vorgestellt von Thomas Ax
1. Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VOB/A 2019 vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen.
2. Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren (hier verneint).
VK Bund, Beschluss vom 16.02.2023 – VK 1-1/23 (nicht bestandskräftig; Beschw: OLG Düsseldorf, Az. Verg 3/23)
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin führt derzeit europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe “Montage von Schutzplanken am Mittelstreifen und Außenrand […]” durch. Zuschlagskriterium ist der Preis.
Nach Ziffer 5 der Aufforderung zur Angebotsabgabe war die Abgabe mehrerer Hauptangebote zugelassen. In der Baubeschreibung hieß es unter:
“Ziffer 1.1.1 Zweck, Nutzung
[…]
Am rechten Fahrbahnrand ist in den Abschnitten mit Dammböschung das System […]
Im Mittelstreifen wird in beiden RS hauptsächlich das System […] montiert. […]
Ziffer 1.1.2 Art und Umfang
[…]
Es wird die Verwendung von RAL Systemen gefordert, da die Bemessung der Außenkappe hinsichtlich der Lasteinwirkung des Systems […] bemessen wurde.
Zudem erfolgt nur die Wertung von RAL-Systemen, um die Anzahl der Übergänge und Systeme zu minimieren, da im Bestand ausschließlich RAL-Systeme vorhanden sind. Mit der Montage des Systems […] wird dem schmalen Bankett im Dammbereich Rechnung getragen.
[…]
Ziffer 3.5 Stoffe, Bauteile
[…]
Schutzplankenkonstruktionsteile sind gemäß dem zugehörigen Prüfbericht nach DIN EN 1317, den TL-SP oder den RAL RG 620 zu liefern und fachgerecht unter Beachtung der ZTV-FRS 2013 zu montieren und müssen mit den Angaben in der Einbauanleitung übereinstimmen.
Für Schutzplankenteile anderer neuer Stahlsysteme, die nicht in TL-SP oder RAL RG 620 enthalten und güteüberwacht sind, ist die Gleichwertigkeit (z.B. Eigenüberwachung, Fremdüberwachung, Herstellerkennzeichnung) mit Angebotsabgabe nachzuweisen. […]”
In den Positionen 01.00.0002 bis 0005 des Leistungsverzeichnisses waren jeweils konkrete Schutzeinrichtungssysteme ([…]) für die Schutzplankensysteme vorgegeben, ebenso in den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen.
Die Antragstellerin reichte zwei Hauptangebote ein. Das Hauptangebot Nr. 2 enthielt die im Leistungsverzeichnis aufgeführten Produkte (Schutzeinrichtungen) und lag nach der Submission auf dem dritten Rang. Mit ihrem Hauptangebot Nr. 1 bot die Antragstellerin andere als die im Leistungsverzeichnis bezeichneten Schutzeinrichtungen an. Es handelte sich hier um die Positionen 01.00.0002, 01.00.0004, 01.00.0005 und 01.00.0012 bis 01.00.0014, in denen die Antragstellerin jeweils Produkte ihres Systems “[…]” anbot. Das Hauptangebot Nr. 1 lag auf dem ersten Rang.
Mit Bieterinformationsschreiben vom 7. Dezember 2022 teilte die Antragsgegnerin gemäß § 134 GWB der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erteilt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei. Für den Zuschlag sei das Angebot eines anderen Bieters vorgesehen.
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 8. Dezember 2022 die geplante Zuschlagserteilung und verwies auf ihr nach der Submission an erster Stelle liegendes Hauptangebot Nr. 1. Die Antragsgegnerin teilte am 14. Dezember 2022 mit, das Hauptangebot Nr. 1 sei von der Vergabe ausgeschlossen worden. Eine Bieterverständigung gemäß § 19 EU VOB/A sei versehentlich nicht versandt worden. Als Ausschlussgrund wurde mitgeteilt, dass das Hauptangebot Nr. 1 in den Ordnungsziffern 01.00.0002, 0004, 0005, 0012 bis 0014 von den Ausschreibungsunterlagen abweiche. Die in der Baubeschreibung geforderte RAL-Zertifizierung der Systeme (Seiten 6 und 7) läge bei den angebotenen Fabrikaten nicht vor.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2022 teilte die Antragsgegnerin im Rahmen einer “Verständigung der Bieter” mit, dass das Angebot der Antragstellerin ausgeschlossen worden sei, weil es gemäß § 16 EU Nr. 8 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 3 Satz 3 VOB/A aus sich heraus nicht zuschlagsfähig sei. Mit weiterem Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 14. Dezember 2022 teilte die Antragsgegnerin mit, der Antragstellerin werde der Zuschlag nicht erteilt, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Zudem versandte die Antragsgegnerin am selben Tag eine Information, mit der sie die Antragstellerin detailliert über die Ausschlussgründe in Bezug auf deren Hauptangebot Nr. 1 unterrichtete.
