vorgestellt von Thomas Ax
Sowohl die Eignungsprüfung als auch die Preisprüfung gehören zu den originären Aufgaben der Vergabestelle, sodass es zur Beantwortung der damit verbundenen typischen Fragestellungen und zur Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren nicht ohne weiteres eines anwaltlichen Beistands bedarf.
BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – Verg 8/23
vorhergehend:
VK Südbayern, 30.03.2023 – 3194.Z3-3_01-22-65
Gründe:
I.
In der Bekanntmachung zur europaweiten Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrags über verschiedene abfallwirtschaftliche Dienstleistungen im Landkreis ### ist als Auftraggeber der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### angegeben. Die Ausschreibung erfolgt im Wege des offenen Verfahrens. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Der Auftrag ist in mehrere Lose aufgeteilt. Gegenstand des streitgegenständlichen Loses, zu dem die Antragstellerin und die Beigeladene jeweils fristgerecht ein Angebot einreichten, ist nach Ziffer II.2.4) der Bekanntmachung:
“Los : Altpapier
• Übernahme von Altpapier aus dem Hol- und Bringsystem
• Ggf. Herausgabe an duale Systeme
• Vermarktung von Altpapier zur ordnungsgemäßen Verwertung”
Zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit ist in Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung festgelegt:
“Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien …
Los ### – Altpapier:
– Benennung (Standort) und Beschreibung des Betriebs der Übernahmestelle im Gebiet des Landkreises bzw. der Stadt “
Nachdem der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 5. Dezember 2022 darüber informiert hatte, dass er beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, rügte die anwaltlich vertretene Antragstellerin die Vergabeentscheidung als vergaberechtswidrig. Sie habe angesichts ihres Marktüberblicks erhebliche Zweifel, dass die Beigeladene über eine Übernahmestelle im Landkreis ### oder der Stadt ### verfüge bzw. auf eine solche Übernahmestelle Zugriff habe, die über hinreichende Kapazitäten verfüge und die immissionsschutzrechtlich für die erheblichen Umschlagsmengen (13.000 Mg p.a.) nach Ziffer 8.12. des Anhangs zur 4. BImSchV genehmigt sei. Sie bezweifele außerdem, dass das Angebot der Beigeladenen wirtschaftlicher sein könne als ihr eigenes, denn sie gehe davon aus, dass die Beigeladene das Altpapier zur Sortierung an ihren Betriebsstandort in ### verbringe. Demzufolge müsse sie deutlich höhere Umschlagskosten kalkulieren.
Nach Zurückweisung der Rügen durch den Antragsgegner zuletzt mit anwaltlichen Schreiben vom 20. Dezember 2022 hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gestellt und ihre Argumentation vertieft. Das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen, weil sie nicht nachgewiesen habe, dass sie die Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit erfülle. Sie, die Antragstellerin, gehe davon aus, dass die Beigeladene den Betriebshof der ### GmbH als Übernahmestelle benannt habe. Dieser entspreche hinsichtlich der Öffnungszeiten nicht den in den Vergabeunterlagen festgelegten Anforderungen. Aus den Antworten des Antragsgegners auf ihre Rügen sei nicht ersichtlich, ob er die Erfüllung der Eignungsvoraussetzungen der Beigeladenen tatsächlich und effektiv überprüft habe. Der Antragsgegner habe nur entgegnet, die Beigeladene und ihr Nachunternehmer hätten die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nachgewiesen. Dass die Genehmigung auch die zusätzlichen Mengen des streitgegenständlichen Auftrags erfasse, sei jedoch nicht bestätigt worden. Die Ausführungen des Antragsgegners im Schreiben vom 20. Dezember 2022 gäben ferner Anlass zur Sorge, dass die Preisaufklärung auf der Basis falscher Annahmen erfolgt sei.
Die Antragstellerin hat beantragt:
1. gegen den Antragsgegner das Nachprüfungsverfahren wegen der Vergabe “abfallwirtschaftlicher Dienstleistungen im Landkreis “, Los ### (Altpapier), einzuleiten,
2. dem Antragsgegner aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen.
Der Antragsgegner hat beantragt:
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 21. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsgegner wird für notwendig erklärt.
