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Generalanwalt beim EuGH zu der Frage, dass der öffentliche Auftraggeber nicht durch sein eigenes Handeln eine Ausschließlichkeitssituation herbeiführen darf, um mit dieser die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu rechtfertigen

von Thomas Ax

Der öffentliche Auftraggeber darf nicht durch sein eigenes Handeln eine Ausschließlichkeitssituation herbeiführen, um mit dieser die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu rechtfertigen.
Schließt der öffentliche Auftraggeber einen neuen Vertrag ab, auf den die Richtlinie 2004/18 Anwendung findet, ist unerheblich, dass die Ausschließlichkeitssituation von einem ursprünglichen Vertrag herrührt, den die Behörden eines Mitgliedstaats vor seinem Beitritt zur Europäischen Union abgeschlossen haben. Um das Verhalten des öffentlichen Auftraggebers im Zusammenhang mit dem neuen Vertrag zu bewerten, ist auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses neuen Vertrags abzustellen.
Generalwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 26.09.2024 – Rs. C-578/23
 
Gründe:

Im Jahr 1992 schloss das Finanzministerium der Tschechischen Republik direkt mit einem bestimmten Unternehmen einen Vertrag zur Einführung eines computergestützten Steuerverwaltungssystems mit der Bezeichnung ADIS. IBM war Inhaberin von Urheberrechten am Quellcode des Programms, so dass die Nutzung und Aktualisierung des Informationssystems von ihrer Beteiligung abhing.

Im Jahr 2016 beschloss die in der Tschechischen Republik mit der Steuerverwaltung betraute Einrichtung, einen Auftrag betreffend den Basiskundendienst für die Anwendung ADIS nach Ablauf der Garantiezeit zu vergeben, und zwar erneut im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung an IBM.

Die Vergabe dieses neuen Auftrags wurde zum Streitpunkt zwischen zwei Behörden der Tschechischen Republik, nämlich der Steuerverwaltung auf der einen und der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit öffentlicher Aufträge zuständigen Behörde auf der anderen Seite. Nach Auffassung der Letzteren war die Direktvergabe des Auftrags rechtswidrig.

Das Gericht, das in letzter Instanz mit diesem Rechtsstreit befasst ist, bezweifelt die Vereinbarkeit des neuen Auftrags mit Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG und ersucht den Gerichtshof um Auslegung dieser Bestimmung. Es möchte wissen, ob es bei der Beurteilung einer der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung die rechtlichen und tatsächlichen Umstände bewerten muss, unter denen der ursprüngliche Vertrag (1992) zustande kam, oder die rechtlichen und tatsächlichen Umstände beim Abschluss des neuen Auftrags (2016).

Hintergrund des Rechtsstreits ist das allgemeine Problem der Anbieterbindung öffentlicher Verwaltungen, die bei der Nutzung von Informationstechnologien von einem Anbieter abhängig sind. Die Kommission veröffentlichte 2013 eine Mitteilung, in der sie auf die Probleme dieser Verwaltungen im Zusammenhang mit einem Anbieterwechsel hinwies.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht. Richtlinie 2004/18y


Art. 28 (“Anwendung des offenen und des nichtoffenen Verfahrens, des Verhandlungsverfahrens und des wettbewerblichen Dialogs”) bestimmt:

“Für die Vergabe ihrer öffentlichen Aufträge wenden die öffentlichen Auftraggeber die einzelstaatlichen Verfahren in einer für die Zwecke dieser Richtlinie angepassten Form an.

Sie vergeben diese Aufträge im Wege des offenen oder des nichtoffenen Verfahrens. Unter den besonderen in Artikel 29 ausdrücklich genannten Umständen können die öffentlichen Auftraggeber ihre öffentlichen Aufträge im Wege des wettbewerblichen Dialogs vergeben. In den Fällen und unter den Umständen, die in den Artikeln 30 und 31 ausdrücklich genannt sind, können sie auf ein Verhandlungsverfahren mit oder ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung zurückgreifen.”


