Ax Vergaberecht

  • Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd
  • +49 (0) 6223 868 86 13
  • mail@ax-vergaberecht.de

Anforderungen an die Vergabe – Fehlerfreie Nachforderung geforderter Unterlagen

von Thomas Ax

Von der Wertung ausgeschlossen werden Angebote von Unternehmen, die nicht den Erfordernissen des § 53 VgV genügen, insbesondere Angebote, die nicht die geforderten oder nachgeforderten Unterlagen enthalten, § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV. Die Angebote müssen vollständig sein und alle geforderten Angaben, Erklärungen und Preise enthalten, § 53 Abs. 7 S. 2 GWB.

Nach § 56 Abs. 2 S. 1 VgV kann der öffentliche Auftraggeber den Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern, fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen. Die Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, ist grundsätzlich ausgeschlossen, vgl. § 56 Abs. 3 S. 1 VgV. Die Möglichkeit, Unterlagen nachzufordern, dient dabei einer wirtschaftlichen Vergabe. Denn dadurch dürfen insbesondere auch Bieter, die das wirtschaftlichste Angebot abgegeben haben, berücksichtigt werden, obwohl ihr Angebot formale Fehler enthält, die erst nachträglich ausgebessert werden (siehe Haak/Hogeweg in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Auflage 2019, § 56 VgV Rn. 28).

Fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen sind solche, die mit dem Angebot bis zur Angebotsabgabe einzureichen waren und physisch ganz oder teilweise nicht vorgelegt worden sind. Fehlenden leistungsbezogenen Unterlagen stehen solche gleich, die physisch vorgelegt worden sind, aber in formaler Hinsicht von den Anforderungen abweichen. Nachgereicht oder vervollständigt werden können bspw. leistungsbezogene Unterlagen, die für die Erfüllung der Kriterien der Leistungsbeschreibung vorzulegen sind, wenn sie nicht unter § 56 Abs. 3 S. 1 VgV fallen (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, Rn. 25).

Ergibt folglich die Prüfung auf Vollständigkeit, dass Unterlagen fehlen oder unvollständig sind, können diese nach den Regelungen des § 56 Abs. 2, 3 VgV bis zum Ablauf einer vom Auftraggeber zu bestimmenden Nachfrist nachgefordert werden.

Im Gegensatz zur VOB/A besteht keine Verpflichtung des Auftraggebers zur Nachforderung, doch bedeutet “können”, dass die Nachforderung im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers liegt.

Pflichtgemäßes Ermessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verlangt aber im Regelfall die Nachforderung, um nicht ein ansonsten wirtschaftliches Angebot an einer Kleinigkeit scheitern zu lassen; das Absehen von einer Nachforderung stellt daher regelmäßig die Ausnahme dar. Will der Auftraggeber keine Unterlagen nachfordern, steht ihm der Weg des § 56 Abs. 2 S. 2 VgV offen (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, Rn. 15). Im Nachforderungsschreiben ist eindeutig und genau anzugeben, welche Unterlagen in welcher Frist nachzureichen sind (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, Rn. 16b).

Macht der Auftraggeber von seinem Nachforderungsermessen Gebrauch, muss es unter strikter Beachtung des in § 56 Abs. 2 S. 1 VgV ausdrücklich genannten Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgeübt werden.

Grundsätzlich sind alle fehlenden Unterlagen von allen Bietern nachzufordern. Dies gilt ausnahmsweise nicht, wenn ein unvollständiges Angebot bereits aus anderen Gründen, etwa mangels Wirtschaftlichkeit, keine Zuschlagschance hat. In diesen Fällen wäre es reine Förmelei, ein unvollständiges Angebot zunächst vervollständigen zu lassen, um es dann aus der Wertung zu nehmen. Gerichtlich überprüfbar ist die Entscheidung der Vergabestelle über die Nachforderung bzw. das Unterlassen der Nachforderung nur daraufhin, ob ein Ermessensnichtgebrauch oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, Rn. 19).

Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn von dem durch die Befugnisnorm eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (sog. innere Ermessensgrenze). Zwar liegt in diesem Fall die gewählte Rechtsfolge innerhalb der gesetzlichen Grenzen der Befugnisnorm, die der Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen entsprechen aber nicht deren Zielsetzungen. Von einem Ermessensfehlgebrauch ist dementsprechend auszugehen, wenn sachfremde Gesichtspunkte eingestellt wurden oder ein Belang willkürlich falsch gewichtet worden ist, ferner dann, wenn bei Erlass eines Verwaltungsakts die Behörde von in Wahrheit nicht vorliegenden Tatsachen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht. Denn für den Ermessensfehlgebrauch macht es keinen Unterschied, ob ein Irrtum der Behörde sich auf die tatsächlichen Grundlagen oder den rechtlichen Rahmen der von ihr zu treffenden Entscheidung bezieht. Welche Belange berücksichtigt und welche nicht berücksichtigt werden dürfen, richtet sich primär nach Sinn und Zweck der Ermessensnorm (Decker in: BeckOK VwGO, Posser/Wolff/Decker, 67. Edition, Stand: 01.10.2023, § 114 VwGO Rn. 24 f.).

Entscheidet sich ein öffentlicher Auftraggeber von seinem Ermessen gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 VgV Gebrauch zu machen, so muss er dies ordnungsgemäß tun. Es steht ihm nicht frei, sich zwar für die Nachforderung fehlender bzw. unvollständiger leistungsbezogener Unterlagen zu entscheiden, dann aber nur einzelne Unterlagen nachzufordern und den betreffenden Bieter in der Folge gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV auszuschließen.

56 Abs. 5 VgV schreibt vor, dass sowohl die Entscheidung zur Nachforderung als auch das Ergebnis der Nachforderung zu dokumentieren sind. Die Vorschrift ergänzt somit den Katalog der Mindestinhalte der Dokumentation in § 8 Abs. 2 VgV. Damit wird eigentlich eine Selbstverständlichkeit klargestellt, da bereits nach § 8 Abs. 1 VgV eine Dokumentation dieser Verfahrensschritte zwingend geboten ist. Kann aufgrund fehlender oder unzureichender Dokumentation nicht geklärt werden, ob das Ermessen bzgl. der Entscheidung zur Nachforderung ordnungsgemäß, insbes. gleichbehandelnd ausgeübt wurde, ist ein Bieter insoweit in seinen Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Gleiches gilt dann, wenn das Ergebnis der Nachforderung so unzureichend dokumentiert ist, dass nicht nachvollzogen werden kann, ob die nachgeforderten Unterlagen fristgemäß, vollständig und inhaltlich richtig nachgereicht wurden (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, Rn. 36).