Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

Fehler vermeiden – Vergabe in der Praxis öffentlicher Auftraggeber (2)

Die Formulierung “abgeschlossene Geschäftsjahre” ist bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu

von Thomas Ax

Auftraggeber fordern u. a. in der Auftragsbekanntmachung und der Eigenerklärung zur Eignung Liefer- / Dienstleistungen – Formblatt 124 LD – VHB von den Bietern Angaben zu Umsätzen der letzten drei “abgeschlossenen Geschäftsjahre”.

Die Formulierung “abgeschlossene Geschäftsjahre” ist bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu.

Die Forderung kann einerseits so verstanden werden, dass es sich grundsätzlich um die letzten drei Kalenderjahre vor Beginn des Vergabeverfahrens handelt (so auch das Verständnis des Antragsgegners). Hiernach kommt es auf das Vorliegen von Jahresabschlüssen nicht an. Hierfür spricht, dass der Auftraggeber an möglichst aktuellen Zahlen interessiert ist. Aus seiner Sicht ist auf die gegenwärtige Situation des Bieters abzustellen, um dessen Eignung beurteilen zu können. Diese Auffassung hat auch die 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vertreten (vgl. Beschluss vom 12.06.2014 – Az. 3 VK LSA 36/14). Ferner spricht dafür, dass der Antragsgegner von der Möglichkeit Gerbrauch gemacht hat, als Beleg für die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des Bieters lediglich eine Eigenerklärung über den Umsatz zu verlangen (vgl. § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV). Er hat davon abgesehen, i. S. d. § 45 Abs. 4 Nr. 3 VgV die Vorlage von Jahresabschlüssen zu fordern.

Dieses Verständnis ist jedoch nicht zwingend. Auch aus kaufmännischer Sicht setzt ein “abgeschlossenes Geschäftsjahr” das Vorliegen eines Jahresabschlusses voraus (vgl. Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht / Hövelberndt, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 6a, Rn 39; so auch VK Berlin, Beschluss vom 05.05.2023 – Az. VK B 1-19/22). In entsprechender Weise hat das für Bauwesen des Bundes zuständige Ministerium mit Erlass vom 26.02.2020 (“Interpretation VOB/A 2019 – Az.: 70421/21) diesen Begriff interpretiert. Nach diesem Erlass sind für die Umsatzangaben die letzten drei Geschäftsjahre zugrunde zu legen, für die entsprechende Jahresabschlüsse beim jeweiligen Bieter vorliegen. Angaben zu Umsätzen aus noch nicht abgeschlossenen Geschäftsjahren schulde der Bieter auch dann nicht, wenn er sein Geschäftsjahr während des Vergabeverfahrens, aber nach Ablauf der Angebotsfrist abschließe. Auch wenn sich dieser Erlass auf die VOB/A bezieht, ist Gegenstand der Auslegung der Begriff “abgeschlossene Geschäftsjahre”. Einem Bieter kann nicht angelastet werden, diesen Begriff wie das Ministerium zu verstehen.

Herausgeber des VHB ist ebenfalls das für Bauwesen des Bundes zuständige Ministerium. Das Ministerium hat die Abänderungen überdies lediglich mit der Entlastung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie Bürokratieabbau begründet (vgl. Anlage “Dokumentation der Änderungen” des Erlasses zur Einführung des VHB 2017 vom 08.12.2017 – B I 7 – 81064.02/01 – hier Verzicht auf die Bestätigung der Angaben zum Umsatz in der Eigenerklärung u. a. durch Jahresabschlüsse).
Vor diesem Hintergrund wäre der Auftraggeber gehalten, seine Vorgaben zu präzisieren, um unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten zu vermeiden. Soweit er lediglich von den Bietern Angaben zu Umsätzen der Kalenderjahre 2021, 2022 und 2023 fordern will, ohne dass hierfür ein Jahresabschluss vorliegen muss, müsste er dies unmissverständlich zum Ausdruck bringen.

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