Drehleiter-Korb: Gewusst wie: Vorgaben rechtmäßig, obwohl sie faktisch dazu führen, dass nur ein Aufbau des einen Anbieters angeboten werden kann
vorgestellt von Thomas Ax
In Pos. 1.2.4 Rettungskorb werden rettungskorbbodennahe oder hängende Aufnahmen für Krankentragen gefordert. Weiter heißt es in dieser Position: Bei hängenden Konstruktionen muss ein Einfahren in Rettungsfenstern nach Musterbauordnung (Öffnung 90 cm breit, 120 cm hoch) möglich sein. Die rettungskorbbodennahe Aufnahme hat nur der eine Anbieter. Bei dem anderen Anbieter wird die Trage in der Multifunktionssäule am Korb oben eingesteckt. Bei der hängenden Variante gibt es 2 Möglichkeiten. Einmal die Trage unter den Korb zu hängen. Dies scheidet jedoch durch die Vorgabe der Normfenster aus, da die 120 cm Höhe nicht eingehalten werden kann. Die zweite Variante ist der Rescue Loader des anderen Anbieters. In der Position ist aber gefordert worden, dass dieses Rettungsgerät auf der Drehleiter mitgeführt werden muss, was bei dem anderen Anbieter aber nicht möglich ist, da die Trage in der Multifunktionssäule am Korb eingesteckt wird.
Die Vorgaben unter Ziffer 1.2.4 führt nicht zu einer Rechtsverletzung des anderen Anbieters, obwohl sie faktisch dazu führen, dass nur ein Aufbau des einen Anbieters im vorliegenden Verfahren angeboten werden kann.
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Die wettbewerbsbeschränkenden Vorgaben sind durch das Leistungsbestimmungsrecht der Vergabestelle gerechtfertigt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist der öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden und weitgehend frei. Nach welchen sachbezogenen Kriterien die Beschaffungsentscheidung auszurichten ist, ist ihm auch in einem Nachprüfungsverfahren nicht vorzuschreiben. Dem Auftraggeber steht hierbei ein – letztlich in der Privatautonomie wurzelndes – Beurteilungsermessen zu, dessen Ausübung im Ergebnis nur darauf kontrolliert werden kann, ob seine Entscheidung sachlich vertretbar ist (OLG Düsseldorf, B. v. 03.03.2010 – Az.: VII-Verg 46/09; B. v. 17.02.2010 – Az.: VII-Verg 42/09).
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Im hier strittigen Vergabenachprüfungsverfahren haben damit grundsätzlich weder die Antragstellerin, noch die Vergabekammer Südbayern das Recht, festzulegen, welche Anforderungen der Auftraggeber an die Beschaffenheit des Rettungskorb seines zu beschaffenden Feuerwehrfahrzeugs stellt. Hintergrund dafür ist, dass das Vergaberecht nicht regelt, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung. Die danach im jeweiligen Fall vorgenommene Bestimmung des Beschaffungsgegenstands ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen im Ausgangspunkt nicht zu kontrollieren (OLG München, Beschluss vom 28.7.2008 – Verg 10/08; Beschluss vom 9.9.2010 – Verg 10/10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.2.2010 – VII-Verg 42/09; Beschluss vom 3.3.2010 – VII-Verg 46/09; Beschluss vom 27.6.2012 – VII-Verg 7/12).
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Allerdings ist die Definitionsmacht des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich des Beschaffungsgegenstandes nicht schrankenlos (OLG Düsseldorf, B. v. 22.05.2013 – Az.: VII-Verg 16/12; B. v. 01.08.2012 – Az.: VII-Verg 105/11; B. v. 25.04.2012 – Az.: VII-Verg 7/12; OLG Karlsruhe, B. v. 15.11.2013 – Az.: 15 Verg 5/13; OLG Naumburg, B. v. 14.03.2013 – Az.: 2 Verg 8/12; B. v. 20.09.2012 – Az.: 2 Verg 4/12; 2. VK Bund, B. v. 09.05.2014 – Az.: VK 2 – 33/14; 2. VK Sachsen-Anhalt, B. v. 19.10.2012 – Az.: 2 VK LSA 17/12). Der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers beim Beschaffungsgegenstand sind im Interesse der von der Richtlinie 2004/18/EG (nunmehr Richtlinie 2014/24/EU) angestrebten Öffnung des Beschaffungswesens der öffentlichen Hand für den Wettbewerb, aber auch der effektiven Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit wegen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.5.2012 – C-368/10) durch das Vergaberecht Grenzen gesetzt.
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Sie wird begrenzt durch die Verpflichtung, den vergaberechtlichen Grundsätzen des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung Rechnung zu tragen (OLG Karlsruhe, B. v. 15.11.2013 – Az.: 15 Verg 5/13; B. v. 21.07.2010 – Az.: 15 Verg 6/10; OLG Naumburg, B. v. 14.03.2013 – Az.: 2 Verg 8/12; B. v. 20.09.2012 – Az.: 2 Verg 4/12).
