Umrechnung der Preise in Preispunkte mithilfe linearer Interpolation zulässig
VK Bund, Beschluss vom 30.06.2021 – VK 1-58/21
- Es liegt in der Natur nicht eindeutig und erschöpfend beschreibbarer Planungsaufträge, dass der Auftraggeber den Bietern nicht von vornherein einen konkreten Katalog von Anforderungen zur Verfügung stellt, anhand derer er die Lösungsvorschläge der Bieter bewerten will.
- Führt der Auftraggeber insgesamt nachvollziehbar aus, worauf es ihm bei der Bewertung der Angebote ankommt, müssen die Anforderungen an die Erstellung des Planungsablaufs und an die Lösung der Planungsaufgabe auch dann nicht mit weiteren Unterkriterien beschrieben werden, wenn die Qualität des Angebots mit einem hohen Gewicht (hier: von 70 %) in die Wertung eingeht.
- Die Umrechnung der Preise in Preispunkte mithilfe einer linearen Interpolation führt nicht zu einem fehlerhaften Wertungsergebnis im Verhältnis zur qualitativen Bewertung der Angebote.
Auch die Preise der Nachunternehmer sind aufzuschlüsseln
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.2021 – Verg 13/21
- Der öffentliche Auftraggeber kann auch dann in eine Preisprüfung einzutreten, wenn zwar die sog. Aufgreifschwelle nicht erreicht ist, das Angebot aber aus anderen Gründen – etwa weil der Angebotspreis unangemessen niedrig erscheint und zugleich Anhaltspunkte für eine Mischkalkulation bestehen – konkreten Anlass zur Preisprüfung gibt.
- Mit dem Nachforderungs- und Aufklärungsschreiben kann der Auftraggeber den Bieter zugleich dazu auffordern, sich zu bestimmten Einzelpreispositionen näher zu erklären.
- Es ist einem Bieter grundsätzlich zumutbar, auch die Preise solcher Leistungspositionen aufzuschlüsseln, die von Nachunternehmern erbracht werden.
- Ein öffentlicher Auftraggeber darf eine bisherige Verwaltungspraxis, auf die sich die Bieter eingestellt und auf die sie vertraut haben, nicht ohne rechtzeitige und deutliche Vorankündigung ändern.
Ausführungsbedingung muss nicht bei Angebotsabgabe erfüllt sein
EuGH, Urteil vom 08.07.2021 – Rs. C-295/20
- Art. 18 Abs. 2, Art. 58 und Art. 70 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG sind dahin auszulegen, dass in einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags über Abfallbewirtschaftungsdienstleistungen die sich insbesondere aus Art. 2 Nr. 35 und Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.06.2006 über die Verbringung von Abfällen ergebende Pflicht eines Wirtschaftsteilnehmers, der Abfälle von einem Mitgliedstaat in einen anderen Staat verbringen will, über die Zustimmung der zuständigen Behörden der von der Verbringung betroffenen Mitgliedstaaten zu verfügen, eine Bedingung für die Ausführung dieses Auftrags darstellt.*)
- Art. 70 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass er es verbietet, das Angebot eines Bieters allein deshalb abzulehnen, weil dieser zum Zeitpunkt der Abgabe seines Angebots nicht nachweist, dass er eine Bedingung für die Ausführung des betreffenden Auftrags erfüllt.*)
Auftraggeber darf schon montagmorgens den Zuschlag erteilen
VK Bund, Beschluss vom 28.06.2021 – VK 2-77/21
Die Vorschrift des § 193 BGB, wonach an die Stelle eines Samstags, Sonntags oder Feiertags der nächste Werktag tritt, wenn eine Willenserklärung innerhalb einer Frist abzugeben ist und der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt, findet auf eine Vorabinformation nach § 134 Abs. 1, 2 GWB keine Anwendung.
Optionales Textfeld offengelassen: Angebot nicht widersprüchlich!
VK Bund, Beschluss vom 07.07.2021 – VK 2-65/21
- Es kann dahinstehen, ob das Deckblatt als solches überhaupt eine eigenständige rechtsgeschäftliche Erklärung des Bieters enthält.
- Wird das Deckblatt als Angebotsbestandteil gewertet und die Möglichkeit einer eigenständigen rechtsgeschäftlichen Erklärung des Bieters bejaht, ist eine solche Bietererklärung auslegungsfähig.
- Maßstab der Auslegung einer Bietererklärung ist wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot verstehen muss oder darf.
- Ergibt sich aus dem Angebotsschreiben und dem Leistungsverzeichnis des Angebots eindeutig, dass der Bieter einen Preisnachlass auf den Angebotspreis ohne jegliche Bedingungen gewährt, führt das Offenlassen eines optionalen Textfelds auf dem Deckblatt nicht zu einer widersprüchlichen Preisangabe.
Wann wurde eine Referenzleistungen „ausgeführt“?
