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LG Ellwangen: Ohne die erforderliche Einregulierung einer Lüftungsanlage fehlt erkennbar deren Abnahmereife

vorgestellt von Thomas Ax

Hat der Unternehmer ein Werk zu erstellen, dessen Tauglichkeit und Mangelfreiheit vom Besteller durch eine äußere Prüfung nicht oder nur schwer festzustellen ist, so lässt sich aus der Entgegennahme nicht ohne weiteres auf die Billigung des Werks schließen. Näher liegt regelmäßig die Annahme, die Entgegennahme leite erst eine Probephase ein, an deren Ende die Abnahme steht, wenn der Besteller das Werk nicht ablehnt.

LG Ellwangen, Urteil vom 31.03.2023 – 6 O 121/22

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung restlichen Werklohns aus einem Bauvertrag.

Die Klägerin ist ein auf Lüftungs- und Klimatechnik spezialisiertes Unternehmen, die Beklagte betreibt Kliniken.

Am 21.04.2020 schlossen die Parteien eine als Planungsauftrag bezeichnete Vereinbarung mit folgendem Inhalt (vgl. Anlage K1):

für die Lüftungsseitigen Planungsarbeiten der Erweiterung / Erneuerung Bereich Küche sowie Neuinstallation Speisesaal erlauben wir uns im Falle einer nicht Beauftragung 5% des Angebotspreises als Planungshonorar zu verrechnen.

Die Planungsarbeiten beinhalten die komplette Auslegung der Küchen bzw. Speisesaallüftung inkl. aller Gerätschaften, Schallberechnungen sowie der Regelung.

Bei einer Beauftragung werden die o.g. Kosten nicht in Rechnung gestellt.

Mit schriftlichem Angebot vom 14.05.2020 bot die Klägerin der Beklagten die “Erneuerung Bereich Küche / Belüftung Speisesaal” für deren Klinik in der H.-Straße in M. zum Preis von 568.469,67 EUR zzgl. Mehrwertsteuer “in der jew. gesetzl. Höhe” an (vgl. Anlage K2).

Dieser Gesamtbetrag setzte sich zusammen aus:

Titel 01: Küche 416.748,48 EUR netto
Titel 02: Speisesaal 144.469,99 EUR netto
Titel 03: Besondere Leistungen 7.251,20 EUR netto

Mit Bauvertrag vom 09.06.2020 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit dem Umbau und der Sanierung von Speisesaal und Küche in genanntem Objekt zu einem Fixpreis von 155.000,00 EUR zzgl. Mehrwertsteuer in Höhe von zur Zeit 19 %, d.h. 181.475,00 EUR brutto. Insbesondere die Position “Titel 01: Küche 416.748,48 EUR netto” wurde von der Beklagten dabei kurzfristig nicht bei der Klägerin beauftragt, sondern anderweitig vergeben, wobei die diesbezüglichen Planungsleistungen der Klägerin übernommen wurden.

Im Bauvertrag wurde zugleich die förmliche Abnahme gemäß § 12 Abs. 4 VOB/B sowie zwei Abschlagszahlungen gemäß Zahlungsplan vereinbart.

Auf die beiden Abschlagsrechnungen der Klägerin vom 04.08.2020 und 09.09.2020 zahlte die Beklagte jeweils 51.150,00 EUR zzgl. 16 % Mehrwertsteuer wie von der Klägerin ausgewiesen, d.h. zweimal 59.334,00 EUR brutto.

Am 06.11.2020 wurde der Speisesaal samt Lüftungsanlagen von der Beklagten in Betrieb genommen.

Mit Schreiben vom 23.12.2020 (Anlage K4) zeigte der Architekt der Beklagten der Klägerin diverse Mängel an, verlangte eine protokollierte Inbetriebnahme sowie Einregulierung der Anlage, setzte der Klägerin eine Nachfrist zur Mängelbeseitigung und erklärte die Verweigerung der Abnahme bis dahin.

Mit Abnahmeniederschrift vom 01.03.2021 (vgl. Anlage K5) nahm die Beklagte die Leistung der Klägerin förmlich ab.

Mit Schlussrechnung vom 29.03.2021 (vgl. Anlage K6) rechnete die Klägerin weitere 62.807,00 EUR, zahlbar binnen 30 Tagen, gegenüber der Beklagten wie folgt ab:

vereinbarter Gesamtbetrag von 155.000,00 EUR netto
minus 2.500,00 EUR netto Nachlass wegen verspäteter Fertigstellung
plus 19 % Mehrwertsteuer (aus 152.500,00 EUR)
minus die beiden Bruttoabschlagszahlungen

Mit Schreiben vom 09.06.2021 forderte die Klägerin die Beklagte zudem zur Zahlung von 24.796,53 EUR brutto (= 5 % aus 416.748,48 EUR netto zzgl. 19 % MwSt.) binnen 30 Tagen auf.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.09.2021 wurde die Beklagte schließlich aufgefordert, die Schlussrechnungsdifferenz in Höhe von 4.575,00 EUR, die vorgenannten 24.796,53 EUR sowie die Kosten für die Beauftragung der Klägervertreterin in Höhe von 1.261,50 EUR bis 13.10.2021 zu bezahlen.