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Darüber hinaus sind die Vorgaben des § 31 Abs. 6 VgV zu beachten, der vorschreibt, dass, soweit dies nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, der Auftraggeber in technischen Anforderungen (in einem weit zu verstehenden Sinn) nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren verweisen darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder Produkte ausgeschlossen oder begünstigt werden.
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Wie das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 12.02.2014, VII-Verg 29-13 ausführte, sind die dem Auftraggeber gesetzten vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des § 8 Abs. 7 EG VOL/A eingehalten, wenn
– die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist,
– vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist,
– solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind
– und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Bewegt sich die Bestimmung in diesen Grenzen, gilt der Grundsatz der Wettbewerbsoffenheit der Beschaffung nicht mehr uneingeschränkt (OLG Düsseldorf, B. v. 12.02.2014 – Az.: VII-Verg 29/13; B. v. 22.05.2013 – Az.: VII-Verg 16/12; OLG Karlsruhe, B. v. 04.12.2013 – Az.: 15 Verg 9/13; B. v. 15.11.2013 – Az.: 15 Verg 5/13; VK Baden-Württemberg, B. v. 24.06.2013 – Az.: 1 VK 15/13; 2. VK Bund, B. v. 09.05.2014 – Az.: VK 2 – 33/14).
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
An den vom OLG Düsseldorf aufgestellten Grundsätzen ist im Grundsatz auch die streitgegenständliche Vergabe zu messen.
Zu beachten ist allerdings, dass nunmehr Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU verbietet, ein Vergabeverfahren mit der Absicht zu konzipieren, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt danach als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.
Zudem lässt Art. 32 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU / § 14 Abs. 6 VgV die Wahl einer Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb wegen nicht vorhandenem Wettbewerb aus technischen Gründen nur dann zu, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.
Es spricht viel dafür die Anforderungen des Art. 32 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU / § 14 Abs. 6 VgV auch dann heranzuziehen sind, wenn zwar (pro forma) ein offenes Verfahren durchgeführt wird, durch die Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung aber nur ein Bieter ein ausschreibungskonformes Angebot abgeben kann.
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Dies kann im vorliegenden Verfahren aber offen bleiben, weil keine Anhaltspunkte für eine künstliche Einschränkung der Auftragsvergabeparameter bestehen und die Antragsgegner eine vertretbare Erkundung des – äußerst überschaubaren – Marktes der regelmäßig in Deutschland anbietenden Drehleiterhersteller vorgenommen haben, indem sie sich Drehleitern der Antragstellerin und der Firma R.. vorführen haben lassen.
Zudem hat der Rettungskorb der Firma R.. nach der vertretbaren Einschätzung der Antragsgegner, die hier über einen erheblichen Einschätzungsspielraum verfügen, Vorteile gegenüber dem Rettungskorb der Antragstellerin, die dazu führen, dass dieser aus Sicht der Antragsgegner keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung i.S.d. Art. 32 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU / § 14 Abs. 6 VgV darstellen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei der Vergabe von Feuerwehrfahrzeugen und deren Aufbau um Leistungen geht, die dem Schutz von hochrangigen Rechtsgütern dienen, so dass hier auch relativ geringfügige Vorteile eines Produkts drastische Einschränkungen des Wettbewerbs rechtfertigen können. Dies mag bei anderen Beschaffungen u.U. anders zu beurteilen sein.
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die als Regelfall anzusehende Aufnahme und Lagerung von Krankentragen auf dem Rettungskorb gem. Pos. 1.2.5 grundsätzlich von allen Bietern zu erfüllen ist und auch von allen potentiellen Bietern serienmäßig angeboten wird. Diese herkömmliche Rettung über eine Aufnahme auf dem Rettungskorb stößt nach der nicht zu beanstandenden Beurteilung der Antragsgegner insbesondere bei in Ihrer Bewegung eingeschränkten oder adipösen Personen und kritischen Örtlichkeiten an ihre Grenzen. Die Annahme der Antragsgegner, dass bei kritischen Örtlichkeiten ein gefahrloses Aufschieben der Krankentrage auf die Reling des Rettungskorbes und damit eine gefahrlose Übernahme der zu transportierenden Personen nicht immer gewährleistet ist, ist nicht zu beanstanden, auch wenn der Antragstellerin zuzugeben ist, dass dies auch mit ihrem Rettungskorb durch eine gut geschulte Mannschaft in vielen Fällen möglich sein wird. Beim Versuch des Einfahrens mit dem Rettungskorb der Antragstellerin in ein Dachflächenfenster in einer Dachneigung muss der Korb in manuellem Betrieb in vielen Fällen in erhebliche Schräglage gebracht werden. In einer solchen Schräglage ist es jedenfalls schwieriger als bei einer rettungskorbbodennahen oder hängenden Lage einen Adipositas-Patienten oder eine sonstige erheblich verletzte Person ohne Gefährdung und Beeinträchtigung des Patienten bzw. der Feuerwehrdienstleistenden vom Inneren des Gebäudes nach oben zu schieben. Er besteht gegenüber anderen Systemen eine erhöhte Gefahr, dass ein Patient bei engen Platzverhältnissen mit seinen Beinen zwischen Trage und Fensteroberkante eingeklemmt wird. Es scheint in der Praxis üblich zu sein, dass das Monitoring (EKG) oder auch das Beatmungsgerät bei intubierten Patienten zwischen oder auf den Beinen des Patienten gelagert wird. Ebenso kann es erforderlich sein, dass der Patient aufgrund seiner Verletzungen auf der Krankentrage zusätzlich in einer Vakuummatratze und/oder auf einem Spineboard gelagert werden muss. Ein Schrägstellung des Korbes bzw. schräge Lagerung der Trage ist außerdem bei Herzinfarktpatienten ausgeschlossen, weil bei solchen unbedingt vermieden werden muss, dass sich unkontrolliert Blut im Körper verteilt.
