Ax Vergaberecht

AxRechtsanwälte: Nachprüfungsverfahren in der Schweiz

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I Nachprüfung

1 Zuständig für Beschwerden ist das Bundesverwaltungsgericht Kreuzackerstrasse 12 9000 St. Gallen F +41 (0)58 465 29 80.

2 Die Beschwerdeführerin beantragt, es ist die Nichtigkeit des Zuschlags festzustellen, eventualiter ist der Zuschlag aufzuheben und der Beschwerdeführerin zu erteilen, eventualiter ist die Sache an die Beschwerdegegnerin zur neuerlichen Auswertung zurückzuweisen, subeventualiter ist die Rechtswidrigkeit des Zuschlags festzustellen; unter Kosten- und Entschädigungsfolge. In prozessualer Hinsicht beantragt sie, der Beschwerde ist – zunächst superprovisorisch – die aufschiebende Wirkung zu gewähren. Ausserdem stellt die Beschwerdeführerin den Antrag, es ist ihr die volle Akteneinsicht zu gewähren und Gelegenheit zu geben, vor dem Ergehen des Entscheids betreffend aufschiebende Wirkung zu den Unterlagen Stellung zu nehmen und die Beschwerde zu ergänzen; eventualiter ist ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen.

3 Gegen den Zuschlag in einem Vergabeverfahren ist im Anwendungsbereich des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen vom 16. Dezember 1994 (BöB, SR 172.056.1) die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig (Art. 29 Bst. a i.V.m. Art. 27 Abs. 1 BöB). Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet auch über Gesuche um Erteilung der aufschiebenden Wirkung (Art. 28 Abs. 2 BöB).

4 Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bestimmt sich nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungverfahren (VwVG, SR 172.021), soweit das BöB und das Verwaltungsgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) nichts anderes bestimmen (Art. 26 Abs. 1 BöB und Art. 37 VGG). Gemäss Art. 31 BöB kann die Unangemessenheit vor Bundesverwaltungsgericht nicht gerügt werden.

5 Über das Begehren um Erteilung der aufschiebenden Wirkung im Rahmen der Anfechtung eines Zuschlags entscheidet das Bundesverwaltungsgericht gemäss ständiger Praxis in Dreierbesetzung (Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-3402/2009 vom 2. Juli 2009, auszugsweise publiziert in BVGE 2009/19, E. 1.2 mit Hinweisen).

6 Das BöB erfasst wie Beschaffungen, welche dem GATT/WTO-Übereinkommen vom 15. April 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement [GPA, SR 0.632.231.422]) unterstellt sind (BVGE 2008/48 E. 2.1 mit Hinweisen). Es ist anwendbar, wenn die Auftraggeberin dem Gesetz untersteht (Art. 2 Abs. 1 BöB), wenn der Beschaffungsgegenstand sachlich erfasst wird (Art. 5 BöB), der geschätzte Wert des zu vergebenden öffentlichen Auftrages den entsprechenden Schwellenwert von Art. 6 Abs. 1 BöB erreicht und keiner der Ausnahmetatbestände von Art. 3 BöB gegeben ist.

7 Das BöB nennt keine Kriterien, welche für die Frage der Gewährung oder Verweigerung der aufschiebenden Wirkung zu berücksichtigen sind. Es können indes die Grundsätze übernommen werden, die Rechtsprechung und Lehre zur Anwendung von Art. 55 VwVG entwickelt haben. Danach ist anhand einer Interessenabwägung zu prüfen, ob die Gründe, die für eine sofortige Vollstreckbarkeit sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die gegenteilige Lösung angeführt werden können (BGE 129 II 286 E. 3; Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-6837/2010 vom 16. November 2010 E. 2.1 mit Hinweisen). Dass der Gesetzgeber im BöB den Suspensiveffekt in Abweichung zum VwVG nicht von Gesetzes wegen gewährte, zeigt, dass er sich der Bedeutung dieser Anordnung im Submissionsrecht bewusst war und eine individuelle Prüfung dieser Frage als notwendig erachtete, nicht aber, dass er diesen nur ausnahmsweise gewährt haben wollte (vgl. zum Ganzen den Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-3402/2009 vom 2. Juli 2009, auszugsweise publiziert in BVGE 2009/19, E. 2.1 mit Hinweisen).

