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BGH 12.10.2021, EnZR 43/20: Vermeidung von Interessenkonflikten durch „chinese walls“

Eine Gesellschaft beteiligte sich an einem Vergabeverfahren ihrer eigenen Mutter – einer deutschen Gemeinde. Als die Eigengesellschaft den Zuschlag erhalten sollte, kam ein Streit über das Vorliegen eines Interessenkonfliktes auf. Der Bundesgerichtshof stellt spannende Ansätze zur Vermeidung von Interessenkonflikten auf (Stichwort: „chinese walls“).

Ausgangssachverhalt

Die deutsche Stadt Bargteheide schrieb die Vergabe des kommunalen Wegenetzes zur leitungsgebundenen Energieversorgung aus. Am Vergabeverfahren beteiligte sich unter anderem die „Stadtwerke Bargteheide GmbH“, eine Eigengesellschaft der Stadt. Der Geschäftsführer der Eigengesellschaft war zugleich Leiter der Abteilung Finanzen und Gebäudewirtschaft der Stadt Bargteheide. Die Sachbearbeiterin im Vergabeverfahren unterstand unmittelbar diesem Abteilungsleiter und dieser unterstand wiederum dem Büroleiter der Bürgermeisterin. Letztlich beschloss die Stadtvertretung, mit der Eigengesellschaft den (Konzessions) Vertrag abzuschließen. Eine unterlegene Bieterin erhob dagegen Klage.

Entscheidung

Der BGH erkannte in der Konstellation einen Interessenkonflikt, weil keine organisatorische und personelle Trennung zwischen der Vergabestelle und der Eigengesellschaft als Zuschlagsempfängerin gegeben war. Um einen Interessenkonflikt zu vermeiden, muss durch eine vollständige Trennung der Organisationsstruktur bei der Auftraggeberin sichergestellt werden, dass ein Informationsaustausch zwischen der Vergabestelle und den für die Eigengesellschaft handelnden Personen nur innerhalb des Vergabeverfahrens erfolgt („chinese walls“). Die Organisationsstruktur muss ausschließen, dass die Mitarbeiter:innen in Loyalitäts- und Interessenkonflikte geraten und zum „Diener zweier Herren“ werden. Das bloße Fernbleiben von Sitzungen ist hierfür nicht ausreicht. Personelle und organisatorische Trennungen sind auch bei kleineren Gemeinden erforderlich, in denen die Mitarbeiter:innen in vielfältigen beruflichen und persönlichen Beziehungen stehen.

Der Verstoß gegen das Trennungsgebot führt bereits dann zu einer unbilligen Behinderung von Mitbewerbern, wenn nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass sich die fehlende Trennung auf das Vergabeverfahren und die sich daraus ergebende Rangfolge der Bieter:innen ausgewirkt haben kann. Alleine schon die Möglichkeit der Bevorzugung der Eigengesellschaft war somit im gegenständlichen Fall schädlich.

Fazit

Sofern an einem Vergabeverfahren auch eine Eigengesellschaft oder ein Eigenbetrieb teilnehmen soll, kommen öffentliche Auftraggeber:innen nicht um vorherige organisatorische Maßnahmen herum. Es ist diesfalls ratsam, die vergebende Stelle organisationsintern dort anzusiedeln, wo schon dem äußeren Anschein nach die Gefahr eines Interessenskonflikts bzw eines Wissenstransfers ausgeschlossen ist.