OLG Frankfurt: Vermittlungszentrale für hoheitlich veranlasste Abschleppdienstleistungen: fehlerhaftes Verständnis von der Zulässigkeit der Delegation von Vergabeentscheidungen führt zur Aufhebung des Vergabeverfahrens
Die Ausschreibung eines Rahmenvertrags, durch den sich ein privater Dienstleister gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, eine Vermittlungszentrale für hoheitlich veranlasste Abschleppdienstleistungen zu betreiben, verstößt gegen § 97 Abs. 1 GWB, wenn der private Dienstleister ein Vermittlungsregister für Abschleppunternehmen führen soll und wenn er insoweit Auswahlentscheidungen treffen muss (und darf), die ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber obliegen. Dies gilt auch dann, wenn die Vermittlungszentrale bei der Beauftragung der registrierten Abschleppunternehmen strikt nach einem von vornherein festgelegten Reihum-Verfahren vorgehen muss. Wenn der Ausschreibung ein fehlerhaftes Verständnis von der Zulässigkeit der Delegation von Vergabeentscheidungen zugrunde liegt und deshalb bei Fortbestand der Beschaffungsabsicht eine Neuorientierung der Aufgabenstellung der Vermittlungszentrale notwendig wird, dann ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer nicht zu beanstanden.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.02.2022 – 11 Verg 8/21
VK Westfalen: Angebotsausschluss ist eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme: Erfordernis einer eindeutigen und unmissverständlichen Vorgabe des Auftraggebers
Die Vergabeunterlagen müssen klar und verständlich sein. Dass die Bieter die Vergabeunterlagen auslegen müssen, macht diese als solches nicht vergaberechtswidrig. In vergaberechtswidriger Weise nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen erst dann, wenn fachkundigen Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben. Kommen nach einer Auslegung der Vergabeunterlagen mehrere Verständnismöglichkeiten in Betracht oder können Unklarheiten oder Widersprüche nicht aufgelöst werden, geht dies zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers. Jeder Angebotsausschluss ist eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme, für die es einen triftigen Grund geben muss. Die Kehrseite eines jeden auf eine wie auch immer rechtlich zu qualifizierende Diskrepanz zwischen Vergabeunterlagen und Angebot gestützten Angebotsausschlusses ist das Erfordernis einer eindeutigen und unmissverständlichen Vorgabe des Auftraggebers.
VK Westfalen, Beschluss vom 17.12.2021 – VK 2-47/21
VK Bund: Zurechnung früherer Referenzen zu neuem Unternehmen: weitgehende Identität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig waren und den Mitarbeitern in den neu gegründeten Unternehmen notwendig
Der öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden. Vielmehr darf er sich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Eine Überprüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers ergibt sich nur dann, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen. In diesen Fällen muss der öffentliche Auftraggeber bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen der Bieter effektiv zu verifizieren. Der Vorauftragnehmer und unterlegene Bieter kann sich nicht auf urheberrechtliche Schutzrechte (hier: an einer Software) berufen, wenn er das dauerhafte Nutzungsrecht daran auf den Auftraggeber übertragen hat. Ein Wettbewerb durch sog. Newcomer, die aus früherer Tätigkeit ihrer Mitarbeiter bei einem anderen Unternehmen erworbenes Know-how mitbringen, ist jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn der Auftraggeber dies explizit zugelassen hat. Für die Zurechnung früherer Referenzen zu einem neuen Unternehmen ist erforderlich, dass eine weitgehende Identität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig waren und den Mitarbeitern in den neu gegründeten Unternehmen festgestellt werden kann.
VK Bund, Beschluss vom 27.01.2022 – VK 2-137/21
OLG Schleswig: Öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn ohne Gestattung Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergebe: Unwirksamkeit betrifft auch wesentliche Vertragsänderungen bei einem entsprechenden öffentlichen Auftrag
Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Die Unwirksamkeit betrifft auch wesentliche Vertragsänderungen bei einem entsprechenden öffentlichen Auftrag. Eine wesentliche Änderung eines öffentlichen Auftrags darf nicht freihändig vorgenommen werden, sondern muss zu einem neuen Vergabeverfahren über den geänderten Auftrag führen. Die Verlängerung von Verträgen mit befristeter Laufzeit ist bei Verträgen, bei denen das Zeitmoment ein wesentliches Element der geschuldeten Leistung ist, bei einer erheblichen Ausweitung des Leistungsvolumens als eine wesentliche Vertragsänderung und damit als neuer Beschaffungsvorgang zu werten.
OLG Schleswig, Beschluss vom 09.12.2021 – 54 Verg 8/21