vorgestellt von Thomas Ax
1. Eine privatrechtlich organisierte Wohnungsbaugesellschaft kann Auftraggeberin i. S. des Vergaberechts sein. Dies gilt insbesondere, wenn ihr wesentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge übertragen sind und die Gemeinde sämtliche Geschäftsanteile innehat.
2. Der Auftrag der städtischen Wohnungsbaugesellschaft gegenüber einem Dienstleister zur Vorbereitung des Glasfasernetzausbaus von der Netzebene 3 auf die Netzebene 4 durch anlasslose und damit nicht bedarfsabhängige Herstellung der Leitungen vom Glasfaseranschlusspunkt bis zum Etagenverteiler kann ein Auftrag i. S. des Vergaberechts zur Erteilung einer Dienstleistungskonzession sein, der über die bloße Ausgestaltung der Duldungspflicht nach § 145 Abs. 1 TKG hinausgeht. Er erfordert danach im Unterschwellenbereich wenigstens die Durchführung eines transparenten, diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens.
3. Im Unterschwellenbereich besteht die Möglichkeit auch nach Zuschlagserteilung im Falle einer sog. de-facto-Vergabe im Wege der einstweiligen Verfügung den Primärrechtsanspruch auf Durchführung eines diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens vorläufig zu sichern, wenn hinreichende Anhaltspunkte für ein willkürliches Verhalten des öffentlichen Auftraggebers dargetan und glaubhaft gemacht sind.
4. Ein Fall der Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung scheidet aus, wenn dem Antragsteller zuvor notwendige Unterlagen nicht vorlagen und ihm dies aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners nicht vorzuwerfen ist.
OLG Rostock, Urteil vom 13.03.2024 – 2 U 10/23
Gründe:
I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
In Ergänzung dazu ist im Berufungsverfahren unstreitig, dass die Verfügungsbeklagte Ende März 2021 Vereinbarungen mit der … GmbH (im Folgenden: …) traf. Diese enthielten u. a. folgende Regelungen:
“Ich [die Verfügungsbeklagte] beauftrage die … mit der Errichtung einer Zuführung von der Grundstücksgrenze bis zum Gf-AP (Grundstücksnetz) sowie dem Bau des Gf-AP in dem jeweiligen Gebäude (vgl. Anlage “Gebäude- und Preisübersicht”). Die Installation erfolgt unentgeltlich.
Ich beauftrage die … mit der Vorbereitung eines Gebäudenetzes bis in die Wohnung/den Geschäftsraum des jeweiligen Gebäudes meiner Liegenschaft (vgl. Anlage “Gebäude- und Preisübersicht”). Der Ausbau erfolgt danach bedarfsgetrieben. Die Installation bei Bedarf erfolgt unentgeltlich.”
“Die … und der Vertragspartner [die Verfügungsbeklagte] vereinbaren auf Basis des Auftrags zur Errichtung eines lichtwellenleiterbasierten Grundstücks- und/oder Gebäudenetzes (Glasfasernetz)”(in der Folge “Errichtungsauftrag”) in den vertragsgegenständlichen Liegenschaften und den Gebäuden ein Glasfasernetz zu errichten, zu betreiben, instand zu halten und an das Glasfasernetz der… anzuschließen.
[…]
Das Grundstücksnetz ( Netzebene 3) wird im Gf-AP abgeschlossen; eine Faser wird von der … durchgespleißt.
Das Gebäudenetz wird vom Gf-AP bis zum Etagenverteiler vorbereitet. Bei Auftrag eines Kunden bzw. Mieter wird die Glasfaser vom Etagenverteiler in die Wohnung verlegt und die Gf-TA in der Wohnung bzw. im Geschäftsraum gesetzt.
[…]
Der … wird gestattet, die über dieses Glasfasernetz angebotenen Dienste und Dienstleistungen gegenüber den Mietern des Vertragspartners mit in der Branche üblichen Vertriebsmaßnahmen in den Gebäuden zu vermarkten.”