Der Nachprüfungsantrag sei angesichts der lediglich ins Blaue hinein erhobenen Rügen unzulässig. Er sei außerdem offensichtlich unbegründet. Die Beigeladene sei geeignet. Auf die Rüge der Antragstellerin hin sei aufgeklärt worden, ob die Mengen von Papier, Pappe und Karton (PPK) aus dem Sammelsystem des Antragsgegners neben den abzuwickelnden Mengen anderer Auftraggeber an der Übernahmestelle verarbeitet werden könnten. Weiterhin sei die Beigeladene aufgefordert worden, die einschlägigen BImSchG-Genehmigungen einschließlich etwaiger Änderungsgenehmigungen nach § 16 BImSchG und Änderungsanzeigen nach § 15 BImSchG vorzulegen. Die Beigeladene sei auch der Aufforderung nachgekommen, die Auskömmlichkeit ihrer angebotenen Einheitspreise aufzuklären. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei schon aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit gegenüber “der anwaltlich vertretenen Antragstellerin und Antragsgegner” geboten. Der Abfallwirtschaftsbetrieb verfüge als Eigenbetrieb des Antragsgegners über keine eigene Rechtsabteilung, geschweige denn über auf das Vergaberecht spezialisierte Volljuristen. Auch “der Antragsgegner selbst” verfüge (Anmerkung des Senats gemeint: verfüge nicht) über eine spezialisierte Vergaberechtsabteilung.
Die Beigeladene hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Sie hat sich den Ausführungen des Antragsgegners angeschlossen.
Die Antragstellerin hat ihren Nachprüfungsantrag nach Gewährung von Akteneinsicht zurückgenommen.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 20. März 2023, der den Landkreis ### als Antragsgegner ausweist und der dem Antragsgegner am 4. April 2023 zugestellt worden ist, die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen der Antragstellerin auferlegt und in Ziffer 4. Satz 2 des Tenors ausgesprochen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner nicht notwendig war.
Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters werde nicht als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 Sätze 1 und 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG angesehen. Über die Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, sei nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei sei danach zu fragen, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falls auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung sei, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2020, Verg 38/18). Bei durchschnittlich schwierigen Nachprüfungsverfahren werde bei einem öffentlichen Auftraggeber, der regelmäßig mit Vergabeverfahren betraut sei und eine eigene Vergabestelle unterhalte, die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung nicht in jedem Fall bejaht werden können. So liege der Fall hier. Das Vergabeverfahren sei vom Abfallwirtschaftsbetrieb des Antragsgegners durchgeführt worden, der ausweislich der im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union ersichtlichen Auftragsbekanntmachungen regelmäßig mit der Vergabe abfallwirtschaftlicher Dienstleistungen befasst sei und bei dem insofern der für die Bewertung der Rügen der Antragstellerin notwendige Sachverstand vorhanden sein müsse. Die Rügen der Antragstellerin bezögen sich auf einen überschaubaren Sachverhalt und beträfen rechtliche Gesichtspunkte der Angebots- sowie Preisprüfung, welche dem Kernbereich der Durchführung des Vergabeverfahrens zuzuordnen seien.
Dagegen richtet sich die unter der Bezeichnung “Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ” eingelegte sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 17. April 2023, die am selben Tag bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen ist. Der Antragsgegner rügt, die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten sei auch für ihn als notwendig zu erklären. Er handele als organisatorisch, verwaltungsmäßig und finanzwirtschaftlich gesondertes wirtschaftliches Unternehmen (Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit, “Art. 88 Abs. 1 BayGO”). Der Abfallwirtschaftsbetrieb verfüge weder über einen eigenen Juristen noch über eine mit Vergabespezialisten besetzte, zentrale Beschaffungsstelle. Er habe in den letzten drei Jahren neben der streitgegenständlichen Ausschreibung lediglich eine weitere europaweite Ausschreibung durchgeführt und zudem keinerlei vergabeprozessuale Erfahrung. Auch wenn man wegen der fehlenden Rechtsfähigkeit des Abfallwirtschaftsbetriebs auf das Landratsamt abstelle, führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Das Landratsamt verfüge zwar über eine erfahrene Juristin, die allgemeine zivilrechtliche und bauvertragsrechtliche Erfahrung vor Gericht, allerdings keine vergaberechtliche forensische Berufserfahrung habe. Diese Juristin sei für sämtliche Rechtsangelegenheiten des Landkreises zuständig und in Teilzeit (30 Stunden pro Woche) tätig. Ohne anwaltliche Unterstützung wäre sie nicht in der Lage, die kurzfristigen Belastungsspitzen durch Vergabenachprüfungsverfahren, die unter sehr hohem Zeitdruck stattfänden, zu bewältigen. Die durch Fachanwälte für Vergaberecht vertretene Antragstellerin habe in ihrem Nachprüfungsantrag nicht nur vergaberechtliche, sondern auch immissionsschutzrechtliche Fragestellungen aufgeworfen. Für die Überprüfung der BImSchG-Genehmigungen des eignungsleihenden Nachunternehmers und der Anzeigen nach § 16 BImSchG seien spezialisierte Rechtskenntnisse erforderlich. Auch die Beigeladene habe sich durch einen Fachanwalt für Vergaberecht vertreten lassen.