8 Liegt ein Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung vor, so ist im Sinne einer prima-facie-Würdigung der materiellen Rechtslage in einem ersten Schritt zu prüfen, ob aufgrund der vorliegenden Akten davon auszugehen ist, dass die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist. Ist dies der Fall, ist die aufschiebende Wirkung von vornherein nicht zu gewähren. Werden der Beschwerde hingegen Erfolgschancen zuerkannt oder bestehen darüber Zweifel, so ist über das Begehren um aufschiebende Wirkung aufgrund der erwähnten Interessenabwägung zu befinden. In die Abwägung einzubeziehen sind nach der ständigen Praxis der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen (BRK), die sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Entscheid BVGE 2007/13 (E. 2.2) im Grundsatz zu eigen gemacht hat, einerseits die Interessen der Beschwerdeführerin an der Aufrechterhaltung der Möglichkeit, den Zuschlag zu erhalten, wobei zugleich ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes besteht (Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-6177/2008 vom 20. Oktober 2008 E. 2). Diesen gegenüber stehen die öffentlichen Interessen, die die Auftraggeberin wahrzunehmen hat. So wird in der GATT-Botschaft 2 vom 19. September 1994 namentlich festgehalten, gegen den automatischen Suspensiveffekt spreche die Gefahr von Verzögerungen und erheblichen Mehrkosten (BBl 1994 IV 950 ff., insbes. S. 1197; vgl. auch S. 1199; vgl. zum Ganzen den Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-3402/2009 vom 2. Juli 2009, auszugsweise publiziert in BVGE 2009/19, E. 2.1). Entsprechend hält das Bundesgericht im Rahmen der Auslegung von Art. 17 Abs. 2 der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15. März 2001 (IVöB) fest, dass dem öffentlichen Interesse an einer möglichst raschen Umsetzung des Vergabeentscheides von vornherein ein erhebliches Gewicht zukommt (Urteil des Bundesgerichts 2P.103/2006 vom 29. Mai 2006 E. 4.2.1 mit Hinweisen; in diesem Sinne auch BVGE 2008/7 E. 3.3). Auch allfällige Interessen Dritter, namentlich der übrigen an einem Beschaffungsgeschäft Beteiligten, sind nach der ständigen Praxis zu berücksichtigen. Ausgangspunkt muss dabei – insbesondere auch in Anbetracht der Zielsetzung von Art. XX Ziff. 2 und 7 Bst. a GPA – die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes und die Verhinderung von Zuständen sein, welche das Rechtsmittel illusorisch werden lassen (BVGE 2007/13 E. 2.2 mit Hinweisen).

9 Nachdem festgestellt wurde, dass die Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet ist, sind die sich gegenüberstehenden Interessen der Beschwerdeführerin und der Vergabestelle sowie der Zuschlagsempfängerin abzuwägen. Der politischen Planung allein kommt, ohne dass etwa nicht hinnehmbare finanzielle Folgeschäden geltend gemacht würden, regelmässig nicht der Gehalt eines überwiegenden öffentlichen Interesses zu. Umso weniger kann glaubhaft dargetan werden, dass die Vergabestelle ohne sofortigen Vertragsschluss mit der Zuschlagsempfängerin nicht mehr in der Lage wäre, ihre Geschäftstätigkeit wahrzunehmen. Demgegenüber liegt die Gewährung des effektiven Rechtsschutzes namentlich mit Blick auf Art. XX GPA einerseits im öffentlichen Interesse. Andererseits hat die Beschwerdeführerin ein erhebliches Interesse daran, den Vertragsschluss zwischen der Vergabestelle und der Zuschlagsempfängerin zu verhindern. Wird der Vertrag geschlossen, hat die Beschwerdeführerin lediglich die Möglichkeit, Schadenersatz für die in Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren getätigten Aufwendungen zu verlangen (Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-4852/2012 vom 15. November 2012 E. 7.4; GALLI/MOSER/LANG/STEINER, a.a.O., Rz. 1325). Die Interessenabwägung fällt nach dem Gesagten vielfach zugunsten der Beschwerdeführerin aus, sodass ihrem Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung zu entsprechen ist.