Am 19. Dezember 2022 rügte die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten, ihr Hauptangebot Nr. 1 sei uneingeschränkt zuschlagsfähig.
Am 21. Dezember 2022 hob die Antragsgegnerin die Ausschreibung auf. Grund sei, dass die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssten (§ 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A). Das Beschaffungsinteresse des Auftragsgebers in den Ausschreibungsunterlagen sei nicht korrekt abgebildet worden. Daher seien Leistungsverzeichnis und Baubeschreibung anzupassen. Die EU-Bekanntmachung wurde am 29. Dezember 2022 im Amtsblatt veröffentlicht (einschließlich eines Links zu den Vergabeunterlagen). Es ist nunmehr nur noch ein Hauptangebot zugelassen. In der geänderten Baubeschreibung heißt es:
“Ziffer 1.1.1 Zweck, Nutzung
[…]
Am rechten Fahrbahnrand wird in den Abschnitten mit Dammböschung ein System H1W4A, welches einen Nachweis für den Einsatz bei beengten Verhältnissen (schmales Bankett) an abfallender Böschung gemäß “Technische Übersichtsliste für Fahrzeug-Rückhaltesysteme in Deutschland”, Stand: 03.03.2022 besitzt (siehe 3.12), montiert.
Im Mittelstreifen wird in beiden FR hauptsächlich ein System H1W4A montiert.
[…]
Ziffer 1.1.2 Art und Umfang
[…]
Um eine schnelle Verfügbarkeit von Ersatzteilen und dem Fördern des Wettbewerbs bei späteren Reparaturaufträgen zu erreichen, ist es erforderlich, dass die anzubietenden Schutzplanken-Systeme mind. von drei Herstellern gefertigt werden müssen. […]
Ziffer 3 Angaben zur Ausführung
[…]
Im Sinne einer schnellst- und größtmöglichen Verfügbarkeit von Ersatzteilen sowie einer Förderung des Wettbewerbs bei künftigen Reparaturaufträgen dürfen jeweils nur solche Schutzeinrichtungssysteme aus Stahl angeboten und eingesetzt werden, die zum Zeitpunkt des Ablaufs der Angebotsfrist von mindestens drei verschiedenen Herstellern produziert werden. […]”
In den Positionen 01.00.0001, 0002, 0004 und 0005 des Leistungsverzeichnisses werden nun Schutzeinrichtungen nach den “Technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeug- Rückhaltesystemen in Deutschland” einschließlich u.a. Angaben zur Aufhaltestufe, Wirkungsbereichsklasse und Anprallheftigkeitsstufe vorgegeben. In den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen lautet die Vorgabe ÜK/ÜE mit “H1W4A” bzw. “H2W4B”.
Am 29. Dezember 2022 rügte die Antragstellerin die Aufhebungsmitteilung der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin wies die Rüge am 30. Dezember 2022 zurück. Nach der Prüfung der geänderten Vergabeunterlagen rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Januar 2023, dass das Anbieten anderer Schutzeinrichtungen als derjenigen, die in der ersten Ausschreibung als Leitprodukt angegeben waren, auch schon seinerzeit möglich gewesen sei und sich aus der neuen Ausschreibung keine technischen Veränderungen im Vergleich zur Altausschreibung ergeben würden.
2. Die Antragstellerin beantragte am 12. Januar 2023 mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am nächsten Tag an die Antragsgegnerin übermittelt.
a) Der Nachprüfungsantrag ist nach Auffassung der Antragstellerin zulässig und begründet.
Rügeversäumnisse liegen nach ihrer Auffassung nicht vor. Die Antragsgegnerin habe das ursprüngliche Verfahren am 21. Dezember 2022 aufgehoben. Dieses sei damit beendet. Die Aufhebung stelle keine Rügezurückweisung der ursprünglichen Rügen der Antragstellerin bezüglich des Ausschlusses ihres Hauptangebots Nr. 1 dar.
