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Hinweise zu den bauaufsichtlichen Anforderungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen

(Stand März 2022)

Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine ist eine zunehmende Anzahl von Menschen auf der Flucht. Zahlreiche Flüchtlinge haben zwischenzeitlich auch Deutschland erreicht. Die Anzahl der in Hessen zu erwartenden Kriegsflüchtlinge kann derzeit kaum abgeschätzt werden, ebenso wenig die Dauer der Flüchtlingskrise. Häufig müssen die neu eintreffenden Menschen sehr kurzfristig in bisher anders genutzten Gebäuden untergebracht werden.
Nach der Hessischen Bauordnung (HBO) ist i. d. R. vor der Nutzungsaufnahme von bisher anderweitig genutzten bzw. genehmigten Gebäuden bzw. vor der Aufstellung von Zelt- oder Containeranlagen ein Baugenehmigungs- oder Zustimmungsverfahren erforderlich. So bedürfen Nutzungsänderungen von baulichen Anlagen und Räumen der Baugenehmigung, wenn für die neue Nutzung andere oder weitergehende öffentlich-rechtliche, insbesondere auch bauplanungsrechtliche Anforderungen als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen (vgl. Abschnitt III Nr. 1 der Anlage zu § 63 HBO). Die bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden ergeben sich insbesondere aus der kommunalen Bauleitplanung, dem Baugesetzbuch (BauGB) und der hierauf gestützten Baunutzungsverordnung (BauNVO). Mögliche planungsrechtliche Einschränkungen bestehen unabhängig von der materiell-rechtlichen Bewertung der vorgesehenen Unterbringung nach HBO. Zu den bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen siehe „Standorte für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland“ (unter dem Link: https://wirtschaft.hessen.de/wohnen-bauen/baurecht/bauplanungsrecht). Aktuell kommt die Durchführung förmlicher Verfahren aufgrund des engen zeitlichen Vorlaufs der Unterbringung und der damit drohenden Obdachlosigkeit der Flüchtlinge vor Nutzungsaufnahme meist nicht in Betracht.

I. Duldung

Vorausgesetzt, dass materielle Mindeststandards zur Gefahrenabwehr eingehalten sind, ist in Anbetracht der bestehenden Notsituation eine zeitlich befristete Duldung der Nutzung ohne förmliches Verfahren vertretbar. Die Personensicherheit, insbesondere die Durchführbarkeit einer schnellen Räumung im Gefahrenfall, hat dabei oberste Priorität. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass eine Duldung für einen Zeitraum vertretbar ist, innerhalb dessen ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden kann. Im Regelfall sind dies drei Monate. Diese Frist dürfte in Anbetracht der aktuellen Lage zu kurz bemessen sein, da die zuständigen Stellen allein mit der Schaffung neuer Unterbringungsmöglichkeiten ausgelastet sind und aktuell entsprechende Änderungen des BauGB anstehen. Ist die Beendigung der Nutzung nach sechs Monaten nicht absehbar, so sollte durch den verantwortlichen öffentlichen Träger eine zeitliche Konzeption für die Durchführung eines förmlichen Verfahrens veranlasst werden.

II. Zuständigkeit

· Soweit die Voraussetzungen des Zustimmungsverfahrens nach § 79 Abs. 1 bis Abs. 3 HBO erfüllt sind, bedarf es keiner Duldung durch die untere Bauaufsichtsbehörde. So kann ein Vorhaben zur Unterbringung von Kriegsflüchtlingen (Neuerrichtung oder Nutzungsänderung) im Zuständigkeitsbereich der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge(HEAE) ohne Baugenehmigungsverfahren erfolgen, soweit die  Leitung der Entwurfsarbeiten einer Baudienststelle des Landes oder des Bundes übertragen wird, die den Anforderungen des § 60 Abs. 2 HBO entsprechend besetzt ist. Gebäude, die durch das HEAE zum Zweck der Erstunterbringung erstellt oder umgenutzt werden, sind i. d. R. Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft. Die Regierungspräsidien sowie die unteren Bauaufsichtsbehörden und die örtlichen Brandschutzdienststellen werden ggf. im Wege der Amtshilfe bei der Einrichtung von Erstunterkünften tätig. Die Amtshilfe ist in den §§ 4 ff. des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) geregelt. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG ist die ersuchte Behörde im Rahmen des Amtshilfeersuchens für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich. Eine eigene Zuständigkeit der unteren Bauaufsichtsbehörde für die Überwachung von Bauvorhaben in öffentlicher Trägerschaft besteht nicht.
· In Einzelfällen ist die Einrichtung von Erstunterkünften auf direkte ministerielle Weisung durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) bzw. das Hessische  Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) durch den Katastrophenschutz möglich. In diesen Fällen kommt die Freistellungsregelung nach Abschnitt I Nr. 11.14 der Anlage zu § 63 HBO in Betracht.
· Ein großer Teil der eintreffenden Kriegsflüchtlinge muss kurzfristig durch die Kommunen untergebracht werden. Eine Unterbringung in Wohnungen ist aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes i. d. R. nicht möglich. Eine Unterbringung, z. B. in Bürogebäuden, muss deshalb im Rahmen von (ggf. vorrübergehenden) Umnutzungen erfolgen. Soweit es sich nicht um Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft handelt, sind für die Beurteilung der formellen und materiellen Zulässigkeit der Umnutzung die unteren Bauaufsichtsbehörden zuständig.

