von Thomas Ax
Aufgrund der hohen Inflationsraten und einer zunehmend unter Druck stehenden Geldwertstabilität ist die Kalkulation mittel- und langfristig tragfähiger Preise derzeit kaum noch realisierbar. Die Vergabe öffentlicher Aufträge ist davon in besonderer Weise betroffen:
1. Ausschreibungs- und Vergabeprozesse können viel Zeit in Anspruch nehmen und die Preiskalkulation muss lange vor Vertragsschluss erfolgen. Zudem nutzt die öffentliche Hand häufig mehrjährige Rahmenverträge, was die Planungsunsicherheiten zusätzlich verschärft.
2. Erschwerend kommt hinzu, dass Preisindizes als ex-post-Betrachtung immer nachlaufend sind. Werden dem Auftraggeber Verlängerungsoptionen eingeräumt, kann der Auftragnehmer nach Ablauf der Grundlaufzeit in der Regel nicht einseitig kündigen (einseitige Bindung).
3. Bei Planungsunsicherheiten reagieren seriös kalkulierende Unternehmen mit hohen Risikoaufschlägen, um die Auskömmlichkeit ihrer Angebote sicherstellen zu können. In der Konsequenz werden sich besonders risikoaffine Angebote zunehmend durchsetzen. Das gilt insbesondere, da das Preiskriterium zunehmend an Bedeutung gewinnt und häufig allein ausschlaggebend ist bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags. Es resultiert die Gefahr einer Marktverengung, bei der Unternehmen ihre Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungsverfahren einschränken.
4. Es besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb zugunsten großer Anbieter verzerrt wird, die sich (ggf. für einen gewissen Zeitraum) Negativmargen leisten können. Besonders betroffen durch die steigenden Inflationsraten sind hingegen kleine und mittelständische Unternehmen sowie Startups, deren Interessen der Auftraggeber per Gesetz (§ 97 Abs. 4 GWB) besonders zu berücksichtigen hat. Sie haben in der Regel weniger finanzielle Spielräume und eine höhere Abhängigkeit von einzelnen Aufträgen als global tätige Unternehmen.
5. Liegen die tatsächlichen Inflationsraten später über den Risikoaufschlägen, kann dies zu Komplikationen bei der Leistungserbringung führen. Für Dienstleister ist die Bedienung von Rahmenverträgen, die auf angesichts der Inflation obsolet gewordenen Preisen beruhen, ggf. sogar ruinös Im schlimmsten Falle können Unternehmen ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen – mit harten Konsequenzen auf Beschaffer- und Anbieterseite.
Mit dem Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) vom 25. März 2022 (aktualisiert am 22. Juni 2022) hat die Bundesregierung reagiert und für Bauleistungen für den Bund Stoffpreisgleitklauseln für bestimmte Baustoffe für neue und laufende Vergabeverfahren zur Pflicht gemacht. Der Erlass soll die Preissteigerungen im Baubereich in Folge des Angriffs auf die Ukraine gerechter zwischen öffentlichen Auftraggeber und Auftragnehmer aufteilen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat am 24. Juni 2022 ein Schreiben zum Umgang mit Preissteigerungen in der öffentlichen Auftragsvergabe veröffentlicht. Der russische Angriffskrieg wird darin als außergewöhnliches Ereignis beschrieben, das von Vergabestellen unter bestimmten Umständen als Begründung für Vertragsanpassungen bzw. die Aufnahme von Preisgleitklauseln bei der Vergabe öffentlicher Aufträge genutzt werden kann.
Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung hat in einem Schreiben vom 29. Juni 2022 hervor gehoben, dass eine seriöse Angebotskalkulation aufgrund des Krieges in der Ukraine derzeit kaum möglich ist.
Unternehmen mit einem hohen Fachkräftebedarf stehen dann unter Umständen vor der unternehmerischen Abwägung, ob die Bedienung des öffentlichen Sektors perspektivisch überhaupt noch ein tragfähiges Geschäftsmodell darstellt oder die Beschäftigten stattdessen in anderen Bereichen eingesetzt werden. Nötig ist aus unserer Sicht insbesondere die Anpassung von Verträgen bei längeren Restlaufzeiten.
Lösung 1:
Für Verträge mit einer Restlaufzeit von über einem Jahr sollten im Dialog zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer notwendige Vertragsanpassungen geprüft werden. Aufgrund der höchsten Inflation der letzten 50 Jahre, die neben dem Ukraine-Krieg auch die Corona-Pandemie verursacht wurde, ist das wirtschaftliche Gleichgewicht zu Lasten des Auftragnehmers verschoben (§ 132 Abs. 1 Nr. 2 GWB und § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB).
Lösung 2:
Die Aufnahme von Preisgleitklausen in Neuverträge ist – unabhängig vom Eintreten eines außergewöhnlichen Ereignisses – grundsätzlich möglich und auch dazu geeignet Unsicherheiten bei der Planung und Kalkulation (mehrjähriger) Aufträge zu verringern.
Sprechen Sie uns bei Bedarf gerne an.