In Art. 31 (“Fälle, die das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung rechtfertigen”) heißt es:

“Öffentliche Auftraggeber können in folgenden Fällen Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben:

1. Bei öffentlichen Bau‑, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen:



b) wenn der Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden kann;

c) soweit dies unbedingt erforderlich ist, wenn dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen, die die betreffenden öffentlichen Auftraggeber nicht voraussehen konnten, es nicht zulassen, die Fristen einzuhalten, die für die offenen, die nichtoffenen oder die in Artikel 30 genannten Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung vorgeschrieben sind. Die angeführten Umstände zur Begründung der zwingenden Dringlichkeit dürfen auf keinen Fall den öffentlichen Auftraggebern zuzuschreiben sein. …”


B. Tschechisches Recht. Zákon. 137/2006 Sb., o ve?ejných zakázkách

Gemäß § 21 Abs. 2 kann der öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag in einem offenen oder nicht offenen Verfahren und unter bestimmten Voraussetzungen in einem Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung oder in einem Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben.

Nach § 23 Abs. 4 Buchst. a kann der öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag auch dann in einem Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben, wenn der öffentliche Auftrag aus technischen oder künstlerischen Gründen, zum Schutz von Ausschließlichkeitsrechten oder aus Gründen, die sich aus einer besonderen Rechtsvorschrift ergeben, nur von einem bestimmten Anbieter ausgeführt werden kann.

II. Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefrage

Am 29. Juni 1992 schloss das Finanzministerium der Tschechischen Republik mit IBM einen Vertrag über die Systemintegration für das Informationssystem zur Steuerverwaltung, ADIS.

Ab 2013 übernahm die dem Finanzministerium unterstellte eská republika – Generální finanní editelství (Generalfinanzdirektion, Tschechische Republik, im Folgenden: GFD) die Aufgaben des Ministeriums im Bereich der Steuerverwaltung.

Am 1. März 2016 leitete die GFD ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung ein, um einen neuen Auftrag mit dem Titel “Základní pozáruní servis aplikace ADIS v r. 2016” zu vergeben, der den Basiskundendienst für die Anwendung ADIS nach Ablauf der Garantiezeit zum Gegenstand hatte.

Die GFD berief sich für dieses Vergabeverfahren auf technische Gründe sowie auf den Schutz der Urheberrechte des Anbieters am Quellcode von ADIS.

Am 20. Mai 2016 vergab die GFD den neuen Auftrag an IBM.

Am 9. Oktober 2017 stellte der Úad pro ochranu hospodáské soutže (Amt für Wettbewerbsschutz der Tschechischen Republik, im Folgenden: Wettbewerbsamt) fest, die GFD habe durch die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung gegen § 23 Abs. 4 Buchst. a des Gesetzes 137/2006 verstoßen.

Nach Ansicht des Wettbewerbsamts hatte die GFD nicht nachgewiesen, dass der neue öffentliche Auftrag aus technischen Gründen nur von IBM ausgeführt werden könne. Außerdem sei die Notwendigkeit, die Ausschließlichkeitsrechte dieses Anbieters zu schützen, die Folge des früheren Verhaltens des Finanzministeriums.

Gegen die Entscheidung vom 9. Oktober 2017 legte die GFD Widerspruch beim Vorsitzenden des Wettbewerbsamts ein, den dieser zurückwies.

Die GFD erhob beim Krajský soud v Brn (Regionalgericht Brno [Brünn], Tschechische Republik) Klage gegen die Entscheidung des Vorsitzenden des Wettbewerbsamts; diese wurde abgewiesen mit der Begründung, die Voraussetzungen von § 23 Abs. 4 Buchst. a des Gesetzes 137/2006 seien nicht erfüllt:

– Zum Zeitpunkt der Vergabe des ursprünglichen Vertrags sei absehbar gewesen, dass für ADIS ein kontinuierlicher Wartungsdienst erforderlich sein würde, da es sich um ein System handle, das zur langfristigen Nutzung für einen Bereich (Besteuerung) konzipiert worden sei, der ständigen Veränderungen unterliege.

– Es sei unerheblich, dass bei der Unterzeichnung des ursprünglichen Vertrags die rechtlichen Vorschriften keinerlei Verpflichtung, den Anbieter im Rahmen eines Vergabeverfahrens auszuwählen, und keine Regelungen darüber enthalten hätten, inwieweit das Urheberrecht an ADIS geregelt werden müsse. Die Voraussetzungen zur Vergabe des Folgeauftrags müssten im Licht der geltenden Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt dieser Vergabe beurteilt werden.

– Nicht erforderlich sei, dass der ursprüngliche Auftraggeber in der Absicht gehandelt habe, später das Gesetz 137/2006 zu umgehen.

