Ax Vergaberecht

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Gewusst wie: bei substantiiert festgestelltem Fehlen von Wettbewerb ist das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Bieter zulässig

von Thomas Ax

Gemäß § 119 Abs. 5 Alt. 2 i. V. m. § 14 Abs. 4 VgV kann der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 VgV vergeben. Nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Darüber hinaus gelten nach § 14 Abs. 6 VgV die Voraussetzungen des Abs. 4 Nr. 2 lit. b) für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.

Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV, die Art. 32 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU umsetzt, ist als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und anzuwenden. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung, einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, nicht zuletzt, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen (Erwägungsgrund 50 der Richtlinie 2014/24/EU). Der öffentliche Auftraggeber hat dabei das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Hierbei sind stichhaltige Belege beizubringen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen ergibt, (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, Rs. C-275/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013 – Verg 24/13). Die Gründe für die Wahl des Verfahrens sind ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren.

Der vom Auftraggeber zu führende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb muss durch eine umfassende Marktanalyse im Zweifel eine solche auf europäischer Ebene erfolgen (EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – Rs. C-275/08).

Die Anforderungen an den Umfang der von einem öffentlichen Auftraggeber in diesem Zusammenhang anzustellenden Ermittlungen, bevor er ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, sind konsequenterweise ebenfalls hoch (VK Bund, Beschluss vom 23.10.2019 – VK 1-75/19). Die Rechtsprechung verlangt diesbezüglich “ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene” (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009 – Rs. C-275/08) bzw. die Beibringung “stichhaltiger Beweise” (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17). Der 50. Erwägungsgrund der RL 2014/24/EU nennt als ein Beispiel dafür, was vom Auftraggeber dazulegen und zu beweisen ist, um zu Recht auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren zu verzichten, dass es für andere “Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich ist, die geforderte Leistung zu erbringen”.

Zwar ist eine Markterkundung mittels einer Internetrecherche nicht per se unzureichend. Die reine Auswertung der Internetpräsenz ist für eine Markterkundung jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn bei anderen Anbietern aus anderen Quellen gewonnene Informationen herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, wenn es sich dem öffentlichen Auftraggeber aufdrängen muss, dass in diesem Marktsegment nicht alle Informationen frei im Internet zugänglich sind.

Der Auftraggeber muss sich im ausreichenden Maße damit beschäftigen, ob vernünftige Alternativen oder Ersatzlösungen für seinen Beschaffungsbedarf überhaupt vorliegen.

Führt die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den öffentlichen Auftraggeber dazu, dass im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) oder b) VgV der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, greift das Korrektiv des § 14 Abs. 6 VgV ein, wonach die Voraussetzungen für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb, mithin eine Vergabe außerhalb des Wettbewerbs, nur dann gelten, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.

Die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers unterliegt damit engeren vergaberechtlichen Grenzen als dies bei Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens der Fall ist. Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führt (OLG Rostock, Beschluss vom 25.11.2020 – 17 Verg 1/20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17).

Dass ein öffentlicher Auftraggeber bei einer Markterkundung im konkreten Einzelfall sodann zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt, muss der öffentliche Auftraggeber hinreichend begründen können und -dokumentieren (vgl. Dörn in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 14 Rn. 66).

Die Rechtfertigung kann nicht im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nachträglich als Rechtfertigung für die Wahl der Verfahrensart herangezogen werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 8. Februar 2011 – X ZB 4/10) führt zwar nicht jeder Dokumentationsmangel dazu, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen ist, weil anderenfalls der Ablauf des Vergabeverfahrens unangemessen beeinträchtigt werden könnte. Es ist vielmehr möglich, Dokumentationsmängel nachträglich zu heilen, etwa wenn der Auftraggeber die Dokumentation nachholt und dabei Gründe darlegt, mit denen er die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt und die nach Aufhebung in einem wiederholten Verfahren ohne Weiteres der Entscheidung zugrunde gelegt werden können. Dies ist allerdings dann anders zu beurteilen, wenn zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2011 – X ZB 4/10).

Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftraggeber gerade in Bereichen, in denen ihm ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht im Nachprüfungsverfahren erstmals in die vertiefte sachliche Prüfung der zur Rechtfertigung angeführten Problematik eingestiegen ist und damit erst die eigentlich notwendige Dokumentation vorgenommen hat, d.h. wenn die im Nachprüfungsverfahren diskutierten Probleme im Vergabevermerk noch nicht grundsätzlich angelegt gewesen sind. Eine solche verspätet durchgeführte Prüfung liegt dann nahe, wenn der Auftraggeber wesentliche, seine Beschaffungsentscheidung beeinflussende Aspekte der ursprünglichen Dokumentation nach unzutreffend beurteilt hat (OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 – 13 Verg 13/19).

Will sich der Auftraggeber auf diese Rechtfertigung stützen, so erfordert dies eine neue Ermessensabwägung und Prüfung vernünftiger Alternativen und Ersatzlösungen gern. § 14 Abs. 6 VgV.

Es ist nicht ausreichend, wenn ein öffentlicher Auftraggeber das- Vorhandensein von technischen Gründen für die Rechtfertigung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) GWB lediglich behauptet. Er muss vielmehr das Vorliegen dieser Gründe substantiiert darlegen und nachweisen (vgl. EuGH, Urteil vom 15:10.2009 – Rs. C-275/08). Eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedarf einer wesentlich größeren Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.2017 – Verg 13/17).