Ax Vergaberecht

  • Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd
  • +49 (0) 6223 868 86 13
  • mail@ax-vergaberecht.de

Das Unterbleiben und die Begründung für das Unterbleiben der Bildung eines Fachloses ist zu dokumentieren

von Thomas Ax

Wenn die Bildung eines Fachloses unterbleibt ist das Unterbleiben und die Begründung für das Unterbleiben zu dokumentieren. Andernfalls ist das in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 5 EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A, §§ 20 EU VOB/A, 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 11 VgV verankerte Transparenzgebot verletzt. Gemäß §§ 97 Abs. 4 Satz 3 GWB, 5 EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 VOB/A dürfen mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Die Fachlosvergabe bildet im Sinne eines an den Auftragsgeber gerichteten bieterschützenden vergaberechtlichen Gebots den Regelfall. Eine zusammenfassende Vergabe darf nach dem gesetzgeberischen Willen demgegenüber nur in Ausnahmefällen erfolgen. (Antweiler, in: Burgi/Dreher, Beck´scher Vergaberechtskommentar, GWB 4. Teil, 3. Auflage 2017, § 97 Abs. 4 Rn. 51). Kommt eine solche Ausnahme von dem Regelfall der Fachlosvergabe in Betracht, hat sich der Auftraggeber in besonderer Weise mit dem grundsätzlichen Gebot einer Fachlosvergabe und den im konkreten Fall dagegensprechenden Gründen auseinanderzusetzen. Hierbei bedarf es einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden wirtschaftlichen oder technische Gründe überwiegen müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.03.2012, VII-Verg 92/11; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18; Kus, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 185). Das bloße Überwiegen ist hierbei ausreichend, d.h. die für die Zusammenfassung der Lose sprechenden Gründe müssen gegenüber den Schutzinteressen des Mittelstands nicht in einem gesondert gewichteten Verhältnis stehen (Meckler, Grenzen der Verpflichtung zur Losvergabe nach vergaberechtlicher Rechtsprechung, NZBau 8/2019, S. 492, 493). Die wirtschaftlichen oder technischen Gründe müssen sich auf das jeweilige Fachgewerk beziehen. Das gesamte Vorhaben betreffende Überlegungen sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie auch und gerade das jeweilige Fachgewerk erfassen (OLG München, Beschluss vom 09.09.2015, Verg 1/15). Wirtschaftliche Gründe i.d.S. liegen bei einer Verzögerung des Gesamtvorhabens vor (Ziekow, in: Ziekow/Völlink; Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 89; Kus, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 185); Welche Anforderungen an das Maß der Verzögerung zu stellen sind, ist jedoch umstritten (deutliche Verzögerung (Ziekow, in: Ziekow/Völlink; Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 89) oder auch einfache, jedenfalls nicht zu vernachlässigende Verzögerungen (Kus, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 185)).