– Selbst wenn es der GFD gelingen sollte, zu beweisen, dass kein anderer Anbieter als IBM in der Lage sei, den Auftrag auszuführen, ändere dies nichts an der Tatsache, dass die Ausschließlichkeitssituation Folge der Handlungen des Finanzministeriums sei. Der Nachweis, dass die formellen Voraussetzungen (d. h. die technischen Gründe und der Grund des Schutzes des Urheberrechts des Anbieters) vorlägen, wäre folglich zwecklos, da die materielle Voraussetzung (dass der öffentliche Auftraggeber die Ausschließlichkeitssituation nicht selbst herbeigeführt habe) nicht erfüllt sei.

Die GFD legte beim Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) gegen das Urteil des Instanzgerichts Kassationsbeschwerde ein, die sie zusammengefasst folgendermaßen begründete:

– Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des ursprünglichen Vertrags sei der Anbieter als einziger in der Lage gewesen, die erforderlichen Leistungen zu erbringen (Bereitstellung von Servern mit seinem eigenen Betriebssystem und Gewährleistung der Wartung und Fernüberwachung). Aus technischen Gründen sei es unmöglich gewesen, einen anderen Anbieter zu finden.

– Das Finanzministerium habe vernünftigerweise nicht vorhersehen können, dass später weitere Maßnahmen erforderlich sein würden, um mit ADIS weiterarbeiten zu können.

– Im ursprünglichen Vertrag sei das Urheberrecht angemessen definiert worden. Seinerzeit sei es nicht möglich gewesen, diese Rechte an ADIS vollständig übertragen zu erhalten, da seine Elemente zum Teil vom Anbieter und dessen Partnern weltweit kommerziell genutzt worden seien. Die seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften seien somit eingehalten worden. Wenn das Finanzministerium nicht habe wissen können, gegen welche künftigen gesetzlichen Bestimmungen es mit seinen Handlungen verstoße, schließe der Grundsatz der Rechtssicherheit die Annahme eines der GFD zurechenbaren Fehlers aus.

– Das Finanzministerium habe beim Abschluss des ursprünglichen Vertrags auch nicht wissen können, wie sich das Steuersystem entwickeln werde. Es habe also nicht gewusst, ob in ADIS eingegriffen werden müsse und ob es ADIS weiterhin nutzen werde. Es habe kein Grund bestanden, die Urheberrechte zu regeln, um vom Anbieter vollständig unabhängig zu werden.

– Würde jetzt ein Vergabeverfahren zur Bereitstellung eines neuen Informationssystems eingeleitet, würde dies für die GFD eine Verschwendung der in ADIS investierten Mittel und ein unwirtschaftliches, nicht nachvollziehbares Management bedeuten.

– Im Jahr 2015 habe die GFD versucht, sich durch den Erwerb der Urheberrechte an ADIS aus ihrer Abhängigkeit vom Anbieter zu befreien. Der Anbieter habe sich sowohl 2015 als auch in den drei Folgejahren geweigert, diese Rechte zu übertragen, so dass die GFD keine andere Wahl gehabt habe, als ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung durchzuführen. Anderenfalls wäre ADIS unbrauchbar geworden und die Steuerverwaltung nicht in der Lage gewesen, ihre Aufgabe zu erfüllen.

– Zusammenfassend habe die GFD vor der Einleitung des Verfahrens zur Vergabe des neuen Auftrags sämtliche erforderlichen Maßnahmen unternommen, um das in § 23 Abs. 4 Buchst. a des Gesetzes 137/2006 vorgesehene Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen, was mehrere technische und rechtliche Sachverständigengutachten bestätigten.

In seiner Erwiderung auf die Kassationsbeschwerde führte das Wettbewerbsamt aus:

– Die GFD habe ADIS auf der Grundlage der Ausschließlichkeit des ursprünglichen Vertrags von 1992 bis mindestens Ende 2019 aufgrund von Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung ausgebaut.

– Das Sachverständigengutachten weise nicht nach, dass der ausgewählte Anbieter für dieses System aus technischen Gründen der einzig mögliche gewesen sei. Auch eine durch den Urheberrechtsschutz begründete Ausschließlichkeitssituation sei nicht erwiesen.

– Zweck der Leistung sei es gewesen, in drei Stufen ein Steuerverwaltungssystem zu schaffen, wovon der ursprüngliche Vertrag lediglich die erste Stufe betroffen habe. Die GFD habe gewusst, dass auf den ersten Vertrag weitere folgen würden.

– Aus der Beschreibung und dem Zweck von ADIS gehe hervor, dass es sich um ein robustes System handle, das langfristig habe genutzt werden sollen. Somit sei klar gewesen, dass zumindest ein technischer Support erforderlich sein würde.

