von Thomas Ax
Kurze Einführung – Grundlagen des Vergaberechts
Grundsätze des Vergaberechts
Anders als privatwirtschaftliche Auftraggeber können öffentliche Auftraggeber die von ihnen benötigten Produkte und Dienstleistungen nicht frei und beliebig einkaufen, sondern sind an förmliche Vergabeverfahren gebunden. Die Vergabevorschriften haben im Wesentlichen ein Ziel, nämlich einen fairen und diskrimierungsfreien Wettbewerb unter bester Mittelverwendung zu organisieren.
Bereits in einem Urteil von 1963 hat der Bundesgerichtshof Sinn und Zweck des Vergaberechts wie folgt beschrieben:
„Alle Amtsträger, Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts haben […] darauf zu achten, dass für alle Bewerber gleiche Wettbewerbsbedingungen bestehen und erhalten bleiben. [Die öffentliche Hand] darf ohne sachliche Gründe keine Bewerber bevorzugen oder benachteiligen.“
Durch ein transparentes Vergabeverfahren und Organisation von fairen und diskriminierungsfreien Wettbewerb soll der öffentliche Auftraggeber, im Interesse aller Bürger und Steuerzahler, eine wirtschaftliche Beschaffung seines Bedarfs sichern und außerdem die Beteiligung aller steuerzahlenden Unternehmen/Wirtschaftsteilnehmern an der öffentlichen Auftragsvergabe garantieren.
Die Intentionen der europäischen Vergaberichtlinien sind es, einen EU-weiten Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu eröffnen und zu erreichen, dass öffentliche Auftraggeber möglichst wie privatwirtschaftliche Auftraggeber am Markt auftreten. Mittelbar hat dies Einspareffekte für die öffentlichen Haushalte zur Folge, im Vordergrund des EU-Vergaberechts steht jedoch auch die Schaffung eines möglichst unbehinderten Wettbewerbs im Binnenmarkt der EU.
Die wesentlichen Grundsätze der öffentlichen Auftragsvergabe wie Transparenz, Wettbewerb und Gleichbehandlung ergeben sich aus § 97 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Zu den öffentlichen Auftraggebern, welche das Vergaberecht zu beachten haben, zählen insbesondere Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden), Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, sowie Sondervermögen und Regiebetriebe der öffentlichen Hand. Auch Sektorenauftraggeber fallen unter das Vergaberecht. Diese Aufzählung ist nicht abschließend.
EU-Verfahrensvorschriften
Für Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte gelten derzeit insbesondere folgende Richtlinien der Europäischen Union:
- Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (klassische Richtlinie),
- Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (Sektorenrichtlinie),
- Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (Konzessionsrichtlinie),
- Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG,
- Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens (Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 89/665/EWG und 92/13/EWG).
Klassische Richtlinie, Sektorenrichtlinie und Konzessionsrichtlinie sind am 28. März 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden und am 17. April 2014 in Kraft getreten. Der deutsche Gesetzgeber hat diese neuen Vergaberichtlinien fristgerecht zum 18. April 2016 im Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 203) und der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624) umgesetzt.
Für Vergabeverfahren, die vor dem 18. April 2016 begonnen haben, einschließlich der sich an diese anschließenden Nachprüfungsverfahren sowie am 18. April 2016 anhängige Nachprüfungsverfahren werden nach dem Recht zu Ende geführt, das zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens galt (§ 186 Abs. 2 GWB).
Nationale Verfahrensvorschriften
Die europäischen Vergaberichtlinien wurden in
- Teil 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB),
- der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB Teil A Abschnitt 2),
- der Verordnung über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung – SektVO),
- der Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (Konzessionsvergabeverordnung – KonzVgV),
- der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB Teil A Abschnitt 3) und
- der Verordnung zur Statistik über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen (Vergabestatistikverordnung – VergStatVO)
in deutsches Recht umgesetzt.
Teil 4 des GWB enthält Regelungen zu den allgemeinen Grundsätzen der öffentlichen Auftragsvergabe, zum Anwendungsbereich des Vergaberechts oberhalb der EU-Schwellenwerte (Oberschwellenbereich), den Vergabearten und dem kompletten Ablauf des Vergabeverfahrens sowie zum Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren vor der Vergabekammer und dem Oberlandesgericht.