Der Maßstab der rechtlichen Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen ist hierbei darauf beschränkt, ob die Entscheidung des Auftraggebers auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf Fehlbeurteilung, insbesondere auf Willkür, beruht. Dabei ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen auch zu berücksichtigen, dass das Vergaberecht nicht nur Bieterrechte eröffnet, sondern auch eine wirtschaftliche Leistungsbeschaffung gewährleisten soll. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht verpflichtet, bestimmte Märkte oder Marktteilnehmer zu bedienen. Er allein bestimmt vielmehr im Rahmen der ihm übertragenen öffentlichen Aufgaben seinen Beschaffungsbedarf und die Art und Weise, wie dieser zu decken ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.03.2012, VII-Verg 92/11; Kus, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 186). Um eine derartige rechtliche Kontrolle zu ermöglichen, gebietet das in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB verankerte Transparenzgebot, dass der öffentliche Auftraggeber den Gang und die wesentlichen Entscheidungen des Vergabeverfahrens in den Vergabeakten dokumentiert. Aus Gründen der Transparenz hat die Dokumentation zeitnah zu erfolgen und ist laufend fortzuschreiten. (Kus, in: Kulartz/Jus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 200; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.02.2011, 1 VK 02/11). §§ 5 EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A, §§ 20 EU VOB/A, 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 11 VgV konkretisieren dieses Gebot dahingehend, dass der öffentliche Auftraggeber ein Abweichen vom Gebot der Losaufteilung im Vergabevermerk zu begründen hat. Zweck dieser Dokumentation ist es, die Entscheidung der Vergabestelle transparent und für Bieter und Nachprüfungsinstanzen überprüfbar zu machen. Die im Vergabevermerk niedergelegten Angaben und Gründe für die getroffene Entscheidung müssen daher so detailliert sein, dass sie für einen mit der Sachlage des konkreten Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar sind (Kus, in: Kulartz/Jus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 200; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.02.2011, 1 VK 02/11). Für Entscheidungen, bei denen mehrere Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen sind, sodass der Vergabestelle ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zukommt, bestehen erhöhte Anforderungen an den Umfang der Dokumentation. Diesbezüglich erfordert die Dokumentationspflicht eine ausführliche Begründung des Entscheidungsprozesses mit seinem Für und Wider sowie eine detaillierte Begründung der getroffenen Entscheidung. Dies betrifft gerade die Gründe für oder gegen eine Losaufteilung (Düsterdiek, in: Leupertz/v. Wietersheim, VOB Kommentar, 20. Auflage 2017, § 20 EU VOB/A Rn. 7). Werden wesentliche Gesichtspunkte nicht dokumentiert, ist eine sachgerechte Prüfung mangels nachvollziehbarer Dokumentation nicht möglich. Eine insoweit fehlende Dokumentation hat zu Lasten des Auftraggebers die Vermutung des Nichtvorliegens der zu dokumentierenden Tatsache zur Folge (Franke/Pauka, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen/Mertens, VOB Kommentar, 6. Aufl. 2017, § 20 EU VOB/A Rn. 33 f.). Dokumentationsmängel führen dazu, dass das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt, in dem die Dokumentation unzureichend ist, zu wiederholen ist (Franke/Pauka, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen/Mertens, VOB Kommentar, 6. Aufl. 2017, § 20 EU VOB/A Rn. 35).

Eine Nachholung der fehlenden Dokumentation ist nur bedingt möglich. Zwar können Dokumentationsmängel durchaus geheilt werden. Zu differenzieren ist insoweit jedoch zwischen den gemäß §§ 20 EU VOB/A, 8 VgV mindestens niederzulegenden Angaben und Gesichtspunkten, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll. Eine Überprüfung letzterer auf ihre Stichhaltigkeit kann der Vergabestelle schwerlich generell unter dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden. Der Auftraggeber kann im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Argumenten präkludiert werden, die nicht zeitnah im Vergabevermerk niedergelegt worden sind. Die zeitnahe Führung des Vergabevermerks dient dem Schutz der Transparenz des Vergabeverfahrens sowie der Entgegenwirkung von Manipulationen. Mit Blick hierauf und unter Berücksichtigung des vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes können Dokumentationsmängel im Vergabevermerk nicht generell und unabhängig von deren Gewicht und Stellenwert im Nachprüfungsverfahren unberücksichtigt bleiben. Eine Anordnung der Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens sollte vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass eine Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren zur Gewährleistung einer wettbewerbskonformen Auftragserteilung nicht ausreichen könnte (BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB 4/10; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18). Der Auftraggeber kann Lücken in der Dokumentation folglich durch Vortrag im Nachprüfungsverfahren schließen, solange kein gänzlich neuer und bislang unbekannter Sachverhalt vorgetragen wird (Kus, in: Kulartz/Jus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 GWB Rn. 200; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019, Verg 10/18). VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.09.2019 – 1 VK 51/19