Ax Vergaberecht

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LG Hagen zu der Frage, ob eine unangemessene Benachteiligung (§ 307 BGB) des Gerüstbauers in einer Komplettheitsklausel bei einem Detailpauschalvertrag liegt, wenn diese nach ihrem äußeren Erscheinungsbild für mehrere Verträge formulierte Klausel vom Auftraggeber gestellt wird und das Leistungsverzeichnis mit Positionen zu Gerüstmengen- und Vorhaltezeiten vom Auftraggeber stammt

vorgestellt von Thomas Ax

1. Eine unangemessene Benachteiligung (§ 307 BGB) des Gerüstbauers liegt in einer Komplettheitsklausel bei einem Detailpauschalvertrag, wenn diese nach ihrem äußeren Erscheinungsbild für mehrere Verträge formulierte Klausel vom Auftraggeber gestellt wird und das Leistungsverzeichnis mit Positionen zu Gerüstmengen- und Vorhaltezeiten vom Auftraggeber stammt.
2. Es liegt kein den Auftraggeber bindender Vergleich über die Vergütungsansprüche vor, wenn eine Kürzung der Schlussrechnung zwischen dem Architekten und dem Unternehmer besprochen wird und der Unternehmer die vom Architekten vorgenommenen Kürzungen akzeptiert. Auch führt diese Prüfung nicht zu einem der Auftraggeberin zurechenbaren Anerkenntnis der Vergütungsansprüche. Es kann allerdings ein qualifiziertes Bestreiten der Auftstellmengen und -zeiten von dem Auftraggeber erwartet werden. Wenn ein Architekt eine Rechnungsprüfung durchgeführt hat, liegen nämlich tatsächliche Wahrnehmungen des Architekten vor, zu denen sich der Auftraggeber beim Architekten erkundigen kann.
3. Mengenänderungen machen nur dann eine Preisanpassung im Rahmen von § 2 Abs. 3 VOB/B erforderlich, wenn eine der Vertragsparteien diese geltend macht. Die Klage des Unternehmers ist daher schlüssig, wenn er nach den ursprünglichen Vertragspreisen abrechnet und auch der Auftraggeber keine Preisanpassung verlangt.
4. Soweit es bei einem Gerüstbauvertrag überhaupt einer Abnahme bedarf, ist diese für die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs entbehrlich, wenn ein reiner Abrechnungsstreit vorliegt und der Auftraggeber keine Nacherfüllung mehr verlangt.
LG Hagen, Urteil vom 06.09.2023 – 21 O 75/20

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf restliche Vergütung für eine Gerüstgestellung in Anspruch.

Die Klägerin ist ein Gerüstbauunternehmen.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Bauträgerin, welche im Investorenauftrag Immobilienprojekte schlüsselfertig realisiert.

Die Beklagte beauftragte das Architekturbüro I. (im Folgenden “Architektin”), für das Projekt “Errichtung von 28 Seniorenwohnungen inkl. 16 Stellplätzen in ###, ###-Straße” eine Ausschreibung hinsichtlich Gerüstbauarbeiten durchzuführen. Die Architektin schrieb die Klägerin unter Beifügung eines Leistungsverzeichnisses (im Folgenden “LV”; vgl. Anlage K1, Bl. 6 ff. eA) an und bat um Abgabe eines Angebots, einzureichen beim Architektenbüro.

In den “Allgemeinen Vorbemerkungen” des LV hieß es insbesondere:

“Als Grundlage des folgenden Angebotes gelten diese allgemeinen Vorbemerkungen, die vom Bieter im Falle der Auftragserteilung verbindlich als Vertragsbestandteil anerkannt werden. Diese Vorbemerkungen ergänzen die Vertragsbedingungen dieser Ausschreibung, die “Allgemeinen Technischen Vorschriften” der VOB, sowie alle im Rahmen dieser Leistungen und Stoffe anzuwendenden DIN und sonstigen Vorschriften.