Die Aufhebung der Ausschreibung sei zu revidieren und das Vergabeverfahren fortzuführen. Ein öffentlicher Auftraggeber könne zwar eine Ausschreibung auch ohne einen zur Aufhebung berechtigenden Grund (§ 17 EU Abs. 1 VOB/A) wirksam aufheben, dies gelte allerdings nicht, wenn die Aufhebung willkürlich erscheine oder wenn bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Aufhebung das Ziel hatte, ein bestimmtes Angebot nicht zu bezuschlagen. Hier liege eine willkürliche Aufhebung vor. Die Antragsgegnerin wolle das zuschlagsfähige Hauptangebot Nr. 1 der Antragstellerin unberücksichtigt lassen bei gleichzeitig unveränderten Beschaffungsabsichten. Das im Hauptangebot Nr. 1 angebotene Produkt habe bereits allen geforderten technischen Vorgaben entsprochen. Die von der Antragsgegnerin angeführte vollständige Produktneutralität habe zu keiner wesentlichen Änderung der Vergabeunterlagen geführt. Es seien nur die bisherigen Produktvorgaben entfernt worden. Alle Bieter könnten zwar nach dem neuen Amtsvorschlag produktoffen anbieten, dies sei in der aufgehobenen Ausschreibung allerdings auch bereits der Fall gewesen sei, weil weitere Hauptangebote zugelassen waren. Der Antragsgegnerin gehe es bei der Aufhebung darum, nur denjenigen Bietern die Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen, die sog. RAL-Produkte anbieten und daher die ausgeschriebenen Konstruktionen zu “einheitlichen Preisen” beziehen könnten. Der Antragsgegnerin gehe es um die neun Hersteller, die von der “Gütegemeinschaft Stahlschutzplanken e.V.” lizensiert würden. Diese sollten mit der RAL-Vorgabe im Wettbewerb privilegiert werden.
Die von der Antragstellerin angebotenen Schutzplanken im Hauptangebot Nr. 1 genügten den Vorgaben nach Ziffer 3.5 der alten (Seite 23) und neuen Baubeschreibung. Zugelassen seien Produkte nach DIN EN 1317, den Technischen Lieferbedingungen für Stahlschutzplanke (TL-SP) oder den RAL RG 620. Ein Gleichwertigkeitsnachweis sei im Hauptangebot nicht zu führen.
Die Antragstellerin erfülle zudem für die Produktfamilie “[…]” auch die neue Anforderung der “Drei-Hersteller-Klausel”, mit zwei weiteren Unternehmen aus dem europäischen Ausland.
Vergaberechtlich seien nach wie vor die Folgekosten nicht berücksichtigt. Die reinen Reparaturunternehmen stellten die weitaus größte Anzahl der sog. Schutzplankenunternehmen dar. Sie reparierten unabhängig davon, wer der Hersteller der beschädigten Konstruktion gewesen sei.
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten,
1. der Antragsgegnerin aufzugeben, die am 21. Dezember 2022 vorgenommene Aufhebung des offenen Verfahrens nach EU-Bekanntmachung Nr. […] aufzuheben,
2. die Antragsgegnerin weiter zu verpflichten, erneut in die Wertung der in dem aufgehobenen Vergabeverfahren eingegangenen Angebote einzutreten und ebenso erneut das zweite Hauptangebot der Antragstellerin, Hauptangebot Nr. 1, neu zu werten,
3. hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der Antragstellerin zu verhindern,
4. schließlich der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen und auszusprechen, dass für diese die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.
In der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2023 beantragt der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zudem hilfsweise festzustellen, dass die Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Ausschreibung rechtswidrig gewesen ist.
b) Die Antragsgegnerin beantragt über ihren Verfahrensbevollmächtigten,
1. den Nachprüfungsantrag als unzulässig, mindestens als unbegründet zurückzuweisen,
2. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen und auszusprechen, dass für diese die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.
In der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2023 beantragt die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin den gestellten Hilfsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung zurückzuweisen.
Unabhängig von der Tatsache, dass die Aufhebung zulässigerweise erfolgt sei, fehle es der Antragstellerin an der erforderlichen Antragsbefugnis. Aufgrund des rechtmäßigen Ausschlusses des Hauptangebots Nr. 1 drohe der Antragstellerin durch die Aufhebung der Ausschreibung kein Schaden, weil auf dieses Angebot kein Zuschlag mehr ergehen könne. Außerdem habe die Antragstellerin weder die Ausschluss- noch die Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin rechtzeitig gerügt. Zudem könne der Ausschluss vom Vergabeverfahren auch nicht mehr angegriffen werden, weil insoweit Verfristung gemäß § 160 Abs. Nr. 4 GWB eingetreten sei, denn die Mitteilung der Aufhebung am 21. Dezember 2022 sei zugleich eine Nichtabhilfemitteilung in Bezug auf den von der Antragstellerin zuvor gerügten Ausschluss.
Der Antrag auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens ist nach Auffassung der Antragsgegnerin zudem unbegründet. Es bestehe kein Zwang zum Abschluss des Vertrages. Der öffentliche Auftraggeber könne ein Verfahren auch dann wirksamaufheben, wenn er den Grund selbst verantworte. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens sei selbst bei Rechtswidrigkeit wirksam. Ein Anspruch auf Aufhebung der Aufhebung bestehe somit nicht. Etwas anderes gelte nur, wenn er bei seiner Aufhebungsentscheidung gegen die Grundprinzipien des Vergaberechts verstoße. Dies seien insbesondere die Fälle der sog. Scheinaufhebung, die mit dem Ziel der vorsätzlichen Diskriminierung eines Unternehmens erfolgen würden.