Die Vergabeverordnung trifft nähere Bestimmungen über das einzuhaltende Verfahren bei öffentlichen Aufträgen über Liefer- und Dienstleistungen im Oberschwellenbereich. Sie enthält u. a. Bestimmungen für die Schätzung des Auftragswertes, zur Vertraulichkeit von vergaberelevanten Informationen, zur eVergabe, zur Zulässigkeit der verschiedenen Vergabearten und Vorgaben für die einzelnen Phasen eines Vergabeverfahrens. Die bisherige Vergabe- und Vertragsordnung VOL Teil A Abschnitt 2 und die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) sind in der neuen Vergabeverordnung aufgegangen. Den Besonderheiten der Vergabe von Bauleistungen werden durch Verweis in § 2 der Vergabeverordnung auf die Vergabe- und Vertragsordnung VOB Teil A Abschnitt 2 Rechnung getragen. Daneben enthält die Vergabeverordnung ein Sonderregime für die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen sowie weitergehende Verfahrensvorschriften z. B. zur Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Leistungen und von Straßenfahrzeugen und für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen.
Die Sektorenverordnung regelt die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung. Entsprechend der bisherigen Systematik umfasst diese Rechtsverordnung neben den Regeln über die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen auch die Regeln über die Vergabe von Bauleistungen durch Sektorenauftraggeber zum Zwecke der Sektorentätigkeit. Zwar entspricht die Verordnung in weiten Teilen dem Aufbau der Vergabeverordnung. Während die Regelungen zur elektronischen Kommunikation und zur Zuschlagserteilung gar identisch sind, ergeben sich bei den Regelungen zu den Verfahrensarten und den Eignungskriterien zum Teil nicht unerhebliche Unterschiede.
Für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Liefer- und Dienstleistungsaufträge findet die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) uneingeschränkt Anwendung. Dagegen gelten für die Vergabe von Bauaufträgen ausschließlich die Allgemeinen Bestimmungen des Teils 1 (mit Ausnahme des § 5) sowie die Teile 3, 4 (mit Ausnahme des § 43) und 5 VSVgV. Im Übrigen wird für Bauaufträge auf den neuen dritten Abschnitt der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A – VS) verwiesen (§ 2 Abs. 2 VSVgV).
§97 Abs. 6 GWB räumt den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen ein subjektives Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren ein. Der Rechtsschutz erfolgt in einem zweistufigen Kontrollverfahren durch verwaltungsinterne Vergabekammern des Bundes und der Länder und durch die Vergabesenate der Oberlandesgerichte.
EU-Schwellenwerte
Mit Verordnungen (EU) Nr. 2019/1827, 2019/1828, 2019/1829 und 2019/1830 vom 30. Oktober 2019 hat die Europäische Kommission die Schwellenwerte der EU-Vergaberichtlinien zum 01.01.2020 an die Schwellenwerte des WTO-Beschaffungsübereinkommens (Agreement on Government Procurement – GPA) angepasst. Da die Schwellenwerte des GPA in Sonderziehungsrechten ausgedrückt sind, die der Fluktuation des Devisenmarktes unterliegt, erfolgt regelmäßig alle zwei Jahre eine Anpassung der auf Euro lautenden Richtlinien-Schwellenwerte durch eine Verordnung der Europäischen Kommission.
Die Schwellenwerte ab 01.01.2020 betragen:
für Bauaufträge | 5.350.000 € |
für Liefer- und Dienstleistungsaufträge | 214.000 € |
für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Bereich Trinkwasser- oder Energieversorgung oder im Verkehrsbereich (Sektorenbereich) und der Verteidigung und Sicherheit | 428.000 € |
für Konzessionsaufträge | 5.350.000 € |
Bekanntmachung öffentlicher Aufträge
Europaweite Bekanntmachungen erfolgen im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union. Die verbindlichen Bekanntmachungsmuster und die Modalitäten für die elektronische Übermittlung der Bekanntmachung sind auf dem Informationssystem für die Europäische öffentliche Auftragsvergabe abrufbar.
Reform des Vergaberechts unterhalb der EU-Schwellenwerte
Bauleistungen
Die Reform des Kartellvergaberechts (Oberschwellenbereich) ist am 18.04.2016 in Kraft getreten. Für den Unterschwellenbereich hat der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A 1. Abschnitt) bereits im Januar und nochmals im Juni 2016 eine Reihe von Anpassungen vorgenommen.