Hinsichtlich der weitergehenden Einzelheiten wird auf die Vertragsurkunden (Anlage AST 23 und AST 25) Bezug genommen.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 25.07.2023 (Az.: 6 HK O 12/23) abgeändert. Der Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monate, zu vollziehen an einem ihrer Geschäftsführer, untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
1. Mitbewerber der Antragstellerin ohne vorherige Durchführung eines öffentlichen Auswahlverfahrens mit der Errichtung und dem Betrieb einer GlasfaserNetzinfrastruktur in der Netzebene 4 zur Versorgung der im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden und/oder von der Antragsgegnerin verwalteten Gebäude mit Telekommunikationsdiensten zu beauftragen und/oder beauftragen zu lassen;
2. Mitbewerbern der Antragstellerin aufgrund einer Beauftragung nach Ziffer 1. die Errichtung und den Betrieb einer Glasfaser-Netzinfrastruktur in der Netzebene 4 zu gestatten und/oder zu gestatten zu lassen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt, die Zurückweisung der Berufung.
Von der weitergehenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
II.
Auf die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung war die angefochtene Entscheidung im tenorierten Umfang abzuändern; im Übrigen blieb das weitergehende Rechtsmittel ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO liegen vor.
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis der Verfügungsklägerin. Ein einfacherer und gleich effektiver Weg steht nicht zur Verfügung. Soweit die Verfügungsbeklagte im Termin vor dem Senat erklärt hat, mit der Verfügungsklägerin eine vergleichbare Vereinbarung schließen zu wollen, wie sie diese mit der … geschlossen hat, ist dies nicht gleich effektiv, um ihre Rechte zu wahren. Die Klagepartei hat deutlich gemacht, dass ihr Ziel in der Sicherung ihrer Wettbewerbschancen besteht. Wenn sich die Verfügungsbeklagte dazu entscheidet, ihre Wohnungen insgesamt mit Glasfaser auszustatten und einen eigenen Auftrag über die Herstellung der Netzebene 4 zu vergeben, ist es verständlich, dass die Klagepartei ein Interesse hat, diesen einen Auftrag im Zuge eines fairen Verfahrens zu erhalten. Wie sie zutreffend herausgestellt hat, ist es nicht gleichwertig, wenn ihr lediglich ein paralleler Ausbau der Glasfaser gestattet wird. Zutreffend weist sie daraufhin, dass kein Mieter in seiner Wohnung parallel zwei Anschlüsse nutzen würde und er sich im Zweifel für die Nutzung des zu erst gelegten Anschlusses entscheidet. Die Doppelstrukturen wären zudem für beide Wettbewerber unwirtschaftlich. Zudem ist auch nicht gesichert, dass überall hinreichende Kapazität für Doppelstrukturen bestehen.
Auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist im tenorierten Umfang begründet.
Verfügungsanspruch (zu a.) und ein Verfügungsgrund (zu b.) liegen vor.
a. Der Verfügungsanspruch der Klagepartei gerichtet auf Unterlassung der Beauftragung und des Vollzugs einer rechtswidrig erfolgten Beauftragung folgt aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1 UWG i. V. m. §§ 1ff. VgG M-V sowie aus §§ 1004 Abs. 1, 2 (analog), 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG.
(1) Unter umfassender Würdigung des wechselseitigen Vorbringens spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Verfügungsklagepartei gegenüber der Verfügungsbeklagten ein Anspruch auf künftige Unterlassung zusteht, soweit die Verfügungsbeklagte beabsichtigt, einen Auftrag zum Ausbau der von ihr verwalteten Wohnungen zu erteilen. Unabhängig davon, ob die Schwellenwertgrenze nach § 106 GWB erreicht ist oder der Auftrag von der Bereichsausnahme nach § 149 Nr. 8 GWB erfasst sein sollte, wird die Verfügungsbeklagte ein diskriminierungsfreies Auswahlverfahren durchzuführen haben.
Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist in vorläufiger Würdigung davon auszugehen, dass der sachliche Anwendungsbereich der §§ 1ff. VgG M-V eröffnet ist. Gemäß § 1 Abs. 2 VgG M-V bei gelten die Bestimmungen des Vergabegesetzes für das Land, die Landkreise, Ämter und Gemeinden (Kommunen) sowie für sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes oder des Landrates als untere staatliche Verwaltungsbehörde unterstehen. Der Begriff der Gemeinden ist dabei nicht lediglich formal auf die Tätigkeiten der Gebietskörperschaften beschränkt. Dies ergibt aus einer an Sinn und Zweck der Regelungen orientierten Auslegung.
Ausweislich der vom Senat herangezogenen Gesetzesbegründung sollte das Gesetz die sog. klassischen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des euopäischen Vergaberechts erfassen (vgl. LtDrs. 5/4190, S. 13). Nicht erfasst werden sollten lediglich die Zuwendungsempfänger, sofern sie nicht durch anderweitige gesetzliche Regelungen (etwa das Kartellvergaberecht) zur Anwendung vergaberechtlicher Bestimmungen verpflichtet sind und die Sparkassen, für die bereits damals für den sogenannten Oberschwellenbereich Einigkeit bestand, dass sie nicht als öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nummer 2 GWB anzusehen sind. Mithin wollte der Gesetzgeber den sachlichen Anwendungsbereich mit den Vorgaben des GWB grundsätzlich in Gleichlauf bringen. Nach § 98 Nr. 2 S. 1 GWB (i. d. F. vom 24.04.2009, gültig bis 29.06.2013) waren öffentliche Auftraggeber andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 oder 3 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen der Neuregelung in § 99 Abs. 2 GWB.
Hierzu hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Rostock bereits mit Beschluss vom 2. Oktober 2019 (Az. 17 Verg 3/19) die maßgeblichen Kriterien herausgearbeitet, nach denen bei einem privatrechtlich organisierten städtischen Wohnungsbauunternehmen von einem öffentlichen Auftraggeber auszugehen ist. Auf die maßgeblichen Erwägungen nimmt der Senat Bezug (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 2. Oktober 2019, a. a. O., Rn. 61ff.). Diese Kriterien sind bei der Verfügungsbeklagten nach vorläufiger Betrachtung erfüllt. Insbesondere ist derzeit davon auszugehen, dass die Verfügungsbeklagte eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art erfüllt. Der von der Verfügungbeklagten verfolgte Zweck besteht in der sicheren und sozial verantwortbaren Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung. Sie darf dazu Wohnbauten errichten, betreuen, bewirtschaften und verwalten. Sie kann außerdem die hiermit im Zusammenhang stehenden Aufgaben und Maßnahmen des Städtebaus und der Infrastruktur durchführen und hierzu Grundstücke erwerben, übernehmen, belasten, bebauen und veräußern sowie Erbbaurechte bestellen. Zur Unterstützung der kommunalen Siedlungspolitik gehört auch die Bereitstellung von Flächen und Mieträumen zur gewerblichen Nutzung, insbesondere zur Sicherstellung der Nahversorgung der Bevölkerung in Wohngebieten. Als Aufgaben der Daseinsvorsorge kann sie in ihrem Wohnraumumfeld Gemeinschaftsanlagen und Folgeeinrichtungen sowie soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen und Dienstleistungen vorhalten.
