vorgestellt von Thomas Ax
Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung ist entbehrlich, wenn der Verkäufer die Leistung (hier: die mangelfreie Lieferung der vereinbarten Masken) nicht bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin bewirkt hat, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung in einer für den Verkäufer erkennbaren Weise für den Käufer wesentlich ist. Einem bestehenden Fixschuldcharakter kann es zwar abträglich sein, wenn die festgelegte Lieferfrist von den Vertragsparteien nachträglich einvernehmlich verlängert wird. Aus den Umständen des Einzelfalls kann sich aber ausnahmsweise auch ergeben, dass sich abgesehen von der Terminverschiebung am Fixcharakter des Geschäfts nichts ändern soll. Die öffentliche Hand betreibt kein Handelsgewerbe, wenn sie – auch als Großabnehmer – nachfragt, so dass sie auch keine kaufmännischen Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten trifft.
LG Bonn, Urteil vom 17.03.2021 – 1 O 244/20 (nicht rechtskräftig)
Tatbestand
Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche der Klägerin aus einem mit der Beklagten im Rahmen der COVID-19-Pandemie geschlossenen Vertrag über die Lieferung von Atemschutzmasken.
Im Rahmen eines sog. Open House Verfahrens, bei dem der Auftraggeber nicht nur mit einem oder einer von Anfang an bestimmen Anzahl von Unternehmen einen Liefer- oder Dienstleistungsvertrag abschließt, sondern zu vorher vorgegebenen Konditionen mit allen interessierten Unternehmen kontrahieren will, veröffentlichte die Beklagte am 27.03.2020 die Auftragsbekanntmachung mit der Referenznummer ###-####-#### im „Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union“ für das europäische öffentliche Auftragswesen sowie in dessen Online-Version „D“ (Anlage B1) zur Beschaffung persönlicher Schutzausrüstung. Dessen Ziffer II.2.4) lautet wie folgt:
„(…) Das Vertragssystem beginnt ab sofort zu laufen und endet mit Ablauf des 08.02.2020. Zu berücksichtigten ist jedoch, dass spätester Liefertermin der 30.04.2020 innerhalb der üblichen Geschäftszeiten der G & Co. KG (…) ist.“
Beigefügt waren die Aufforderung zur Angebotsabgabe, das Angebotsformular, das Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung, die Leistungsbeschreibung, die Teilnahmebedingungen sowie die Hinweise zum Datenschutz (jeweils Teil der Anlage B1).
Auch die Aufforderung zur Angebotsabgabe und die Teilnahmebedingungen enthielten unter 3.1 bzw. III. jeweils einen Hinweis auf den genannten Liefertermin zum 30.04.2020.
Die zu liefernden Masken wurden als „FFP2-Masken“ bezeichnet, wobei es in der Anlage 1 zu § 2.1 a des Vertrags heißt:
„FFP2 Masken
Beschreibung: ·
Atmungsaktives Design, das nicht gegen den Mund zusammenfällt (z.B. Entenschnabel, becherförmig) ·
Versehen mit einer Metallplatte an der Nasenspitze · Kann wiederverwendbar* (aus robustem Material, das gereinigt und desinfiziert werden kann) oder Einwegartikel sein
Normen/Standards:
Atemschutzgerät „N95“ gemäß FDA Klasse II, unter 21 CFR 878.4040, und CDC NIOSH, oder „FFP2″ gemäß EN 149 Verordnung 2016/425 Kategorie III
oder gleichwertige Normen, auch KN95 (CHN)“
Der Preis war mit 4,50 EUR pro Maske angegeben.
Zudem finden sich in dem o.g. Vertragsformular insbesondere die folgenden weiteren Regelungen:
In § 3 Ziffer 3.2 heißt es zur Lieferung:
„Die Lieferung der Produkte hat an die G & Co. KG (…) während der üblichen Geschäftszeiten zu erfolgen; (…). Die Lieferung ist der G & Co. KG in Textform mit einer Frist von mindestens drei Kalendertagen vor dem Liefertermin anzukündigen. Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten gemäß S.1. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).“
§ 5 Ziffer 5.1. bestimmt in Bezug auf die Zahlung:
„Der AG zahlt die vereinbarte Vergütung bargeldlos binnen einer Woche nach erfolgter Lieferung und Eingang einer den Vorschriften des Umsatzsteuerrechts entsprechenden Rechnung bei der G. & Co. KG (…) auf das von dem AN angegebene Konto.“
Unter § 6 und der Überschrift „Mängelansprüche“ finden sich in den Ziffern 6.1 und 6.2 die folgenden Regelungen:
„6.1 Für Sach- und Rechtsmängelansprüche gelten die gesetzlichen Vorschriften, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist.
6.2 Eine Untersuchungs-/Rügeobliegenheit des AG beschränkt sich auf Mängel, die nach der Ablieferung unter äußerlicher Begutachtung offen zu Tage treten (z.B. Transportbeschädigungen, Falsch- und Minderlieferungen). Eine Rüge/Mängelanzeige gilt als unverzüglich und rechtzeitig, wenn sie innerhalb von sieben Kalendertagen beim AN eingeht.“
Ferner heißt es dort unter § 7 Ziffer 7.1 des Vertrages:
„Der Vertrag tritt mit Zuschlagserteilung des AG auf das im Open-House-Verfahren abgegebene Angebot des AN in Kraft und endet mit Ablauf des 30.04.2020. Die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten (…) bestehen (…) fort.“
Die Schutzmasken sollten im Anschluss an die Beschaffung durch die Beklagte an die Bundesländer und Kassenärztlichen Vereinigungen weitergegeben werden.