1. Für den Leistungsumfang und die Kosten sind maßgebend:

– die Vertragsbedingungen des Bauherrn

– die VOB, Teil B + C

– das Leistungsverzeichnis und die Technischen Vorbemerkungen

– […]

2. Die Angebotspreise sind – unabhängig vom tatsächlichen Leistungsumfang – Festpreise für die Dauer der Arbeiten, sofern nicht bei sehr langfristigen Vertragen eine Zusatzvereinbarung getroffen wird (Ausführungsdauer von mehr als 6 Monaten). Mit den Angebotspreisen werden folgende Leistungen abgegolten, sofern sie nicht im Einzelnen näher beschrieben und zusätzlich vergütet oder bei Angabe des Angebots zusätzlich vom Bieter geltend gemacht werden:

Baustelleneinrichtung, Vorhaltung der Geräte und Gerüste, Übernahme der Kosten für Bauwasser und Baustrom und der erforderlichen Anschlüsse, Lieferung sämtlicher Materialien frei Baustelle einschl. Zwischenlagerung und Transport auf der Bausteile, sämtliche Lohn- und Lohnnebenkosten wie Ablösungen, Fahrkosten usw., Gebühren für behördliche Anmeldungen, Genehmigungen und Abnahmen sowie erforderliche Materialprüfungen – soweit sie die Leistung(en) des Auftragnehmers betreffen – mit Ausnahme der behördlichen Baugenehmigungen, Rohbau- und Schlussabnahmen.

[…]

4. Der Auftragnehmer verpflichtet sich, sich vor Beginn der Ausführung vollständige Klarheit über die Ausführungsunterlagen, Art und Umfang der Leistung sowie über die Umstände der Baumaßnahme zu verschaffen. Unstimmigkeiten sind vor Beginn der Arbeiten unverzüglich schriftlich mitzuteilen und mit der Bauleitung zu klären. Spätere Einreden werden nicht anerkannt.

[…]

7. Der AG verlangt in jedem Fall eine förmliche Abnahme der Bauleistungen. Der AN hat die Abnahme jeder Bauleistung und Teilleistung rechtzeitig schriftlich zu beantragen. Die Inbetriebnahme oder Benutzung des durch die Bauleistung fertiggestellten Werkes durch den AG oder Mieter und dergl. gilt nicht als Abnahme. Die endgültige Abnahme der einzelnen Gewerke erfolgt im Zuge der Übergabe (Gesamtabnahme) des Bauvorhabens an den Bauherrn. Der AN ist verpflichtet, rechtzeitig vor der Abnahme seine Arbeiten zu überprüfen. Die noch erforderlichen Nach- und Ausbesserungsarbeiten hat der AN unaufgefordert und unverzüglich rechtzeitig vor der Abnahme durchzuführen. […]

11. Für die abgeschlossene Bauwesenversicherung erfolgt ein Abzug in Höhe von 0,4 % von der Schlussrechnungssumme.

12. Der Baustromanschlusskasten, Bauwasseranschluss und WC werden allen Firmen, die am Bau beschäftig sind, zugänglich gemacht. Für Benutzung von Wasser, Strom (kein Heizstrom) und WC erfolgt ein Abzug in Höhe von 1,1 % von der Schlussrechnungssumme.

[…]

14. […] Die Schlussrechnung ist in dreifacher Ausfertigung mit sämtlichen erforderlichen Nachweisen auf den Namen des Auftraggebers einzureichen.

[…]

16. Nachforderungen bei Leistungsminderung, Fortfall oder Abweichungen um mehr als 10 % der Massen des LVZ sind ausgeschlossen. Abrechnung erfolgt grundsätzlich (falls nicht anders vereinbart) nach Aufmass.

[…]

19. Gerichtsstand ist grundsätzlich der Sitz des Auftraggebers.”

Die Ausführungszeit war vorgegeben mit: “43. K.W. 2018 – 22. K.W. 2019”, also dem 22.10.2018 bis zum 31. Mai 2019 (entspricht 32 Kalenderwochen).

Die Klägerin reichte unter dem 16.08.2018 ein ausgefülltes Angebot (Anlage K1, Bl. 6 ff. eA) ein, das einen Gesamtpreis von 34.667,63 Euro brutto auswies. Danach führte die Beklagte mit der Klägerin Gespräche mit dem Ziel, dass die Leistungen der Klägerin pauschaliert werden.

Unter dem 25.10.2018 reichte die Klägerin ein Nachtragsangebot (Anlage K3, Bl. 26 eA) ein. Sie hatte zuvor die Beklagte darauf hingewiesen, dass im Leistungsverzeichnis die Dachfangkonstruktion fehlt.

