vorgestellt von Thomas Ax
Für die Parteien und das Gericht muss objektiv deutlich erkennbar sein, dass weitere (in welchem Umfang) Kosten anfallen. Liegt eine erhebliche Überschreitung vor, so kommt es nicht darauf an, ob es auch bei pflichtgemäßer Anzeige zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit – mit Willen der Parteien – gekommen wäre, da der Wortlaut von § 8a Abs. 4 JVEG insoweit deutlich und abschließend ist.
LG Frankfurt/Main, Beschluss vom 01.09.2022 – 2-20 OH 13/21
Gründe:
I.
Das erkennende Gericht hatte Herrn … auf Wunsch der beteiligten Parteien als gerichtlichen Sachverständigen bestellt (Beschluss vom 11.08.2021, Bl. … d. A.). Das Gericht hatte in diesem Schreiben einen Kostenvorschuss in Höhe von 3.000,00 Euro angefordert, der auch eingezahlt worden ist. Der Sachverständige teilte am 24.09.2021 (Bl. … d. A.) mit, dass die Kosten der Begutachtung voraussichtlich 3.000,00 Euro betragen würden. Mit Schreiben vom 14.04.2022 (Bl. … d. A.) teilt der Sachverständige wortwörtlich mit “… Derzeitig ist, ohne Vorliegen der notwendigen Unterlagen, siehe oben, eine Abschätzung des zusätzlichen Aufwands nicht sicher möglich. Je nach Qualität der o.a. Unterlagen ist von zusätzlichem Aufwenden von ca. 4-6 Tagen für den SV und entsprechenden Mehrkosten auszugehen. …“. Die Parteien übermittelten im Nachgang Unterlagen (vgl. Bl. … d. A.). Eine weitere Unterrichtung durch den Sachverständigen erfolgte nicht; der Sachverständige meldete sich sodann mit der Übersendung des Gutachtens und der Einreichung der Rechnung.
Der Sachverständige reichte sodann ein Gutachten zur Akte und stellte mit Schreiben vom 07.06.2022 insgesamt Kosten in Höhe von 10.324,56 Euro in Rechnung (Bl. … d. A.). Der Sachverständige berechnete 125,00 Euro die Stunde für seine Tätigkeit. Das Gericht forderte sodann den Fehlbetrag (7.324,56 Euro) an, der auch eingezahlt wurde.
Die Staatskasse beantragte sodann durch den Bezirksrevisor mit Schreiben vom 23.06.2022 (Bl. … d. A.) die Festsetzung der Vergütung des Sachverständigen auf 3.000,00 Euro. Nach Ansicht der Staatskasse habe der Sachverständige die Pflicht aus § 407a IV 2 ZPO verletzt. In der Folge sei eine Kürzung nach § 8a IV JVEG auf die Höhe des Vorschusses angezeigt. Eine nachträgliche Zahlung des Fehlbetrags sei ohne Relevanz gewesen.
Herr … wurde schriftlich angehört (vgl. Bl. … d. A. sowie Schreiben vom 08.08.2022). Er teilte mit, dass durch den Verweis auf den entstehenden Mehraufwand im Schreiben vom 14.04.2022 eine Mitteilung im Sinne von § 407a IV 2 ZPO vorgelegen hätte. Eine Kürzung seines Vergütungsanspruchs sei daher nicht angezeigt gewesen.
Die Staatskasse hält an dem Antrag auch nach der Stellungnahme des Sachverständigen fest.
II.
Der Antrag auf Festsetzung der Vergütung nach § 4 I JVEG ist statthaft. Als Vertreter der Staatskasse ist der Bezirksrevisor zur Beantragung der Festsetzung berechtigt (vgl. Schneider-JVEG/Schneider, 4. Auflage 2021, § 4, Rn. 24). Weitere Zulässigkeitshindernisse sind nicht ersichtlich.
Dem Begehren war positiv zu entsprechen, sodass die Vergütung des Sachverständigen auf 3.000,00 Euro festzusetzen war.
Die Staatskasse hat vorgetragen und den Sachverständigen darauf hingewiesen, dass der Sachverständige rechtzeitig mitzuteilen hat, wenn voraussichtlich Kosten erwachsen, die einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen – § 407a IV 2 ZPO. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erheblichkeit erst ab 20% oder ab 25% oder gar 30% vorliegt (vgl. z. B. OLG Stuttgart MDR 2008, 652 und BT-Drs. 17/11471, S. 260), da der Sachverständige vorliegend mehr als das Dreifache des Vorschusses liquidiert (10.324,56 Euro anstatt 3.000,00 Euro).
Der Sachverständige hat nach der Auffassung des Gerichts auch keinen ausreichenden Hinweis darauf gegeben, dass der eingeholte Vorschuss in Höhe von 3.000,00 Euro nicht ausreichen wird. Zunächst hat der Sachverständige selbst – nach Übersendung der Unterlagen – mit Schreiben vom 24.09.2021 angegeben, dass der Vorschuss in Höhe von 3.000,00 Euro ausreichen wird (Bl. … d. A.). Das Gericht sieht in dem Schreiben vom 14.04.2022 (Bl. … d. A.) nicht einen solchen Hinweis, wie in § 407a IV 2 ZPO meint. Denn: Der Sachverständige soll durch die Mitteilung den Parteien deutlich machen, welches Kostenrisiko entsteht, dass diese entsprechend disponieren können (vgl. Musielak-Voit-ZPO/Huber, 19. Aufl. 2022, § 407a ZPO, Rn. 9 [erster Spiegelstrich] und BeckOK-ZPO/Scheuch, 45. Edi., § 407a ZPO, Rn. 4 unter Verweis auf BT-Drs. 11/3621, S. 40) – es sollen just keine überraschenden Kosten auf die Parteien, die im Zivilverfahren nach der ZPO den Streitstoff bestimmen müssen und verändern können, zukommen. Hieraus folgt, dass für die Parteien (und letztlich auch für das Gericht, welches den Vorschuss anzufordern hat [vgl. BeckOK-ZPO/Scheuch, 45. Edi., § 407a ZPO, Rn. 4 f.]), objektiv deutlich erkennbar sein muss, dass weitere (in welchem Umfang) Kosten anfallen. Zieht man diese Kriterien heran, genügt die Mitteilung des Sachverständigen nicht, um der Hinweispflicht zu genügen. Herr … hat – wie zuvor dargetan – ausgeführt, dass ein zusätzlicher Aufwand durch die Einreichung von Unterlagen (die auch eingereicht wurden) anfallen würde, der Mehrkosten auslösen würden. Er hat aber nicht dargetan, ob es sich um Mehrkosten bezogen auf die 3.000,00 Euro aus dem Vorschuss handeln würde oder um Mehrkosten im Sinne von “Kosten, die jetzt noch anfallen, sonst wären 3.000,00 Euro noch gar nicht verbraucht“. Er selbst hat auch die Höhe der Mehrkosten nicht angegeben, sondern abstrakt ausgeführt, dass 4 bis 6 Tage Mehrarbeit anfallen könnten (ohne eine Stundenanzahl anzugeben oder auszuführen, welche Tätigkeiten gemeint sind). Er hat im Nachgang auch nicht konkret dargetan, dass Mehrarbeit angefallen ist – auch nicht in welchem Umfang. Das Gericht hat ausweislich der Akte – auch im Nachgang des Schreibens vom 14.04.2022 – erkennbar keinen weiteren Vorschuss eingeholt, der Sachverständige selbst hat auch nicht erneut nach einem Vorschuss gefragt. Das Gericht selbst hätte aufgrund dieser vagen Angaben keinen Vorschuss anfordern können, legt der Sachverständige gerade nicht dar, welcher Betrag anfallen wird. Insoweit ist ferner zu konstatieren: Der Sachverständige rechnet ausweislich seiner Rechnung auch den Einsatz von Hilfspersonen ab, sodass es dem Gericht auch nicht möglich war, ungefragt irgendeinen Betrag anhand der abstrakten Vorgaben zu errechnen (z. B. 4 Tage a 8 Stunden bei 105,00 Euro die Stunde), da nicht ersichtlich war, was der Sachverständige meinte.
Liegt eine erhebliche Überschreitung vor, so kommt es nicht darauf an, ob es auch bei pflichtgemäßer Anzeige zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit – mit Willen der Parteien – gekommen wäre (OLG Frankfurt am Main DS 2020, 87, 89 unter Hinweis auf OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 31.8.2017 – 18 W 130/17; Beschluss vom 22.9.2017 – 18 W 1612/17; Beschluss vom 28.12.2018 – 18 W 194/18 und Beschluss vom 9.7.2019 – 18 W 75/19); OLG Stuttgart BauR 2019, 546; OLG Düsseldorf JurBüro 2018, 540; Schneider-JVEG/Schneider, 4. Aufl. 2021, § 8a JVEG, Rn. 37 auch mit Hinweisen zu anderen Ansicht), da der Wortlaut von § 8a IV JVEG insoweit deutlich und abschließend ist. Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte zur Frage der Kausalität (z. B. OLG Stuttgart DS 2008, 78, und OLG Naumburg BeckRS 2012, 21502) den § 8a IV JVEG nicht angepasst, sondern in der vorliegenden Form so formuliert.