Zwischenzeitlich hat der DVA eine Reihe weiterer Änderungen an der VOB/A 1. Abschnitt vorgenommen, die im Februar 2019 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurden. Diese Änderungen sind aufgrund der Verweisung in Nummer 2.2 der vorbezeichneten Verwaltungsvorschrift seit 1. März 2019 zu beachten (Einführung VOB A Abschnitt 1).
HINWEIS:
Die neue VOB/A 1. Abschnitt sieht unter § 3 a Abs. 1 Satz 1 die Wahlmöglichkeit zwischen öffentlicher Ausschreibung und Beschränkter Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb vor. Die Anwendung dieser Bestimmung zur Gleichrangigkeit bedarf jedoch zuvor einer Änderung des § 55 der Landeshaushalts-ordnung und des § 22 der Gemeindehaushaltsverordnung. Vorbehaltlich der diesbezüglichen Änderungen gilt der Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung weiter. Für die Zulässigkeit der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb sind daher die bisherigen Vorschriften insoweit weiterhin anzuwenden. Die Gleichrangigkeit von öffentlicher Ausschreibung und Beschränkter Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb ist Gegenstand des Entwurfs eines Landesgesetzes zur Änderung haushalts- und vergaberechtlicher Vorschriften.
Liefer- und Dienstleistungen
Für die Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen im Unterschwellenbereich hat der Bund-Länder-Ausschuss für das öffentliche Auftragswesen, federführend durch das Bundeswirtschaftsministerium, eine „Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte“ (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO) erarbeitet. Dieser Rechtsrahmen ist am 07.02.2017 im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden und soll künftig die VOL/A 1. Abschnitt ablösen. Der Bekanntmachung im Bundesanzeiger kommt für sich genommen noch keine Rechtswirkung zu.
Verfahrensarten
Öffentliche Auftraggeber können zur Vergabe öffentlicher Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge zwischen folgenden Verfahrensarten wählen:
Das offene Verfahren (bei nationalen Verfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte: öffentliche Ausschreibung), bei welchem der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten auffordert.
Das nicht offene Verfahren (europaweit), bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nicht diskriminierenden Kriterien auswählt (Teilnahmewettbewerb). Bei der beschränkten Ausschreibung (im Rahmen nationaler Verfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte) fordert der öffentliche Auftraggeber in der Regel öffentlich zur Teilnahme (Teilnahmewettbewerb) auf, bevor er sodann aus dem Bewerberkreis eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordert.
Das Verhandlungsverfahren (bei nationalen Verfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte: Verhandlungsvergabe bzw. freihändige Vergabe), welches unter anderem Verhandlungen über die Auftragsbedingungen mit den Unternehmen zulässt. Das Verhandlungsverfahren beziehungsweise die Verhandlungsvergabe kann mit oder ohne einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Letztere Variante erfordert keine europaweite Veröffentlichung und ist daher nur in besonders restriktiv auszulegenden Ausnahmefällen zulässig. Das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb unterliegt seit der Vergaberechtsreform 2016 aber erleichterten Zulassungsvoraussetzungen. In Betracht kommt es nun etwa bei Aufträgen zu konzeptionellen oder innovativen Lösungen oder, wenn der Auftrag aufgrund konkreter Umstände, die mit der Art, der Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen oder entsprechenden Risiken zusammenhängen, eine vorherige Verhandlung erfordert.
Der wettbewerbliche Dialog (nur bei europaweiten Vergabeverfahren), der dem öffentlichen Auftraggeber noch mehr Spielraum bei den Verhandlungen mit den Bietern einräumt.
Die Innovationspartnerschaft (nur bei europaweiten Vergabeverfahren), bei welcher der öffentliche Auftraggeber im Anschluss an den Teilnahmewettbewerb in mehreren Phasen mit den ausgewählten Unternehmen über Erst- und Folgeangebote verhandelt.
Bei Vergaben oberhalb der EU-Schwelle sieht § 119 Abs. 2 GWB nunmehr eine Gleichrangigkeit von offenem und nicht offenem Verfahren vor. Zu beachten ist jedoch, dass das nicht offene Verfahren gem. § 119 Abs. 4 GWB zwingend einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb erfordert. (Unterhalb der Schwellenwerte gilt derzeit noch grundsätzlich der Vorrang des Verfahrens der öffentlichen Ausschreibung.)