– Weder das Finanzministerium noch später die GFD hätten auf die Entwicklung der Rechtsvorschriften reagiert; sie hätten stattdessen eine Auslegung des Vertrags und des Gesetzes 137/2006 vertreten, die es erlaubt habe, das System ohne Ausschreibung beizubehalten.

Das vorlegende Gericht bezweifelt hinsichtlich einer der – nach seinem Verständnis materiellen – Voraussetzungen für das Vorgehen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung (dass nämlich die Ausschließlichkeitssituation nicht vom öffentlichen Auftraggeber selbst verursacht wurde), dass diese Voraussetzung vorliegt. Es möchte wissen, ob es hierfür die tatsächlichen und rechtlichen Umstände bewerten muss, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Vertrags bestanden.

 In diesem Zusammenhang hat der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist bei der Beurteilung, ob die materielle Voraussetzung für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung erfüllt ist, d. h., ob der öffentliche Auftraggeber nicht durch sein eigenes Verhalten eine Ausschließlichkeitssituation nach Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 herbeigeführt hat, zu berücksichtigen, unter welchen rechtlichen und tatsächlichen Umständen der Vertrag über die ursprüngliche Leistung geschlossen wurde, auf dem die öffentlichen Folgeaufträge beruhen?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 19. September 2023 beim Gerichtshof eingegangen.

Die tschechische und die slowakische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

Der Gerichtshof hat es nicht für erforderlich gehalten, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

IV. Würdigung

Der Rechtsstreit, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, geht zurück auf einen Vertrag über die Erbringung von IT‑Leistungen, der 1992, also vor dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union, ohne Ausschreibungsverfahren geschlossen wurde; damals war ein solches Vorgehen nach dem nationalen Recht zulässig.

In diesem ursprünglichen Vertrag wurden dem Anbieter Rechte eingeräumt, die ihm für die Weiterentwicklung und Wartung des eingeführten IT‑Systems eine Ausschließlichkeitsposition verschafften.

Nach Auffassung der GFD war es nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union aufgrund der ausschließlichen Urheberrechte des Anbieters gerechtfertigt, im Jahr 2016 für die Vergabe eines neuen Auftrags betreffend den Basiskundendienst nach Ablauf der Garantiezeit das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung nach Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 anzuwenden.

A. Anwendbare Richtlinie

Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie 2004/18 und nicht der Richtlinie 2014/24/EU, mit der die Erstere aufgehoben wurde.

Grundsätzlich ist die Anwendung der Richtlinie angezeigt, die zum Zeitpunkt der Wahl des anzuwendenden Verfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber in Kraft ist.

In der Vorlageentscheidung heißt es, die GFD habe das Verfahren zur Vergabe des neuen Auftrags am 1. März 2016 eingeleitet. Das Datum liegt damit vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2014/24, nach deren Art. 90 Abs. 1 der 18. April 2016.

Falls dies zutrifft, ist ratione temporis die Richtlinie 2004/18 anwendbar. Dieser Umstand hindert allerdings nicht daran, die Regelung in der Richtlinie 2014/24 bei der Auslegung der Vorschriften der Richtlinie 2004/18 zur Widerlegung oder Bestätigung zu berücksichtigen.

B. Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 und die vom öffentlichen Auftraggeber herbeigeführte Ausschließlichkeitssituation

Gemäß Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 müssen zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen, damit das dort geregelte direkte Vergabeverfahren angewandt werden kann: a) technische oder künstlerische Gründe oder sonstige, mit dem Schutz von Ausschließlichkeitsrechten zusammenhängende Gründe, und b) dass diese Gründe die Vergabe des Auftrags an ein bestimmtes Unternehmen absolut notwendig machen.

Eine ähnliche Formulierung wie in dieser Vorschrift wurde bereits in anderen, vor der Richtlinie 2004/18 angenommenen Vergaberichtlinien verwendet. Der Gerichtshof hatte sie bei Entscheidungen über Vertragsverletzungsklagen der Kommission gegen einzelne Handlungen der Mitgliedstaaten ausgelegt, die unter die Richtlinie 71/305 oder die Richtlinie 93/37 fallende Aufträge betrafen, die im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben worden waren.

In der Rechtsprechung zur Auslegung der zwei genannten und der nachfolgenden Richtlinien wurde immer wieder betont, dass die Bestimmungen zu Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung eng auszulegen seien und dass die Beweislast für die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme rechtfertigten, beim öffentlichen Auftraggeber liege.