Die Anlieferungen der Masken wurden im Auftrag der Beklagten durch die G. & Co. KG (nachfolgend „G“) sowie die im fortgeschrittenen Stadium des Open House Verfahrens involvierte X GmbH (nachfolgend: „X“) koordiniert. Nach Ankündigung einer Anlieferung durch den Auftragnehmer wiesen die Logistiker der geplanten Anlieferung eine oder mehrere Avisierungsnummern zu und teilten die Lieferadresse mit. Dabei entsprach eine T-Nummer jeweils einem LKW-Anlieferslot, d.h. pro LKW wurde eine Avis-Nummer vergeben. Die Avis-Nummer beinhaltete oft ein Kürzel für das jeweilige Lager (z.B. „BI“ für das Lager in L). Wurde bei Ankunft eines LKW festgestellt, dass sich darin Masken unterschiedlicher Typen bzw. mit unterschiedlichen Verpackungen bzw. von unterschiedlichen Herstellern oder Produktionschargen befanden, wurden vom Y oder vom Logistikdienstleister zum Teil Teil-Avis-Nummern mit Buchstaben (Avis-Nr._A; Avis-Nr._B usw.) vergeben.
Die Klägerin bot die Lieferung von 1.000.000 Masken an und erhielt am 10.04.2020 den Zuschlag durch die Beklagte.
960.000 Masken wurden am 05.05. bzw. 06.05.2020 geliefert. Anders als im Vertrag vereinbart, sollte die Lieferung über X erfolgen und an ein Lager in Q. Die Parteien korrespondierten zwischen dem 21.04. und 05.05.2020 über einen genauen Liefertermin, bis schließlich eine Teillieferung an zwei Tagen vereinbart wurde. Weitere bezuschlagte 40.000 Masken lieferte die Klägerin nicht mit aus. Sie bot bezüglich dieser Masken mit Mail vom 07.05.2020 eine Lieferung bis 13.05.2020 an und erneuerte das Angebot am 11.05.2020 (Anlage K15). Die Klägerin lagert diese derzeit ein. Die Klägerin forderte die Beklagte, anwaltlich vertreten, zur Abnahme und Zahlung dieser Masken auf.
Die Beklagte ließ die Masken durch die Y GmbH (im Folgenden „Y“) testen.
Bei Ausbruch der COVID-Pandemie herrschte auf dem europäischen Markt enormer Mangel an zertifizierten Schutzmasken. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, hatte die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (nachfolgend auch „ZLS“) das von der europäischen Norm EN 149 vorgesehene Prüfverfahren auf Grundlage der am 13. März 2020 von der EU-Kommission herausgegebenen „Empfehlung der Europäischen Kommission 2020/403 über Konformitätsbewertungs- und Marktüberwachungsverfahren im Kontext der COVID-19-Bedrohung“ (Anlage B 3) angepasst und infolge dessen den Prüfgrundsatz für Corona SARS-Cov-2 Pandemie Atemschutzmasken (auch „CPA-Prüfgrundsatz“) (Anlage B 4) erstellt. Die Beklagte entschied, das Prüfverfahren auf Basis des CPA-Prüfgrundsatzes zu modifizieren. Die Modifikation des CPA-Prüfgrundsatzes erfolgte durch das BMG in Abstimmung mit dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte („BfArM“) unter dem Gesichtspunkt eines Einsatzes der Produkte im medizinisch-gesundheitlichen Bereich. Zur Durchführung der erforderlichen Prüfung benannte die Beklagte den Y; dieser war/ist einschließlich seiner Gruppengesellschaft der K. GmbH & Co. KG (nachfolgend auch „K“) sowohl von der ZLS als auch dem BfArM als dafür geeignetes Prüfinstitut anerkannt.
Die Beklagte führte zunächst eine Sensorikprüfung durch, die Verpackung, Kennzeichnung, Passform und Befestigung der Bänder und Nasenbügel umfasste. Hieran schloss sich – an anderen Prüfexemplaren – eine Laborprüfung an. Diese bestand in Atemwiderstandsprüfung und Filterdurchlassprüfung. In diesen beiden Punkten unterscheiden sich die für FFP2- bzw. KN95-Masken geltenden Regularien in ihren Anforderungen. Die Beklagte ließ für KN95-Masken angepasste Testverfahren durchführen und prüfte nicht allein nach dem chinesischen Standard GB 2626, der für diese Masken gilt. Insgesamt wurden pro Lieferung so 3-10 Masken für die Testung genutzt, es wurden aber nicht an allen Exemplaren alles Tests durchgeführt.
Dabei unterscheiden sich die vereinbarten Standards der europäischen Norm EN 149 für FFP2 Masken und der chinesischen Norm GB 2626 für KN95 Masken sowohl im Hinblick auf den zulässigen Durchlassgrad, als auch die bei den Filterdurchlasstests anzuwendenden Prüfbedingungen. Während FFP2-Schutzmasken gemäß Ziffer 7.9.2 der EN 149 bei einem Luftstrom von 95 l/min einen Durchlassgrad von maximal 6 % aufweisen müssen, dürfen chinesische KN95-Schutzmasken gemäß Ziffer 5.3 und 6.3 GB 2626 bei einem Luftstrom von 85 l/min den Durchlassgrad von 5 % nicht überschreiten. Auch können FFP2-Schutzmasken sowohl mit paraffinölhaltigen Aerosolen als auch Natriumchlorid getestet werden, wohingegen bei KN95-Schutzmasken lediglich Prüfungen mit Natriumchlorid zulässig sind.
Unter dem 16.07.2020 (Anlage K19) teilte die Beklagte der Klägerin mit, bereits am 28.05.2020 per Mail vom Vertrag teilweise zurückgetreten zu sein. Diese Mail (Anlage K19) war an die Adresse ####@####-####.com gerichtet gewesen. In dieser Mail werden stichpunktartig Mängel der Masken benannt, jedoch ohne Details wie die genauen Durchlassgrade zu nennen oder Prüfunterlagen beizufügen. Dies erfolgte erst am 04.08.2020. Unter dem 04.08.2020 (Anlage K21, Bl. ###) und erneut mit der Klageerwiderung erklärte die Beklagte den Rücktritt von der Teillieferung über 40.000 Masken. Mit der Klageerwiderung erfolgte ein weiterer Teilrücktritt aufgrund eines zu hohen Durchlassgrads der unter der Avis-Nummer ### (Liefernummer: ###) gelieferten Schutzmasken. In der Folge befanden sich die Parteien in Vergleichsverhandlungen. In diesem Rahmen wurde auch eine Nachuntersuchung der Masken vorgenommen.