Danach entspricht es dem typischen Bild heutiger kommunaler Wohnungsgesellschaften, dass die Verfügungsbeklagte die Aufgabe der sozialen Wohnraumversorgung mit der Tätigkeit eines nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten agierenden Wohnungsunternehmens verbindet (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.12.2016 – 6 Verg 4/16; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.12.2017 – VK 1-24/17). Das ändert nichts daran, dass die im Allgemeininteresse liegende besondere Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung eine solche nichtgewerblicher Art ist. Die Verbindung ihrer im Allgemeininteresse liegenden nichtgewerblichen Aufgabe mit einer auf Gewinnerzielung gerichteten Tätigkeit ermöglicht es den kommunalen Wohnungsunternehmen regelmäßig erst, die ihnen als besondere Pflicht obliegende Aufgabe der sozial verträglichen Wohnraumversorgung effizient und kostensparend zu erfüllen (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.). Im Übrigen geht der Senat nach den Umständen des Falls unter Berücksichtigung der Bedeutung der sozialen Wohnraumversorgung und der aktuellen öffentlichen Debatte davon aus, dass die Gewinnerzielung der Verfügungsbeklagten für den kommunalen Alleingesellschafter ein “nice to have” ist, eine fehlende Gewinnerzielung ihren Fortbestand aber nicht ernstlich in Zweifel ziehen würde. Auf dieser Grundlage ist dann aber gerade nicht sicher festzustellen, die Verfügungsbeklagte werde sich bei der Vergabe allein von wirtschaftlichen Gesichtspunkten leiten lassen.
Der Auffassung der Verfügungsbeklagten, allein wegen ihrer privatrechtlichen Organisation formal nicht dem Gesetz zu unterfallen, ist nicht zu folgen. Sie steht offenkundig mit dem gesetzgeberischen Ziel in Widerspruch, für die Marktteilnehmer die Möglichkeiten eines fairen Wettbewerbs zu eröffnen. Es wäre nicht nachvollziehbar, dass eine Gemeinde, die ihre Wohnungswirtschaft nicht ausgegliedert, sondern als rechtlich unselbstständigen Eigenbetrieb verwaltet, den Regelungen unterliegt, während eine andere, die ihren Bestand ausgegliedert hat und gleichsam regional den Markt beherrscht, allein deswegen hiervon befreit wäre.
Mithin hätte die Verfügungsbeklagte in jedem Fall ein Auswahlverfahren durchführen müssen. Dadurch hat sie gesetzlichen Vorschriften zuwider gehandelt, die auch dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Der Verstoß war aufgrund der herausragenden Stellung der Verfügungsbeklagten im lokalen Wohnungsmarkt (rund 2.400 Wohnungen bei 13.500 Einwohnern) geeignet, insbesondere die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Durch die de facto-Vergabe hat sie nämlich jedweden Wettbewerb ausgeschlossen.
Die Verfügungsklägerin, als aktivlegitimierte Mitberwerberin, hat dies und die damit behauptete Beauftragung der … GmbH durch die Verträge aus März 2022 (Anlage AST 23 und 25) hinreichend glaubhaft gemacht.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird weitergehend auf die Hinweise in der Terminsverfügung des Senates vom 19.02.2024 Bezug genommen. Nach dem Wortlaut und Gesamtzusammenhang der beigebrachten Vertragsurkunden, deren Inhalt im Berufungsverfahren bereits deswegen zu berücksichtigen war, weil der Abschluss dieser Vereinbarungen und ihr Wortlaut unstreitig sind, hat die Verfügungsbeklagte die … damit zumindest über ihre Duldungspflicht hinaus mit dem Glasfaserausbau auf Netzebene 4 in ihren Liegenschaften beauftragt.
Soweit die Verfügungsbeklagte in ihrer Stellungnahme vom 07.03.2023 behauptet, es handele sich um eine bloße Falschbezeichnung, hat sie diese Behauptung nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Sie hat insbesondere nicht glaubhaft gemacht, dass auch der für die … handelnde Mitarbeiter einer Fehlvorstellung unterlag. Der Senat geht überdies davon aus, dass es sich in Bezug auf den Einwand der “falsa demonstratio” um eine bloße Schutzbehauptung handelt.