Das vorlegende Gericht unterscheidet zwischen den “formellen” und den “materiellen” Voraussetzungen, die für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vorliegen müssten. Hierzu führt es aus:

– Die formellen Voraussetzungen verlangten, dass ein Grund vorliege, der sich auf den Schutz ausschließlicher Rechte beziehe, und dass der Auftrag aus diesem Grund nur an einen bestimmten Anbieter vergeben werden könne.

– Die materiellen Voraussetzungen verlangten, dass diese formalen Gründe für den öffentlichen Auftraggeber nicht vorhersehbar gewesen und dass sie nicht ihm zuzuschreiben seien.

In Wirklichkeit sind die Voraussetzungen, die das vorlegende Gericht als formelle bezeichnet, diejenigen, die sich aus dem Wortlaut von Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 ergeben. Die, die es als materielle Voraussetzungen bezeichnet, gehen darüber hinaus, da sie Bedingungen betreffen, die in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich genannt sind.

Die Diskussion hat sich auf die materielle Voraussetzung konzentriert, dass die Ausschließlichkeitssituation nicht durch den öffentlichen Auftraggeber verursacht worden sein darf. Die von den Beteiligten im Vorabentscheidungsverfahren vertretenen Positionen sind gespalten:

– Für die tschechische Regierung ist die Ausnahme nach Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 bereits gegeben, wenn die dort genannten objektiven Voraussetzungen erfüllt sind.

– Für die Kommission und die slowakische Regierung setzt diese Ausnahme zusätzlich voraus, dass der öffentliche Auftraggeber nicht der Verursacher der Ausschließlichkeitssituation ist.

Wäre der Rechtsstreit nach der Regelung der Richtlinie 2014/24 zu entscheiden, wäre ohne Zweifel die These der Kommission und der slowakischen Regierung vorzugswürdig. Sowohl im 50. Erwägungsgrund dieser Richtlinie als auch in ihrem Art. 32 Abs. 2 Buchst. b ist vorgesehen, dass die Ausschließlichkeit nicht vom öffentlichen Auftraggeber herbeigeführt worden sein darf:

– Im 50. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 heißt es, dass

“… nur Situationen einer objektiven Ausschließlichkeit … den Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung rechtfertigen [können], sofern die Ausschließlichkeitssituation nicht durch den öffentlichen Auftraggeber selbst mit Blick auf das anstehende Vergabeverfahren herbeigeführt wurde. …”

– In Art. 32 Abs. 2 Buchst. b Ziff. iii der Richtlinie 2014/24 ist festgelegt, dass das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung angewandt werden kann, wenn Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen aufgrund des Schutzes von “ausschließlichen Rechten, einschließlich der Rechte des geistigen Eigentums”, nur von einem bestimmten Anbieter erbracht beziehungsweise bereitgestellt werden können. Diese Ausnahme gilt jedoch nur,

“wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist”.

Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 enthielt dagegen keine ausdrückliche Aussage über mögliche Auswirkungen einer dem öffentlichen Auftraggeber zuzuschreibenden Ausschließlichkeit. Das Schweigen dieser Richtlinie bedeutet allerdings nicht, dass es dem öffentlichen Auftraggeber ohne Weiteres gestattet gewesen wäre, die Ausschließlichkeitssituation selbst herbeizuführen.

Wie das vorlegende Gericht zutreffend hervorhebt, hat die Richtlinie 2014/24 in diesem Punkt lediglich eine Regelung ausdrücklich formuliert, die in den früheren Vergaberichtlinien implizit bestand. So verlangt nach seiner Auffassung

“das Unionsrecht, … dass der Grund, aus dem der Auftrag gemäß Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 nur an einen bestimmten Anbieter vergeben werden kann, nicht dem öffentlichen Auftraggeber zuzurechnen ist. …”

Ich gehe, was die Einwirkung des öffentlichen Auftraggebers auf die Umstände betrifft, auf die die Ausschließlichkeitssituation zurückgeht, von derselben Forderung aus wie das vorlegende Gericht. Es gibt eine Reihe von Gründen, die meines Erachtens hierfür sprechen.

Erstens besteht – dies ist der Hintergrund – das allgemeine Ziel der Vorschriften der Union über das öffentliche Auftragswesen darin, “den freien Dienstleistungsverkehr und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten”. Ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung anzuwenden, ist genau das Verhalten, mit dem ein öffentlicher Auftraggeber die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens gegenüber dem Wettbewerb am stärksten behindert.

