Ax Vergaberecht

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Wann ist die Aufgreifschwelle für eine Preisprüfung überschritten?

von Thomas Ax

Nach § 60 Abs. 1 VgV bedarf es einer Preisprüfung durch den Auftraggeber, wenn der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung dem Auftraggeber ungewöhnlich niedrig erscheinen. Der Auftraggeber hat für die Entscheidung der Frage, ob der Preis eines Angebotes ungewöhnlich niedrig erscheint, grundsätzlich einen Einschätzungs- bzw. Beurteilungsspielraum, der von ihm pflichtgemäß und damit fehlerfrei auszuüben ist.
Im Nachprüfungsverfahren ist dieser Beurteilungsspielraum somit nur auf etwaige Beurteilungsfehler hin zu prüfen. Der Auftraggeber muss bei seiner Einschätzung nach § 60 Abs. 1 VgV somit insbesondere sachgemäß und willkürfrei vorgehen und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zugrunde legen. Dies dient dazu, entsprechend zweifelhafte Angebot zu identifizieren, um ggf. eine Prüfung nach § 60 Abs. 2 VgV einzuleiten.

Für die Einleitung einer Preisprüfung nach § 60 Abs. 1 VgV ist das Überschreiten einer Aufgreifschwelle erforderlich, um den Auftraggeber zu einer entsprechenden Preisaufklärung zu veranlassen. Denn grundsätzlich sind – auch deutliche – Preisabstände zwischen Angeboten einem Vergabewettbewerb immanent. Eine Preisprüfung nach § 60 VgV kommt daher nur in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Unauskömmlichkeit bestehen.
Vor diesem Hintergrund ist im Hinblick auf § 60 Abs. 1 VgV die Aufgreifschwelle erreicht, wenn sich einzelne Angebote erheblich von anderen Angeboten oder von der Kostenschätzung des Auftraggebers absetzen. Das OLG Düsseldorf hat in seiner Rechtsprechung diese Aufgreifschwelle für den Regelfall bei einem Abstand von mindestens 20% des betroffenen zum nächstgünstigeren Angebot konkretisiert (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29. Mai 2020, Verg 26/19 m.w.N.).

Ein Auftraggeber darf auch unabhängig vom Vorliegen eines ungewöhnlich niedrigen Preises jederzeit in eine Preisaufklärung eintreten, wenn – angesichts einer Preisspreizung und einer Abweichung von der Kostenschätzung – Anlass hierfür gegeben ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Mai 2021 – Verg 41/20). Dies korrespondiert damit, dass der Auftraggeber grundsätzlich alle relevanten Merkmale des konkreten Auftragsgegenstandes in den Blick nehmen muss, die eine Einschätzung ermöglichen können, ob der angebotene Preis, im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint (vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2020, C-669/22 Rn. 35 ff.).

Um nach § 60 Abs. 1 VgV das Verhältnis zwischen dem angebotenen Preis und der zu erbringenden Leistung sachgemäß einschätzen zu können, ist mithin die Berücksichtigung und damit eine grundsätzliche Betrachtung und Würdigung aller für die Angebotskalkulation relevanten Merkmale geboten.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht unsachgemäß, wenn der öffentliche Auftraggeber nicht nur die jeweils preisgünstigsten Angebote einer Prüfung der Auskömmlichkeit unterwirft und aufklärt, sondern auch darüber hinaus die konkrete Angebotslage insgesamt in den Blick nimmt, mithin auch die teuersten Angebote in den Blick nimmt, um eine plausible Einschätzung der Marktüblichkeit der eingegangenen Angebote vornehmen zu können.