VK Bund, Beschluss vom 11.06.2021 – VK 2-53/21
- Referenzleistungen müssen mit den ausgeschriebenen Leistungen nicht identisch sein, sondern die referenzierten Leistungen müssen jenen nach Art und Umfang ähneln, so dass ein tragfähiger Rückschluss auf die technische bzw. berufliche Leistungsfähigkeit des betroffenen Bieters möglich ist.
- Die „Ausführung“ der Referenzleistungen ist mangels verengender Präzisierungen zur „Ausführung“ in tatsächlicher Hinsicht zu verstehen, ohne dass es auf einen möglicherweise vertragsrechtlich relevanten Abnahmezeitpunkt ankommt. Wortlautgemäß liegt dementsprechend eine ausgeführte Referenzleistungen dann vor, wenn sie in einer Art und Weise ins Werk gesetzt worden ist, dass ein tragfähiger Rückschluss auf die entsprechende Leistungsfähigkeit des Bieters möglich ist.
- Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Referenzgeber dem Bieter eine entsprechende Referenzbescheinigung ausstellt und darin die entsprechende Leistung bestätigt. Auf dieser Grundlage kann der Auftraggeber nachvollziehen, ob die referenzierte Leistung in hinreichendem Maße ausgeführt worden ist.
Rahmenvereinbarung birgt höhere Kalkulationsrisiken
VK Westfalen, Beschluss vom 24.02.2021 – VK 1-53/20
- Beim Abschluss einer Rahmenvereinbarung müssen weder die genaue Gesamtmenge noch sämtliche Auftragsbedingungen für die Einzelaufträge feststehen.
- Das Verbot einer Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse gilt zwar nicht mehr. Dennoch können Ausschreibungsbedingungen unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit zu beanstanden sein.
- Die Zumutbarkeitsschwelle erhöht sich bei einer Ausschreibung von Rahmenvereinbarungen (im weiteren Sinne) zulasten der Bieter. Kalkulatorische Unwägbarkeiten sind hinzunehmen.
- Gehen Risiken deutlich aus den Vergabeunterlagen hervor, ist es Sache des Bieters, diese einzukalkulieren. Führt das zu einer Verteuerung der Leistungen, hat das die Vergabestelle zu vertreten.
Kein Vergaberechtsschutz gegen ausschreibungspflichtige Nachtragsbeauftragung!
VK Südbayern, Beschluss vom 03.05.2021 – 3194.Z3-3_01-21-26
- § 169 Abs. 3 GWB gilt damit nach seinem klaren Wortlaut nur in einem Vergabeverfahren und erlaubt nur Einwirkungen auf ein Vergabeverfahren.
- § 169 Abs. 3 GWB bietet keine Rechtsgrundlage, um die weitere Durchführung eines geschlossenen Vertrags, der unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahren geschlossen wurde, zu untersagen.
- Es spricht viel dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der derzeitigen Fassung des § 169 Abs. 3 GWB bzw. der fehlenden Möglichkeit, überhaupt vor den Nachprüfungsinstanzen gegen einen faktischen Vollzug eines öffentlichen Auftrags, der unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahren geschlossen wurde, mit vorläufigen Maßnahmen vorzugehen, Art. 2 Abs. 1 Ziffer a) der Rechtsmittelrichtlinie (2007/66/EG) unzureichend umgesetzt hat.
- Allerdings wendet sich Artikel 2 Abs. 1 a) der RL 2007/66/EG ausschließlich an die Mitgliedsstaaten, so dass eine direkte Anwendung der Richtlinie nicht in Betracht kommt.
Bauwerksprüfung und Verkehrssicherung können zusammen vergeben werden
VK Bund, Beschluss vom 15.07.2021 – VK 2-73/21
- Die Fachlosvergabe bildet den gesetzlichen Regelfall. Kann die benötigte Leistung grundsätzlich auch in Form einer Losvergabe erbracht werden, ist zu prüfen, ob von einer losweisen Vergabe ausnahmsweise abgesehen werden kann, weil wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
- Im Rahmen der dem Auftraggeber obliegenden Entscheidung bedarf es einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange. Dabei müssen die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründe nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen.
- Bauwerksprüfleistungen zur technischen Überwachung von Ingenieursbauten im Rahmen von Hauptprüfungen und darauf bezogene Verkehrssicherungsdienstleistungen können auch gemeinsam vergeben werden.
Zwei Firmen, ein Inhaber: Können die Angebote ausgeschlossen werden?
VK Südbayern, Beschluss vom 12.01.2021 – 3194.Z3-3_01-20-15
- Die Rechtsfolgen einer Angebotsabgabe in Kenntnis eines anderen Angebots sind nach geltender Rechtslage ausschließlich am fakultativen Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu messen.
- Bei Unternehmen zwischen denen aufgrund eines gemeinsamen Inhabers bzw. Alleingesellschafters und Geschäftsführers kann – anders als bei in einem Konzern verbundenen Unternehmen, die unabhängig voneinander handeln können – von vorneherein kein Wettbewerb bestehen kann, führt eine in diesem Fall gar nicht vermeidbare Kenntnis des jeweils anderen Angebots nicht automatisch zum Ausschluss der Angebote.