Zweitens steht es diesem Ziel entgegen, wenn öffentliche Auftraggeber selbst die Umstände herbeiführen, auf die sie sich später berufen, um Verfahren zur Auswahl von Auftragnehmern anzuwenden, bei denen eine Teilnahme von Wettbewerbern nicht zugelassen ist.

Drittens sind, wie schon vorausgeschickt, die außergewöhnlichen Umstände, die ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zulassen, an restriktiven Kriterien orientiert eng auszulegen.

Viertens würde die Logik von Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 in ihr Gegenteil verkehrt, ließe man zu, dass der öffentliche Auftraggeber sich auf eine Ausschließlichkeitssituation beruft, die er selbst herbeigeführt hat. Nach dieser Logik sind Umstände, die es rechtfertigen, dass das ordentliche Verfahren (mit Bekanntmachung) nicht angewandt werden kann, solche, die außerhalb der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers liegen, nicht diejenigen, die er selbst hervorgerufen hat.

Und schließlich verbietet der Grundsatz nemo auditur propriam turpitudinem allegans, dass eine Partei aus ihrem eigenen rechtswidrigen Verhalten Vorteile ziehen darf.

C. Bewertung der Ausschließlichkeit im vorliegenden Rechtsstreit

1. Ursprünglicher Vertrag (1992)


Nach der in der Vorlageentscheidung dargelegten Argumentation der GFD bestanden zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Vertrags (1992) keinerlei nationale Rechtsvorschriften zum Urheberrecht oder zum öffentlichen Auftragswesen. Folglich seien die in der Zukunft in dieser Materie geltende rechtliche Regelung und die Entwicklung der nationalen Rechtsprechung nicht vorherzusehen gewesen. Auch sei nicht vorhersehbar gewesen, “dass die Festlegung der Lizenzbedingungen für ADIS später zu einer bedenklichen Situation führen würde …”.

Das vorlegende Gericht teilt diese Auffassung im Wesentlichen, mit Ausnahme einiger Nuancen. Es stimmt zu, dass im Jahr 1992 für die Vergabe öffentlicher Aufträge keine nationalen Rechtsvorschriften bestanden hätten, was es dem Finanzministerium erlaubt habe, den ADIS-Vertrag mit dem damals vereinbarten Inhalt abzuschließen. Der öffentliche Auftraggeber habe zudem “berechtigterweise davon ausgehen können, dass der ursprüngliche Vertrag mit demselben Anbieter fortgesetzt werden könne, ohne dass auch anderen die Möglichkeit geboten werden müsse, sich um die Erbringung der geforderten Leistung zu bewerben”.

Ich für meinen Teil habe keine Einwände gegen diese Aussagen, die sich auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit beziehen, zu dem das Recht der Union, der die Tschechische Republik damals noch nicht angehörte, schlicht nicht zum Tragen kam. Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts, den Sachverhalt und den rechtlichen Rahmen beim Abschluss des ursprünglichen Vertrags festzustellen.

Unter diesen Umständen ist unerheblich, ob die Ausschließlichkeit, auf deren Grundlage der ursprüngliche Vertrag 1992 unterzeichnet wurde, durch den öffentlichen Auftraggeber verursacht war oder nicht.

2. Neuer Auftrag (2016)

Die Perspektive ändert sich, wenn man berücksichtigt, dass das Vertragsverhältnis zwischen den tschechischen Steuerbehörden und dem Anbieter viele Jahre lang andauerte (soweit hier von Belang, von 1992 bis 2016).

In diesem Zeitraum änderte sich der rechtliche Rahmen, insbesondere mit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union im Jahr 2004. Ab dem Beitritt war die Einhaltung der Vergaberichtlinien “gemäß dem Grundsatz der sofortigen vollständigen Anwendung der Vorschriften des Unionsrechts auf die neuen Mitgliedstaaten” verpflichtend.

Das vorlegende Gericht unterstreicht die Bedeutung des neuen Rechtsrahmens und die Veränderung der Pflichten des öffentlichen Auftraggebers: Als die GFD den Auftrag von 2016 vergeben habe, seien das Gesetz 137/2006 und die Richtlinie 2004/18 in Kraft gewesen. Die GFD sei somit verpflichtet gewesen, dafür zu sorgen, dass durch ihre Handlungen keine Ausschließlichkeitssituationen herbeigeführt würden, die die Anwendung von Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung rechtfertigten.