Am 29.05.2020 leistete die Beklagte eine Teilzahlung in Höhe von 267.750,00 EUR. Am 11.08.2020, damit vor Rechtshängigkeit der hiesigen Klage, leistete sie eine weitere Teilzahlung in Höhe von 92.472,72 EUR unter dem Verwendungszweck „Verzugszinsen und RA-Kosten“. Die Klägerin verrechnet diese auf Zinsen auf offene und gezahlte Beträge sowie die ursprünglich geltend gemachten Anwaltskosten.
Die Klägerin bot der Beklagten unter dem 11.01.2021 eine Lieferung von Ersatzmasken an gegen Herausgabe der gelieferten Masken und Zahlung des ursprünglich vereinbarten Kaufpreises. Die Beklagte lehnte dies am 14.01.2021 ab.
Im Detail geht es um folgende Maskenlieferungen:
(…)
Die Klägerin behauptet, die von ihr gelieferten Masken seien nicht mangelhaft. Zudem habe die Beklagte ihr gegenüber nicht vorgetragen oder nachgewiesen, welche Mängel die Masken haben sollten. Die von ihr erstmals am 04.08.2020 vorgelegten Prüfberichte genügten dem nicht. Denn nach Auskunft des Y seien diese nicht von ihm erstellt und auch fehlerhaft, das der Y nicht nach FFP2/KN95 prüfen dürfe, sondern nur nach CPA. Zu kurze Kopfbänder seien kein Mangel, sondern diese Bedürfnisse seien je nach Kopfform des Trägers unterschiedlich.
Die Klägerin lässt die Mangelhaftigkeit der Masken aber insgesamt im Verfahren dahingestellt.
Die Auslieferung der weiteren 40.000 Masken habe sich verzögert durch einen Verladefehler in Z. Trotz mehrfacher Aufforderungen habe die Beklagte ihr hierfür keinen Lieferslot zugewiesen. Bis zum Rücktritt habe sie auch nicht erklärt, die Masken nicht haben zu wollen.
Eine Mail vom 28.05.2020 habe sie nicht erhalten, jedenfalls erst am 16.07.2020 von dieser Kenntnis erlangt. Sie habe die Adresse, an die diese versandt wurde, auch nicht in den Unterlagen angegeben, sondern stets die Adresse ####@####-####.com.
Die Klägerin ist der Ansicht, es läge kein Fixgeschäft vor bzw. habe die Beklagte eine möglicherweise einmal bestehende Fixabrede wieder aufgehoben. Die Beklagte habe noch im Oktober und November 2020 Lieferungen angenommen und im Fall Landgericht Bonn 1 O 255/20 auch eine Rücktrittserklärung zurückgenommen. Bezüglich der Teilklagerücknahme vom 16.09.2020 seien der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.
Die Klägerin hat zunächst mit dem Antrag zu 1) beantragt,
die Beklagte zu verurteilen an sie einen Kaufpreis in Höhe von 4.873.050,00 EUR nebst Zinsen zu zahlen.
Mit dem Antrag zu 2) hat sie beantragt,
die Beklagte zur Abnahme von 40.000 Masken zu verurteilen, und hat im weiteren den nunmehrigen Anträge zu 4) bis 6) im Wesentlichen entsprechende Anträge gestellt.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 5.087.250,00 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.07.2020 zu zahlen Zug um Zug gegen Ersatzlieferung von 950.000 Masken gemäß der vertraglich vereinbarten Spezifikation, wobei die Ersatzlieferung nur Zug um Zug gegen Rückübereignung der bereits gelieferten 910.000 Masken durch die Beklagte an die Klägerin durchzuführen ist;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte hinsichtlich einer von ihr angebotenen Ersatzlieferung von 950.000 Masken gemäß der vertraglich vereinbarten Spezifikation seit dem 15.01.2021 in Annahmeverzug befindet;
3. festzustellen, dass sich die Beklagte hinsichtlich 40.000 Masken bereits seit dem 27.05.2020 in Annahmeverzug befindet;
4. die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 340,00 für die Einlagerung und Versicherung der schuldhaft nicht abgerufenen 40.000 Masken nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr EUR 280,00 monatlich ab dem 01. September 2020 für die Einlagerung und Versicherung der schuldhaft nicht abgerufenen 40.000 Masken nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu ersetzen, bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte die Masken entsprechend dem Klageantrag zu 1. Abnimmt;
6. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die auf den gezahlten Teilbetrag in Höhe von 92.472,72 EUR entfallenden Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die gelieferten Masken seien jeweils mangelhaft. Die Atemwiderstands- und Durchlassprüfung sei anhand von zwei Prüfmustern erfolgt.
Bezüglich der weiteren 40.000 Masken habe die Klägerin den ihr zugewiesenen Lieferslot nicht eingehalten. Sie habe die Mail vom 28.05.2020 an die E-Mail-Adresse ####@####-####.com (statt: ####@####-####.com) gesendet, die die Klägerin noch heute im Impressum ihres Internetauftritts hinterlegt habe. Die Klägerin müsse sich daran festhalten lassen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Übergabe an G „frei Haus“ begründe eine Bringschuld. Eine Untersuchungs- und Rügeverpflichtung habe ihr weder aus § 6 Ziffer 6.2 des Vertrages mangels originärer Begründung noch gemäß § 377 HGB in Ermangelung eines beiderseitigen Handelsgeschäfts oblegen, und sie habe im Übrigen eine solche auch ohnehin nicht verletzt, wobei ihr Untersuchungsprogramm auch nicht an dem eines typischen Maskenbeschaffers zu messen sei, da sich dieser in der Regel auf bereits bestehende Zertifizierungen verlassen könne. Ohnehin liege insbesondere vor dem Hintergrund des unstreitigen Gesamtliefervolumens von 1,03 Mrd. Schutzmasken und 1,02 Mrd. OP-Maske eine unverzügliche Mängelrüge vor. Auch liege eine vertragliche Nebenpflichtverletzung nicht vor, die im Übrigen auch nicht die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge herbeiführe.