- Ein Ausschluss käme allenfalls – nach dokumentierter Ermessensausübung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – dann in Betracht, wenn durch die beiden in Kenntnis voneinander erstellten Angebote der Wettbewerb gegenüber den weiteren Bietern verfälscht würde.
- Da die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung unter den Gemeindeorganen, im Unterschied zur verwaltungsinternen Geschäftsverteilung, auch gegenüber Außenstehenden rechtliche Bedeutung besitzt, führt eine Vergabeentscheidung, die unter Verletzung dieser gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung getroffen wurde, jedenfalls dann zu einer Rechtsverletzung von Bietern, wenn die Entscheidung durch das Vergaberecht nicht zwingend vorgegeben war, sondern in Ausübung von Ermessen erfolgt ist.
Nur ein BIEGE-Mitglied muss haftpflichtversichert sein
VK Südbayern, Beschluss vom 17.12.2020 – 3194.Z3-3_01-20-51
Regelt der Auftraggeber nicht nach § 43 Abs. 2 Satz 3 VgV, dass der Nachweis einer ausreichenden Haftpflichtversicherung von allen Mitgliedern einer Bewerber- oder Bietergemeinschaft erbracht werden muss, kann es für den Nachweis der Eignung ausreichen, wenn nur ein Mitglied der Bewerber- oder Bietergemeinschaft über einen ausreichenden Versicherungsschutz verfügt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Versicherungsschutz von Mitgliedern der Bewerber- oder Bietergemeinschaft auch Ansprüche gegen die Gemeinschaft wegen Schadensverursachung durch andere Partner der Bewerber- oder Bietergemeinschaft umfasst.
Ungewöhnlich niedrige Angebotspreise sind ausreichend aufzuklären
VK Nordbayern, Beschluss vom 30.03.2021 – RMF-SG21-3194-6-6
- Der Mitbewerber hat einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber eine ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber trifft, ob ein ungewöhnlich niedriges Angebot angenommen werden kann.
- Ein Antragsteller ist in seinen Rechten verletzt, wenn ein Wertungskriterium bzw. die Unterkriterien intransparent und keiner eindeutigen Auslegung zugänglich sind. Alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen klar, präzise und eindeutig formuliert werden, so dass zum einen alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Unternehmen die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich überprüfen kann, ob die Teilnahmeanträge oder Angebote die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen.
- Eine Rechtsverletzung des Antragstellers und ein drohender Schaden gem. § 160 Abs. 2 GWB liegt bereits dann vor, wenn der Vortrag des Antragstellers ergibt, dass er im Fall eines ordnungsgemäßen neuerlichen Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren.
Kehrseite eines weiten Beurteilungsspielraums ist die Dokumentation
VK Sachsen, Beschluss vom 22.03.2021 – 1/SVK/046-20
- Dem weiten Beurteilungsspielraum des Auftraggebers im Rahmen der Bewertung von Präsentationen steht als Kehrseite eine Dokumentationspflicht mit hohen Anforderungen gegenüber.
- Die vollständige Dokumentation der Wertung einer Präsentation ist Voraussetzung dafür, dass überhaupt nachgeprüft werden kann, ob der Auftraggeber die Grenzen seines Beurteilungsspielraums eingehalten hat. Eine bloße Ergebniswiedergabe, pauschale Aussagen oder formelhafte Formulierungen sind dabei unzureichend.
- Es muss aus der Dokumentation u. a. auch erkennbar sein, ob die Bewertung der Präsentation eines Bieters im Vergleich zu anderen Präsentationen plausibel ist.
- Dokumentationsmängel sind grundlegend heilbar, wenn bereits im Vergabevermerk enthaltene Begründungen ergänzt oder erläutert werden, wenn die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers inhaltlich richtig ist und eine Verzögerung des Vergabeverfahrens durch Wiederholung von Verfahrensschritten unangemessen wäre.
- Eine Heilung von Dokumentationsmängeln ist aber ausgeschlossen, wenn zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zu befürchten ist, dass die nachgeholte Dokumentation allein vom Gedanken der Rechtfertigung der ursprünglichen Bewertung getragen wird.
Kein Angebotsausschluss trotz wechselseitiger Kenntnis vom Angebotsinhalt
BayObLG, Beschluss vom 24.06.2021 – Verg 2/21
- Zwei Wirtschaftsteilnehmer sind eine wirtschaftliche Einheit und somit als ein Unternehmen anzusehen, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht eigenständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt.
- Ein Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs kann einen Ausschluss nur dann rechtfertigen, wenn er eine kartellrechtliche Norm verletzt. Das kommt nicht in Betracht, wenn die handelnden Unternehmen unter das sog. Konzernprivileg des Kartellrechts fallen.