Ax Vergaberecht

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Effektives und vergaberechtskonformes Rügemanagement (6)

von Thomas Ax

Grundsätzlich ist der öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffungsentscheidung für eine bestimmte Leistung frei (sog. Bestimmungsfreiheit). Diese Entscheidung erfolgt vor dem eigentlichen Vergabeverfahren. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur wie (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 08.07.2021 – 19 Verg 2/21). Konsequenz dessen ist, dass die Vergabenachprüfungsinstanzen grundsätzlich auch nur das “wie” ins Auge fassen.

Da das Vergaberecht jedoch den Zweck erfüllt, das öffentliche Beschaffungswesen für den Wettbewerb zu öffnen und die Warenverkehrsfreiheit im europäischen Binnenmarkt zu gewährleisten, sind der Bestimmungsfreiheit Grenzen gesetzt. Vor diesem Hintergrund statuiert § 36 Abs. 6 VgV sowie die korrespondierenden Vorschriften – etwa § 7 Absatz 2 VOB/A – das Gebot der produktneutralen und das Verbot der produktspezifischen Ausschreibung (vgl. BT-Drs. 18/7318, Seite 172; VK Westfalen, Beschluss vom 16.03.2022 – VK 2-7/22). Nach dieser Vorschrift darf in der Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt oder der Auftragsgegenstand kann nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden.

Eine produktspezifische Ausschreibung ist daher nur dann vergaberechtskonform, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden – daher festzustellen und notfalls erwiesen sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18 sowie Beschluss vom 13.04.2016, Verg 47/15 und Beschluss vom 01.08.2012, Verg 10/12; OLG München, Beschluss vom 26.03.2020, Verg 22/19; OLG Jena, Beschluss vom 25.06.2014, 2 Verg 1/14; OLG Celle Beschluss vom 31.03.2020, 13 Verg 13/19).

Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser ist durch die Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar (vgl. VK Bund, Beschluss vom 16.03.2015 – VK 2-9/15). Die Entscheidung muss allerdings “lediglich” nachvollziehbar begründet und dokumentiert – mithin plausibel – sein (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 30.08.2016 – Verg 47/15, und Beschluss vom 16.09.2015 – 3 VK LSA 62/15). Wird die Plausibilität der Erwägungen des öffentlichen Auftraggebers bejaht, beanstanden die Nachprüfungsinstanzen die Entscheidung nicht mehr in fachlicher Hinsicht (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, 01.08.2012, Verg 10/12; VK Westfalen, Beschluss vom 16.03.2022 – VK 2-7/22). Der öffentliche Auftraggeber ist nicht gehalten, Ausschreibungen so zu gestalten, dass sämtliche interessierten Unternehmen mit den von ihnen favorisierten Produkten bieten oder sich bewerben dürfen.

Allerdings müssen die Gründe, die aus Sicht des Auftraggebers für eine produktscharfe Ausschreibung streiten, dokumentiert und die Erwägungen, die zu den maßgeblichen Entscheidungen geführt haben, niedergelegt werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18). Denn die Darlegungslast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liegt beim öffentlichen Auftraggeber (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18; OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 – 13 Verg 13/19).