebungsgrund nicht vom Auftraggeber verschuldet sein darf (vgl. OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 – Verg 4/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.08.2023, Verg 3/23; VK Südbayern, Beschluss vom 21.05.2024, 3194.Z3-3_01-24-9, n.v.; Herrmann, in: Ziekow/Völlink, 5. Auflage, 2024, § 63 Rn. 47).

Wie in der Entscheidung des OLG München (Beschluss vom 28.08.2012, Verg 11/12) festgestellt, reicht es insofern aus, wenn dem öffentlichen Auftraggeber leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird. Eine fehlerhafte Bekanntgabe der Vorgehensweise bei der Zuschlagslimitierung, eine fehlerhafte Aufstellung der Eignungskriterien, ein außer Betracht lassen zwingend zu berücksichtigender wesentlicher Kostenbestandteile und das Versenden von fehlerhaften Informationsschreiben wären jeweils Fehlverhalten, die allein im Verantwortungsbereich der Antragsgegnerin liegen würden, sodass ein Rückgriff auf den in § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 VgV normierten Aufhebungsgrund ausscheidet.

Eine Aufhebung des Vergabeverfahrens kann aber ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit dennoch wirksam sein. § 63 Abs. 2 S. 1 VgV stellt klar, dass ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, den Zuschlag zu erteilen. Er kann auch dann, wenn kein rechtfertigender Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV vorliegt, von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Dies folgt daraus, dass ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde. Denn auch im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Privatautonomie, nach dem der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausschließlich in der Entscheidungsgewalt des Ausschreibenden liegt (VK Bund, Beschluss vom 16.02.2023, VK 1-1/23).

In der Rechtsprechung sind jedoch Ausnahmefälle anerkannt, bei denen eine Aufhebung der Aufhebung des Vergabeverfahrens und die Fortsetzung des ursprünglichen Vergabeverfahrens in den Stand vor der Aufhebungsentscheidung angezeigt sein kann.

Der Vergabekammer steht diese Anordnungsmöglichkeit im Rahmen des § 168 Abs. 1 S. 1 GWB bei fortbestehender Beschaffungsabsicht des öffentlichen Auftraggebers jedenfalls dann zu, wenn sich die Aufhebung des Vergabeverfahrens aufgrund Fehlens eines sachlich gerechtfertigten Grundes als willkürlich darstellt oder die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zum Schein und tatsächlich zu dem Zweck erfolgt sein, einen Bieter gezielt zu diskriminieren (vgl. VK Bund, Beschluss vom 13.06.2022, VK 2-52/22; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021, Verg 22/20; OLG Celle, Beschluss vom 03.07.2018, 13 Verg 8/17; BGH, Beschluss vom 20.03.2014, X ZB 18/13).

In diesem Rahmen ist regelmäßig auch zu berücksichtigen, dass die Entscheidung über die Aufhebung des Vergabeverfahrens immer auch eine Ermessensentscheidung ist. Für eine rechtmäßige Aufhebung folgt dies aus § 63 Abs. 1 S. 1 VgV, wonach der öffentliche Auftraggeber bei Vorliegen der gesetzlich normierten Aufhebungsgründe zu einer Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigt ist.

Für eine rechtswidrige Aufhebung kann kein anderer Maßstab gelten.

Der Bieter hat jedenfalls einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch den Auftraggeber. Die Nachprüfungsinstanzen können die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers insoweit auf eine korrekte Ausübung des Ermessens hin überprüfen. Einem öffentlichen Auftraggeber zustehende Ermessensspielräume können nach der Rechtsprechung regelmäßig dahingehend überprüft werden, dass der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wurde, dass Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet wurden und der gesetzliche bzw. ein selbst von der Vergabestelle vorgegebener Rahmen bzw. Maßstab beachtet wurde (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.03.2018 – Verg 10/17; VK Südbayern, Beschluss vom 21.05.2024, 3194.Z3-3_01-24-9, n.v.). Konkret für die Ermessensausübung im Rahmen einer Aufhebungsentscheidung bedeutet dies, dass auch die betroffenen Interessen in eine Abwägung einzustellen sind. Neben den Interessen des Auftraggebers sind daher insbesondere auch die Interessen der Bieter in die Abwägung mit einzubeziehen (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 06.07.2022, RMF-SG21-3194-7-16). Die Ermessensentscheidung des Auftraggebers ist zudem nachvollziehbar zu dokumentieren (VK Nordbayern, aaO).

Die Aufhebung einer Aufhebungsentscheidung kann auch dann veranlasst sein, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund fehlt und die Entscheidung sich daher als willkürlich darstellt oder der öffentliche Auftraggeber das ihm hinsichtlich der Entscheidung über die Verfahrensaufhebung zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt hat.

Willkürlich ist ein Verwaltungshandeln dann, wenn es unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missdeutet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021, Verg 22/20). Ein anerkennenswerter sachlicher Grund wird beispielsweise angenommen, wenn ein rechtswidriges Vergabeverfahren nicht mehr geheilt werden kann und der Auftraggeber deswegen ein neues Vergabeverfahren bekannt macht (Queisner, in: BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, 31. Edition, Stand: 01.02.2024, § 63 VgV Rn. 56).

Der Auftraggeber kann nicht dazu verpflichtet werden, das fortzusetzende Vergabeverfahren durch einen Zuschlag zu beenden. Durch die Kassation der Aufhebungsentscheidung wird die Vergabestelle allein dazu gezwungen, entweder das Vergabeverfahren diesmal rechtmäßig aufzuheben oder nach ordnungsgemäßer Wertung den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. (Herrmann, in: Ziekow/Völlink, § 63 VgV Rn. 26 f.).