Eine Zahlung erfolgte dennoch nicht.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie 19 % Mehrwertsteuer auf den Nettobetrag von 152.500,00 EUR verlangen dürfe, da ihre Werkleistung erst im Jahr 2021 förmlich abgenommen und damit fertiggestellt worden sei. Zudem würde die Beklagte ihr die 24.796,53 EUR brutto aus dem Planungsauftrag vom 21.04.2020 schulden, da die Beklagte die Position Küche über 416.748,48 EUR netto aus dem Angebot vom 14.05.2020 nicht beauftragt hat.


Die Klägerin beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.575,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2021 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 925,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.07.2021 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von einer Forderung seiner Prozessbevollmächtigten wegen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.261,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.10.2021 gemäß der Kostennote vom 29.09.2021 freizustellen.


Die Beklagte beantragt,

Klageabweisung.


Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klägerin nur 16 % Mehrwertsteuer ansetzen dürfe. Die Ausführung der Leistung beurteile sich allein nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 a S. 1 Umsatzsteuergesetz, d.h. steuerrechtlich sei das Werk bereits mit Inbetriebnahme am 06.11.2020 fertiggestellt. Für den im Wege der offenen Teilklage geltend gemachten Betrag von 925,00 EUR (aus 24.796,53 EUR brutto) sei keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, zumal sich der Planungsauftrag vom 21.04.2020 nicht auf das zeitlich nachgelagerte Angebot vom 14.05.2020 beziehen würde.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst dazugehöriger Anlagen verwiesen.

Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.02.2023 verwiesen.


Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.

1.) Der Anspruch auf Zahlung von weiteren 4.575,00 EUR folgt aus § 631 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Bauvertrag vom 09.06.2020, da eine Umsatzsteuer von 19 % anzusetzen ist.

Bei Bauverträgen richtet sich die Bemessung der Umsatzsteuer in der Regel – wie auch hier – nach dem Zeitpunkt der Abnahme als Vollendungszeitpunkt der Werkleistung (Messerschmidt/Voit/Messerschmidt, 4. Aufl. 2022, BGB § 641 Rn. 51; Bunjes/Brandl, 21. Aufl. 2022, UStG § 13 Rn. 13), vgl. 13.1 Umsatzsteuer-Anwendungserlass.

Eine solche ist im zweiten Halbjahr 2020, auf welches die Senkung der Umsatzsteuer auf 16 % durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz befristet war, aus folgenden Gründen nicht erfolgt:

a) Offen bleiben kann zunächst, inwiefern die Vereinbarung einer förmlichen Abnahme auch für die Entstehung der Umsatzsteuer Berücksichtigung finden kann (vgl. einerseits: EuGH, Urt. v. 02.05.2019 – C-224/18, Budimex S.A. / Minister Finansów, DStRE 2019, 1466; Guhling/Günter/Grünwald, 2. Aufl. 2019, UStG § 13 Rn. 7; andererseits: Sölch/Ringleb/Leipold, 96. EL Oktober 2022, UStG § 13 Rn. 73). Eine förmliche Abnahme ist unstrittig erst am 01.03.2021 erfolgt.

b) Jedenfalls kann in der knapp siebenwöchigen Nutzung der Lüftungsanlage ab 06.11.2020 unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles keine konkludente Abnahme gesehen werden.

Zunächst wurde bereits beklagtenseits nicht vorgetragen, dass die Klägerin von der Ingebrauchnahme der Lüftungsanlage Anfang November 2020 wusste, sodass ihr dieses Erklärungszeichen schon nicht bekannt war (vgl. BeckOK BGB/Voit, 65. Ed. 1.11.2022, BGB § 640 Rn. 16).

Ohne die Einregulierung der Anlage durfte die Klägerin im Übrigen auch nicht nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass die Beklagte die erbrachten Leistungen als im Wesentlichen vertragsgerecht billigt. Dies deshalb, weil die Einregulierung jedenfalls bei komplexen Anlagen überragende Wichtigkeit für deren optimale Leistung, Haltbarkeit und Sicherheit hat (Beck-VOB/C/Korbion/Lang, 4. Aufl. 2021, VOB/C § 18386 Rn. 74 ff.), sodass ohne Einregulierung erkennbar die Abnahmereife fehlt (vgl. Voit, a.a.O., Rn. 24).

