Gerade bei komplexeren Aufträgen, der Aufteilung in verschiedene Lose sowie bei zeitlich lang gestreckten Vorhaben kann es kompliziert werden
von Thomas Ax
Die Schätzung des Auftragswertes ist einer der ersten Schritte bei der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens. Gerade bei komplexeren Aufträgen, der Aufteilung in verschiedene Lose sowie bei zeitlich lang gestreckten Vorhaben kann es kompliziert werden.
Voraussetzung sind zunächst valide Kostenschätzungen.
Die Schätzung des Auftragswerts setzt eine realistische, vollständige und objektive Prognose voraus, die sich an den Marktgegebenheiten orientiert (OLG Celle, Beschluss vom 29.06.2017, 13 Verg 1/17, Rn. 42 f. bei juris; Fülling in: MK-VergabeR I, 2. Aufl., § 3 VgV, Rn. 6; Kau in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 3 VgV, Rn. 14 ff.; Marx in: KKMPP, VgV, § 3, Rn. 4; Radu in: Müller-Wrede, VgV/UVgO, § 3 VgV, Rn. 126 ff.). Der Auftraggeber muss eine Methode wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lässt, und der Schätzung zutreffende Daten zugrunde legen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2019, Verg 42/18, Rn. bei juris). Pflichtgemäß geschätzt ist ein Auftragswert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der geplanten Beschaffung veranschlagen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.05.2002, Verg 5/02, Rn. 8 bei juris; Fülling, a. a. O.). Bei Baumaßnahmen kann eine Baukostenberechnung berücksichtigt werden (Fülling, a. a. O., Rn. 7, Radu, a. a. O., Rn. 132).
Bei der Schätzung des Auftragswerts ist von dem voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Was zu dem Auftrag, dessen Wert zu schätzen ist, gehört, ist anhand einer funktionalen Betrachtungsweise zu ermitteln. Bevor eine Aufteilung in verschiedene Aufträge erfolgen darf, sind organisatorische, inhaltliche, wirtschaftliche und technische Zusammenhänge zu berücksichtigen. Ein einheitlicher Auftrag ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der eine Teil ohne den anderen keine sinnvolle Funktion zu erfüllen vermag.
Die Kosten für die Planungsleistungen werden nur dann mit den Bauausführungskosten zusammengerechnet, wenn die Planungsleistungen zusammen mit der Ausführung des Bauauftrags ausgeschrieben werden. VK Brandenburg, Beschluss v. 28.2.2007, 2 VK 8/07: „Hier werden Planungskosten nur dann eingerechnet, wenn sie zusammen mit der Bauleistung in Auftrag gegeben und somit als Bestandteil der vom Auftragnehmer zu erbringenden Bauleistung anzusehen sind […]“ OLG München, Beschluss v. 31.10.2012, Verg 19 / 12: „Es trifft zwar zu, dass Baunebenkosten grundsätzlich bei der Schwellenwertberechnung nicht zu berücksichtigen sein sollen […], doch gilt dies nicht für den Fall, dass der Auftraggeber sowohl die Leistung als auch die Planung ausschreibt, weil sich der Auftrag bzw. der abzuschließende Vertrag dann auf beide Leistungsteile bezieht (VK Saarland vom 14.7.2010 – 1 VK 08/2010). […] Damit sind Planungsleistungen, welche […] vom Auftragnehmer zu erbringen sind, zu den Bauausführungskosten bei der Schätzung des Auftragswertes hinzuzurechnen.“ Werden die Planungsleistungen getrennt ausgeschrieben, so werden die Planungskosten bei der Berechnung des Bauauftragswertes nicht berücksichtigt. VK Nordbayern, Beschluss v. 26.7.2005, 320 . VK – 3194 – 26 / 05: „Der zu schätzende Gesamtauftragswert errechnet sich bei Bauaufträgen aus der Summe der Auftragswerte aller für die Erstellung der baulichen Anlage erforderlichen Bauleistungen. Von der Bauleistung getrennt zu vergebende Planungskosten sind bei der Berechnung des Bauauftragswertes nicht zu berücksichtigen.“
Was die Bauausführungskosten anbelangt: Der relativ weite Begriff der Bauleistung ist inhaltlich für solche Leistungen anzuwenden, die „mit dem Bau und Bauarbeiten in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, was sich
ohne Weiteres aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt. Bei einer vereinbarten Bauleistung handelt es sich regelmäßig um eine Mischform bestehend aus Elementen von Dienstleistungen und Lieferungen (vgl. Marx in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, 1. Auflage 2010, § 1 Rn. 32).“ „Der Begriff der Bauleistungen wird näher dadurch umschrieben, dass es sich im Wesentlichen um inhaltliche Arbeiten im Bereich einer baulichen Anlage handeln muss. Da es sich nach § 1 um “Arbeiten jeder Art” handeln kann, betrifft dies zwar grundsätzlich einen denkbar weiten Bereich, allerdings ist eine Ausweitung ins Uferlose, bei der ein Bezug zum “Bauen” nicht hergestellt werden kann, abzulehnen. So sind die Wartung einer Brandmeldeanlage wie auch die Auswechslung einzelner Brandmelder keine Bauleistungen, sondern reine Dienstleistungsaufträge (OLG Düsseldorf vom 14.04.2010 – Verg 60/09; vgl. auch Bauer in: Heiermann/ Riedl/ Rusam, 12. Auflage 2011, § 1 VOB/A Rn. 11: Arbeiten der landwirtschaftlichen und gärtnerischen Bodennutzung sowie Arbeiten der Gewinnung von Kohle, Steinen und anderen Bodenbestandteilen zählen nicht zu Bauleistungen).“ Bauleistungen sind also die Instandhaltung, Änderung und Beseitigung sowie der Neubau an einem gesamten Bau, an Bauteilen und Baugliedern.