Vergabekammer München, Beschluss v. 27.03.2017 – Z3-3-3194-1-03-02/17
In diesen Einsatzsituationen haben die Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass diese bei einer Schräglagerung der Trage zur Aufnahme auf dem Rettungskorb nicht beherrscht werden können. Deshalb durften sie im Rahmen ihres Leistungsbestimmungsrechts eine horizontale Aufnahme der Trage in Pos. 1.2.4 vorgeben. Aufgrund der in Rede stehenden äußerst gewichtigen Rechtsgüter bei der Rettung von Menschen aus Gefahrsituationen ist eine derartige Leistungsbestimmung auch nicht deshalb rechtswidrig, weil Einsätze bei denen die Unterschiede zwischen den Rettungskörben der Antragstellerin und der Fa. R.. relevant werden bei den Feuerwehren der Antragsgegner sehr selten sein werden. Hier muss bereits die abstrakte Möglichkeit einer besseren Rettung von Menschen aus kritischen Örtlichkeiten für eine zulässige Leistungsbestimmung ausreichen.
Für eine horizontale Aufnahme der Trage gibt es auf dem Markt derzeit zwei Lösungen. Die eine Lösung ist die rettungskorbbodennahe Aufnahme und Lagerung der Fa. R… Die andere Möglichkeit ist die hängende Aufnahme, wie sie die Antragstellerin über ihren „Rescue Loader“ gewährleisten kann.
Soweit die Antragstellerin durch die Vorgabe in Pos. 1.2.4, dass „das Rettungsgerät auf dieser Drehleiter vollständig mitzuführen ist“, daran gehindert ist, ihren Rescue Loader anzubieten, mit dem sie die Anforderungen der Pos. 1.2.4 ansonsten erfüllen könnte, wird sie dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.
Die Antragsgegner haben aus sachlich gerechtfertigten Gründen dargelegt, warum sie auf diese Anforderung nicht verzichten wollen. Sie haben nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass in einem Einsatzfall, in dem eine Person über die Drehleiter auf einer Krankentrage bei kritischen Örtlichkeiten gerettet werden muss, der Einsatz des Rettungsmittels – im Fall der Antragstellerin des „Rescue Loaders“ – ohne zeitliche Verzögerung möglich sein muss. Dazu ist es notwendig, dass der „Rescue Loader“ auf dem Drehleiterfahrzeug selbst verlastet ist und damit unmittelbar zur Verfügung steht. Es ist bereits ein Nachteil, dass in einem solchen Einsatzfall zunächst noch der Korb abmontiert und der „Rescue Loader“ an die Drehleiter angebracht werden muss. Weitere potentielle Zeitverzögerungen durch einen gesonderten Antransport des „Rescue Loader“ sind im Sinne einer effektiven Personenrettung nicht hinnehmbar. Hinzu kommt, dass die Antragsgegner dann für den Transport des „Rescue Loader“ gesonderte Transportfahrzeuge vorhalten und einsetzen müssten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Notwendigkeit des Einsatzes des „Rescue Loaders“ in der Regel erst vor Ort ergibt, so dass dieser, wenn er nicht auf dem Leiterfahrzeug verlastet ist, stets vorsorglich mit einem gesonderten Transportfahrzeug vor Ort gebracht werden müsste, unabhängig davon, ob der Einsatz erforderlich ist oder nicht.
Die Vorgabe, dass „das Rettungsgerät auf dieser Drehleiter vollständig mitzuführen ist“ in Pos. 1.2.4 ist daher sachlich gerechtfertigt, selbst wenn sie dazu führt, dass im streitgegenständlichen Vergabeverfahren nur noch die Fa. R.. für den Aufbau ein Angebot abgeben kann, das der Leistungsbeschreibung entspricht.