Ax Vergaberecht

Begründungsmängel können durch nachgeschobenen Vortrag im Nachprüfungsverfahren geheilt werden können, solange sich keine Anhaltspunkte für Manipulationen finden

von Thomas Ax

Soweit sich ein Antragsteller auch gegen eine mangelnde Transparenz der Wertungskriterien wendet, ist er nicht unbedingt nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB ausgeschlossen, wenn die gerügte mangelnde Transparenz jedenfalls nicht für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 03.04.2019 – VII Verg 49/18; Beschl. v. 26.07.2018 – VII Verg 23/18; Beschl. v. 28.03.2018 – VII Verg 54/17 und Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37) erkennbar war. Denn die Erkennbarkeit muss sich sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (Dicks, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn 49). In Bezug auf die zu rügenden Vergaberechtsverstöße, welche sich aus den Vergabeunterlagen ergeben (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB) ist für eine Präklusion mithin erforderlich, dass der Inhalt der Unterlagen bei laienhafter rechtlicher Bewertung, also ohne Bemühung besonderen Rechtsrats, auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (Senat, Beschl. v. 26.07.2018 – VII Verg 23/18; Beschl. v. 15.01.2020 – VII Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn 37; OLG München, Beschl. v. 22.10.2015 – Verg 5/15). Daher genügt es nicht, wenn die gerügten Verstöße gegen das Transparenz- und Wirtschaftlichkeitsgebot bereits in der Leistungsbeschreibung angelegt waren (Senat, Beschl. v. 02.05.2018 – VII Verg 3/18), das gilt insbesondere, wenn nur vertiefte Rechtskenntnisse eine Beurteilung der Vergaberechtskonformität eines Bewertungssystems erlauben (vgl. Senat, Beschl. v. 29.04.2015, VII-Verg 35/14). Es kann dann gut sein, dass die mangelnde Transparenz nicht bereits anhand der Vergabeunterlagen erkennbar war, sondern erst im Zusammenhang mit der konkreten Wertung.

Bei der Bewertung, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt (§ 127 Abs. 1 S. 2 GWB), genießt der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum, der von den Nachprüfungsinstanzen nur dahin überprüfbar ist, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen, keine sachwidrigen Erwägungen für die Entscheidung herangezogen und nicht gegen allgemein gültige Bewertungsgrundsätze verstoßen wurde (Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 6/19, NZBau 2020, 318).
Hat der öffentliche Auftraggeber für die Bewertung, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt (§ 127 Abs. 1 S. 2 GWB), auf ein Bewertungssystem mittels Noten abgestellt, so steht ihm auch insoweit ein Beurteilungsspielraum zu allerdings mit der Folge, dass seine diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen auch daraufhin überprüfbar sind, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (BGH, Beschl. v. 04.04.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 [371] Rn. 53 – Postdienstleistungen).
Bei der Überprüfung, ob und inwieweit die Bewertung der Angebote dem vorgegebenen Benotungssystem entspricht, sind bei der Überprüfung von den Nachprüfungsinstanzen analog § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 Abs. 1 S. 3 GWB sämtliche in der Vergabedokumentation enthaltenen und der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers zugrundeliegenden Tatsachen, auch soweit diese wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit der Antragstellerin eines Nachprüfungsverfahrens nicht offenbart werden durften, zu berücksichtigen (Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 6/19, NZBau 2020, 318).

Nach § 8 Abs. 1 S. 2 VgV ist der Auftraggeber verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung und den Zuschlag zu dokumentieren. Insbesondere dann, wenn er sich dafür, wie im Streitfall, eines überwiegend aus qualitativen Aspekten zusammengesetzten Kriterienkatalogs bedient, bei dem die Angebote hinsichtlich der Qualitätskriterien mittels eines Benotungssystems bewertet werden, muss er seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Die Begründung muss alle Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können. Bei Wertungsentscheidungen hat der öffentliche Auftraggeber darzulegen, nach welchen konkreten Gesichtspunkten die Bewertung erfolgt (BGH, Beschl. v. 04.04.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 Rn 53 – Postdienstleistungen; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 6/19, NZBau 2020, 318 Rn 63; Goede/Hänsel, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 8 VgV Rn 9 mwN.).
Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des OLG Düsseldorfs, dass Begründungsmängel durch nachgeschobenen Vortrag im Nachprüfungsverfahren geheilt werden können, solange sich keine Anhaltspunkte für Manipulationen finden und nicht zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentationen nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (BGH, Beschl. v. 08.02. 2011 – X ZB 4/10,  Rn. 73; Senat, Beschl. v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14; Senat, Beschl. v. 12.02.2014 – VII-Verg 29/13; Senat Beschl. v. 07.11.2012 – VII-Verg 24/12; OLG Celle, Beschl. v. 12.05.2016 – 13 Verg 10/15). Ein Nachschieben von Gründen ist demnach möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert (Senat, Beschl. v. 10.02.2021 – VII Verg 23/20).
Nicht um ein Nachschieben von Gründen handelt es sich demgegenüber, wenn der öffentliche Auftraggeber eine neue Wertungsentscheidung trifft, mit welcher er nochmals aufgrund einer als berechtigt anerkannten Rüge aus eigenem Antrieb eine Neubewertung der Angebote insgesamt oder zumindest in Bezug auf einzelne Wertungskriterien vornimmt, wozu er in jedem Stadium des Verfahrens berechtigt ist (vgl. Senat, Beschl. v. 19.04.2017 – VII Verg 38/16; Dreher/Hoffmann, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl., § 134 GWB Rn 46 f.).

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