Ax Vergaberecht

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Gegen eine zu enge und strikte Handhabung des Vorrangs der Teil- und Fachlosvergabe

von Thomas Ax

Das Vergaberecht soll nicht nur Bieterrechte eröffnen, sondern auch eine wirtschaftliche Leistungsbeschaffung gewährleisten. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht verpflichtet, bestimmte Märkte oder Marktteilnehmer zu bedienen. Er allein bestimmt vielmehr im Rahmen der ihm übertragenen öffentlichen Aufgaben seinen Beschaffungsbedarf und die Art und Weise, wie dieser zu decken ist. Wir sprechen uns von daher für eine allzu enge und strikte hemmende Handhabung des Vorrangs der Teil- und Fachlosvergabe aus.

Gemäß §§ 97 Abs. 4 Satz 3 GWB, 5 EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 VOB/A dürfen mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Die Fachlosvergabe bildet im Sinne eines an den Auftragsgeber gerichteten bieterschützenden vergaberechtlichen Gebots den Regelfall. Eine zusammenfassende Vergabe darf nach dem gesetzgeberischen Willen demgegenüber nur in Ausnahmefällen erfolgen. (Antweiler, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 97 Abs. 4 Rn. 51). Kommt eine solche Ausnahme von dem Regelfall der Fachlosvergabe in Betracht, hat sich der Auftraggeber in besonderer Weise mit dem grundsätzlichen Gebot einer Fachlosvergabe und den im konkreten Fall dagegensprechenden Gründen auseinanderzusetzen.

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Hierbei bedarf es einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden wirtschaftlichen oder technische Gründe überwiegen müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.03.2012, VII-Verg 92/11; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18; Kus, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB- Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 185).

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Zu beachten ist, dass das bloße Überwiegen hierbei ausreichend ist, d.h. die für die Zusammenfassung der Lose sprechenden Gründe müssen gegenüber den Schutzinteressen des Mittelstands nicht in einem gesondert gewichteten Verhältnis stehen (Meckler, Grenzen der Verpflichtung zur Losvergabe nach vergaberechtlicher Rechtsprechung, NZBau 8/2019, S. 492, 493).

Die wirtschaftlichen oder technischen Gründe müssen sich auf das jeweilige Fachgewerk beziehen.

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

In den Blick zu nehmen ist aber, dass auch das gesamte Vorhaben betreffende Überlegungen zu berücksichtigen sind, wenn sie auch und gerade das jeweilige Fachgewerk erfassen (OLG München, Beschluss vom 09.09.2015, Verg 1/15). Wirtschaftliche Gründe i.d.S. liegen bei einer Verzögerung des Gesamtvorhabens vor (Ziekow, in: Ziekow/ Völlink; Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 89; Kus, in: Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 185). Welche Anforderungen an das Maß der Verzögerung zu stellen sind, ist jedoch umstritten (deutliche Verzögerung (Ziekow, in: Ziekow/Völlink; Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 89) oder auch einfache, jedenfalls nicht zu vernachlässigende Verzögerungen (Kus, in: Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 185)).

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Vernachlässigt darf auch nicht die Erwägung, dass der Maßstab der rechtlichen Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen dann darauf beschränkt ist, ob die Entscheidung des Auftraggebers auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf Fehlbeurteilung, insbesondere auf Willkür, beruht.

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Um eine derartige rechtliche Kontrolle zu ermöglichen, gebietet das in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB verankerte Transparenzgebot, dass der öffentliche Auftraggeber den Gang und die wesentlichen Entscheidungen des Vergabeverfahrens in den Vergabeakten dokumentiert. Aus Gründen der Transparenz hat die Dokumentation zeitnah zu erfolgen und ist laufend fortzuschreiten. (Kus, in: Kulartz/Jus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 200; VK Baden- Württemberg, Beschluss vom 18.02.2011, 1 VK 02/11).

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Wir propagieren deshalb die nachvollziehbare also dokumentierte Entscheidung der Vergabestelle.

Die im Vergabevermerk niedergelegten Angaben und Gründe für die getroffene Entscheidung müssen so detailliert sein, dass sie für einen mit der Sachlage des konkreten Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar sind (Kus, in: Kulartz/Jus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 200; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.02.2011, 1 VK 02/11).

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Das geht dann soweit, dass für Entscheidungen, bei denen mehrere Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen sind, sodass der Vergabestelle ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zukommt, erhöhte Anforderungen an den Umfang der Dokumentation bestehen.

Diesbezüglich erfordert die Dokumentationspflicht eine ausführliche Begründung des Entscheidungsprozesses mit seinem Für und Wider sowie eine detaillierte Begründung der getroffenen Entscheidung. Dies betrifft gerade die Gründe für oder gegen eine Losaufteilung (Düsterdiek, in: Leupertz/v. Wietersheim, VOB Kommentar, 20. Auflage 2017, § 20 EU-VOB/A Rn. 7).

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Hier ist dann auch klar, dass wenn wesentliche Gesichtspunkte nicht dokumentiert werden, eine sachgerechte Prüfung mangels nachvollziehbarer Dokumentation nicht möglich ist.

Und das ist nur wirklich zu vermeiden, aber eben auch leicht vermeidbar: Eine insoweit fehlende Dokumentation hat zu Lasten des Auftraggebers die Vermutung des Nichtvorliegens der zu dokumentierenden Tatsache zur Folge (Franke/Pauka, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen/Mertens, VOB Kommentar, 6. Aufl. 2017, § 20 EU VOB/A Rn. 33 f.).

Dokumentationsmängel führen dazu, dass das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt, in dem die Dokumentation unzureichend ist, zu wiederholen ist (Franke/Pauka, in: Franke/Kemper/ Zanner/Grünhagen/Mertens, VOB Kommentar, 6. Aufl. 2017, § 20 EU VOB/A Rn. 35).

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

Zwar können Dokumentationsmängel durchaus geheilt werden. Zu differenzieren ist insoweit jedoch zwischen den gemäß §§ 20 EU VOB/A, 8 VgV mindestens niederzulegenden Angaben und Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll. Eine Überprüfung letzterer auf ihre Stichhaltigkeit kann der Vergabestelle schwerlich generell unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden. Der Auftraggeber kann im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Argumenten präkludiert werden, die nicht zeitnah im Vergabevermerk niedergelegt worden sind. Die zeitnahe Führung des Vergabevermerks dient dem Schutz der Transparenz des Vergabeverfahrens sowie der Entgegenwirkung von Manipulationen. Mit Blick hierauf und unter Berücksichtigung des vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes können Dokumentationsmängel im Vergabevermerk nicht generell und unabhängig von deren Gewicht und Stellenwert im Nachprüfungsverfahren unberücksichtigt bleiben. Eine Anordnung der Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens sollte vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass eine Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren zur Gewährleistung einer wettbewerbskonformen Auftragserteilung nicht ausreichen könnte (BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4/10; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18).

Der Auftraggeber kann Lücken in der Dokumentation folglich durch Vortrag im Nachprüfungsverfahren schließen, solange kein gänzlich neuer und bislang unbekannter Sachverhalt vorgetragen wird (Kus, in: Kulartz/ Jus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 200; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18).

VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019, 1 VK 51 / 19

So liegt der Fall aber nur selten und sich darauf zu verlassen, wäre fahrlässig.