(2) In der Folge steht der Verfügungsklägerin hier voraussichtlich ausnahmsweise ein Anspruch auf Unterlassung der künftigen Beauftragung ohne Durchführung eines fairen Auswahlverfahrens sowie ein Anspruch auf Unterlassung des weiteren Vollzugs der bereits geschlossenen Vereinbarung zu.
Soweit regelmäßig vertreten wird, dass ein primärer Rechtsschutz im unterschwellen Bereich nach Abschluss des Verfahrens durch Zuschlag ausgeschlossen ist, greift dies vorliegend nicht, da die Verfügungsbeklagte willkürlich gehandelt hat.
Nach zutreffender Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die unterschiedliche Ausgestaltung des Vergaberechtsschutzes für Aufträge oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 – BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (796)). Deswegen begegnet es auch keinen Bedenken, dass Verträge nach Zuschlagserteilung im Unterschwellenbereich grundsätzlich nicht nach § 135 GWB (analog) nichtig sind und regelmäßig nicht davon auszugehen ist, dass die Anforderungen der Sittenwidrigkeit i. S. d. § 138 BGB bspw. wegen eines kollusiven Zusammenwirkens erfüllt sind. Betroffene Mitbewerber sind daher regelmäßig auf den sekundär Rechtsschutz zu verweisen, soweit das Verfahren beendet und der Zuschlag erteilt ist.
Allerdings hat jede staatliche Stelle bei ihrem Handeln, unabhängig von der Handlungsform und dem betroffenen Lebensbereich, die in dem Gleichheitssatz niedergelegte Gerechtigkeitsvorstellung zu beachten. Dieses Handeln ist anders als die in freiheitlicher Selbstbestimmung erfolgende Tätigkeit eines Privaten stets dem Gemeinwohl verpflichtet. Eine willkürliche Ungleichbehandlung kann dem Gemeinwohl nicht dienen.
Der staatlichen Stelle, die einen öffentlichen Auftrag vergibt, ist es daher verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen. Darüber hinaus kann die tatsächliche Vergabepraxis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. Aufgrund dieser Selbstbindung kann den Verdingungsordnungen als den verwaltungsinternen Regelungen über Verfahren und Kriterien der Vergabe eine mittelbare Außenwirkung zukommen. Jeder Mitbewerber muss eine faire Chance erhalten, nach Maßgabe der für den spezifischen Auftrag wesentlichen Kriterien und des vorgesehenen Verfahrens berücksichtigt zu werden. Eine Abweichung von solchen Vorgaben kann eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten. Insofern verfügt jeder Mitbewerber über ein subjektives Recht, für das effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006 – 1 BvR 1160/03 -, BVerfGE 116, 135-163, Rn. 64 – 65).
Nach Auffassung des Senats lässt sich daraus ableiten, dass im Falle einer willkürlichen de facto Vergabe dem betroffenen Mitbewerber die Chance eröffnet werden muss, zumindest den weiteren Vollzug des Vertrages zu verhindern und auf die anschließende Durchführung eines fairen Verfahrens hinzuwirken.