Die Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren im Oberschwellenbereich trägt den Grundsätzen der Transparenz und des Wettbewerbs hinreichend Rechnung. Wegen des zwingend erforderlichen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs im nicht offenen Verfahren steht grundsätzlich jedem Unternehmen die Teilnahme am Wettbewerb offen. Die danach vom öffentlichen Auftraggeber zu treffende Auswahl erfolgt nach objektiven, diskriminierungsfreien Gesichtspunkten und ist im Vergabevermerk zu dokumentieren. Der öffentliche Auftraggeber hat eine im vergaberechtlichen Zusammenhang pflichtgemäße Ermessensentscheidung zu treffen, wobei er insbesondere das Wettbewerbs-, Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot als Ausprägungen des generellen Willkürverbots beachten muss. In jedem Fall muss die Zahl der zugelassenen Bewerber einen echten Wettbewerb sicherstellen.
Die übrigen Vergabeverfahrensarten im Oberschwellenbereich (Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog und Innovationspartnerschaft) sind nur zulässig, sofern die jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen dafür erfüllt sind. Die einzelnen Voraussetzungen dieser Verfahrensarten sowie die jeweiligen Verfahrensabläufe werden in den § 17 ff. VgV festgelegt.
Berücksichtigung mittelständischer Interessen
Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen (§ 97 Abs. 4 GWB). Das GWB schreibt öffentlichen Auftraggebern daher vor, Leistungen grundsätzlich in der Menge aufgeteilt (so genannte Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (so genannte Fachlose) zu vergeben.
Die Pflicht zur Teillosbildung ist für öffentliche Auftraggeber immer wieder mit Problemen hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzung verbunden. Zum einen müssen öffentliche Auftraggeber klären, wie „Mittelstand“ im konkreten vergaberechtlichen Kontext zu definieren ist. Zum anderen müssen sie entscheiden, wie groß – ausgehend von der zuvor gefundenen Definition – die Volumina von Losen maximal sein sollten, um noch als mittelstandsfreundlich zu gelten.
Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen
Für die Preise bei öffentlichen Aufträgen gelten besondere Vorschriften.
Auf der Grundlage des Preisgesetzes (PreisG) legt die Verordnung PR Nr. 30/53 (Preisverordnung) den Vorrang von Marktpreisen fest. Selbstkostenpreise dürfen nur ausnahmsweise vereinbart werden.
Grundsätzlich unterliegen alle öffentlichen Aufträge – ausgenommen Bauleistungen – der Preisverordnung. Die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen der Preisverordnung obliegt den Preisbehörden der Bundesländer (i. d. R. Bezirksregierungen/Regierungspräsidien). Verstöße gegen Preisvorschriften können zur Nichtigkeit der Preisvereinbarung führen. An die Stelle des nichtigen Preises tritt der preisrechtlich zulässige Preis.
Die für die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen 1972 erlassene Baupreisverordnung (VO PR Nr. 1/72) ist 1999 aufgehoben worden.
Vorbereitung von Beschaffungsunterlagen für die Vergabestelle
Nach § 29 Satz 2 VgV bestehen die Vergabeunterlagen in der Regel aus:
- dem Anschreiben, insbesondere der Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen oder Angeboten oder Begleitschreiben für die Abgabe der angeforderten Unterlagen,
- der Beschreibung der Einzelheiten der Durchführung des Verfahrens (Bewerbungsbedingungen), einschließlich der Angabe der Eignungs- und Zuschlagskriterien, sofern nicht bereits in der Auftragsbekanntmachung genannt, und
- den Vertragsunterlagen, die aus der Leistungsbeschreibung und den Vertragsbedingungen bestehen.
Nach § 41 Abs. 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber „in der Auftragsbekanntmachung […] eine elektronische Adresse an(zugeben), unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können.“
Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 17.10.2018 (Verg 26/18) klargestellt: Welche Angaben zu den Vergabeunterlagen gehören, die den Unternehmen über einen Link in der Auftragsbekanntmachung zur Verfügung zu stellen sind, richte sich danach, ob die Angaben „erforderlich“ sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Teilnahme an dem Vergabeverfahren zu ermöglichen. Das sei eine Entscheidung im Einzelfall, die u.a. davon abhängt, welche Verfahrensart der öffentliche Auftraggeber gewählt hat und welche Bedeutung die Angaben für die Entscheidung des Bewerbers oder Bieters haben, sich am Verfahren zu beteiligen.