Ist aufgrund der Notwendigkeit einer zeitnahen Unterbringung die Durchführung eines erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens vor Nutzungsaufnahme nicht möglich oder ist in Gebäuden nur eine vorübergehende Unterbringung vorgesehen, so kann die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in dafür nicht genehmigten Gebäuden vorübergehend dulden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Schutzziele des § 3 HBO, gegebenenfalls auch durch entsprechende Auflagen, gewährleistet sind. Für bauliche Anlagen in öffentlicher Trägerschaft (vgl. § 79 Abs. 6 HBO) obliegt es dem öffentlichen Bauherrn, in eigener Zuständigkeit die notwendigen Maßnahmen für eine sichere Unterbringung zu gewährleisten bzw. ggf. ein formales Baugenehmigungs- oder Zustimmungsverfahren zu veranlassen.

III Umgang mit Bestandsgebäuden

· Wohnungen
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in bestehenden Wohnungen führt i. d. R. nicht zu weitergehenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen, sofern der Wohncharakter mit der damit verbundenen Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gewahrt bleibt. In Abgrenzung zum Wohnheim mit zentralen Einrichtungen (z. B. Toiletten, Duschen) bzw. Versorgung wird in der Wohnung regelmäßig das Vorhandensein eines Bades mit Badewanne/Dusche und Toilette sowie einer Küche oder Kochnische vorausgesetzt. Weitere Voraussetzung neben der weitgehend eigenständigen Lebensführung ist eine wohnungsadäquate Nutzung und Belegung der Wohnung. So muss für alle Bewohner die Zugänglichkeit der Rettungswege sichergestellt sein. Zudem dürfen die Wohnungen nicht überbelegt sein. Als Orientierung für die zulässige Belegungsdichte kann das Hessische Wohnungsaufsichtsgesetz (HwoAufG) herangezogen werden. Demnach dürfen Wohnungen nur überlassen und benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 9 qm vorhanden ist. Einzelne Wohnräume dürfen nur überlassen und benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 6 qm vorhanden ist und Nebenräume zur Mitbenutzung zur Verfügung stehen. Stehen Nebenräume nicht oder offensichtlich nicht ausreichend zur Verfügung, müssen pro Person Wohnräume von mindestens 9 qm zur Verfügung stehen (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 HwoAufG).

· Pensionen/Hotels (Beherbergungsstätten)
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in bestehenden Beherbergungsstätten führt i. d. R. nicht zu über die bestehende Baugenehmigung hinausgehenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen. Dies gilt sowohl für Beherbergungsbetriebe, die Regelbauten sind, als auch für solche mit mehr als 30 Gastbetten, die den Sonderbautatbestand des § 2 Abs. 9 Nr. 11 b) HBO erfüllen. Voraussetzung in beiden Fällen ist, dass diese das typische Gepräge eines Beherbergungsbetriebes nicht verlieren und der genehmigte Nutzungsrahmen eingehalten wird. Dabei stellt die Nutzung von Bewirtungs- oder Konferenzräumen als Gemeinschaftsräume meist keine bauordnungsrechtlich relevante Nutzungsänderung dar. Insbesondere aufgrund der Erhöhung der Bettenanzahl kann jedoch der Nutzungsrahmen überschritten sein. Maßgeblich ist die der Baugenehmigung zugrundeliegende Anzahl der Betten.