Der Antragsgegner beantragt,
1. die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 30. März 2023, Az. 3194.Z3-3_01-22-65, zugestellt am 4. April 2023, aufzuheben, soweit in Ziffer 4 Satz 2 des Tenors die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seite des Antragsgegners für nicht notwendig erklärt wird,
2. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die sofortige Beschwerde scheitere bereits an der Aktivlegitimation des Beschwerdeführers. Das Nachprüfungsverfahren sei gegen den Landkreis ### geführt worden. Beschwerdeführer sei dagegen der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### der zudem nicht parteifähig sei. Die Beschwerde habe auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
Der Antragsgegner – der Landkreis ### – veröffentliche regelmäßig europaweite Ausschreibungen und verfüge über fachkundiges Personal. Die Rügen der Antragstellerin beträfen ausschließlich Fragen der Angebotsprüfung und somit Aspekte, die in jeder Ausschreibung eine Rolle spielten und deren Bewertung durch eigenes Personal abzudecken sei. Aus diesem Grund erfordere auch nicht ein Gebot der Waffengleichheit die Beauftragung eines externen Bevollmächtigten.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Senat kann über die sofortige Beschwerde, die sich nur gegen eine Nebenentscheidung richtet, ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. BayObLG, Beschl. v. 20. Oktober 2022 – Verg 1/22, NZBau 2023, 347 Rn. 14 m. w. N.).
2. Die nach § 171 Abs. 1 GWB statthafte (vgl. BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2005 – X ZB 26/05) Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Sie wurde insbesondere von dem prozessfähigen Antragsgegner, dem Landkreis ### form- und fristgerecht eingelegt. ###
In der Beschwerdeschrift wurde als Beschwerdeführer zwar der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### genannt, aus den gesamten Umständen ergibt sich jedoch, dass damit die hinter der Vergabestelle stehende juristische Person gemeint ist. ###
In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist anerkannt, dass gegebenenfalls durch Auslegung festzustellen ist, gegen wen sich das Nachprüfungsverfahren bzw. die Beschwerde richtet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. Oktober 2019 – Verg 13/19, NZBau 2020, 670; OLG Frankfurt, Beschl. v. 2. Dezember 2014 – 11 Verg 7/14, NZBau 2015, 448; OLG Celle, Beschl. v. 24. September 2014 – 13 Verg 9/14, NZBau 2014, 784; OLG München, Beschl. v. 31. Mai 2012 – Verg 4/12). Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich von den entschiedenen Fällen zwar dadurch, dass die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag zutreffend nicht gegen die Vergabestelle, sondern gegen die dahinterstehende juristische Person gerichtet hat, während die sofortige Beschwerde nicht im Namen des unterlegenen Antragsgegners, sondern im Namen der nicht rechtsfähigen Vergabestelle eingelegt wurde. Auch die Erklärung, wer Rechtsmittelführer ist, ist jedoch der Auslegung fähig (vgl. zu § 519 ZPO: BGH, Beschl. v. 15. März 2022, VI ZB 20/20, ZIP 2022, 2573 Rn. 11 m. w. N.).
Hier steht bei verständiger Würdigung fest, dass Beschwerdeführer der Landkreis ist. Der Beschwerdeschrift war der Beschluss der Vergabekammer beigefügt, die den Landkreis ### als Antragsgegner ausweist. Es wird ausgeführt, dass der Abfallwirtschaftsbetrieb als Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt werde. Letzteres ergibt sich aus Art. 76 Abs. 1 LKrO. Beschwerdeführer ist somit nicht der Eigenbetrieb, der gemäß § 50 Abs. 1 ZPO nicht parteifähig wäre, sondern der Landkreis (vgl. OLG Celle, NZBau 2014, 784 Rn. 11 f.; Lück in BeckOK Kommunalrecht Bayern, 18. Ed. Stand: 1. Mai 2023, GO Art. 88 Rn. 4; Lindl BayVBl 2002, 298). Aus der vorgelegten Betriebssatzung ergibt sich zudem, dass der Landkreis ### in Angelegenheiten des Eigenbetriebs unter dem Namen “Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises Augsburg” auftritt.
3. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg.
a) Nach § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 BayVwVfG sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Diese Frage ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Abzustellen ist darauf, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, auf Grund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen, der im Hinblick auf eine (angebliche) Missachtung vergaberechtlicher Bestimmungen von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzutragen. Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände in der Person des Beteiligten maßgeblich sein, wie etwa seine sachliche und personelle Ausstattung (BGH, Beschl. v. 26. September 2006 – X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 Rn. 61). Die Einzelfallentscheidung ist auf der Grundlage objektiv anzuerkennender Erfordernisse im Rahmen einer ex-ante Prognose zu treffen (OLG Celle, Beschl. v. 5. November 2020 – 13 Verg 7/20), wobei ergänzend auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen kann (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. März 2021 – Verg 10/20; Beschl. v. 16. März 2020 – Verg 38/18 m. w. N.).
Dementsprechend wird von der Rechtsprechung die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den öffentlichen Auftraggeber regelmäßig nicht für notwendig erachtet, wenn eine vergaberechtliche Angelegenheit lediglich einfache, auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen auf der Grundlage geklärter Rechtsgrundsätze aufwirft, deren Darlegung und Vertretung im Nachprüfungsverfahren von der Vergabestelle ohne Weiteres erwartet werden kann. Stehen dagegen nicht einfache, insbesondere rechtlich noch ungeklärte oder nicht dem klassischen Vergaberecht zuzurechnende Rechtsfragen im Streit, spricht dies tendenziell für die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung. Weitere Faktoren, die im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts sprechen können, sind der typische Zeitdruck im Nachprüfungsverfahren und eine besondere Bedeutung bzw. ein erhebliches Gewicht des zu vergebenden Auftrags (vgl. BayObLG, NZBau 2023, 347 Rn. 17 m. w. N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die Vergabestelle nicht notwendig.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung war weder wegen der Komplexität des Sachverhalts noch wegen der Schwierigkeit der Rechtsfragen erforderlich. Der (nur) 16-seitige Nachprüfungsantrag beschränkte sich auf zwei Themenkomplexe. Der Antragsgegner hat in seiner Antragserwiderung vom 10. Januar 2023 ausgeführt, das Nachprüfungsverfahren lasse sich auf zwei eng umgrenzte Rechtsfragen reduzieren (Seite 2). Sowohl die Eignungsprüfung (§ 42 Abs. 1 VgV) als auch die Preisprüfung (§ 60 VgV) gehören zu den originären Aufgaben der Vergabestelle, sodass es zur Beantwortung der damit verbundenen typischen Fragestellungen und zur Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren nicht ohne weiteres eines anwaltlichen Beistands bedarf. Spezifische immissionsschutzrechtliche Probleme stellten sich entgegen der Ansicht des Antragsgegners im Rahmen der Eignungsprüfung nicht. Sie werden vom Antragsgegner in der Beschwerdebegründung auch nicht dargestellt. Der Antragsgegner hatte lediglich anhand der von der Beigeladenen vorgelegten Unterlagen (Anlagen Ag 7 bis Ag 11) zu überprüfen, ob die benannte Übernahmestelle über eine Genehmigung für die umzuschlagenden Altpapiermengen verfügte. Die Angaben der Beigeladenen und ihres Nachunternehmers können bei sorgfältiger Lektüre der vorgelegten Unterlagen ohne weiteres nachvollzogen werden. Spezifischer immissionschutzrechtlicher Kenntnisse bedarf es dazu nicht. Dass der Abfallwirtschaftsbetrieb des Landkreises ### ohne anwaltliche Unterstützung nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Unterlagen zu erfassen und hieraus die für die Rechtsverteidigung vor der Vergabekammer nötigen Schlüsse zu ziehen, ist nicht ersichtlich.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners rechtfertigten es hier weder der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit noch die personelle Ausstattung der Vergabestelle, die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten zu bejahen. Diese Gesichtspunkte können nur ergänzend herangezogen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. März 2020 – Verg 38/18 m. w. N.; Beschl. v. 16. November 2018 – Verg 60/17). Beschränkt sich das Nachprüfungsverfahren auf schlichte auftragsbezogenene Sach- und Rechtsfragen, ist in der Regel davon auszugehen, dass sich die Vergabestelle im Rahmen ihres originären Aufgabenkreises vor der Vergabekammer zweckentsprechend verteidigen kann. Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung sind vorliegend nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 GWB.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht nicht auf § 50 Abs. 2 GKG, da sich die Beschwerde nur gegen eine selbständig anfechtbare Nebenentscheidung richtet (vgl. KG, Beschl. v. 14. Dezember 2022 – Verg 10/22), sondern auf einer entsprechenden des § 3 ZPO.
(…)