Hier spreche gegen eine Scheinaufhebung schon die Tatsache, dass die Antragsgegnerin eine geänderte Neuausschreibung vorgenommen habe. Neben der Änderung bestimmter LV-Positionen von produktspezifisch in produktneutral, seien in der neuen Baubeschreibung wichtige Vorgaben ergänzt worden (“dürfen nur solche Schutzeinrichtungssysteme aus Stahl angeboten und eingesetzt werden, die zum Zeitpunkt des Ablaufs der Angebotsfrist von mindestens 3 verschiedenen Herstellern produziert wurden”). Das von der Antragstellerin angebotene Produkt “[…]” weise hingegen nur einen Hersteller auf. Dies diene nicht dem Beschaffungsinteresse. In der Praxis sei es wichtig, dass ein Produkt angeboten werde, dass mindestens bei 3 Herstellern bezogen werden könne. Diese essentielle Anforderung sei in der Ausschreibung nicht klar ersichtlich gewesen, obwohl sie jedem fachkundigen Bieter bekannt sei bzw. sein müsse.
Zum rechtmäßigen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin im aufgehobenen Vergabeverfahren trägt die Antragsgegnerin vor, dass das Angebot der Antragstellerin nicht bedingungsgemäß gewesen sei. Sie habe ein Produkt angeboten, das “gewerblichen Schutzrechten” unterliege, da außer ihr kein anderer Hersteller dieses Produkt anbiete. Sie erfülle nicht die von der Antragsgegnerin gewünschten Produkteigenschaften. Die Antragstellerin habe ferner die Gleichwertigkeit mit dem ausgeschriebenen Leitfabrikat nicht mit ihrem Angebot nachgewiesen. Nach den Vergabeunterlagen sei sie dazu verpflichtet gewesen. Die Produkte in den Positionen 01.00.0002, 0004, 0005 wiesen keine RAL-Zertifizierung auf und entsprächen damit nicht den Anforderungen. Die Vorgabe der Verwendung von RAL-Systemen beruhe auf dem Grundsatz einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit. RAL-Systeme böten “die Möglichkeit für alle der Gütergemeinschaft Stahlschutzplanken angehörigen Firmen, diese zu einem einheitlichen Einkaufspreis zu beziehen”. Aufgrund der Vorgabe des konkreten Produkts mit RAL-Zertifikat sei es nicht nötig gewesen, in den Vergabeunterlagen eine gesonderte RAL-Zertifizierung zu fordern.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.
In der mündlichen Verhandlung am 7. Februar 2023 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern.
Die Antragsgegnerin hat Gelegenheit erhalten, zu dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag der Antragstellerin bis zum 10. Februar 2023 Stellung zu nehmen. Sie hat daraufhin mit Schriftsatz vom 9. Februar 2023 vorgetragen, dass sie die Aufhebung für wirksam hält. Die Aufhebung sei wegen grundlegender Änderung der Vergabeunterlagen erforderlich gewesen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A lägen vor, die Umstände seien zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens nicht vorhersehbar und vom öffentlichen Auftraggeber nicht zu verantworten gewesen. Die Antragstellerin hat Frist bis zum 14. Februar 2023, 14 Uhr, erhalten, hierzu Stellung zu nehmen und mit Schriftsatz vom 13. Februar 2023 eine schriftsätzliche Stellungnahme abgegeben.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der zulässige Nachprüfungsantrag, der auf die Fortsetzung des Vergabeverfahrens gerichtet ist, ist im Hauptantrag als unbegründet zurückzuweisen. Der hilfsweise Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung ist mangels Darlegung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig.
1. Der Nachprüfungsantrag ist im Hauptantrag zulässig, aber unbegründet. Die Aufhebung der Ausschreibung ist wirksam. Eine Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens kann die Antragstellerin nicht beanspruchen.
a) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
aa) Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB. Sie macht geltend, durch die Aufhebungsentscheidung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt zu sein. Ihr Interesse an der Fortsetzung des aufgehobenen Vergabeverfahrens hat sie durch ihr Hauptangebot Nr. 1 dokumentiert, das nach der Submission – der Preis ist einziges Zuschlagskriterium – an erster Stelle liegt.
Der Antragstellerin droht durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften infolge der Aufhebung der Ausschreibung ein Schaden gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB.