Sie ist zudem der Auffassung, eine Nachfristsetzung sei entbehrlich gewesen, da es sich vorliegend um ein relatives Fixgeschäft handele und im Übrigen zudem besondere Umstände vorgelegen hätten. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut sowie aus dem für die Auftragnehmer deutlich erkennbaren einmaligen und zeitlich begrenzten Beschaffungsvorgang, bei dem die Beklagte schon aus logistischen Gründen nicht in der Lage sei, bei Anlieferung mangelhafter Schutzmasken Nachlieferungen abzuwickeln und deshalb nur ein Interesse an mangelfreien, sofort verwendbaren Masken haben hätte können, und es sich bei der Beklagten im Übrigen nicht um einen klassischen Beschaffer von PSA handele, der über die Erfahrung und notwendige Infrastruktur verfüge, um die immensen Schutzmaskenlieferungen, Prüfungen und wegen Mangelhaftigkeit erfolgter Nachlieferungen zu bewältigen.
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Der Antrag zu 1) ist unbegründet.
1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung eines Kaufpreises für 950.000 Schutzmasken in Höhe von EUR 5.087.250,00 aus § 433 Abs. 2 BGB zu, auch nicht Zug um Zug gegen Nachlieferung anderer Schutzmasken.
Denn die Beklagte ist wirksam vom Kaufvertrag vom 10.04.2020 zurückgetreten, §§ 437 Nr. 2, 439, 323 Abs. 1 BGB.
a) Dies gilt zum einen bezüglich der tatsächlich von der Klägerin gelieferten 910.000 Masken.
aa) Die Parteien haben einen Kaufvertrag geschlossen, auf den die Regeln der §§ 433 ff. Anwendung finden. Die von der Klägerin gelieferten bzw. zur Lieferung angebotenen 910.00 Masken sind auch mangelhaft, da sie Produktfehler aufweisen. Die Klägerin hat die von der Beklagten erhobenen Mangelrügen zugestanden. Die Kammer versteht den entsprechenden Vortrag der Klägerin (S. 6 des Schriftsatzes vom 15.01.2021 = Bl. ### d.A.) so, dass die Klägerin lediglich die Masken, bezüglich derer die Beklagte aufgrund der Y-Berichte Materialmängel rügt, als mangelhaft zugestehen will. Denn sie begründet dies damit, dass sie eine Sachverständigenbeweisaufnahme ersparen möchte. Auch im Lichte der Anträge zu 3) und 4) bezieht die Kammer dies nicht auf die nicht gelieferten bzw. nicht abgenommen 40.000 Masken, da die Anträge zu 3) und 4) bei einem zugestandenen Mangel nicht gestellt werden müssten. Zudem ist bezüglich dieser Frage eine (kosten- und zeitaufwändige) Beweisaufnahme nicht nötig, da es sich um eine Rechtsfrage handelt. Hiervon nicht erfasst sind zudem 50.000 Masken, die zur T-Nr. ### (Liefernummer: ###) am 05.05.2020 geliefert wurden. Diese sind von der Beklagten als vertragsgemäß akzeptiert und bezahlt worden und nicht streitgegenständlich.
bb) Das gemäß den §§ 437 Ziffer 1., 439 BGB grundsätzlich erforderliche Nacherfüllungsverlangen der Beklagten war ebenso wie die nach den §§ 437 Ziffer 2., 323 Abs.1 BGB hierfür vorgesehen Fristsetzung entbehrlich.
(1) Dies folgt aus § 323 Abs.2 Ziffer 2. BGB, wonach die Fristsetzung entbehrlich ist, wenn der Schuldner die Leistung – hier die mangelfreie Lieferung der vereinbarten Masken – nicht bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin bewirkt hat, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung in einer für den Schuldner erkennbaren Weise für den Gläubiger wesentlich gewesen ist. Denn schon Ziffer II.1.4) der Bekanntmachung über den Lieferauftrag (Bl.1 des Anlagenkonvolutes B1 zur Klageerwiderung) enthielt unter der Rubrik „Kurze Beschreibung“ folgende Angaben:
„Das Vertragssystem beginnt ab sofort zu laufen und endet mit Ablauf des 8.4.2020. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass spätester Liefertermin der 30.4.2020 innerhalb der üblichen Geschäftszeiten (…) ist.“
Auch § 3 Ziffer 3.2 der dieser Bekanntmachung beigefügten und von den Parteien geschlossenen Verträge lautet ab Satz 3:
„Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten (…). Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).“
Ferner heißt es dort unter § 7 Ziffer 7.1:
„Der Vertrag tritt mit Zuschlagserteilung des AG auf das im Open-House-Verfahren abgegebene Angebot des AN in Kraft und endet mit Ablauf des 30.04.2020. Die durch eine innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgte Lieferung begründeten Rechte und Pflichten (…) bestehen (…) fort.