Bei Neubauten wird alles, was der Herstellung und späteren bestimmungsgemäßen Nutzung (Funktion) des Gebäudes dient, als Bauleistung angesehen und dementsprechend ausgeschrieben.
Zu den Bauleistungen zählen insbesondere auch die Lieferung und Montage der für die bauliche Anlage erforderlichen maschinellen und elektrotechnischen / elektronischen Anlagen und Anlagenteile. Auch die Ergänzung und der Neueinbau solcher Anlagen in einem bestehenden Gebäude fallen unter den Begriff der Bauleistung, wenn sie für den bestimmungsgemäßen Bestand der baulichen Anlage bzw. für ein funktionsfähiges Bauwerk erforderlich und von wesentlicher Bedeutung sind. Entscheidend ist, dass das Gebäude ohne den Einbau der Anlagen noch nicht als vollständig fertig anzusehen ist.
Was die losweise Vergabe anbelangt gilt dann Folgendes: Bei Schätzung des Auftragswertes ist gemäß § 3 Abs. 1 VgV vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistungen ohne Umsatzsteuer auszugehen. Die Schätzung des Auftragswertes erfolgt gemäß § 3 Abs.7 VgV, wenn der Gesamtwert sich aus mehreren Losen zusammensetzt. Kann das beabsichtigte Bauvorhaben oder die vorgesehene Erbringung einer Dienstleistung zu einem Auftrag führen, der in mehreren Losen vergeben wird, ist der geschätzte Gesamtwert aller Lose zugrunde zu legen.
Bei Planungsleistungen gilt dies nur für Lose über gleichartige Leistungen. Erreicht oder überschreitet der geschätzte Gesamtwert den maßgeblichen Schwellenwert, gilt die Verordnung für die Vergabe jedes Loses.
Gemäß Art. 5 Abs. 8 Richtlinie 2014/24/EU ist im Falle von Bauvorhaben oder der Erbringung von Dienstleistungen, die zu Aufträgen führen, die in mehreren Losen vergeben werden, der geschätzte Gesamtauftragswert aller dieser Lose zu berücksichtigen. Die Richtlinie gilt beim Erreichen des Schwellenwertes dann für die Vergabe jedes Loses. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Formulierung in § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV (gleichartige Leistungen). Denn einerseits lässt sich diese Formulierung nicht mit dem EU Recht in Einklang bringen und sie widerspricht auch der Auffassung des EuGH. Nach der Entscheidung des EuGH, Urteil vom 15.03.2012, C-574/10 (Autalhalle in der Gemeinde Niedernhausen) gilt auch für Planungsleistungen, dass die Leistungen, die in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität aufweisen, nicht in einzelne Abschnitte bei der Schätzung des Schwellenwertes aufgeteilt werden dürfen. Vielmehr sind alle Architektenleistungen in den verschiedenen Abschnitten des Bauvorhabens zusammen zu addieren, um den Auftragswert und damit auch den Schwellenwert zu ermitteln. Auch aus haushaltsrechtlichen Gründen kann eine solche Aufteilung nicht vorgenommen werden, so auch das OLG München, Beschluss vom 13.03.2017, Verg 15/16. Zudem stimmt § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV mit den Vorgaben in Art. 5 Abs. 8 Richtlinie 2014/24/EU nicht überein, so dass eine Auslegung der Regelung unter Einbeziehung des EU Rechts zu dem Ergebnis kommt, dass auch im Falle von Planungsleistungen diese wertmäßig zu addieren sind. Mittlerweile hat auch die Europäische Kommission am 24.01.2019 u.a. gegen Deutschland wegen dieser Formulierung in § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Eine Sonderregelung, so die Begründung der Kommission, wie sie im deutschen Recht besteht, sei in der Richtlinie nicht vorgesehen. Im Ergebnis sind somit alle Planungsleistungen für die Ermittlung des Schwellenwertes zu addieren. VK Westfalen, Beschluss vom 18.12.2019 – VK 1-34/19
Bei der Schätzung des Auftragswerts eines Bauauftrages im Vergaberecht sind aber Nebenkosten teilweise nicht zu berücksichtigten. Das gilt für Kosten für Bauherrenaufgaben und – bei getrennter Vergabe der Bauplanung – Kosten für Planungsleistungen wie Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe, Bauüberwachung und Objektbetreuung.