Es ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht davon auszugehen, dass das Hauptangebot Nr. 1 der Antragstellerin im aufgehobenen Vergabeverfahren zwingend auszuschließen war. Für die im Rahmen der Antragsbefugnis vorzunehmende Prüfung eines drohenden Schadens kann vorliegend nicht eindeutig festgestellt werden, dass das Hauptangebot Nr. 1 einen Ausschlussgrund verwirklicht und daher im Hinblick auf die von der Antragstellerin begehrte Aufhebung der Aufhebungsentscheidung ein Schaden ausgeschlossen ist. Die Antragstellerin ging aufgrund der Vorgaben in den Vergabeunterlagen grundsätzlich zu Recht davon aus, dass sie mehrere Hauptangebote abgeben durfte: So waren nach der Angebotsaufforderung mehrere Hauptangebote explizit zugelassen. Die Antragstellerin konnte aufgrund weiterer Angaben in der Baubeschreibung darauf schließen, dass sie deshalb auch alternative Schutzplankenprodukte (ohne RAL- Gütesiegel) anbieten durfte. Es konnten nach Ziffer 3.5 der alten (und neuen) Baubeschreibung Schutzplankenkonstruktionsteile gemäß dem zugehörigen Prüfbericht alternativ nach DIN EN 1317, den TL-SP oder den RAL RG 620 geliefert und montiert werden. Für Schutzplankenteile anderer neuer Stahlsysteme, die nicht in TL-SP oder RAL RG 620 enthalten und güteüberwacht sind, war ein Nachweis der Gleichwertigkeit (z.B. Eigenüberwachung, Fremdüberwachung, Herstellerkennzeichnung) mit Angebotsabgabe möglich. Zwar waren in den Positionen 01.00.0002 bis 0005 des Leistungsverzeichnisses jeweils konkrete Produktvorgaben ohne Hinweis “oder gleichwertig” für die Schutzplankensysteme ([…]) vorgegeben, ebenso in den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen. An anderer Stelle war die Verwendung von RAL-Systemen vorgegeben. Dies widerspricht aber den Angaben in Ziffer 3.5. Im Ergebnis stellen sich die Vergabeunterlagen als nicht hinreichend eindeutig dar. Aufgrund der Unklarheiten in Baubeschreibung und Leistungsverzeichnis kann – jedenfalls nicht im Sinne eines fehlenden Schadens gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB – zu Lasten der Antragstellerin von einem Ausschluss ihres Angebots im aufgehobenen Verfahren ausgegangen werden. Ihr droht somit durch die Aufhebung der Ausschreibung ein Schaden.
bb) Die Antragstellerin hat die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße rechtzeitig im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB gerügt. Sie hat die Ausschlussentscheidung bezüglich ihres Hauptangebots Nr. 1 nach der Übersendung der verschiedenen Schreiben der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2022 (Rügeantwort, Verständigung der Bieter, § 134 Abs. 1 GWB-Mitteilung) mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 19. Dezember 2022 rechtzeitig gerügt. Nach der Aufhebungsmitteilung vom 21. Dezember 2022 hat sie diese wiederum am 29. Dezember 2022 gerügt. Die weitere Rüge der Antragstellerin am 12. Januar 2023 erfolgte nach Kenntnisnahme und Prüfung der geänderten Vergabeunterlagen mit Schreiben vom 12. Januar 2023. Hierin hat sie detailliert gerügt, dass nach ihrer Auffassung das Anbieten anderer Schutzeinrichtungen als derjenigen, die in der ersten Ausschreibung als Leitprodukt angegeben waren, auch schon seinerzeit möglich gewesen sei und sich aus der neuen Ausschreibung keine technischen Veränderungen im Vergleich zur Altausschreibung ergeben würden. Von einer Präklusion nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB im Sinne einer positiven Kenntnis der geltend gemachten Vergabeverstöße bereits am Tag der erneuten EU-Bekanntmachung vom 29. Dezember 2022 ist dabei nicht auszugehen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Antragstellerin über die bevorstehenden Feiertage – sie hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, es seien Betriebsferien gewesen – nicht bereits am 29. Dezember 2022 positive Kenntnis der von ihr am 12. Januar 2023 geltend gemachten Vergaberechtsverstöße erlangt hat. Vielmehr ist von einer Kenntnis frühestens ab dem 2. Januar 2023 und damit von einer Einhaltung der Frist von zehn Kalendertagen auszugehen. Auf die Rügefrist nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB kommt es hier nicht an, da die Antragstellerin keine Vergabeverstöße im Rahmen der Folgeausschreibung geltend macht, sondern sich auf Vergabeverstöße im Verlauf eines aufgehobenen Vergabeverfahrens beruft, nämlich ihren unrechtmäßigen Ausschluss und die unzulässige Aufhebung der Vorgängerausschreibung.