Schon der klare Wortlaut dieser Hinweise und Vertragsinhalte verdeutlichte jedem Vertragsinteressenten, dass die Einhaltung der genauen Leistungszeit für die Beklagte von so wesentlicher Bedeutung war, dass mit der zeitgerechten Leistung das Geschäft im Sinne von § 323 Abs. 2 Ziffer 2. BGB „stehen und fallen“ sollte (vgl. H.Schmidt in Hau/Poseck, BeckOK-BGB, 55.Edit., 01.08.2020, § 323 Rd.28ff.; MüKo/Ernst, BGB, 8.Aufl. 2019, § 323 Rd.113 und Rd.118; Palandt/Grüneberg, BGB, 79.Aufl. 2020, § 323 Rd.20 jeweils m.w.N.). Dies gilt erst Recht in Anbetracht des konkreten Hintergrundes der Beschaffung von Schutzmasken durch die Beklagten und der Besonderheiten des hierfür gewählten Vergabeverfahrens als Open-House-Verfahren, bei dem der Auftraggeber zu vorher vorgegebenen Konditionen mit allen interessierten Unternehmen kontrahieren will. Dass gerade hierdurch die Einhaltung der vorgegebenen Lieferzeiten für die Beklagte von ganz ausschlaggebender Bedeutung war, lag auch für die Klägerin auf der Hand.
Hieran anschließend war die in § 3 Ziffer 3.2 Satz 4 der Verträge vorgesehene Vertragsgestaltung als absolutes Fixgeschäft keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs.1 BGB. Der Sachverhalt der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 17.01.1990 – VII ZR 292/88 – (NJW 1990, 2065ff.) ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Im Übrigen knüpft § 323 Abs.2 Ziffer 2. BGB nicht an ein absolutes Fixgeschäft an, bei dem die Leistung mit Fristablauf unmöglich wird, sondern ermöglicht dem Gläubiger lediglich den Vertragsrücktritt ohne Fristsetzung bei einem einfachen oder relativen Fixgeschäft (vgl. H.Schmidt, aaO., § 323 Rd.31; Palandt/Grüneberg, aaO., § 323 Rd.19).
Die eingangs zitierten Regelungen sind auch nicht wegen einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin nach § 307 BGB unwirksam. Die sich zudem auf das absolute Fixgeschäft beziehende Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 17.01.1990 – VII ZR 292/88 – ist hier schon deshalb nicht einschlägig, weil diese sich auf die Rechtslage vor der sogenannten Schuldrechtsreform bezieht und diese Frage außerdem ausdrücklich offen lässt (vgl. dazu Müller in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3.Aufl. 2015, § 376 Rd.25; Schwartze in Häublein/Hoffmann-Theinert, BeckOK-HGB, 29.Edit., 15.07.2020, § 376 Rd.5). Demgegenüber hat der Gesetzgeber mit § 323 Abs.2 Ziffer 2. BGB eine ausdrückliche Regelung für das relative Fixgeschäft geschaffen, der die Vertragsklauseln der Beklagten entsprechen. Eine Unwirksamkeit kann deshalb hierauf nicht gestützt werden (arg. § 307 Abs.2 Ziffer 1. BGB; Schwartze, aaO., § 376 Rd.5).
(2) Dieser aufgrund der vertraglichen Regelung bestehende Fixcharakter der Lieferung wurde auch nicht später wieder von den Parteien aufgehoben.
Einem bestehenden Fixschuldcharakter kann es zwar abträglich sein, wenn die festgelegte Lieferfrist von den Vertragsparteien nachträglich einvernehmlich verlängert wird. Dies hängt aber von den Umständen des Falles ab, aus denen sich bei entsprechenden Anhaltspunkten ausnahmsweise auch ergeben kann, dass sich abgesehen von der Terminverschiebung am Fixcharakter des Geschäfts nichts ändern sollte (EBJS/Achilles, 4. Aufl. 2020, HGB § 376 Rn. 17).
Vorliegend haben die Parteien die Fixabrede durch eine neue individuelle Vereinbarung nicht einvernehmlich aufgehoben. In der Vergabe eines Lieferslots wenige Tage nach dem im Vertrag vorgesehenen Datum – vorliegend fünf bzw. sechs Tage später, wobei drei Tage dieses Zeitraumes, nämlich der 01.-03.05.2020 auf einen Feiertag bzw. ein Wochenende fielen – liegt noch keine Aufhebung dieser Abrede. In dem Verhalten der Beklagten ist schon kein Verzicht auf die Fixabrede zu sehen. Dadurch, dass die Verschiebung nur in geringem Maße bis maximal zum 06.05.2020 erfolgte, zeigte die Beklagte, dass sie weiterhin an der Einhaltung dieses Zeitpunkts zwingend festhalten wollte und die der Auftragserteilung vorliegenden Gründe für die Wahl des Open House Verfahrens sowie des fixen Liefertermins, nämlich insbesondere der Ausnahmecharakter der groß angelegten Beschaffung von persönlichen Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie, fortbestehen sollten. Die Anlieferung sollte nichtsdestotrotz zeitnah erfolgen und es war aufgrund des Volumens auch deutlich, dass die Verlängerung vor allem logistische Gründe hatte. Der Ausnahmecharakter der Situation war zudem für beide Parteien klar erkennbar, da aufgrund der plötzlich auftretenden Pandemie und des gravierenden Mangels an medizinischer Schutzausrüstung, die auch Gegenstand ausführlicher Medienberichterstattung war, die Beklagte besondere Maßnahmen ergriffen hatte, um kurzfristig große Mengen an Schutzausrüstung erwerben zu können. Dass es sich hierbei um einen besonderen und einmaligen Vorgang handelte und zudem ein Interesse der Beklagten an einer raschen Beschaffung bestand, ergibt sich schon aus dem Charakter des Open-House-Verfahrens und der gewählten sehr knappen Fristen – inklusive der die Beklagte treffenden Zahlungsfrist – die bei Aufträgen der öffentlichen Hand sonst nicht üblich sind.