Für die Ermittlung des Auftragswerts sind nach § 3 Abs. 7 VgV die Kosten aller Bauleistungen zu berücksichtigen. Es sind aber jedenfalls Bauherrenkosten wie Kosten für die Projektplanung, sonstige Nebenkosten wie die Kosten für Rechtsberatung und Kosten für Planungsleistungen, die allein im Interesse des Bauherrn erbracht werden, nicht heranzuziehen, weil sie nicht für den Bauauftrag als solchen anfallen.
Nach § 3 Abs. 1 VgV sind für die Ermittlung des Auftragswerts die Kosten für die vorgesehenen Leistungen zu berücksichtigen. Es geht dabei nach dem Wortlaut um den konkreten zu vergebenden Auftrag. Damit sind nicht die Gesamtkosten für ein auftragsübergreifendes Vorhaben zu ermitteln. Wäre das anders, bedürfte es der weiteren Vorschriften für die Ermittlung des Auftragswerts in § 3 VgV nicht, nach denen Kosten des Gesamtvorhabens einzuberechnen sind. Nach § 3 Abs. 6 S. 1 VgV ist bei der Schätzung des Auftragswerts für Bauleistungen der Wert von Lieferungen und Leistungen einzubeziehen, die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden und für die Ausführung der Bauleistung erforderlich sind. Nach § 3 Abs. 7 S. 1 VgV ist, wenn eine Losvergabe in Betracht kommt, der Wert aller Lose zusammenzurechnen. Insbesondere die Vorschrift des § 3 Abs. 6 VgV, nach der nur bestimmte Kosten zu berücksichtigen sind, verdeutlicht, dass es gerade nicht um die Gesamtkosten für verschiedenartige Leistungen geht, die im Rahmen eines Gesamtvorhabens beschafft werden.
Da Bau- und Planungsleistungen nach § 3 Abs. 6 S. 2 VgV getrennt vergeben werden können, müssen die Auftragswerte bei getrennter Vergabe nicht zusammengerechnet werden (Kau in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., § 3, Rn. 53 f.; Fülling in: MK-VergabeR I, 2. Aufl., § 3 VgV, Rn. 21; Marx in: KKMPP, VgV, § 3, Rn. 26; Schneider in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 7. Aufl., § 3 VgV, Rn. 58; Alexander in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl., § 3 VgV, Rn. 55 f.). Dieses Verständnis folgt auch aus der Definition von Bauaufträgen in § 103 Abs. 3 GWB. Danach sind Bauaufträge Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen.
Gehören danach isolierte Planungsaufträge nicht zu den Bauaufträgen, bleibt ihr Wert bei der Ermittlung des Auftragswerts für die Bauleistung unberücksichtigt.
Soweit an dieser Auffassung aufgrund des funktionalen Auftragsbegriffs gezweifelt wird (Lausen in: jursPK-VergabeR, 5. Aufl., § 3 VgV, Rn. 93.2; Dieckmann in: Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 2. Aufl., § 3 VgV, Rn. 30), wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass in § 3 Abs. 6 VgV eine Einschränkung der in den Auftragswert einzubeziehenden Planungskosten erfolgt. Danach sollen nur die Kosten für die Planungsleistungen berücksichtigt werden, die zur Verfügung gestellt werden. Diese Einschränkung wäre nicht verständlich, wenn ohnehin nach einem funktionalen Auftragsbegriff die Gesamtkosten eines Gesamtvorhabens eingerechnet würden. Zudem kann angesichts des Systems der verschiedenen Auftragsarten nach § 103 GWB und § 3 Abs. 6 u. 7 VgV nicht angenommen werden, dass verschiedenartige Bauaufträge, Dienstleistungsaufträge und Lieferaufträge nach einem funktionalen Begriff zu einer übergreifenden Einheit zusammenzufassen sind. Der differenzierten Regelung der Losvergabe für die einzelnen Auftragsarten bedürfte es nicht, wenn verschiedenartige Aufträge zu einem Gesamtvorhaben zusammenzufassen wären.
Es kommt so darauf an, inwieweit andere Leistungen i. S. d. § 3 Abs. 6 VgV für die Bauleistungen erforderlich sind und zur Verfügung gestellt werden. Da es um die Förderung der Bauleistungen geht, müssen die anderen Leistungen den Auftragnehmern zur Verfügung gestellt werden.
Jedenfalls Baunebenkosten sind danach nicht einzubeziehen (OLG München, Beschluss vom 31.10.2012, Verg 19/12, Rn. 33 bei juris; Dieckmann in: Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 2. Aufl., § 3 VgV, Rn. 30).
Dazu gehören die Kosten für die Projektplanung als Teil der Bauherrenaufgaben und die sonstigen Nebenkosten wie Rechtsberatungskosten, weil es sich bei diesen Leistungen nicht um die Planung von Bauwerken handelt. Sie sind weder für die Bauleistungen erforderlich noch werden sie den Auftragnehmern zur Verfügung gestellt.