von Thomas Ax
Vielfach sehen Verfahrensbeteiligte, dass die Mitglieder der Vergabekammer das Nachprüfungsverfahren nicht fair führen und dem Rechtsstreit nicht unvoreingenommen gegenüberstehen.
Ablehnung der Vergabekammer wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Vergabekammer zu rechtfertigen.
Ob die Vergabekammer wirklich befangen ist, spielt keine Rolle.
Es genügt, dass Tatsachen vorliegen, die aus der Sicht der Partei geeignet sind, die Parteilichkeit der Vergabekammer zu befürchten.
Die Tätigkeit erfordert Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Daraus ergibt sich aber nicht nur die Forderung, daß eine zu enge personelle Verbindung mit den Stellen, über deren Anträge sie zu befinden haben, unzulässig ist. Objektiv begründetes Misstrauen führt zur Besorgnis der Befangenheit.
Aus der Art der Verfahrensführung kann sich die Befangenheit ergeben, insbesondere dann, wenn sie auf willkürliche Benachteiligung oder Bevorzugung eines Beteiligten schließen lässt. Beispiele hierfür sind die mangelnde Bereitschaft, mündliches oder schriftliches Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen, die Ablehnung eines begründeten Verlegungsantrags der Partei ohne oder mit unsachlicher Begründung (OLG Köln NJW-RR 97, 823; OLG München NJW-RR 02, 862), längere Untätigkeit oder ungebührliche Verfahrensverzögerung ohne sachlichen Grund (OLG Brandenburg FamRZ 01, 552; BauR 12, 1150; OLGR Frankfurt 09, 115; zweifelhaft, aA OLG Hamm Beschl v 4.1.11 – 1 W 86/10; LSG NRW Beschl v 19.10.11 – L 11 SF 297/11 AB).
Hilfestellungen an eine Partei bieten Anlass zur Sorge der Befangenheit (BGH NJW 2004, 164).
Unsachlichkeit Ein unsachliches Verhalten dürfte stets für eine Befangenheit sprechen, weil ein solches praktisch kann nie durch verfahrensmäßige Aufgaben gerechtfertigt sein kann.
I. Dem nicht nur rechtsstaatlich ausgestalteten, sondern sogar gerichtsähnlichen erstinstanzlichen Vergabenachprüfungsverfahren liegt die Vorstellung eines fairen Verfahrens zugrunde.
Der Gesetzgeber hat die Absicht, ein zweistufiges, in beiden Stufen rechtsstaatlich ausgestaltetes Nachprüfungsverfahren zu schaffen, in dem insbesondere auch der allgemeine Grundsatz des fairen Verfahrens gelten soll (vgl. Jaeger in: Byok/Jaeger, Komm. z. Vergaberecht, 2. Aufl. 2005, § 105 Rn. 875; zum rechtsstaatlichen Grundprinzip BVerfG, Beschluss v. 29.04.1954, 1 BvR 328/52 – BVerfGE 3, 377, nach juris Tz. 14; Beschluss v. 09.05.1962, 2 BvL 13/60 – BVerfGE 14, 56, in juris Tz. 43 ff.; Beschluss v. 24.11.1964, 2 BvL 19/63 – BVerfGE 18, 241, in juris Tz. 54 ff.).
II. Eine Zuständigkeit des Vergabesenats des Oberlandesgerichts für Entscheidungen über eine in Betracht kommende Besorgnis der Befangenheit von Mitgliedern der Vergabekammer in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren ist – außerhalb eines Beschwerdeverfahrens – nicht begründet. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob das Ablehnungsverfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten oder durch Selbstanzeige des betroffenen Kammermitglieds in Gang gesetzt worden ist.
1. Die speziellen verfahrensrechtlichen Vorschriften für das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Vierter Teil, enthalten weder ausdrücklich noch durch Verweisung eine Regelung über das Ablehnungsverfahren.