Am 29.10.2018 beauftragte die Beklagte, handelnd durch ihren Geschäftsführer, die Klägerin mit der Ausführung der angebotenen Leistungen “auf der Grundlage unseres Vergabegespräches” (Anlage K2, Bl. 25 eA). Die Klägerin sollte sich mit Herrn E. weiter abstimmen, dem Bauleiter der Beklagten.

Die Klägerin erbrachte für das vorgenannte Bauvorhaben ab dem 19.11.2018 Gerüstbauleistungen durch Gestellung eines Stahlrohrrahmengerüstes der Lastklasse 3 (Arbeit- und Schutzgerüst) für Fassaden und Dacharbeiten).

Sie erstellte am 08.02.2019 eine erste Abschlagsrechnung (Anlage K12, Bl. 238 ff. eA). Diese endete auf 29.844,46 Euro brutto. Bei Zahlung innerhalb von 10 Tagen sollten 3 % Skonto, also 895,33 Euro abziehbar sein.

Am 05.03.2019 zahlte die Beklagte 26.097,83 Euro.

Unter dem 26.11.2019 erteilte die Klägerin ihre Schlussrechnung (Anlage K4, Bl. 38 ff. = K13, Bl. 248 ff. eA) über 48.867,28 Euro abzüglich bereits gezahlter 26.097,83 Euro, also 22.769,45 Euro brutto.

Die Schlussrechnung hatte die Klägerin bei der Architektin eingereicht. Anfang Dezember fand zwischen dieser und der Klägerin eine Besprechung über die abgerechneten Gerüstmengen statt. Es ist streitig, inwieweit sich die Beklagte in diesem Gespräch getroffene Absprachen zurechnen lassen muss.

Die Beklagte zahlte auf die Schlussrechnung am 04.03.2022 6.798,24 Euro.

Unter dem 10.12.2019 bat die Klägerin erfolglos um Bezahlung des Restbetrages. Sie mahnte erneut unter dem 16.01.2020 und 03.03.2020 (Anlagen K7, K8, Bl. 43 f. eA).

Unter dem 16.04.2020 (Anlage K5, Bl. 41 eA) machte die Klägerin nach Kürzung noch einen Restbetrag in Höhe von 10.726,32 Euro geltend, erneut angemahnt am 12.05.2020 (Anlage K9, Bl. 45 eA).

Mit Schreiben vom 17.06.2020 (Anlage K6, Bl. 42 eA) berief sich die Beklagte gegenüber der Klägerin auf eine vereinbarte Vergütungspauschale und bot an, auf die Schlussrechnung zur gütlichen Einigung noch 5.000,00 Euro brutto zu zahlen. Diese Einigung lehnte die Klägerin ab.

Mit Schriftsatz vom 29.12.2022 (Bl. 289 eA) berief sich die Beklagte auf ein Zurückbehaltungsrecht bis zur Vorlage einer korrigierten Schlussrechnung.

Die Klägerin behauptet, die abgerechneten Gerüstmengen erbracht zu haben. Dabei hätten die Gerüstmengen aus dem Leistungsverzeichnis nicht ausgereicht, um das Gebäude komplett einzurüsten.

Hinsichtlich der mit der Klage abgerechneten Gerüstmengen sei eine einvernehmliche Mengen- samt Preisbestimmung erfolgt. Von der Beklagten hätten noch 36.657,47 Euro netto zzgl. 6.964,92 Euro Mehrwertsteuer, mithin 43.622,39 Euro brutto gezahlt werden sollen. Die Parteien hätten insoweit in einem Abstimmungsgespräch eine einvernehmliche Kürzung der Schlussrechnung im Haus der Architektin vorgenommenen. Die Abrechnungsgrundlagen seien an Hand von Architektenplänen, Fotos des Bauvorhabens, geführtem Schriftverkehr und den Schlussrechnungsunterlagen einvernehmlich bestimmt worden, ohne dass es eines gemeinsamen Aufmaßtermines vor Ort bedurft habe. Die Klägerin ist hierbei der Ansicht, die Beklagte habe sich das – insoweit unstreitige – Handeln ihrer Architektin zurechnen zu lassen. Denn diese habe unstreitig die Bauleitung innegehabt, weswegen die Klägerin dies habe so verstehen dürfen, dass im Rahmen dieser Bauleitung auch Rechnungsprüfungen mit Befugnis der Beklagten durchgeführt werden. Die von der Architektin gekürzten Mengen (Anlage K14, Bl. 267 ff. eA) stelle die akzeptierte Grundlage dar, auf der die Klageforderung rechnerisch beruhe, weswegen die Einreichung des von ihr, der Klägerin, erstellten Aufmaßes (Anlage K04a, Bl. 27 ff. eA) irreführend gewesen sei.