II VERGABE

1 Nach Art. 19 Abs. 1 BöB müssen die Anbieter ihre Offerte schriftlich, vollständig und fristgerecht einreichen. Dieser Regel liegt der Gedanke zugrunde, dass die Vergabestelle anhand der eingereichten Offerten direkt zur Vergabe des Auftrags schreiten können soll (Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-5084/2007 vom 8. November 2007 E. 3.1.1 mit Verweis auf das Urteil des Bundesgerichts 2P.164/2002 vom 27. November 2002 E. 3.3). Die Entgegennahme eines Angebots, das den Vorgaben der Ausschreibung bzw. der Ausschreibungsunterlagen nicht entspricht, ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung der Anbieter und dasjenige der Transparenz problematisch (BVGE 2007/13 E. 3.1 mit Verweis auf den Entscheid der BRK vom 23. Dezember 2005, veröffentlicht in VPB 70.33 E. 2a/aa).

2 Der Vergabestelle kommt sowohl bei der Wahl der Eignungskriterien als auch bei deren Beurteilung ein grosser Ermessensspielraum zu (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-1470/2010 vom 29. September 2010 E. 2.2; Entscheid der BRK 2005-002 vom 30. Mai 2005, publiziert in VPB 69.105, nicht veröffentlichte E. 2b/aa; GALLI/MOSER/LANG/STEINER, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 557 und 564 f.). Die Eignungskriterien sind aber in jedem Fall auftragsspezifisch bzw. leistungsbezogen zu formulieren (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-4860/2010 vom 13. Juli 2011 E. 3). Nach Anhang 3 zur VöB i.V.m. Art. 9 Abs. 1 VöB können von den Anbietern unter anderem eine „Liste der in den letzten fünf Jahren vor der Ausschreibung erbrachten wichtigen Leistungen“ (Ziff. 7) und „Referenzen, bei welchen die Auftraggeberin die ordnungsgemässe Erbringung dieser Leistungen überprüfen […] kann […]“ (Ziff. 8) erhoben werden. Nach Rechtsprechung und Lehre ist der Nachweis von Referenzprojekten im Rahmen der Eignungsprüfung grundsätzlich zulässig (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-1470/2010 E. 4.3; GALLI/MOSER/LANG/STEINER, a.a.O., Rz. 559). Dabei gilt, dass je anspruchsvoller und komplexer eine Leistung ist, desto höher auch die qualitativen und quantitativen Anforderungen an die Referenzprojekte sein dürfen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-1470/2010 vom 29. September 2010 E.4.3).

3 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bereits mit der Frage auseinandersetzt, ob Leistungen von Tochtergesellschaften anbieterintern sind oder ob diese als Subunternehmerinnen am Vergabeverfahren teilnehmen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-5563/2012 vom 28. Februar 2013 E. 3.3.3). Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu festgehalten, dass Tochtergesellschaften allenfalls Subunternehmer oder Lieferanten des Anbieters sind, ihre Tatsachen und Rechtspositionen jedoch nicht dem Anbieter zugerechnet werden. Folglich gibt es nach diesem Entscheid keinen vergaberechtlichen Durchgriff auf Tochtergesellschaften des Bieters; dasselbe gilt für Konzerngesellschaften (Urteil des Bundes-verwaltungsgerichts B-5563/2012 E. 3.3.3). Auch BEYELER vertritt die Meinung, dass im Vergaberecht mit Blick auf die Rechtssicherheit strikt und ausschliesslich auf die Rechtsform abzustellen ist; es gebe keine konzerninterne Zurechnung im Sinne eines Durchgriffs (vgl. MARTIN BEYELER, Der Geltungsanspruch des Vergaberechts, Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 1374 ff.). Will sich eine Anbieterin auf Tatsachen oder Rechtspositionen einer Konzerngesellschaft stützen, muss sie die fragliche Konzerngesellschaft als Konsortialpartnerin, als Subunternehmerin oder Lieferantin nach dieser Ansicht konkret in ihre Offerte einbinden. Steht die Konzerngesellschaft hingegen auf keine dieser Arten in rechtlicher Nähe eines konkreten Vergabeverfahren, bleibt sie gewöhnliche Dritte ohne Relevanz im fraglichen Verfahren (vgl. BEYELER, a.a.O., Rz. 1377 ff.). Demgegenüber spielt es nach dieser Lehrmeinung im Rahmen der Organisation mit unselbständiger Zweigstelle oder Niederlassung keine Rolle, ob die Offerte etwa auf die Niederlassung lautet: Insofern sei, wenn es um das Stammhaus oder andere Niederlassungen derselben Person gehe, nicht von Konzernverhältnissen zu sprechen, sondern von anbieterinterner Organisation (BEYELER, a.a.O., Rz. 1378 in fine).