cc) Nach Zurückweisung der Rüge vom 30. Dezember 2022 hat die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag am 12. Januar 2023 rechtzeitig gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB innerhalb vom 15 Kalendertagen gestellt.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Mitteilung der Aufhebung am 21. Dezember 2022 nicht als Zurückweisung der Rüge vom 19. Dezember 2022 gegen die Ausschlussentscheidung anzusehen. Die 15-Tage-Frist lief daher nicht bereits am 5. Januar 2023 ab. Zum einen ist der Mitteilung der Aufhebung mit Standardschreiben an alle Bieter kein eigener Erklärungswert im Sinne einer Nichtabhilfe der Rüge vom 19. Dezember 2022 beizumessen. So bezieht sich die Antragsgegnerin vielmehr auf Fehler in ihrem eigenen Bereich (“Die näheren Einzelgründe für die Aufhebung sind, dass das Beschaffungsinteresse des Auftragsgebers in den Ausschreibungsunterlagen nicht korrekt abgebildet worden ist. Daher sind insbesondere das Leistungsverzeichnis und die Baubeschreibung anzupassen.”). Ein Bezug zur Rüge der Antragstellerin und Ausführungen zu Gründen einer Nichtabhilfe fehlen gänzlich.
Zum anderen fehlt es auch in formeller Hinsicht an einer korrekten Belehrung für den Rechtsbehelf nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB. Die 15-Tage-Frist lief daher nicht.
Während im Allgemeinen kein Hinweis der Vergabestelle auf die Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 GWB notwendig ist, hat der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung auf die 15-Tage-Frist, da es sich um eine Rechtsbehelfsfrist handelt (oder auf die Stelle, die darüber Informationen erteilen kann) hinzuweisen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2019, 13 Verg 7/18; Dicks in Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 57 m.w.N.) So wurde hier weder in der ursprünglichen EU-Bekanntmachung noch in der neuen Bekanntmachung vom 29. Dezember 2022 auf die Rechtsbehelfsfrist hingewiesen. Auch in der Rügezurückweisung vom 30. Dezember 2022 erfolgte kein Hinweis auf die Frist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19. März 2019, 13 Verg 7/18 zur Nachholung in der Mitteilung der Rügezurückweisung).
b) Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Soweit die Antragstellerin mit ihrem Hauptantrag die Fortsetzung des Vergabeverfahrens begehrt, ist dieser Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren fortsetzt und die Wertung des Hauptangebots Nr. 1 unter Berücksichtigung ihrer Rügepunkte wiederholt.
aa) Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VOB/A vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Da ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde, kann dieser deshalb jederzeit auf die Vergabe des Auftrags verzichten, unabhängig davon, ob die gesetzlich normierten Aufhebungsgründe erfüllt sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21; Beschluss vom 10. Februar 2021 – Verg 22/20; Beschluss vom 17. April 2019 – Verg 36/18; vgl. auch Begründung der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts, BT-Drucksache 18/731818 vom 20. Januar 2016, zu § 63 Abs. 1 VgV, S. 198 f.). Denn auch im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Privatautonomie, nach dem der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausschließlich in der Entscheidungsgewalt des Ausschreibenden liegt.
Eine Verpflichtung zur Vergabe von Aufträgen wäre zudem mit dem auch das Vergaberecht beherrschenden Grundsatz der Sparsamkeit und Effizienz bei der Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel nicht zu vereinbaren (so schon BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 48/97). Eine Vergabestelle kann deshalb grundsätzlich von einem Beschaffungsvorhaben selbst dann Abstand nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2013 – Verg 16/13).
Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13; zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21).
bb) Ein solcher Ausnahmefall, der der Antragstellerin einen Anspruch auf Fortsetzung des (alten) Vergabeverfahrens einräumen würde, ist hier nicht ersichtlich. Weder ist die Aufhebung der Ausschreibung ohne sachlichen Grund, das heißt willkürlich, noch verfolgt sie den Zweck die Antragstellerin zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen.
