Ax Vergaberecht

  • Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd
  • +49 (0) 6223 868 86 13
  • mail@ax-vergaberecht.de

Der öffentliche Auftraggeber ist nicht auf die Festlegung "harter" Ausschlusskriterien wie technischer Mindestanforderungen beschränkt

von Thomas Ax

Der öffentliche Auftraggeber ist bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitestgehend frei (Senatsbeschluss vom 13. April 2016, VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656 Rn. 18 – VoIP-Telefone). Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB kann er auch qualitative Aspekte berücksichtigen. Dabei ist es dem öffentlichen Auftraggeber gestattet im Rahmen eines solchen Verfahrens Mindestanforderungen hinsichtlich der Bewertung festzulegen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 27 – Montte). In Erwägungsgrund 90 zur Vergaberichtlinie 2014/24/EU wird explizit darauf hingewiesen, dass es öffentlichen Auftraggebern freisteht, angemessene Qualitätsstandards in Form von technischen Spezifikationen oder von Bedingungen für die Auftragsausführung festzulegen, während die Richtlinie ihrem 92. Erwägungsgrund zufolge darauf abzielt, öffentliche Auftraggeber zur Wahl von Zuschlagskriterien zu ermutigen, mit denen sie qualitativ hochwertige Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen erhalten können, die ihren Bedürfnissen optimal entsprechen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 29 – Montte).

Der öffentliche Auftraggeber kann folglich eine seinen Bedürfnissen entsprechende Qualität bestimmen, die die abgegebenen Angebote gewährleisten müssen, und eine Untergrenze festlegen, die diese einhalten müssen. Insoweit steht Art. 67 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, dessen Umsetzung § 127 Abs. 1 GWB dient und in dessen Lichte er auszulegen ist, nicht der Möglichkeit entgegen, in der Phase der Zuschlagserteilung in einem ersten Schritt Angebote auszuschließen, die bei der Bewertung eine vorab festgelegte Mindestpunktzahl nicht erreichen, weil ein Angebot, das eine solche Mindestpunktzahl nicht erreicht, grundsätzlich nicht den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers entspricht und bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht berücksichtigt zu werden braucht. Der öffentliche Auftraggeber muss in einem solchen Fall daher nicht bestimmen, ob der Preis eines solchen Angebots unter den Preisen der nicht ausgeschlossenen Angebote liegt, die die Mindestpunktzahl erreichen und daher seinen Bedürfnissen entsprechen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 32 – Montte).

Insoweit ist der öffentliche Auftraggeber nicht auf die Festlegung “harter” Ausschlusskriterien wie technischer Mindestanforderungen beschränkt. Nach Art. 67 Abs. 2 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU kann die Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots auch auf der Grundlage von Kriterien wie der Qualität, einschließlich des technischen Wertes, erfolgen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 30 – Montte). Der technische Wert ist folglich nur ein mögliches qualitatives Ausschlusskriterium, was schon aus der Verwendung von “einschließlich” vor “technischen Wert” folgt, durch das ein Bereich erweitert werden kann, aber nie verengt wird. Daneben wird in Art. 67 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. a der Vergaberichtlinie 2014/24/EU beispielsweise auch die Ästhetik und in lit. b die Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals genannt, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann. Damit hat der Normgeber ausdrücklich Kriterien zugelassen, deren Bewertung zwangsläufig subjektiv geprägt ist, weshalb der öffentliche Auftraggeber auch solche, von der Antragstellerin als “weiche” bezeichnete Ausschlusskriterien festlegen kann.

Die Kriterien müssen lediglich die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung gewährleisten, um einen objektiven Vergleich des relativen Werts der Angebote und somit einen wirksamen Wettbewerb sicherzustellen; der öffentliche Auftraggeber darf sich keine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumen (EuGH, Urteil vom 20. September 2018, C-546/16, NZBau 2018, 685 Rn. 31 – Montte).

Diesen Anforderungen genügt aber auch eine qualitative Bewertung, wenn sie den für eine solche geltenden Anforderungen entspricht. Der öffentliche Auftraggeber hat die Bewertung selbst vorzunehmen; die Wertungsentscheidung ist nicht delegierbar, die an ihr beteiligten Personen müssen Vertreter des öffentlichen Auftraggebers sein (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 44). Diese haben zu prüfen, inwieweit die Angebote die in der Bewertungsmatrix aufgestellte Anforderung erfüllen (Senat, a. a. O. Rn. 48). Die Bewertung muss in sich und in Relation zu den übrigen Angeboten nachvollziehbar sein. Es muss klar sein, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Bewertung eingegangen sind. Der Auftraggeber ist daher verpflichtet, die Gründe für seine Auswahlentscheidung eingehend zu dokumentieren (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VgV). Die Bewertungsentscheidungen ist daraufhin überprüfbar, ob die jeweilige Bewertung im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen). Es muss nachvollziehbar sein, weshalb ein Mitbewerber besser bewertet wurde (OLG Düsseldorf, 2. Kartellsenat, Beschluss vom 13. Juni 2018, 2 U 7/16, BeckRS 2018, 15885 Rn. 104); die Wertungen müssen im Quervergleich mit den besser bewerteten Angeboten stimmig sein (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019, VII-Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn. 54), insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenten (BGH, Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn. 53 – Postdienstleistungen). Genügt die Bewertung diesen Anforderungen, sind Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gewährleistet, eine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit ist nicht gegeben.