· Wohnheime
Die Nutzung eines bestehenden und genehmigten Wohnheims, z. B. eines Alten- oder Studentenwohnheims, zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden führt nicht zu höheren bauordnungsrechtlichen Anforderungen, sofern der in der Baugenehmigung festgelegte Nutzungsrahmen nicht verlassen wird.

· Sammelunterkünfte
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in anderen Gebäuden, die bestimmungsgemäß nicht der Übernachtung von Menschen dienen (z. B. Büroeinheiten, Turnhallen, Veranstaltungsräume), stellt immer eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Ungeachtet möglicher gebäudebezogener Sonderbautatbestände kommt bei der Unterbringung von Flüchtlingen eine Sonderbaueigenschaft nach § 2 Abs. 9 Nr. 9 HBO in Betracht. Danach sind sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Personen Sonderbauten. Die Unterbringung ist dabei abzugrenzen vom Wohnen. Während das Wohnen durch eine auf Dauer angelegte selbstständige Haushaltsführung sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet ist, sind Merkmale der Unterbringung im Regelfall der nur vorübergehende Unterbringungsbedarf sowie die gleichzeitige Betreuung, Aufsicht, Pflege oder Anleitung der untergebrachten Personen. Einrichtungen der Unterbringung weisen i. d. R. eine bestimmte Organisationsstruktur auf, die unabhängig von dem Wechsel und der Anzahl der untergebrachten Personen und deren Aufenthaltsdauer ist. Von einem Sonderbau ist insbesondere dann auszugehen, wenn in Nutzungseinheiten mehr als 30 Personen untergebracht werden sollen. Die Anforderungen für solche Sammelunterkünfte sind in einem Brandschutzkonzept einzelfallbezogen festzulegen (vgl. § 53 HBO). Für kleinere Nutzungseinheiten gelten die Regelanforderungen der HBO. Nach Ablauf einer befristeten Baugenehmigung zur Umnutzung einer Liegenschaft für die Unterbringung von Flüchtlingen ist die Rückkehr zur ursprünglich genehmigten Nutzung möglich, wenn sich keine grundlegenden, insbesondere bauplanungsrechtlichen Änderungen ergeben haben; auf die Regelungen des § 246 Abs. 13 Satz 5 und Abs. 14 Satz 6 BauGB wird hingewiesen. Auch soweit solche Umnutzungen ohne förmliches Verfahren vorübergehend geduldet werden, muss die Sicherheit für die im Gebäude befindlichen Menschen in allen Fällen gewährleistet sein. Die in der Checkliste (siehe Anlage) zusammengestellten Punkte sollen als Anhaltspunkt für die Bewertung und Festlegung von Mindestsicherheitsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall, insbesondere bei ein- und zweigeschossigen Bestandsgebäuden, dienen. Vorhandene und aufgrund der Zeitvorgaben hinzunehmende bauliche Mängel sind dabei insbesondere durch betriebliche Maßnahmen zu kompensieren.

IV Betreiberverantwortung

Die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften sind für die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Anforderung im Betrieb verantwortlich. Sie haben die besondere sprachliche, kulturelle und psychische Disposition der Flüchtlinge bei der Wahrnehmung ihrer Obliegenheitspflichten zu berücksichtigen. In den Baugenehmigungen festgeschriebene betrieblichorganisatorische Maßnahmen (z. B. Brandschutzordnung) sind im Rahmen einer Duldung entsprechend anzupassen. Die Benutzer sind in geeigneter Form über die Rettungswege und das Verhalten im Brandfall zu informieren. Die Sicherstellung der Betriebsbereitschaft der nach § 14 Abs. 2 HBO erforderlichen Rauchwarnmelder in Schlafräumen, in denen Flüchtlinge untergebracht werden, ist durch die Betreiber zu gewährleisten. Es wird empfohlen, alle Schlafräume mit Rauchwarnmeldern auszustatten, auch soweit dies nicht zwingend bauaufsichtlich vorgeschrieben ist; dies gilt nicht für Räume im Überwachungsumfang einer wirksamen und betriebssicheren Brandmeldeanlage, durch die anwesende Personen im Brandfall automatisch gewarnt werden.