Dies zeigt sich auch in der Korrespondenz der Parteien, die deutlich macht, dass beiden Seiten, also auch der Klägerin, an einer Anlieferung am 30.04.2020 oder kurz darauf gelegen war. Nachdem die Beklagte der Klägerin am 21.04.2020 mitgeteilt hatte, eine Lieferung solle über die X an ein Lager in Q erfolgen, teilte sie ebenfalls mit, dass eine Lieferung auch am 04.05.2020 noch möglich sei (Mails Anlagen K5-7). In der Folge wurde der Termin vom 04.05. auf den 05.05.2020 verlegt, in zwei Lieferungen aufgespaltet und auch noch bezüglich der Uhrzeit verschoben (Mails Anlagen K8-13). Die Parteien stellen in dieser Korrespondenz nicht in Frage, dass eine möglichst schnelle Lieferung erfolgen soll und korrespondieren sehr zeitnah und in kurzen Abständen. Dadurch wird gerade deutlich, dass beide Seiten die Anlieferung weiterhin zeitnah und möglichst rasch erledigen wollten. Gerade die kurzfristigen Reaktionen zeigen, dass der Beklagten weiterhin daran gelegen war, die Lieferungen möglichst schnell zu erhalten und sie hierzu auch bereit war, höheren logistischen Aufwand zu betreiben und sehr zeitnah Termine anzupassen, anstelle – was die Alternative gewesen wäre – zulasten einer schnellen Anlieferung die Termine weitläufiger zu entzerren. Auch die stets sehr schnellen und kooperativen Reaktionen der Klägerin zeigen, dass diese auch nachdem klar war, dass der Termin vom 30.04.2020 nicht gehalten werden konnte, weiterhin davon ausging, zu einer möglichst schnellen Anlieferung verpflichtet zu sein.
Möglicherweise gegenüber anderen Lieferanten abgegebene Erklärungen, dass diesen eine weitaus spätere und nicht nur wenige Tage nach dem vertraglich festgelegten 30.04.2020 liegende Lieferung ermöglicht wurde, spielen im Vertragsverhältnis der Parteien keine Rolle, da sich diese Erklärungen nicht an die Klägerin richten.
(3) Dieses Verhalten ist zudem auch nicht im Rahmen eines Einwandes zu berücksichtigen, da es nicht als widersprüchliches Verhalten der Beklagten zu werten ist, mit der Folge, dass sich die Beklagte aus den Gründen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gegenüber der Klägerin nicht auf die Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung gemäß § 323 Abs. 2 Ziffer 2 BGB bzw. den erklärten Rücktritt berufen könnte.
Grundsätzlich kann ein früheres Verhalten einer Vertragspartei, das für sich nicht zu missbilligen ist, die spätere Rechtsausübung dennoch unzulässig machen, wenn sich das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf als vorrangig schutzwürdig erscheinen (MüKoBGB/Schubert, 8. Aufl. 2019, BGB § 242 Rn. 314). Ein solches widersprüchliches Verhalten kann sich grundsätzlich auch dadurch ergeben, dass die Beklagte nach außen zu Tage tretend gegenüber einzelnen Vertragspartnern der stets gleich gefassten Open-House-Verträge anders handelt als gegenüber der Klägerin und sich damit in Widerspruch zu ihrem Verhalten der Klägerin gegenüber setzt. Im Rahmen der Fixgeschäftsabrede käme hierbei solches Verhalten in Betracht, mit dem die Beklagte auf den Charakter als Fixgeschäft verzichtet, also etwa Lieferungen annimmt, die schon gar nicht mehr innerhalb der vertraglichen Frist avisiert wurden oder fristgerecht hätten ausgeliefert werden können.
Solch ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten, also ein Verhalten anderen Lieferanten gegenüber, das im Vergleich zum Verhalten der Klägerin gegenüber widersprüchlich erscheint, liegt vorliegend nicht vor. Im Schriftsatz vom 15.01.2021 (dort S. 9 = Bl. ### d.A.) trägt die Klägerin dazu vor, dass in anderen Vertragsverhältnissen aus dem Open House-Verfahren auch Lieferungen akzeptiert worden seien, die teilweise erst zu einem längere Zeit nach dem vertraglichen Liefertermin erfolgten, zum Teil bis in den Oktober/November 2020 hinein. Allein die Annahme von Lieferungen nach dem 30.04.2020 genügt aber, wie auch schon oben ausgeführt, nicht als Nachweis, dass die Beklagte gegenüber anderen Lieferanten von einem anderen Vertragscharakter ausging oder einen Fixcharakter gegenüber anderen Lieferanten aufgehoben hätte. Denn allein der Termin der Anlieferung der Beklagten sagt noch nichts darüber aus, aus welchem Grund dieser auf einen weit späteren Zeitpunkt gelegt wurde, wie sich also die Beklagte (und auch die jeweilige Lieferantin) inhaltlich zum Vertrag positioniert hat. Die Annahme einer späteren Lieferung an sich ist noch kein eindeutiges Erklärungsverhalten, das Dritte – auf deren Wahrnehmung es im Rahmen der Frage des widersprüchlichen Verhaltens vorliegend ankommt – nur so verstehen könne, die Beklagte wolle sich am Fixcharakter des Geschäftes nicht mehr festhalten wollen. Es wären genauso andere Erklärungen für spätere Anlieferungen denkbar, etwa Fehler bei den eingeschalteten Spediteuren, nachdem diese die Lieferung fristgerecht erhalten hatten.
Auch der Vortrag, in einem Fall habe die Beklagte nach dem Rücktritt doch noch eine Nachlieferung akzeptiert (ebd.), rechtfertigt keine andere Betrachtung. Zwar hält es die Kammer für möglich, dass ein widersprüchliches Verhalten gem. § 242 BGB in Betracht kommt, wenn die Beklagte in anderen gleich gelagerten Verträgen aus dem Open-House-Verfahren Nachlieferungen im Sinne des Mängelgewährleistungsrechtes zugelassen hat, sich in anderen Fällen aber darauf beruft, ein Recht zur Nachlieferung bestünde gerade nicht und deshalb sei ein Rücktritt ohne Fristsetzung möglich. Dass dies der Fall vorliegend war, ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag aber nicht. Denn die Klägerin schildert, die Beklagte habe in dem genannten Fall nachträglich ihre Rücktrittserklärung zurückgenommen und die ursprünglich gelieferten Masken dann doch akzeptiert. Dies ist gerade keine Nachlieferung im Sinne des Mängelgewährleistungsrechtes (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB), da die ursprünglich gelieferte Ware akzeptiert wurde und der dortigen Lieferantin gerade nicht gestattet wurde, eine andere als die zunächst angebotene Ware auszuliefern. Auch eine Nachbesserung (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB) ist hierin nicht zu sehen, da nicht die angelieferte Ware selbst verändert wurde, sondern lediglich die Bewertung der Ware durch die Beklagte.