Ausgehend von dieser Feststellung und nach Prüfung der beiden zur Diskussion stehenden Thesen stellt das vorlegende Gericht in Rn. 32 der Vorlageentscheidung fest:

– “… Zwischen 1992 und 2016 hätte [die GFD] (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) entweder neue vertragliche Regelungen für urheberrechtliche Schutzrechte aushandeln und so die öffentlichen Aufträge betreffend ADIS in einem der offeneren Ausschreibungsverfahren vergeben können, oder sie hätte mit der Beschaffung eines neuen Informationssystems beginnen können, selbst wenn dies vorübergehend zu erhöhten Kosten, langfristig aber zu Einsparungen hätte führen können.

– Daher kann die Situation zum Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Vertrags nicht geltend gemacht werden, wenn die Ausschließlichkeitssituation nach der Verabschiedung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Tschechischen Republik über das öffentliche Auftragswesen fortbesteht. Zur Beurteilung, ob das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung anwendbar ist, ist der Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem die Entscheidung, den Auftrag in dieser Form zu vergeben, getroffen worden ist …”.


Was die Beurteilung des für den Rechtsstreit maßgeblichen Sachverhalts und der nationalen Rechtslage betrifft, ist den Erwägungen des vorlegenden Gerichts nicht zu widersprechen, und was die soeben wiedergegebenen Ausführungen im letzten Teil von Rn. 32 der Vorlageentscheidung betrifft, bin ich der Ansicht, dass sie eine zutreffende Auslegung der Richtlinie 2004/18 enthalten.

Die daraus abzuleitende Antwort auf die Vorlagefrage lautet, dass für den vorliegenden Fall unerheblich ist, dass der ursprüngliche Vertrag vor dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Union geschlossen wurde. Entscheidend sind vielmehr die Handlungen des öffentlichen Auftraggebers, die zwischen 2004 und 2016 vorgenommen wurden. Von diesen Handlungen ist logischerweise die Vergabe des neuen Auftrags im Jahr 2016 die entscheidende.

Die tschechische Regierung versucht demgegenüber, ihre Verantwortlichkeit für die Herbeiführung der ausschließlichen Abhängigkeit mit der Begründung auszuschließen, dass für die Bewertung auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung des ursprünglichen Vertrags abzustellen sei. Sofern ihr damaliges Verhalten einwandfrei rechtmäßig gewesen sei, könne beim öffentlichen Auftraggeber auch nicht von einem ihm zuzuschreibenden zielgerichteten Handeln gesprochen werden.

Diese Argumentation teile ich nicht:

– Wie bereits ausgeführt, beginnt die Verpflichtung des Mitgliedstaats, sein Handeln am Unionsrecht auszurichten, mit seinem Beitritt zur Union. Von diesem Moment an übernahm der öffentliche Auftraggeber als staatliche Einrichtung die Verpflichtung, die Einhaltung der Unionsvorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe, darunter der Richtlinie 2004/18, sicherzustellen. In diesem Zusammenhang spielt keine Rolle, ob deren Verletzung durch die staatlichen Steuerbehörden auf ein aktives Handeln oder auf ein Unterlassen zurückzuführen war.

– Zur Beurteilung des Verhaltens des öffentlichen Auftraggebers ist dolus directus hinsichtlich der Herbeiführung der Ausschließlichkeitssituation keine Voraussetzung. Es genügt, dass der öffentliche Auftraggeber – indem er seine Pflicht, bei der Vergabe des neuen Vertrags die bestehende (und von ihm selbst oder seinem Rechtsvorgänger herbeigeführte) Ausschließlichkeit zu beenden, versäumt – auch den neuen Vertrag dem Wettbewerb entzieht, wie dies schon beim ursprünglichen Vertrag der Fall war.

Als weiteren Gesichtspunkt führt die tschechische Regierung an, sie räume zwar ein, dass sie in Situationen wie der vorliegenden Entscheidungen treffen müsse, die es ihr ermöglichten, sich aus der Abhängigkeit von einem bestimmten Anbieter zu befreien, spreche sich aber dafür aus, eine vernünftige Lösung zu akzeptieren, worunter sie die wirtschaftlich günstigste versteht, die das dauerhafte Funktionieren der Informationssysteme in kritischen Bereichen der nationalen Verwaltung gewährleiste. Ihrer Ansicht nach rechtfertigen diese Faktoren in der vorliegenden Rechtssache die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung.