Sie, die Klägerin, ist weiter der Ansicht, die Parteien hätten im Ausgangsvertrag keine pauschale Vergütung vereinbart, auch nicht hinsichtlich des Leistungsumfangs, sondern vielmehr Einheitspreise. Die Einrüstung mit bestimmten Gerüstmengen sei nicht geschuldet gewesen, sondern die Einrüstung des Gebäudes, so dass die Mengen variabel seien. Die Standzeit (“weitere Vorhaltung”) habe auch nicht im Belieben der Beklagten stehen sollen.

Soweit einzelne AGB-Klauseln zu einer Preisfestschreibung von Einheitspreisen aus dem Leistungsverzeichnis führen würden, seien diese unwirksam, weil sie die Klägerin unangemessen benachteiligen würden.

Auch habe die Klägerin nicht die Pflicht gehabt, die – von der Beklagten fehlerhaft berechneten – Mengen aus dem Leistungsverzeichnis zu prüfen, zumal die Abweichungen nicht offenkundig gewesen seien. Auch während der Durchführung der Gerüstarbeiten habe die Klägerin nicht Verhandlungen über Mehrmengen führen können, da diese erst bei der Abrechnung offenbar geworden seien.

Die Standzeit sei mit der Architektin besprochen gewesen. Der Abbau der Gerüste sei gemäß Freimeldung des Bauleiters erfolgt. Gerüstmaterial, das erst später abgeholt worden sei, sei nicht berechnet.

Die Gerüstbauarbeiten hätten nicht von der Beklagten abgenommen werden müssen, da eine Abnahme bei einem mitwachsenden Gerüst gewerkefremd sei. Die Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung sei auch entbehrlich, weil die Beklagte keine Nacherfüllung mehr verlange.

Wegen der korrigierten Schlussrechnung wird auf die Darlegung im Schriftsatz vom 31.01.2023, S. 4 ff. Bezug genommen. Bei der Pos. 1.41 handele sich um berechnete Treppentürmen, wobei die Zahl 29,6 das Produkt aus Einheit und Wochen sei.

Nach den üblichen Postläufen sei die Schlussrechnung der Beklagten spätestens am 28.11.2019 zugegangen. Die von der Architektin korrigierte Schlussrechnung samt Berechnungsgrundlagen vom 26.09.2019 habe diese an die Beklagte mit E-Mail vom 02.12.2019 (vgl. Anlage K14, Bl. 266 eA) übermittelt. Danach habe am 16.01.2020 ein Austausch zwischen der Architektin und der Beklagten stattgefunden (Anlage K15, Bl. 335 eA).

Bei der Ziffer 12 der allgemeinen Vorbemerkungen des LV sei es so, dass Mitarbeiter der Klägerin zwar das WC genutzt hätten, aber keinen Strom und kein Wasser. Bei der Ziffer 11 beträfe die Bauwesenversicherung nicht den Gerüstbau. Das Gerüst sei nicht versichert gewesen. Gegenteiliges werde mit Nichtwissen bestritten.

Dass die Klägerin der Beklagten nur zwei Ausfertigungen der Schlussrechnung übersandt habe, sei bis zum Schriftsatz vom 31. Januar 2023 nicht beanstandet worden und stünde dem Anspruch nicht entgegen.