Für die Ablehnung von Mitgliedern der Vergabekammer sind die Vorschriften des einschlägigen Verwaltungsverfahrensgesetzes unmittelbar anwendbar. Diese Vorschriften sehen im Ablehnungsverfahren eine Vorlage an ein Gericht nicht vor.
a) Nach wohl einhelliger Auffassung ist das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer seinem Wesen nach ein Verwaltungsverfahren.
aa) Die Vergabekammer ist als Teil der Verwaltung eine Behörde; sie ist kein Gericht im Sinne von Art. 92 GG (vgl. nur OVG Hamburg, Beschluss v. 30.06.2005, 1 Bs 182/05 – NVwZ 2005, 1447; Stockmann in: Dreher/Stockmann, Kartellvergaberecht, 4. Aufl. 2008, § 105 Rn. 10 m.w.N.; Portz in: Kulartz/Kus/Portz, Komm. z. GWB, 2006, § 105 Rn. 3). Unter einem Gericht versteht man nicht nur eine unabhängige, sondern vor allem auch eine von den Verwaltungsbehörden getrennte Institution (vgl. Art. 20 Abs. 2 GG). Die Vergabekammern werden hingegen bei der Exekutive eingerichtet, von ihr organisiert und auch besetzt.
Allein der Umstand, dass den Mitgliedern der Vergabekammer für die Ausübung ihrer Tätigkeit eine richterähnliche Rechtsstellung in Form einer Unabhängigkeit im Rahmen der Gesetze eingeräumt worden ist, im Übrigen aber keine richtergleiche Rechtsstellung, steht der Behördeneigenschaft der Vergabekammern nicht entgegen.
Dies verleiht der Vergabekammer lediglich einen besonderen Status innerhalb der Behördenstruktur. Ebenso ist insoweit nicht erheblich, ob einer Vergabekammer Gerichtsqualität i.S. von Art. 267 AEUV ( vorher: Art. 234 EG bzw. Art. 177 EGV ) zukommt oder nicht (vgl. hierzu Stockmann, a.a.O., § 105 Rn. 11).
bb) Die Entscheidungen der Vergabekammer ergehen durch einen Verwaltungsakt.
cc) Der Charakter des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer als Verwaltungsverfahren zeigt sich schließlich auch in mehrfachen Verweisungen des Gesetzgebers auf Vorschriften des Verwaltungsverfahrens bzw. in Parallelen zum Verwaltungsverfahren.
b) Dessen Vorschriften sind für das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer anzuwenden, soweit Rechtsvorschriften des Bundes zum Nachprüfungsverfahren keine inhaltsgleichen oder entgegenstehenden Bestimmungen enthalten. Das ist beim Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wie ausgeführt, nicht der Fall.
c) Aus den vorgenannten Gründen kommt eine unmittelbare Anwendung des § 54 Abs. 1 VwGO, der für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die entsprechende Geltung der §§ 41 bis 49 ZPO verweist, nicht in Betracht. Eine Vergabekammer erfüllt die Voraussetzungen nach §§ 1 f. VwGO, ein Verwaltungsgericht zu sein, nicht.
d) Nach § 71 Abs. 3 S. 4 VwVfG i.V.m. §§ 20 Abs. 4 und 21 Abs. 1 und 2 VwVfG entscheidet über ein Befangenheitsgesuch bzw. eine Selbstanzeige grundsätzlich die Vergabekammer selbst unter Ausschluss des betroffenen Mitglieds, allerdings stets in einer Besetzung mit drei Mitgliedern (wegen der vorrangigen Spezialregelung des § 105 Abs. 2 S. 1 GWB). Kommt es auf Grund von Ablehnungsgesuchen bzw. Selbstanzeigen zur Beschlussunfähigkeit der Vergabekammer und zur Erschöpfung der behördlich vorgesehenen Vertretungskette, so hat nach allgemeiner Auffassung zum Verwaltungsverfahrensrecht das für die Einsetzung des Ausschusses zuständige Organ über die Besorgnis der Befangenheit sowie – im Falle der Begründetheit des Ablehnungsgesuchs und der Selbstanzeigen – über die Besetzung der Vergabekammer zu entscheiden (vgl. Sachs/Bonk in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 71 Rn. 39; Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 71 Rn. 22).
3. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Ablehnung von Mitgliedern der Vergabekammer nicht eröffnet sei, wären diese Vorschriften entsprechend anwendbar.
a) Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers liegt allerdings eine planwidrige Gesetzeslücke nicht vor. Ausweislich der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes zum Vergaberechtsänderungsgesetz (BT-Drs. 13/9340, S. 13 ff.) ging der Gesetzgeber von einer unmittelbaren subsidiären Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes bzw. der Länder aus (vgl. BT-Drs. 13/9340, zu § 118 RegE, zu § 120 RegE – beide S. 18, linke Spalte; zu § 124 Abs. 3 RegE – S. 19, rechte Spalte). Im Übrigen orientierte er sich an den Regelungen zum kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren (so auch Dreher in: Dreher/ Stockmann, a.a.O., vor §§ 97 ff. Rn. 126 f.).
b) Angesichts der Absicht des Gesetzgebers, ein zweistufiges, in beiden Stufen rechtsstaatlich ausgestaltetes Nachprüfungsverfahren zu schaffen, in dem insbesondere auch der allgemeine Grundsatz des fairen Verfahrens gelten soll, liegt dem Verfahren vor der Vergabekammer jedenfalls die Vorstellung zugrunde, dass die Nachprüfung von nicht beteiligten und nicht vorbefassten Dritten ausgeübt werden soll (vgl. Jaeger in: Byok/Jaeger, Komm. z. Vergaberecht, 2. Aufl. 2005, § 105 Rn. 875; zum rechtsstaatlichen Grundprinzip BVerfG, Beschluss v. 29.04.1954, 1 BvR 328/52 – BVerfGE 3, 377, nach juris Tz. 14; Beschluss v. 09.05.1962, 2 BvL 13/60 – BVerfGE 14, 56, in juris Tz. 43 ff.; Beschluss v. 24.11.1964, 2 BvL 19/63 – BVerfGE 18, 241, in juris Tz. 54 ff.).
Eine bestimmte Vorgabe für das Vorgehen bei der Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzungen, also für das Ablehnungsverfahren, resultiert hieraus jedoch nicht. Insbesondere ist es nicht notwendig, von vornherein eine richterliche Entscheidung über die ordnungsgemäße Besetzung herbeizuführen.
c) Erachtet man die verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften nicht unmittelbar für anwendbar, so läge deren analoge Anwendung näher als die analoge Anwendung von Bestimmungen über ein gerichtliches Ablehnungsverfahren und insbesondere der Vorschrift des § 45 Abs. 3 ZPO über die Ersatzzuständigkeit des im Rechtszug zunächst höheren Gerichts (im Ergebnis wie hier: Portz in: Kulartz/Kus/Portz, a.a.O., § 105 Rn. 4 f.; Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 105 Rn. 6; Diemon-Wies in: Hattig/Maibaum, Praxiskomm. Kartellvergaberecht, 2010, § 105 Rn. 37 ff.).
Für den Fall, dass der Senat zur Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder der Vergabekammer berufen wäre, und weiter unterstellt, dass alle Ablehnungsgesuche bzw. Selbstanzeigen in der Sache begründet wären, so wäre das Ablehnungsverfahren in der Ersatzzuständigkeit des Senats nicht geeignet, eine beschlussfähige unparteiliche Nachprüfungsinstanz zu bestimmen.
Schließlich wird den Beteiligten eine in letzter Instanz gerichtliche Prüfung der ordnungsgemäßen Besetzung der Vergabekammer nicht abgeschnitten. Es ist allgemein anerkannt, dass die Entscheidung der Vergabekammer im Ablehnungsverfahren nicht selbständig angefochten werden kann (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss v. 28.04.2008, VII-Verg 24/08, zitiert nach juris, m.w.N.).
Die Entscheidung der Vergabekammer in der Hauptsache unterliegt jedoch der gerichtlichen Nachprüfung; im Rahmen des Beschwerdeverfahrens kann unter anderem auch die fehlerhafte Besetzung der Vergabekammer geltend gemacht werden.