von Thomas Ax
Das Leistungsbestimmungsrecht ist das Recht des Auftraggebers, den genauen Inhalt der gewünschten vertraglichen Leistung weitestgehend selbst zu bestimmen. Auch im Rahmen von Beschaffungen der öffentlichen Verwaltung gilt der Grundsatz, dass der Einkäufer entscheidet, was er beschaffen will. Dieser Grundsatz ist Ausfluss der Vertragsfreiheit. Für das Vergaberecht bedeutet das: Der Auftraggeber entscheidet grundsätzlich über das „ob und was“ der Beschaffung. Das Vergaberecht regelt die Art und Weise, also das „wie“ der Beschaffung.
Das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers ist dem Vergabeverfahren vorgelagert. Es wird vom Vergaberecht nicht ausdrücklich geregelt, steht aber mit vergaberechtlichen Regelungen in Wechselwirkung. Einige vergaberechtliche Normen schränkten die Freiheit des Auftraggebers daher mittelbar ein:
Der Auftraggeber muss darauf achten, dass er den Wettbewerbs-, Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn er die Leistungsparameter zu stark einschränkt und dadurch einzelne Bieter ohne sachlichen Grund vom Wettbewerb ausschließt.
Der Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung (vgl. § 31 Abs. 6 VgV) soll verhindern, dass der öffentliche Auftraggeber die Leistung so beschreibt, dass er den Zuschlag zwangsläufig nur noch auf das von ihm bevorzugte Produkt erteilen kann.
Der Auftrag muss zum Zeitpunkt der Bekanntmachung vergabereif sein. Daher sollte der Auftraggeber die Leistungsbeschreibung zum Zeitpunkt der Bekanntmachung fertig gestellt haben und den Bietern zur Verfügung stellen können.
Der Grundsatz der Vergabereife ist auch bieterschützend. Bieter können sich also im Wege eines Nachprüfungsverfahrens wehren, wenn sie der Auffassung sind, dass ein Auftrag noch nicht vergabereif ist und die Leistungsbeschreibung daher nicht alle Aspekte der Leistung berücksichtigt.
Die Rechtsprechung ist weitgehend einzelfallbezogen. Das OLG Düsseldorf hat aber Kriterien entwickelt, anhand derer die Leistungsbestimmung des Auftraggebers zu prüfen ist:
- Die Bestimmung des Leistungsgegenstandes muss sachlich gerechtfertigt sein.
- Der Auftraggeber muss für seine Leistungsbestimmung nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angeben.
- Die Bestimmung der Leistung muss willkürfrei erfolgen.
- Die Gründe für die Bestimmung der Leistungen müssen tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sein.
- Die Bestimmung des Leistungsgegenstands darf andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren.
Das OLG Düsseldorf ging 2016 mit Blick auf das neue Vergaberecht davon aus, dass eine Markterkundung nicht erforderlich ist. Anderes hatte der EuGH im Jahr 2009 für einen durchaus ähnlich gelagerten Fall entschieden. Die Rechtslage ist hier derzeit nicht abschließend geklärt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Direktvergaben im Wege von Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. § 14 Abs. 6 VgV sieht nämlich vor, dass ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Bieter nur durchgeführt werden darf, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsparameter ist. Ob eine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung vorhanden ist, kann gegebenenfalls nur durch eine Markterkundung geklärt werden.
Grundsätzlich ist immer, wenn es möglich ist, auch Wettbewerb zu schaffen. Zum Beispiel in dem der Auftraggeber mindestens drei Angebote einholt. Zuletzt entschieden vom OLG Rostock im November 2021 im Hinblick auf die Luca-App. Das OLG hatte die Leistungsbestimmung als rechtmäßig angesehen. Allerdings hätte der Auftraggeber drei Angebote einholen müssen. Denn er wusste zum Zeitpunkt der Vergabe an den Hersteller der Luca-App, dass auch andere Wettbewerber am Markt eine Lösung zur digitalen Kontaktverfolgung anbieten können.
Insgesamt gilt auch hier: Wer schreibt der bleibt. Die Bestimmung des Auftragsgegenstandes ist im Wege eines Vergabevermerks zu dokumentieren und zu begründen. Andernfalls besteht das Risiko, dass Nachprüfungsinstanzen ein Vergabeverfahren aufgrund von Dokumentationsmängeln aufheben, obwohl die Bestimmung des Leistungsgegenstandes eigentlich nicht zu beanstanden ist.
„Nachteile“ des Leistungsbestimmungsrechts
Der weite Ermessensspielraum der Auftraggeber bei der Bestimmung der Leistung zukommt, hat auch Nachteile. Insbesondere trägt der Auftraggeber das Risiko, dass der Leistungsgegenstand tatsächlich nicht geeignet ist. Es ist nicht die Aufgabe des Vergaberechts, den Auftraggeber vor technischen und wirtschaftlichen unsinnigen Aufträgen zu schützen, so das OLG Düsseldorf.
Bieter haben zudem grundsätzlich kaum Möglichkeiten, auf die Leistungsbestimmung Einfluss zu nehmen.