(1) Die Aufhebung war nicht willkürlich. Willkürlich ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens nur dann, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Willkür liegt erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in eklatanter Weise nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missgedeutet wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21). Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Die Antragsgegnerin kann sich auf sachliche Gründe für die Aufhebung berufen. So sind, wie bereits oben festgestellt (siehe unter lit. 1. a), die Vorgaben der Vergabeunterlagen nicht eindeutig, sondern an verschiedenen Stellen sowohl der Baubeschreibung als auch des Leistungsverzeichnisses widersprüchlich. So widersprechen sich die Vorgaben in Ziffer 3.5 und die Vorgaben einer RAL-Zertifizierung in Ziffer 1.2. Zudem weisen die Positionen 01.00.0001, 0002, 0004 und 0005 des Leistungsverzeichnisses ebenso wie die Positionen 01.00.0012 bis 0014 (sogenannte Übergangskonstruktionen) für die Schutzplankensysteme entgegen der Wahlmöglichkeit nach Ziffer 3.5 jeweils konkrete Produktvorgaben ohne Hinweis “oder gleichwertig” (System […]). Gründe für eine Abweichung vom Grundsatz der Produktneutralität der Leistungsbeschreibung gemäß § 7 EU Abs. 2 VOB/A sind vorliegend nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus der Vergabedokumentation. Gleichzeitig hatte die Antragsgegnerin aber die Abgabe mehrerer Hauptangebote zugelassen, was die Antragstellerin veranlasste, ein zweites Hauptangebot (“Nr. 1”) mit abweichenden Produkten anzubieten. Die Überarbeitung und Veränderung der Vergabeunterlagen dient nun aus Sicht der Antragsgegnerin dazu, die Vergabeunterlagen vergaberechtskonform zu gestalten und die vorhandenen Widersprüche zu beseitigen. Damit stellt die Antragsgegnerin ihren Beschaffungsbedarf in transparenter Weise und gleichermaßen verständlich für alle Bieter dar, was ein grundsätzlich anerkennenswertes Motiv ist.
Wenn die Antragstellerin der Auffassung ist, die Überarbeitung der Vergabeunterlagen in Form der Baubeschreibung und des Leistungsverzeichnisses stelle keine Änderung zum vorherigen Stand der Ausschreibung dar und sei deshalb schon willkürlich, ist dem nicht zu folgen. Zum einen hat die Antragsgegnerin die Abgabe mehrerer Hauptangebote nun ausgeschlossen. Gleichzeitig hat sie die Produktneutralität in den Positionen 01.00.0001, 0002, 0004 und 0005 des Leistungsverzeichnisses hergestellt.
Dort werden nun Schutzeinrichtungen nach den “Technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen in Deutschland” einschließlich u.a. Angaben zur Aufhaltestufe, Wirkungsbereichsklasse und Anprallheftigkeitsstufe vorgegeben. In den Positionen 01.00.0012 bis 0014 für die sogenannten Übergangskonstruktionen lautet die Vorgabe nun produktneutral ÜK/ÜE mit “H1W4A” bzw. “H2W4B”. Daneben sind die zwingenden Vorgaben einer RAL-Zertifizierung (siehe Ziff 1.1.2 der Baubeschreibung des aufgehobenen Verfahrens) gestrichen worden. Damit besteht nun eindeutig und für sämtliche Interessenten transparent die Möglichkeit, auch andere Schutzplankensysteme neben dem zuvor vorgegebenen System […] anzubieten. Voraussetzung dafür ist, dass ein solches System die in der Leistungsbeschreibung angegebenen technischen Vorgaben erfüllt. Dafür, dass die nun formulierten technischen Anforderungen eine versteckte Produktvorgabe im Hinblick auf das bisherige System darstellen, hat die Antragstellerin nichts vorgetragen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Ausschreibung produktneutral geöffnet und die vorhandenen Widersprüche beseitigt hat.
(2) Auch liegt kein Fall einer Scheinaufhebung vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Aufhebung dazu dient, die Antragstellerin zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin lediglich die formalen Voraussetzungen dafür schaffen will, den Auftrag an einen bestimmten Bieter oder generell an Mitglieder der Gütegemeinschaft Schutzplanken vergeben zu können. Vielmehr ist es so, dass die Ausschreibung nun so gestaltet ist, dass sie produktneutral ist und sich damit an alle geeigneten Anbieter von Schutzplankensystemen wendet, die die vorgegebenen technischen Anforderungen erfüllen.
2. Der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung gerichtete Hilfsantrag ist statthaft, aber mangels Darlegung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig.
a) Der Feststellungsantrag ist statthaft. Ihm steht nicht entgegen, dass das Vergabeverfahren bereits vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens aufgehoben worden ist. In Fällen, in denen der Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung des primären Vergaberechtsschutzes die Fortsetzung eines aufgehobenen Vergabeverfahrens zum Gegenstand einer Nachprüfung macht, sind Nachprüfungsinstanzen bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses des Antragstellers auf dessen Antrag auch zur Feststellung der durch die Aufhebung eingetretenen Rechtsverletzung befugt, obwohl der Fall des nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB zulässigen Fortsetzungsfeststellungsantrages nicht vorliegt, weil die wirksame Aufhebung bereits erfolgt war, bevor der Nachprüfungsantrag gestellt wurde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21 unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13). Dies ist auch hier der Fall.