Die Beklagte sei nicht berechtigt, Skonto für die Abschlagsrechnung in Anspruch zu nehmen, weil sie die am 09.02.2019 versandte Abschlagsrechnung erst am 05.03.2019 bezahlt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin 10.726,32 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.12.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, es habe keine einvernehmliche Kürzung des Schlussrechnungsbetrages gegeben. Vertragspartner und Verhandlungsführer bei Preisvereinbarungen sei allein die Beklagte, vertreten durch ihren Geschäftsführer gewesen. Die Architektin der Beklagten habe zwar eine Bauleitungsfunktion, aber keine Kompetenz gehabt, höhere Preise und Vergütungen zu vereinbaren. Auch wenn die Architektin die Angebote eingeholt habe, sei die finale Vergabeentscheidung von dem Geschäftsführer der Beklagten getroffen worden. Auch der Nachtrag sei daher – insoweit unstreitig – von dem Geschäftsführer der Beklagten beauftragt worden. Die Beklagte habe auch nicht das Handeln ihrer Architektin im Nachhinein gebilligt.

Hinsichtlich der Ursprungsvereinbarung sei ein Festpreis vereinbart worden, zwar nicht bzgl. der Standzeiten, aber bzgl. der Gerüstmengen. Nur hinsichtlich den Gerüststehzeiten habe das Blanko-Leistungsverzeichnis die Möglichkeit vorgesehen, dass die Auftragnehmerin bei einer Überschreitung der planmäßigen Gerüststandzeit ggfs. eine Mehrvergütung verlangen kann. Die Vereinbarung eines Festpreises führe dazu, dass die Klägerin als Auftragnehmerin das Risiko der Mehrleistungen zu tragen habe. Ziffer 2 der Allgemeinen Vorbemerkungen sei ausgehandelt worden. Auch habe die Klägerin nach Ziff. 4 die Pflicht gehabt, die ihr ausgehändigten Planunterlagen zu überprüfen und mit den Maßen aus dem Leistungsverzeichnis abzugleichen. Deren Fehlerhaftigkeit sei dabei offenkundig gewesen. Wenn die Klägerin darauf hingewiesen hätte, dass die einzurüstende Fläche größer war, hätte es entsprechende Preisverhandlungen gegeben und bei einem Hinweis vor Aufbau des Gerüstes wäre ggfs. eine neue Ausschreibung erfolgt. Keinesfalls wäre aber der Auftrag so erteilt worden.

Es fehle auch ein Preisanpassungsverlangen der Klägerin und eine Abweichung während der Bauphase. Mehrmengen habe die Klägerin bis heute nicht substantiiert dargetan. Die Klägerin könne auch nicht auf der ursprünglichen Kalkulationsgrundlage abrechnen und müsse zu den tatsächlichen Kosten der Mengenmehrungen vortragen. Die “weiteren Vorhaltepositionen” seien unklar.

Eine längere Standdauer der Gerüste werde bestritten. Es sei auch unklar, wann die Gerüste abgebaut worden seien und wie lange diese noch auf der Baustelle wegen Nichtabholung herumgelegen hätten.

Die Klägerin müsse sich die von der Architektin ermittelten Abzüge in Höhe von 5.244,89 Euro (Anlage B1, Bl. 178 ff. eA) bei der Klageforderung entgegenhalten lassen. Es träfe nicht zu, dass das Aufmaß der Architektin der eingeklagten Schlussrechnung zu Grunde gelegt worden sei.

Weiter seien nach den Ziffern 11 und 12 von der Schlussabrechnung 1,1 % und weitere 0,4 % in Abzug zu bringen. Es habe eine Bauwesenversicherung (Anlage B2, Bl. 378 ff. eA, Anlage B3, Bl. 416 ff. eA) bestanden. Dabei sei unerheblich, ob die Gerüstarbeiten vom Versicherungsumfang erfasst worden seien, weil jedenfalls Beschädigungen durch Mitarbeiter der Klägerin vom Versicherungsschutz erfasst worden wären. Es müsste auch ein Skonto in Höhe von 807,15 Euro berücksichtigt werden, weil sie, die Beklagte, von der 1. Abschlagszahlungen nach Beanstandungen ihres Architekten (vgl. wegen der Einzelheiten Schriftsatz vom 29.12.2022, S. 4, Bl. 291 eA) berechtigte Abzüge vorgenommen habe.