Der Vortrag der Klägerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10.02.2021 ist dabei nicht zu Grunde zu legen. Dieser Schriftsatz ist nach § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen, da er nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom 03.02.2021 eingegangen ist. Ein Schriftsatznachlass wurde nicht beantragt oder gewährt, Hinweise im Sinne von § 139 ZPO wurden nicht erteilt. Ein Fall von § 156 ZPO liegt nicht vor.
Auch das Verhalten der Beklagten der Klägerin gegenüber im Sommer 2020 ist nicht als widersprüchlich zu beurteilen. Die Parteien haben sich in Vergleichsverhandlungen befunden. Zugeständnisse in diesem Rahmen kann die Klägerin daher nicht als rechtliche Zugeständnisse werten mit der Folge, dass die Beklagte nach der Rücktrittserklärung bereit war, die Masken erneut zu testen. Dabei handelt es sich auch nicht um ein Eingeständnis der Beklagten, es bestehe ein Recht zu Nachlieferung der Klägerin. Denn wie gerade ausgeführt, wäre eine erneute Prüfung der bereits angelieferten Ware (und möglichweise daran anschließende Akzeptanz dieser Ware) keine Nachlieferung einer anderen als der zunächst angebotenen Waren (im Sinne von § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) oder eine Nachbesserung der bereits angelieferten Ware (im Sinne von § 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB).
cc) Das Rücktrittsrecht der Beklagten war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie den Rücktritt zu spät erklärt oder gegenüber der Klägerin Mängel zu spät angezeigt hat.
(1) Eine Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nach § 377 HGB oblag der Beklagten nicht. Denn die Kaufverträge der Parteien waren für die Beklagte kein Handelsgeschäft im Sinne der §§ 377 Abs.1, 343 HGB, da die Beklagte insoweit kein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB).
Ein Handelsgewerbe bzw. eine Gewerbebetrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB setzt nach herkömmlicher Auffassung eine berufsmäßige Tätigkeit in der Absicht dauernder Gewinnerzielung voraus, die bei Unternehmen der öffentlichen Hand im Einzelfall konkret festzustellen ist und festgestellt werden muss (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 39.Aufl. 2020, § 1 Rd.15 und Rd.27; Kindler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4.Aufl. 2020, § 1 Rd.26ff.; Körber/Oetker, HGB, 6.Aufl. 2019, § 1 Rd.30). Andernfalls wird angenommen, dass öffentliche Unternehmen in erster Linie auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben zielen (Körber/Oetker, aaO., m.w.N. zu dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes). Entscheidend ist neben der Absicht der Erzielung eines, wenngleich bescheidenen, wirtschaftliches Erfolges, ob das Unternehmen der öffentlichen Hand nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt wird und am Markt in einem Wettbewerb mit Privatunternehmen steht (Baumbach/Hopt, aaO., § 1 Rd.27; Kindler, aaO., § 1 Rd.29 f. jeweils m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze ist der Betrieb eines Handelsgewerbes der Beklagten schon anhand sämtlicher Abgrenzungskriterien zu verneinen. Die streitgegenständlichen Verträge wurden nicht durch ein Unternehmen der öffentlichen Hand, sondern im Anschluss an eine Ausschreibung durch die Generalzolldirektion Zentrale Beschaffungsstelle der Bundesfinanzverwaltung als Vergabestelle (vgl. Anlagenkonvolut B1 zur Klageerwiderung) unmittelbar mit der Beklagten als Auftraggeberin geschlossen. Weder eine Gewinnerzielungsabsicht noch ein Wettbewerb mit Privatunternehmen ist bei der hier vorliegenden Beschaffung von Atemschutzmasken, um die Versorgung der Bevölkerung mit der zu Beginn der Covid-19-Pandemie knappen Maskenware sicherzustellen und den Gesundheitsschutz zu, gegeben.
Gerade die letztgenannte und erkennbare Zielsetzung der Beschaffung der Beklagten, nämlich dadurch originär dem Bundesministerium der Gesundheit obliegende öffentliche Aufgaben zu erfüllen, steht der Anwendung des HGB als Sonderrecht der Kaufleute auch nach der nicht mehr auf eine Gewinnerzielungsabsicht abstellenden neueren Auffassung (etwa OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.01.2020 – 7 W 51/17 = MDR 2020, 492 – indes dort für einen Wasser- und Abwasserzweckverband verneinend; Baumbach/Hopt, aaO., § 1 Rd.16 m.w.N.) entgegen. Denn diese primär auf eine Vergleichbarkeit mit Privatunternehmen in Bezug auf die betriebswirtschaftliche Unternehmensführung und eine Markttätigkeit im Wettbewerb abzielende Ansicht verneint zu Recht die Führung eines Handelsgewerbes schon dann, wenn die öffentliche Hand lediglich am Markt – auch als Großabnehmer – nachfragt (OLG Brandenburg, aaO.; Baumbach/Hopt, aaO., § 1 Rd.16 und Rd.17; generell einschränkend Körber/Oetker, aaO., § 1 Rd.31).