Hieraus resultierte im konkreten Fall, dass der Auftraggeber im Teilnahmewettbewerb nicht verpflichtet werden konnte, den Bewerbern bereits mit der Auftragsbekanntmachung einen Vertragsentwurf zur Verfügung zu stellen.
Bereitgestellte Unterlagen müssen dem Bewerber eine Entscheidung über die Teilnahme ermöglichen
Nach Ansicht des OLG Düsseldorf ist es nicht zu beanstanden, dass die Auftraggeberin der Antragstellerin den Vertragsentwurf nicht mit der Auftragsbekanntmachung vor Ablauf der Teilnahmefrist zur Verfügung gestellt hat. Ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 VgV liege nicht vor.
Bereits der Wortlaut der Vorschrift spräche dafür, dass § 41 Abs. 1 VgV eine Pflicht zur Bereitstellung der vollständigen Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung nicht begründe.
Nach § 41 Abs. 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber „in der Auftragsbekanntmachung […] eine elektronische Adresse an(zugeben), unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können.“
Das Adjektiv „vollständig“ beziehe sich nicht auf die Vergabeunterlagen und damit auf den Umfang der zum Abruf über die elektronische Adresse bereit gestellten Unterlagen. Das Adjektiv bezieht sich vielmehr darauf, in welchem Umfang der Abruf der Unterlagen möglich sein muss. Die vom öffentlichen Auftraggeber zum Download bereit gestellten Unterlagen müssen vollständig abrufbar sein. Sie dürfen also nicht nur teilweise elektronisch und teilweise in Papierform zugänglich sein. Die Vorschrift gibt nicht vor, welche Unterlagen zum Abruf einzustellen sind, also wann von ihrer Vollständigkeit auszugehen ist. Dieses Verständnis findet nach Auffassung des OLG auch seine Bestätigung in der Begründung des Verordnungsgebers und in Art. 53 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU, der durch § 41 Abs. 1 VgV in nationales Recht umgesetzt worden ist.
Welche Unterlagen zu den nach § 41 VgV bereitzustellenden Vergabeunterlagen gehörten, regele nicht § 41 VgV, sondern § 29 VgV. Nach § 29 Satz 1 VgV umfassen die Vergabeunterlagen alle Angaben, die erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen.
Ausgehend von dieser Vorschrift sei daher auch nicht zu beanstanden, dass die Vergabestelle der Antragstellerin vor Ablauf der Teilnahmefrist den Reinigungsvertrag nicht zum Download über die bekannt gegebene Internet-Adresse zur Verfügung gestellt hat. Die darin enthaltenen Angaben waren nicht i.S. von § 29 Abs. 1 Satz 1 VgV erforderlich, um der Antragstellerin die Teilnahme an dem Vergabeverfahren durch Abgabe eines Teilnahmeantrags zu ermöglichen.
Welche Angaben zu den Vergabeunterlagen gehören müssten, die den Unternehmen zur Verfügung zu stellen seien, richte sich danach, ob die Angaben „erforderlich“ sind, um dem Bewerber eine Entscheidung über die Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen.
Im nicht offenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb – wie hier – setze die Teilnahme am Vergabeverfahren jedoch (zunächst) nur die Abgabe eines Teilnahmeantrags voraus. Erforderlich, aber auch ausreichend, seien daher sämtliche Angaben, die dem Unternehmen eine belastbare Entscheidung ermöglichen, ob die ausgeschriebenen Leistungen nach Art und Umfang in das Produktportfolio fallen und ob es aus unternehmerischer Sicht sinnvoll sei, in den Teilnahmewettbewerb einzutreten. Art und Umfang der zu beschaffenden Leistung, die Bedingungen der Vergabe und der Verfahrensablauf seien demnach so zu beschreiben, dass das Unternehmen entscheiden könne, ob es an dem Auftrag interessiert und zur Leistungserbringung geeignet sei. Für diese Entscheidung seien jedoch nicht immer zwingend sämtliche Vergabeunterlagen notwendig. Hier sei der konkrete Inhalt des Reinigungsvertrages für die Entscheidung der Antragstellerin, sich am Teilnahmewettbewerb zu beteiligen, nicht erforderlich.
Kein Widerspruch zur Entscheidung des OLG München
Die Entscheidung steht nach Ansicht des Gerichts auch nicht im Widerspruch zum Beschluss des OLG München vom 13.03.2017 (Verg 15/16, Rz. 81 zu § 41 Abs. 1 SektVO).