Auch diesem Argument kann ich nicht zustimmen, wenngleich ich verstehe, welchen Problemen sich der öffentliche Auftraggeber 2016 de facto gegenübersah. Steuerbehörden können sich jedoch ebenso wenig wie alle übrigen staatlichen Behörden auf praktische, verwaltungstechnische oder wirtschaftliche Schwierigkeiten berufen, um die Nichteinhaltung der durch eine Richtlinie festgelegten Verpflichtungen zu rechtfertigen, denn es ist Sache der Mitgliedstaaten, diese mit geeigneten Maßnahmen zu überwinden.

Eine weitere Argumentation, mit der die tschechische Regierung das Vorgehen des öffentlichen Auftraggebers verteidigt, ist das Vorbringen, dass dieser versucht habe, sich durch den Erwerb des Urheberrechts aus der Abhängigkeit von dem Anbieter zu befreien, was ihm jedoch aufgrund des Widerstands des Anbieters nicht gelungen sei.

Diesem Argument kann nicht gefolgt werden, wenn man bedenkt, dass der öffentliche Auftraggeber ab 2004 (bis zum Jahr 2016) genügend Zeit hatte, um die Verweigerungshaltung von IBM zu überwinden. Angesichts der schon jahrzehntelang bestehenden Ausschließlichkeitssituation hätte er Maßnahmen einleiten müssen, um seine Abhängigkeit von diesem Anbieter zu durchbrechen, und zwar durch die Suche nach Angeboten anderer Anbieter, was er offenbar nicht getan hat. Dies ist die Auffassung des vorlegenden Gerichts, die ich abermals teile.

Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass der öffentliche Auftraggeber ernsthafte Versuche unternommen hätte, um neue Anbieter zu finden und die Situation der Abhängigkeit, in der er sich befand, zu durchbrechen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss der öffentliche Auftraggeber “ernsthafte Nachforschungen anstellen”, um zu ermitteln, ob es auf europäischer Ebene Unternehmen gibt, die in der Lage sind, eine bestimmte Software zu liefern (bzw. zu ersetzen).

Anlässlich ihrer Darstellung des Problems der Anbieterbindung bei IT‑Systemen schlägt die Kommission den öffentlichen Auftraggebern bestimmte Alternativen vor, um Einschränkungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe – wie im vorliegenden Fall – zu überwinden.

Obwohl die tschechischen Behörden vortragen, Verfahren für eine Ex-ante-Kontrolle eingeführt zu haben, um die in der Mitteilung von 2013 erwähnte Anbieterbindung zu bekämpfen, wurde in dem Vertrag, der Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ist, die bereits bestehende Ausschließlichkeitssituation unverändert beibehalten. Dem öffentlichen Auftraggeber ist daher zuzuschreiben, dass er im Jahr 2016 durch Handeln oder Unterlassen eine von seinem Rechtsvorgänger herbeigeführte Ausschließlichkeitssituation aufrechterhalten hat, die ihn daran hätte hindern müssen, das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung anzuwenden.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gerichtshof bei ähnlichen Aufträgen wie dem hier in Rede stehenden bereits zur Notwendigkeit einer Öffnung gegenüber dem Wettbewerb geäußert und dabei als selbstverständlich angesehen hat, dass diese den allgemeinen Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliegen:

“… ein öffentlicher Auftraggeber, der ein Vergabeverfahren zur Sicherstellung der Pflege, der Anpassung oder der Weiterentwicklung einer bei einem Wirtschaftsteilnehmer erworbenen Software durchführen möchte, [muss] dafür sorgen …, dass er den potenziellen Bewerbern und Bietern hinreichende Informationen übermittelt, um die Entwicklung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem abgeleiteten Markt für die Pflege, die Anpassung oder die Weiterentwicklung der Software zu ermöglichen”.

V. Ergebnis

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlage ich vor, dem Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) folgendermaßen zu antworten:

Art. 31 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge

ist wie folgt auszulegen:

Der öffentliche Auftraggeber darf nicht durch sein eigenes Handeln eine Ausschließlichkeitssituation herbeiführen, um mit dieser die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung zu rechtfertigen.

Schließt der öffentliche Auftraggeber einen neuen Vertrag ab, auf den die Richtlinie 2004/18 Anwendung findet, ist unerheblich, dass die Ausschließlichkeitssituation von einem ursprünglichen Vertrag herrührt, den die Behörden eines Mitgliedstaats vor seinem Beitritt zur Europäischen Union abgeschlossen haben. Um das Verhalten des öffentlichen Auftraggebers im Zusammenhang mit dem neuen Vertrag zu bewerten, ist auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses neuen Vertrags abzustellen.