(2) Eine vertragliche Vereinbarung einer Untersuchungs- und Rügeobliegenheit der Beklagten wurde mit § 6 Ziffer 6.2 der Kaufverträge nicht getroffen. Denn § 6 Ziffer 6.1 verweist für Sachmängelansprüche auf die gesetzlichen Vorschriften, soweit nachfolgend nichts anderes bestimmt ist. Hieran schließt § 6 Ziffer 6.2 an, der die Beschränkung einer Untersuchungs-/Rügeobliegenheit des Auftraggebers regelt. Nach Wortlaut und Systematik dieser Regelungen begründet § 6 Ziffer 6.2 deshalb keine eigenständige Untersuchungs- und Rügeobliegenheit, sondern beschränkt diese lediglich im Fall ihres Bestehens. Indes begründen die gesetzlichen Vorschriften hier gerade keine derartige Obliegenheit.
Diese Regelung wäre zudem vorliegend nicht einschlägig, denn dem Wortlaut nach beschränkt sich eine Hinweispflicht „auf Mängel, die nach der Ablieferung unter äußerlicher Begutachtung offen zutage treten (z.B. Transportbeschädigungen, Falsch- und Minderlieferungen)“. Die hier zur Diskussion stehenden und erst durch eine Sensorik- und Laborprüfung festzustellenden Beanstandungen der Beklagten werden deshalb von dieser Hinweispflicht nicht erfasst (vgl. dazu – indes für § 377 HGB – OLG Hamm BauR 2011, 1013; LG Siegen, Urteil vom 02.05.2019 – 7 O 12/13 = RdTW 2019, 273 Rd.32 m.w.N.).
(3) Die Rücktrittserklärungen vom 16.07.2020 (betreffend 910.000 gelieferte Masken) und 04.08.2020 (betreffend 40.000 nicht gelieferte Masken) waren auch nicht in sonstiger Weise in vertragswidriger Weise verspätet. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die Mail vom 28.05.2020 der Klägerin zugegangen ist bzw. als zugegangen gewertet werden muss aufgrund der Angabe einer abweichenden Mail-Adresse. Eine Verletzung von § 6 Ziffer 6.2 Satz 2 der Kaufverträge liegt, wie gerade ausgeführt, nicht vor. Auch eine gesetzliche Verpflichtung der Beklagten aus § 323 BGB oder den kaufrechtlichen Sondervorschriften von § 440 BGB zur Einhaltung einer Frist, binnen derer das Rücktrittsrecht auszuüben ist, besteht nicht.
b) Das gleiche Ergebnis gilt auch bezüglich der 40.000 Masken, die die Klägerin nicht an die Beklagte geliefert hat.
Die Beklagte durfte die Annahme der Masken zu Recht verweigern, da die Klägerin deren Anlieferung zu spät avisiert hatte. Denn es handelt sich bei dem Vertag der Parteien um ein Fixgeschäft, bei dem ein fester Liefertermin vereinbart war (s. o. 1.a.bb.2). Vorliegend hat die Klägerin die Auslieferung dieser Masken erst mit Mail vom 07.05.2020 angekündigt und sich für den 13.05.2020 lieferbereit erklärt. Dies liegt nach dem vertraglich vereinbarten Lieferdatum vom 30.04.2020 (§ 3.2 des Vertrages). Dass die übrigen 910.000 Masken mit Billigung der Beklagten bzw. nach der Vereinbarung der Parteien auch erst im Mai 2020 geliefert wurden, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn deren Anlieferung hatte die Klägerin bereits vor dem vertraglichen Liefertermin avisiert, das heißt, sie war bereits vor diesem Termin leistungsbereit. Dies war bezüglich der weiteren 40.000 Masken nicht der Fall.
2. Ein Anspruch gem. dem Antrag zu 1) ergibt sich auch nicht aus §§ 282 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.
Selbst wenn man annehmen würde, der Beklagten habe es als vertragliche Nebenpflicht nach § 241 Abs.2 BGB oblegen, die Klägerin jedenfalls auf offen zutage getretene Mängel hinzuweisen (vgl. dazu nur Palandt/Grüneberg, aaO., § 241 Rd.7) und die streitgegenständlichen Mängel hierunter fallen würden, so ist der Anspruch aus § 241 Abs. 2 BGB jedenfalls nicht auf Erfüllung der Primärpflicht aus dem Kaufvertrag gerichtet, sondern auf Schadensersatz. Die Klägerin kann in diesem Wege geltend machen, welche Kosten ihr dadurch entstanden sind, dass eine Mangelrüge zu spät erklärt worden ist, das können zum Beispiel die Mehrkosten für einen mit der Vertragsdurchführung beauftragten Nachunternehmer sein (vgl. BeckOK BGB/Lorenz, 57. Ed. 1.2.2021, BGB § 282 Rn. 5) oder Kosten, die ihr durch eine nicht mehr mögliche Rüge der Mängel gegenüber ihrem Verkäufer entstanden sind. Zu derartigen Schadenspositionen fehlt es jedoch am Vortrag der Klägerin.
II.
Mangels Anspruches ist der Hauptsache sind auch die auf Feststellung des Annahmeverzuges gerichteten Anträge zu 2) und 3) unbegründet.
III.
Da kein vertraglicher Anspruch der Klägerin auf Abnahme der 40.000 nicht angenommenen Masken durch die Beklagte besteht (s. unter I.1.b), besteht auch kein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB auf Übernahme der Kosten für deren Einlagerung, die bereits entstanden sind oder in der Zukunft entstehen werden gem. den Anträgen zu 4) und 5).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO. Die Kosten bezüglich der Teilklagerücknahme wären dabei der Beklagten aufzuerlegen, da diese die Zahlung bedingungslos geleistet und damit eine Schuld eingestanden hat. Sie waren jedoch dennoch bei der Kostenquote nicht zu berücksichtigen, da sie Nebenforderungen betreffen und mit einer Höhe von 92.472,72 EUR angesichts der Höhe des Streitwertes nicht zu einer beachtenswerten Quote führen würden.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Streitwert: bis 5.100.000,00 EUR