Die Verfügungsbeklagte handelte vorliegend willkürlich. Ein Fall der Willkür ist anzunehmen, wenn der Auftraggeber ohne sachliche Erwägungen den Auftrag einem Dritten erteilt, ohne überhaupt Mitbewerbern eine Chance zu geben, Angebote einzureichen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfügungsbeklagte aus sachlichen Erwägungen von einem Vergabeverfahren abgesehen hat. Vielmehr sprechen die Indizien dafür, dass sie auf Weisung ihres Alleingesellschafters, der Stadt …, hier einseitig die Mitbewerberin der Verfügungsklägerin bevorzugen wollte. Dafür spricht der Umstand, dass die Stadt … bereits im November 2020 im Stadtboten einseitig für die Leistungen der … GmbH geworben hat (Anlage AST 8). Darin wird u. a. ausgeführt, dass durch die Leistungen der … 8.100 Haushalte die Möglichkeit erhalten, an das Glasfasernetz angeschlossen zu werden und dass die … mit einem Angebot an die Stadt herangetreten war. Die Verfügungsbeklagte wird zu 100 % durch die Stadt … kontrolliert. Danach spricht vieles Dafür, dass die Stadt bereits damals eine Kooperation zwischen der … und der Verfügungsbeklagten angestrebt hat, denn bei rund 13.500 Einwohnern und 8.100 Haushalten ist davon auszugehen, dass der signifikante Anteil der 2.400 von der Verfügungsbeklagten verwalteten Wohnungen hiervon profitieren sollten. Darüber hinaus spricht das Prozessverhalten der Verfügungsbeklagten für ein willkürliches Vorgehen. Sie hat nur unvollständig zum Inhalt der Verträge vorgetragen und den Abschluss der Zusatzvereinbarung zunächst gänzlich verschwiegen. Bestärkt wird der gewonnene Eindruck zudem durch das Informationsverhalten der Stadt …, die gesondert durch die Verfügungsklägerin gerichtlich auf Herausgabe der Vertragsunterlagen in Anspruch genommen werden musste. Dies sind in der vorläufigen Gesamtschau hinreichende Indizien dafür, dass ein Wettbewerber unter Aussschluss eines anderen bevorzugt werden sollte.
Aufgrund dessen steht der Verfügungsklägerin nicht nur ein Anspruch auf Unterlassung der künftigen Vergabe ohne Auswahlverfahren zu; sie kann zugleich verlangen, dass künftige Verträge, die dieses Gebot missachten, nicht vollzogen werden. Zugleich kann sie mit Blick auf den bereits geschlossenen Vertrag zumindest verlangen, dass die Verfügungsbeklagte den weiteren Vollzug des Vertrages unterbindet. Es ist nicht ersichtlich, dass dies aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen wäre.
(3) Soweit die Klagepartei mit ihrem Antrag zugleich auch begehrt hat, der Verfügungsbeklagten aufzugeben, den Betrieb bereits hergestellter Glasfaserleitungen zu untersagen, war die Berufung zurückzuweisen. Die erfolgten Anordnungen genügen zur Erreichung des Sicherungsziels aus. Eine weitergehende Anordnung wäre unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Netzbetreibers und der von einer solchen Anordnung sonst mittelbar betroffenen Nutzer unverhältnismäßig.
c. Ein Verfügungsgrund liegt vor. Dies ist dann der Fall, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Dies ist vorliegend der Fall. Die weitere Umsetzung der vertraglichen Abrede mit der … würde dazu führen, dass bereits vor Abschluss eines etwaigen neuen Vergabeverfahrens die Wohnungen faktisch ausgestattet sind, sodass damit der Anspruch der Verfügungsklägerin auf Durchführung eines diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens vereitelt werden könnte.
Die notwendige Dringlichkeit, die nach § 12 Abs. 1 UWG sogar vermutet wird, ist nicht aufgrund des Verhaltens der Verfügungsklägerin widerlegt.
(1) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass ein Verfügungsgrund fehlt, wenn der Antragsteller die Annahme der Dringlichkeit durch sein eigenes Verhalten ausgeschlossen hat, insbesondere weil er nach Eintritt der Gefährdung seines Rechts lange Zeit mit einem Antrag zugewartet oder das Verfügungsverfahren nicht zügig betrieben hat. Der Gedanke der Selbstwiderlegung wurde in Ansehung der gesetzlichen Dringlichkeitsvermutung im Wettbewerbsrecht entwickelt, ist aber als allgemeiner Rechtsgrundsatz anzuerkennen (KG NJWRR 2001, 1201; OLG Köln BeckRS 1999, 30065637; OLG Dresden BeckRS 2018, 3662; BeckOK ZPO/Mayer, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 935 Rn. 16; Musielak/Voit/Huber, 20. Aufl. 2023, ZPO § 940 Rn. 4).