b) Die Antragstellerin hat allerdings im Hinblick auf die in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung des Vergabeverfahrens bis zum Ablauf der Entscheidungsfrist kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung dargelegt. Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Antrag auf Feststellung einer Rechtsverletzung gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist ein gesondertes Feststellungsinteresse, das vom Antragsteller darzulegen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Dezember 2021 – Verg 12/21; Beschluss vom 07. August 2019 – Verg 9/19; Beschluss vom 22. Februar 2017 – Verg 29/16; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 168 Rn. 94). Das für den Antrag notwendige Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. August 2019 – Verg 9/19). Ein solches Feststellungsinteresse kann gegeben sein, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient, eine hinreichend konkrete, an objektiven Anhaltspunkten festzumachende Wiederholungsgefahr besteht oder die Feststellung zur Rehabilitierung des Bieters erforderlich ist, weil der angegriffenen Entscheidung ein diskriminierender Charakter zukommt. Das Feststellungsinteresse ist mit der Umstellung der ursprünglichen Anträge auf den Feststellungsantrag explizit zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 2021 – Verg 43/20). Dies ist vorliegend nicht erfolgt. Die Antragstellerin hat ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung nach Erörterung der Erfolgsaussichten des Hauptantrags gestellt, dabei aber keine Ausführungen zum Feststellungsinteresse gemacht. Sie hat, nachdem der Antragsgegnerin Schriftsatzfrist für eine Erwiderung auf den Feststellungsantrag erhalten hat, zu der erfolgten Erwiderung eine weitere Schriftsatzfrist, bis zum 14. Februar 2023 (zwei Tage vor Ablauf der Entscheidungsfrist gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB) erhalten. Sodann hat sie mit Schriftsatz vom 13. Februar 2023 zwar noch materiell vorgetragen, allerdings wiederum keine Ausführungen zum Feststellungsinteresse gemacht.. Aufgrund des fehlenden Vortrags kann die Vergabekammer nicht von einem Feststellungsinteresse der Antragstellerin ausgehen. Der Antrag auf Feststellung ist somit unzulässig.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 2, 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG.
Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung sind der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterlegen ist.
Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist außerdem zu bestimmen, ob die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig war. Dies ist vorliegend im Hinblick auf die Antragsgegnerin nicht der Fall.
Ob die Kosten eines Rechtsanwalts der Vergabestelle als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten erstattungsfähig sind, ist nach § 182 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG zu entscheiden. Danach sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
Über die Notwendigkeit der Hinzuziehung durch den öffentlichen Auftraggeber kann nicht schematisch, sondern nur auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2022 – Verg 15/22 sowie Beschluss vom 21. Dezember 2022 – Verg 37/22). Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen. Neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen können auch rein persönliche Umstände bestimmend sein (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2022 – Verg 15/22 sowie Beschluss vom 21. Dezember 2022 – Verg 37/22). Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere in Betracht zu ziehen, ob sich das Nachprüfungsverfahren hauptsächlich auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazugehörenden Vergaberegeln konzentriert. Ist das der Fall, besteht im Allgemeinen keine Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten. In seinem originären Aufgabenkreis muss sich der öffentliche Auftraggeber selbst die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse verschaffen und bedarf daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten. Umgekehrt kann die Beteiligung eines Rechtsanwalts notwendig sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren nicht einfach gelagerte Rechtsfragen, insbesondere verfahrensrechtlicher oder solcher Art, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeverordnungen zu entscheiden sind. Insoweit kann auch berücksichtigt werden, inwieweit die Vergabestelle über geschultes Personal und Erfahrung mit Vergabeverfahren verfügt. Schließlich kann auch der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen.
Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze und angesichts des Umstandes, dass die Antragsgegnerin zur Notwendigkeit der Hinzuziehung nicht weiter vorgetragen hat, war die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin hier nicht notwendig. Das Nachprüfungsverfahren betraf hier ganz überwiegend Fragen der Aufhebung einer Ausschreibung aufgrund einer notwendigen Änderung der Vergabeunterlagen sowie Fragen der Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, die allerdings in rechtlicher Hinsicht keine besondere Komplexität aufwiesen. Derartige Fragen sind dem originären Aufgabenbereich der Antragsgegnerin zuzurechnen. Deren Aufgabe ist maßgeblich die Errichtung und Erhaltung der Bundesautobahnen und damit die Vergabe baulicher Großprojekte. Insofern hat sie hierfür neben den technischen und wirtschaftlichen auch die erforderlichen vergaberechtlichen Kompetenzen vorzuhalten; im Bereich der jeweiligen Niederlassungen oder in ihrer Zentrale, auf die die einzelnen Niederlassungen zurückgreifen können (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2022 – Verg 37/22). Insgesamt warf das Nachprüfungsverfahren keine schwierigen Rechtsfragen auf. Auch stellten sich aus technischer Sicht keine schwierigen Fragen der rechtlichen Subsumtion.
IV.
(…)