von Thomas Ax
Macht ein Bieter die geforderten Preisangaben und bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Mischkalkulation, kommt ein Ausschluss eines Angebots nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV nach der Rechtsprechung des BGH (IBR 2018, 638, 639 = VPR 2018, 213, 214) nur dann in Betracht, wenn eine spekulative Preisangabe bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände dazu führen kann, dass das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot hervorzubringen, und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haushaltsmittel verpflichteten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen. Entsteht durch die spekulative Angabe eines Preisbestandteils kein Automatismus, der bei bestimmten nicht gänzlich fernliegenden Umständen dazu führt, dass der Auftraggeber übervorteilt werden kann, z.B. weil – wie im vorliegenden Fall – die Preisanpassungen für erhebliche Leistungsmehrungen frei verhandelt werden, kann das Angebot trotz der spekulativen Preisangabe nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV ausgeschlossen werden.
§ 53 Abs. 7 S. 2 VgV verlangt, dass die Angebote die geforderten Preise enthalten müssen. Ein transparentes, auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Vergabeverfahren ist nur zu erreichen, wenn die Vergleichbarkeit der Angebote gegeben ist. Damit ein Angebot gewertet werden kann, ist deshalb grundsätzlich jeder einzelne in der Leistungsbeschreibung oder in den übrigen Vergabeunterlagen vorgesehener Preis, so wie gefordert vollständig und mit dem Betrag anzugeben, der für die betreffende Lieferung oder Leistung beansprucht wird. (BGH, Urteil vom 24.05.2005 – X ZR 243/02).
Öffentliche Auftraggeber haben ein geschütztes Interesse daran, dass die Preise durchwegs korrekt angegeben werden. Diese Regelung trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Zahlungspflichten der Auftraggeber durch Verlagerung einzelner Preisbestandteile manipuliert werden können. Verlagert der Bieter die für einzelne Positionen des Leistungsverzeichnisses eigentlich vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, greift § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV deshalb grundsätzlich ein (vgl. BGH, Urteil vom 19.06.2018 – X ZR 100/16). Dies beschränkt sich jedoch nicht auf Mischkalkulationen, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegende Positionen des Leistungsverzeichnisses bestimmte andere Positionen mit auffällig hohen Ansätzen entsprechen. Ein Angebot kann auch dann ausgeschlossen werden, wenn der Bieter den Preis für einzelne Positionen, etwa in der Erwartung, bei der Auftragsausführung werde es zu Änderungen am Leistungsumfang kommen, derart erhöht, dass er bei dem nicht unwahrscheinlichen Eintritt der Änderung einen deutlich höheren Erlös erzielen kann (vgl. Dittmann/Dicks in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 56 Rn. 84).
Es ist zwar nicht von vornherein in jedem Fall vergaberechtswidrig, wenn ein Bieter Unschärfen des Leistungsverzeichnisses bei den Mengenansätzen erkennt und durch entsprechende Kalkulation Vorteile zu erringen sucht, sondern Sache und Risiko des Auftraggebers, solche Spielräume zum Nachteil der öffentlichen Hand im Leistungsverzeichnis auszuschließen. Dies findet im Vergabewettbewerb aber mit Blick auf dessen Zweck, das günstigste Angebot hervorzubringen, und die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB (BGH, Urteil vom 09.06.2011 – X ZR 143/10) nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) seine Grenzen dort, wo ein Bieter die Ausgestaltung des Leistungsverzeichnisses zu unredlicher Spekulation ausnutzt.
Ein Angebot, das spekulativ so ausgestaltet ist, dass dem Auftraggeber bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände erhebliche Übervorteilungen drohen, ist nicht zuschlagsfähig. Vielmehr verletzt der betreffende Bieter seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn er für eine Position, bei der in der Ausführung nicht unerhebliche Mehrmengen anfallen können, einen Preis ansetzt, der so überhöhte Nachforderungen nach sich ziehen kann, dass aus Sicht eines verständigen Teilnehmers am Vergabeverfahren das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot hervorzubringen, und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haushaltsmittel verpflichteten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen. Der Bieter kann sich nämlich auf diese Weise bei der Wertung nach dem Preis einen geringfügigen, aber gegebenenfalls für die Rangfolge der Angebote ausschlaggebenden Vorteil verschaffen, der mit der Chance eines deutlich erheblicheren wirtschaftlichen Nachteils für den Auftraggeber bei der Abrechnung des Auftrags verbunden ist. In einem solchen Fall ist der Auftraggeber nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet, auch wenn das fragliche Angebot formal-rechnerisch als das preiswerteste erscheint. (BGH, Urteil vom 19.06.2018 – X ZR 100/16).
Ein Ausschluss des Angebots nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV kommt nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 19.06.2018 – X ZR 100/16) nur dann in Betracht, wenn die spekulative Preisangabe bei Eintritt bestimmter, zumindest nicht gänzlich fernliegender Umstände dazu führen kann, dass das Ziel verfehlt wird, im Wettbewerb das günstigste Angebot hervorzubringen, und dem zu einem verantwortungsvollen Einsatz der Haushaltsmittel verpflichteten Auftraggeber nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf ein derartiges Angebot einzulassen.
VK Südbayern, Beschluss vom 19.10.2021 – 3194.Z3-3_01-21-24