Hat der Unternehmer zudem – wie hier – ein Werk zu erstellen, dessen Tauglichkeit und Mangelfreiheit vom Besteller durch eine äußere Prüfung nicht oder nur schwer festzustellen ist, so lässt sich aus der Entgegennahme nicht ohne weiteres auf die Billigung des Werks schließen. Näher liegt regelmäßig die Annahme, die Entgegennahme leite erst eine Probephase ein, an deren Ende die Abnahme steht, wenn der Besteller das Werk nicht ablehnt (vgl. Voit, a.a.O., Rn. 8). Eine solche Ablehnung der Abnahme erfolgte vorliegend unmissverständlich mit Schreiben vom 23.12.2020.

c) Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Beklagte auf eine förmliche Abnahme Ende 2020 hätte hinwirken können, um noch in den Genuss der Umsatzsteuerreduktion von 19 % auf 16 % zu kommen. Die mit Schreiben vom 23.12.2020 geltend gemachten unwesentlichen Mängel der klägerischen Werkleistung hätten vorbehalten werden können, vgl. § 640 Abs. 2 BGB. Alternativ hätten die Parteien – wie nicht – die Einrichtung der Lüftungsanlagen in Speisesaal und/oder Spülküche als Teilleistung der Gesamtleistung vertraglich vereinbaren und im zweiten Halbjahr 2020 noch mit 16 % Umsatzsteuer nach Abnahme abrechnen können. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten muss sich die Klägerin zudem auch nicht an den in den Abschlagsrechnungen ausgewiesenen 16 % Umsatzsteuer festhalten lassen. Zum Ansatz der 16 % war die Klägerin berechtigt, da in den Zeitpunkten der Abschlagsrechnungsstellung noch nicht feststand, dass die Werkleistung der Klägerin erst im Jahr 2021 vollendet wird (vgl. die Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen zur befristeten Umsatzsteuersenkung vom 30.06.2020 und 04.11.2020 unter Nr. 13 bzw. Nr. 1). Da die Werkleistung nach oben Gesagten letztlich nicht im zweiten Halbjahr 2020 vollendet wurde, musste spätestens mit der Schlussrechnung – wie geschehen – die Rechnungskorrektur erfolgen.

2.) Der im Wege der offenen Teilklage geltend gemacht Anspruch auf Zahlung von 925,00 EUR netto folgt aus der als Planungsauftrag bezeichneten Vereinbarung vom 21.04.2020.

Diese Vereinbarung sieht eine pauschale Abgeltung der Planungsleistungen im Falle einer “nicht Beauftragung” von 5 % des Angebotspreises vor.

Unstrittig wurde die Position “Titel 01: Küche 416.748,48 EUR netto” von der Beklagten aufgrund der Besprechung vom Vortag des Bauvertragsschlusses nicht bei der Klägerin beauftragt, sondern anderweitig vergeben, wobei die diesbezüglichen Planungsleistungen der Klägerin übernommen wurden.

Den Fall einer – wie hier – teilweisen Nicht-Beauftragung regelt der Planungsauftrag zwar nicht explizit. Im Hinblick auf den hohen Wert dieser Positionen aus dem Angebot vom 14.05.2020 sowie den Sinn und Zweck dieser Vereinbarung, nämlich die Klägerin – wie die Beklagtenseite selbst formuliert – “nicht finanziell in die Röhre schauen zu lassen“, folgt nach §§ 133, 157 BGB aber, dass auch im Falle einer teilweisen Nicht-Beauftragung 5 % des jeweiligen Angebotspreises pauschal als Planungshonorar (zzgl. 19 % MwSt.) geschuldet sind.

Bedenken gegen die Wirksamkeit einer derartigen Individualvereinbarung unter Unternehmerinnen existieren nicht.

Aus dem gleichen Grund ist nach §§ 133, 157 BGB irrelevant, dass das Angebot dem Planungsauftrag zeitlich nachfolgte. Auf ein vorheriges Angebot nimmt der Planungsauftrag im Übrigen keinen Bezug.

3.) Der Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB.

Der Klägervertreterin steht eine 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 29.371,53 EUR (= 4.575,00 EUR + 24.796,53 EUR) zzgl. Pauschale für Post und Telekommunikation zu.

4.) Der Verzinsungsanspruch hinsichtlich der Zahlungsansprüche folgt jeweils aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 und 2 BGB.

Hinsichtlich des Freistellungsantrags kann keine Verzinsung zugesprochen werden, da eine Handlungs- und keine Geldschuld i.S.v. § 288 Abs. 1 BGB vorliegt (Arz, NJW 2019, 1858, 1859). Die Klage ist insofern abzuweisen.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO.