von Thomas Ax
Bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen ist der öffentliche Auftraggeber im rechtlichen Ansatz ungebunden. Die Entscheidung wird erfahrungsgemäß von zahlreichen Faktoren beeinflusst, unter anderem von technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen oder solchen der sozialen, ökologischen oder ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Sie muss zunächst einmal getroffen werden, um eine Nachfrage zu bewirken. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung (OLG München, Beschl. v. 28.7.2008 – Verg 10/08; OLG München, Beschl. v. 09.09.2010 – Verg 10/10, Bestuhlung; Senat, Beschl. v. 27.06.2012 – VII Verg 7/12, Fertigspritzen; Senat v. 01.08.2012 – VII Verg 10/12, Warnsystem, juris Rn 41; Senat, Beschl. v. 31.05.2017 – VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 40 jeweils m.w.N.). Einer besonderen vergaberechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den Auftraggeber nicht. Sie ergibt sich aus der Vertragsfreiheit. Die danach im jeweiligen Fall vorgenommene Bestimmung des Beschaffungsgegenstands ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen im Ausgangspunkt nicht zu kontrollieren (Senat, Beschl. v. 31.05.2017 – VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 40 m.w.N.).
Nach § 31 Abs. 1 S. 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber aber die Leistungsbeschreibung in einer Weise zu fassen, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt. In der Leistungsbeschreibung darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden. Solche Verweise sind nur zulässig, wenn dieser Verweis durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist (§ 31 Abs. 6 S. 1, 2. HS VgV) oder wenn der Auftragsgegenstand andernfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann (§ 31 Abs. 6 S. 2, 1. HS VgV). § 31 Abs. 6 VgV regelt somit in richtlinienkonformer Umsetzung von Art. 42 Abs. 4 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU nach einhelliger Auffassung der Vergabesenate (vgl. nur OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 – 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52 jeweils m.w.N.) und der Literatur (Trutzel/Meeßen, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl., § 31 VgV Rn 49 ff; Seebo, in: MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 31 VgV Rn 62 ff. jeweils m.w.N.) zwei Alternativen und zwar in Satz 1 eine durch den Auftragsgegenstand ausnahmsweise gerechtfertigte Vorgabe eines bestimmten Produkts im Sinne einer produktscharfen Ausschreibung und in Satz 2 die Verwendung eines bestimmten Produkts zur Beschreibung der Leistung im Sinne eines Leitfabrikats. Die in § 31 Abs. 6 S. 2, 2. HS VgV vorgeschriebene Verwendung “oder gleichwertig” bezieht sich allein auf die im Satz 2 im ersten Halbsatz genannte beschreibende Verwendung. Nur in Bezug auf diese macht sie auch Sinn. Die von der Antragstellerin angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union beziehen sich alle auf eine beschreibende Verwendung. Dass es generell keine Möglichkeit zur produktspezifischen Ausschreibung geben soll, kann dem nicht entnommen werden. Das Vergaberecht gestattet in § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b und c, Abs. 6 VgV sogar in Ausnahmefällen die Verhandlung mit nur einem Bieter. Dass der niedrigere Eingriff einer Produktvorgabe demgegenüber grundsätzlich ausgeschlossen sein soll, widerspräche dem.
Herstellerverweise sind dann durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (st. Rspr., vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 – 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; OLG München, Beschl. v. 26.03.2020 – Verg 22/19, juris Rn 128; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 31.05.2017 – VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 48; Senat, Beschl. v. 13.04.2016 – VII Verg 47/15, Voice over IP, juris Rn 26; Senat, Beschl. v. 22.05.2013 – VII Verg 16/12, Hochschulverwaltungssoftware, juris Rn 40; Senat, Beschl. v. 01.08.2012 – VII Verg 10/12, Warnsystem, juris Rn 40 ff). Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu (OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 – 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 06.07.2005 – VII Verg 26/05 – juris Rn 6; Traupel, in: Müller-Wrede, VgV/UVgO Kommentar, 2017, § 31 VgV Rn 69; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn. 62). Die Entscheidung muss aber nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein; wenngleich eine vorherige Markterkundung nicht erforderlich ist (OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 – 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 01.08.2012, Verg 10/12, Warnsystem, juris; ebenso OLG München, Beschl. v. 09.09.2010 – Verg 10/10 und OLG Jena, Beschl. v. 25.06.2014 – 2 Verg 1/14, juris Rn 46; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn. 61 f.). Die Darlegungslast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liegt beim öffentlichen Auftraggeber (Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 62).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das OLG Düsseldorf eine sachliche Rechtfertigung für eine Produktvorgabe aus technischen Gründen bejaht, wenn im Interesse der Systemsicherheit und Funktion eine wesentliche Verringerung von tatsächlich bestehenden und abzuwendenden Risikopotentialen wie das Risiko von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsproblemen bewirkt wird (Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 31.05.2017 – VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 48; Senat, Beschl. v. 13.04.2016 – VII Verg 47/15, Voice over IP, juris Rn 26; Senat, Beschl. v. 22.05.2013 – VII Verg 16/12, Hochschulverwaltungssoftware, juris Rn 40; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 57 ff.). Insbesondere im sicherheitsrelevanten Bereichen dürfen Auftraggeber den sichersten Weg einschlagen und so jedwedes Risikopotential ausschließen (OLG Celle, Beschl. v. 31.03.2020 – 13 Verg 13/19; ; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 57). Bei sonstigen Kompatibilitätsproblemen, die bei der Beschaffung neuer Systemkomponenten – insbesondere von IT-Komponenten – regelmäßig auftreten können, muss der Auftraggeber demgegenüber aufzeigen, dass durch den Wechsel des Systems oder die produktneutrale Ergänzung ein unverhältnismäßiger Mehraufwand entstünde oder die Funktionalität auf nicht hinnehmbare Weise beeinträchtigt würde (vgl. Senat, Beschl. v. 16.10.2019 – VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 55; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 59).