von Thomas Ax
Ein Angebot ist aufgrund von unzulässigen Änderungen an den Vergabeunterlagen von der weiteren Wertung gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A auszuschließen.
Gemäß § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A und § 53 Abs. 7 Satz 1 VgV sind Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig. Das betreffende Angebot ist gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A zwingend von der Wertung auszuschließen. Der Regelungszweck dieser Vorschriften besteht darin, das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages mit übereinstimmenden Willenserklärungen zu gewährleisten (OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 02.12.2014 – 11 Verg 7/14 = VergabeR 2015, Seite 591 ff., 595). Der öffentliche Auftraggeber braucht sich nicht auf einen Streit über den Inhalt des Angebots bzw. des gegebenenfalls abgeschlossenen Vertrages einzulassen. Gleichermaßen betrifft diese Regelung jedoch auch die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Gleichbehandlung der Bieter: Dadurch, dass jeder Bieter nur das anbieten darf, was der öffentliche Auftraggeber auch tatsächlich nachgefragt hat, und sich keinen Wettbewerbsvorteil dadurch verschaffen darf, dass er von den Ausschreibungsvorgaben abweicht (Ausnahme: Nebenangebot), ist gewährleistet, dass nur solche Angebote gewertet werden, die in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Hinsicht miteinander vergleichbar sind (BGH, Urteil vom 16.04.2002 – X ZR 67/00). Andernfalls wäre es dem Auftraggeber nicht möglich, unter sämtlichen Angeboten dasjenige zu ermitteln, dass im Vergleich zu den anderen das wirtschaftlichste im Sinne der §§ 16d EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/A, 58 Abs. 2 VgV, 127 GWB ist (vgl. Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 VgV, Rn. 50, m. w. N.).
Unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen liegen immer dann vor, wenn ein Bieter etwas anderes anbietet, als vom öffentlichen Auftraggeber nachgefragt. In solchen Fällen ist nicht gewährleistet, dass nur solche Angebote gewertet werden, die in jeder Hinsicht miteinander vergleichbar sind, vgl. Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 57 VgV, Rn. 50 ff. Irrelevant ist, ob sich die Änderungen in den Vergabeunterlagen selbst manifestieren oder in anderer Weise, etwa dadurch, dass in einem zusätzlichen Begleitschreiben Vorbehalte oder Einschränkungen (dieses Angebot gilt unter der Annahme, dass ###) formuliert werden (vgl. Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, 4. Auflage 2018, § 53, Rn. 33).
Wie bereits aus dem Wortlaut der §§ 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2, 16 EU Nr. 2 VOB/A deutlich wird, kommt es bei diesem Tatbestand auf die Wettbewerbsrelevanz, Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit einer Änderung der Vergabeunterlagen nicht an (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2015 – 13 Verg 12/14 = VergabeR 2015, S. 580 ff., 587, m. w. N.). Der Bieter ist vielmehr ohne Einschränkungen an die in den Vergabeunterlagen im einzelnen präzisierte Nachfrage des öffentlichen Auftraggebers gebunden (vgl. Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 VgV, Rn. 56).
Die Vergabeunterlagen sind hinsichtlich des wirklichen und erkennbaren Willens des öffentlichen Auftraggebers aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, auszulegen. Das heißt, entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive des potentiellen Bieterkreises (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013, X ZR 155/10; Urteil vom 20.11.2012 – X ZR 108/10, und Urteil vom 10.06.2008 – X ZR 78/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.01.2022 – Verg 23/21, S. 14 BA, Beschluss vom 17.02.2016, Verg 41/15, und Beschluss vom 05.11.2014 – Verg 21/14; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.12.2014 – 11 Verg 7/14).
Bietet das Unternehmen im Vergleich zur ausgeschriebenen Realisierung ein Aliud an, ist diese Abweichung auch nicht als zulässige, gleichwertige Abweichung von den technischen Spezifikationen i. S. d. § 13 EU Abs. 2 VOB/A einzustufen. Danach kann eine Leistung, die von den vorgesehenen technischen Spezifikationen nach § 7a EU Abs. 1 VOB/A abweicht, angeboten werden, wenn sie mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist. Die Abweichung ist dann aber ausdrücklich im Angebot zu bezeichnen und die Gleichwertigkeit mit dem Angebot nachzuweisen.
Technische Spezifikationen sind technische Regelwerke, Normen oder allgemeine Eigenschafts- oder Funktionsbeschreibungen (vgl. Ziffer 1 der Anlage TS zur VOB/A-EU), nicht jedoch die individuell auf das konkrete Bauvorhaben bezogenen technischen Angaben (vgl. OLG München, NZBau 2008, 794; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, 188; ebenso OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.01.2014 – Verg W 2/14, zitiert nach ibr-online). Überdies hat die Antragstellerin eine vermeintliche Gleichwertigkeit auch nicht, wie von § 13 EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A gefordert, mit dem Angebot nachgewiesen.
Der Ausschlusstatbestand des § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A greift in Fällen, in denen im Angebot etwas anderes offeriert wird als in den Vergabeunterlagen verlangt, d.h. inhaltliche Abweichungen von den verbindlichen fachlichen Vorgaben der Ausschreibung vorliegen. Dabei ist unerheblich, ob es sich um wichtige oder eher weniger bedeutende Änderungen handelt (vgl. VK Rheinland, Beschluss vom 20.05.2022 – VK 7/22, zitiert nach ibr-online). Der Angebotsausschluss ist zwingend, dem Auftraggeber steht kein Ermessen zu (vgl. BGH, 01.08.2006 – X ZR 115/04; OLG Düsseldorf, 22.03.2017 – Verg 54/16).
Eine den Angebotsausschluss begründende Änderung an den Vergabeunterlagen liegt bereits dann vor, wenn das Angebot von einer einzigen Vorgabe der Leistungsbeschreibung inhaltlich abweicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 10.06.2011 – 15 Verg 7/11), wobei unbeachtlich ist, ob die Vorgabe als fachlich richtig, zweckmäßig oder technisch sinnvoll angesehen wird oder nicht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2015 – 13 Verg 12/14), und ob die Änderung absichtlich oder versehentlich erfolgte (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.05.2011 – 1 VK 17/11).