§ 8a V JVEG bestimmt, dass § 8a IV JVEG nicht anwendbar ist, wenn der Vergütungsberechtigte die Verletzung der ihm obliegenden Hinweispflicht nicht zu vertreten hat. Das Vertretenmüssen wird nach der Systematik des § 8a JVEG vermutet, so dass es dem jeweiligen Berechtigen – hier dem Sachverständigen – obliegt, entlastende Umstände darzulegen (OLG Hamm, BeckRS 2015, 9348). Das Sachverständige wurde ausweislich des Anschreibens (Bl. … d. A.) vom 15.09.2021 auf die Anzeigepflicht zur Kostenüberschreitung hingewiesen (weitergehend im Allgemeinen BeckOK-Kostenrecht/Bleutge, 38. Edi., § 8a JVEG, Rn. 28 [zweiter Punkt]). Derartige Umstände hat der Sachverständige in seinen Schreiben vom 05.07.2022 (Bl. … d. A.) und vom 08.08.2022 nicht vorgebracht. Im Schreiben vom 05.07.2022 konstatiert der Sachverständige indirekt selbst, dass er nur eine ungefähre Angabe getätigt hat. Es ist auch zu beachten, dass die Beteiligten – mangels Kenntnis des Vergütungssatzes – nicht errechnen konnten, was der Sachverständige meinte. Auch im Schreiben vom 08.08.2022 findet sich keine weitergehende Erläuterung. Der Sachverständige scheint die Rechtsauffassung zu vertreten, dass die abstrakte Angabe von Parametern – mit denen er ggf. seine Vergütung errechnet – ausreicht, um der Hinweispflicht auf die Kostenüberschreitung nachzukommen. Das Gericht teilt diese Rechtsauffassung nicht. Mit Blick auf die absolut übliche Praxis der Sachverständigentätigkeit, dem Umstand, dass der Sachverständige selbst auch öffentlich bestellt und vereidigt ist, und dem Hinweis, den das Gericht im Anschreiben formulierte, ist das Gericht nicht der Auffassung, dass ein Vertretenmüssen nicht vorliegt. Der Sachverständige formuliert gerade nicht, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein soll, einen konkreten Betrag oder zumindest einen Betragsrahmen (z. B. weitere 5.000,00 bis 7.000,00 Euro) zu nennen. Eine leicht fahrlässige Pflichtverletzung reicht aus, um den Schuldvorwurf und damit die Kürzung der Entschädigung zu rechtfertigen (BeckOK-Kostenrecht/Bleutge, 38. Edi., § 8a JVEG, Rn. 34), hiervon geht das Gericht vorliegend aber mindestens aus, da die Ansicht des Sachverständigen, bloß allgemeine abstrakte Kriterien zu nennen, aus der Sicht des Gerichts nicht nur schwer, sondern mit Blick auf den Sinn und Zweck der Anzeigepflicht unvertretbar erscheint. Dann aber ist bereits eine leicht fahrlässige Pflichtverletzung gegeben – zumal der Sachverständige unabhängig von den vorherigen Ausführungen nicht einmal um die Einholung eines Vorschusses bittet.
Es ist einem Sachverständigen durchaus zuzumuten, stets über die für ein Gutachten bereits aufgewendete Arbeitszeit informiert zu sein, um das Gericht rechtzeitig darauf hinweisen zu können, dass voraussichtlich Kosten anfallen, die den angeforderten Vorschuss erheblich übersteigen.
Auch die Rechtsprechung des OLG Stuttgart (DS 2018, 38) verhilft dem Sachverständigen nicht zu seinem Vergütungsanspruch. Es ist zwar richtig, dass das OLG Stuttgart inhaltlich ausführt: Gibt der Sachverständige rechtzeitig den Hinweis auf die zu erwartende Überschreitung des bezahlten Auslagenvorschusses, so darf er, solange er keine gegenteilige Anweisung erhält, mit der Begutachtung fortfahren, ohne befürchten zu müssen, für diese Tätigkeiten später nur eine Vergütung bis zur Grenze des § 8a IV JVEG zu erhalten. Aber: In dieser Entscheidung hatte der Sachverständige konkret eine Zahl genannt und die Einholung dieses Betrags erbeten – hieran ermangelt es vorliegend schon.
Hat es der Sachverständige – wie im vorliegenden Fall – unterlassen, auf die Mehrkosten hinzuweisen, so erhält er die Vergütung nur in Höhe des Auslagenvorschusses, wenn die geltend gemachte Vergütung den Auslagenvorschuss erheblich überschreitet (OLG Stuttgart IBR 2021, 158; OLG Thüringen BauR 2015, 301; OLG Hamm MDR 2015, 300). Die Vergütung ist bei einer erheblichen Überschreitung deshalb auf die Höhe des Vorschusses gedeckelt, ohne dass zusätzlich, wie bei einer nur unerheblichen Überschreitung, ein Toleranzrahmen zu erstatten wäre (OLG Hamm MDR 2015, 300). Maßgeblich ist daher der Betrag in Höhe von 3.000,00 Euro.
Es ist zwar richtig, dass das Gericht den Fehlbetrag angefordert hat, der auch eingezahlt wurde. Das Gericht ist hierbei a prima vista davon ausgegangen, dass der Sachverständigen zunächst die fehlende richtige Anzeige des fehlenden weiteren Vorschusses nicht zu vertreten hatte. Dies konnte der Sachverständige im Nachgang aber nicht darlegen.