Eine späte Antragstellung ist dann schädlich, wenn dem Gläubiger die Gefährdung seiner Rechtstellung bekannt war oder aus grober Fahrlässigkeit unbekannt blieb (sich aufdrängende Vermutung: OLG München BeckRS 2001, 30229435; greifbare Hinweise: KG BeckRS 2015, 11082). Allein deren Erkennbarkeit genügt nicht, insbesondere besteht grundsätzlich keine Pflicht zur Marktbeobachtung (OLG Köln GRUR-RR 2003, 187; OLG Hamburg BeckRS 1999, 3636), anders, wenn hierzu Anlass hätte gesehen werden müssen (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2012, 146).
(2) Von diesen Maßstäben ausgehend reichen die Feststellungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil nicht aus, um eine Selbstwiderlegung durch langes Zuwarten anzunehmen. Insoweit kann nicht allein auf den Inhalt der E-Mails vom 12.10.2022 und 01.11.2022 (AG 4 und AG 6) abgestellt werden. Aufgrund des Aushangs im Herbst 2022 war allenfalls die Vermutung für eine Beauftragung der … begründet, mehr aber auch nicht. Insbesondere wegen der in § 145 Abs.1 TKG statuierten Duldungspflicht begründet der tatsächliche Netzausbau der Netzebene 4 keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme eines wettbewerbswidrigen Vertragsschlusses der Verfügungsbeklagten mit der …. Angesichts dessen bestand weder die positive Kenntnis von einem wettbewerbswidrigen Verhalten der Verfügungsbeklagten auf seiten der Verfügungsklägerin noch die grob fahrlässige Unkenntnis.
Letzteres liegt bereits deswegen nicht vor, weil die Verfügungsklägerin das zu diesem Zeitpunkt Mögliche getan. Sie hat die Verfügungsbeklagte mit ihrer Vermutung konfrontiert und im Gespräch vom 08.11.2022 die wahrheitswidrige Aussage erhalten hat, es gäbe keine Beauftragung der ….
Überdies kommt eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit nur dann in Betracht, wenn ein früheres Vorgehen im Wege einer einstweiligen Verfügung Erfolg versprechend gewesen wäre. Ein Zuwarten ist folglich nur dann vorwerfbar, wenn der Antragsteller über die erforderlichen Glaubhaftmachungsmittel verfügt oder zumutbare Möglichkeiten sich diese zu beschaffen über längere Zeit nicht nutzt. Dem Antragsteller ist nicht zuzumuten, auf ungenügender Tatsachengrundlage und mit ungenügenden Glaubhaftmachungsmitteln einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung einzureichen. Gleichsam muss er sich erforderliche Glaubhaftmachungsmittel mit der gebotenen Eile beschaffen (Harte-Bavendamm/HenningBodewig/Retzer, 5. Aufl. 2021, UWG § 12 Rn. 81). Entsprechend den Feststellungen des Landgerichts zum Verfügungsgrund war der Aushang vom Herbst 2022 für sich genommen nicht ausreichend zur Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs, ebenso wenig war der parallele Beginn der Netzausbauarbeiten geeignet, den Anspruch glaubhaft zu machen.
Vielmehr war die Verfügungsklägerin erst aufgrund der mit Schriftsatz vom 09.02.2024 übermittelten Vertragsurkunden in der Lage den Verfügungsanspruch glaubhaft zu machen, die sie erst am 07.02.204 nach Durchführung entsprechender Verwaltungsstreitverfahren erhalten hat.
3. Klarzustellen ist, dass es der Verfügungsbeklagten nach dem Inhalt dieser Anordnungen künftig nicht verwehrt ist, Eingriffe im Rahmen ihrer aus § 145 Abs. 1 TKG folgenden Duldungspflicht hinzunehmen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 91, 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Entscheidung ist nicht mit der Revision angreifbar, § 542 Abs. 2 S.1 ZPO.
Die Entscheidung über Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 48 GKG i. V. m. § 51 GKG und soweit der Beschluss des Landgerichts abgeändert wurde auf § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG.
Die Verfügungsklägerin verfolgt Ansprüche nach dem Lauterkeitsrecht. Maßgeblich für die Bestimmung des Streitwertes ist, wie idR, das wirtschaftliche Interesse des Klägers oder Antragstellers im Hinblick auf den geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Anspruch (BGH GRUR 1990, 1052 (1053); KG GRUR-RR 2021, 96 Rn. 3; OLG Frankfurt a.?M. WRP 2021, 1338 Rn. 8). Der Umfang dieses Interesses hängt – wie grds. bei allen Unterlassungsansprüchen im gewerblichen Rechtsschutz – insbes. von der Gefährlichkeit der zu verbietenden Handlung (“Angriffsfaktor”) ab, die anhand des drohenden Schadens (Umsatzeinbußen, Marktverwirrungs- und Rufschaden) zu bestimmen ist, und von den weiteren Umständen.
Das Begehren der Verfügungsklägerin ist darauf gerichtet, ihre Marktzugangschance durch Beteiligung an einem Auswahlverfahren zu wahren und letztlich den Zuschlag zu erhalten sowie die bestehende Situation bis zur Entscheidung in einer Hauptsache “einzufrieren“.
Der Senat orientiert sich deswegen bei der Streitwertbemessung am Rechtsgedanken des § 50 Abs. 2 GKG. Danach beträgt der Streitwert in Verfahren nach dem GWB 5 Prozent der Bruttoauftragssumme (so auch OLG München, Beschluss vom 19. Juni 2017 – 21 W 314/17 -; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 4. Dezember 2008, 12 U 91/08; Saarländisches OLG, Beschluss vom 25. Januar 2010, 1 W 333/09; OLG Stuttgart, Beschluss vom 9. August 2010, 2 W 37/10; OLG Köln, Beschluss vom 9. Dezember 2010, 11 W 66/10; Schleswig-Holsteinische OLG, Urteil vom 9. April 2010, 1 U 27/10).
Berechnungsgrundlage ist grundsätzlich der Angebotspreis des Antragstellers und zwar auch dann, wenn Ziel des Antrags nicht die Erteilung des Zuschlags auf das eigene Angebot ist, sondern die Untersagung des Zuschlags auf andere Angebote und/oder die Korrektur geltend gemachter Fehler im Vergabeverfahren. Vorliegend liegen zwar keine entgeltlichen Angebote vor. Allerdings lässt sich der Bruttowert des Auftrags nach Maßgabe der Ausführungen der Verfügungsklägerin schätzen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Betreiber für einen Anschluss entweder ein Bereitstellungsentgelt von einem Konkurrenten für die Mitbenutzung seines Netzes oder ein Entgelt aufgrund eines Endkundenvertrages erzielen kann. Am lukrativsten dürfte letzteres sein, sodass ausschließlich darauf abzustellen ist.
Die Verfügungsbeklagte verfügt über ca 2.300 Wohneinheiten. Die Klagepartei wollte sich in Bezug auf diesen Bestand ihre Chancen sichern, sodass es unerheblich ist, ob zwischenzeitlich ein Ausbau in einzelnen Wohnungen stattfand.
Ausgehend von den Angaben der Verfügungsklägerin zu den erzielbaren Umsätzen je Wohnung schätz der Senat den Wert des zu vergebenden Auftrags auf mindestens 1.1 Mio. Euro. Mihtin war der Streitwert für das einstweilige Verfügungsverfahren auf 55.000 Euro festzusetzen und insoweit auch die erstinstanzliche Entscheidung über den Streitwert abzuändern.