Mangels Abnahme sei ein Vergütungsanspruch der Klägerin nicht zur Zahlung fällig. Diese sei zu keinem Zeitpunkt vor Ort durch ein gemeinsames Aufmaß der vorhandenen Gerüstmenge nach dem Aufbau des Gerüsts erfolgt. Schließlich sei die Schlussrechnung auch wegen des beigefügten falschen Aufmaßes nicht prüffähig, weswegen ihr ein Zurückbehaltungsrecht zustünde, zumal ihr die Schlussrechnung auch – unstreitig – nicht in dreifacher Ausführung vorgelegt worden sei. Es könne nicht mehr aufgeklärt werden, wann die Schlussrechnung ihr, der Beklagten, zugegangen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Erklärungen in den mündlichen Verhandlungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung von 10.551,83 Euro aus dem streitgegenständlichen Gerüstbauvertrag verlangen.

Die Parteien haben einen selbständigen Gerüstbauvertrag abgeschlossen.

Die rechtliche Einordung dieses Vertrages kann vorliegend für die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang eine Vergütung geschuldet ist, dahingestellt bleiben, auch wenn die Kammer die Auffassung für vorzugswürdig hält, wonach typengemischt zwischen der Werkleistung (Auf-, Um- und Abbau des Gerüstes) und der mietvertraglichen Leistung (Vorhaltung des Gerüstes) zu unterscheiden ist (etwa Cramer, in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 4. Aufl., C. Rn. 9; Koeble, in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 10 Rn. 125). Haben die Parteien wie vorliegend ein LV mit einzelnen Positionen (Leistung, Preis und Faktor) vereinbart, kann der Vergütungsanspruch jedenfalls aus den jeweiligen Leistungspositionen abgeleitet werden.

Dabei ist die Klägerin grundsätzlich nicht darin gehindert, höhere Preise abzurechnen, als sich aus dem vorab kalkulierten Angebotspreis ergeben.

Zwar kann sich die Klägerin nicht auf einem wirksamen Vergleich über den abzurechnenden Gesamtpreis berufen. Denn selbst wenn ihr Vortrag zutreffen sollte, dass sie mit der Architektin der Beklagten eine entsprechende Vereinbarung getroffen hat, folgt hieraus keine wirksame Bindung bzw. Vertretung der Beklagten durch das Handeln der Architektin. Eine reine Rechnungsprüfung durch den Architekten bindet den Auftraggeber nicht (Vohwinckel, NZBau 2017, 258, 261 mwN), mag sie auch im Beisein des Vertragspartners erfolgen. Ob die Architektin mit der Klägerin ein gemeinsames Aufmaß bestimmt hat, kann ebenfalls dahingestellt bleiben, weil aus der Prüfung von Leistungen nicht die Anerkennung bestimmter Vergütungsansprüche des Auftragnehmers folgt (vgl. BGH, NJW 1974, 646 Rz. 149).

Umgekehrt kann sich die Beklagte nicht auf eine Festschreibung der Mengen aus Ziff. 2 der allgemeinen Vorbemerkungen des LV berufen. Denn in den Fällen, in denen bei einem Detailpauschalpreisvertrag die Planung vom Auftraggeber stammt und das Risiko einer Fehlplanung dem Auftragnehmer überbürdet wird (Detailpauschale mit Komplettheitsvereinbarung), verstößt eine solche AGB-Klausel wegen einer unangemessen Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders gegen § 307 Abs. 1 BGB (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 1489; Jansen, Beck´scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Aufl., § 2 Abs. 7 Rn. 123 ff.; Kandel, in: BeckOK VOB/B, § 2 Abs. 7 VOB/B (Stand 30.04.2023) Rn. 12; Seewald, in: Motzke/Bauer/Seewald, Prozesse in Bausachen, 3. Aufl., § 5 Rn. 341; Markus, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 8. Aufl., § 2 Rn. 492). Über § 310 Abs. 1 BGB gelten auch die Wertungen des § 307 BGB gegenüber einem Unternehmer.

Die streitgegenständliche von der Beklagten verwendete Komplettheitsklausel (Allgemeine Vorbemerkungen, Ziff. 2) sieht von ihrem Inhalt und ihrem äußeren Anschein danach aus, eine vorformulierte AGB zu sein (BGH, NZBau 2006, 390 Rz. 18). Diesen Anschein hat die Beklagte nicht widerlegt. Sie hat auch nicht zu einem Aushandeln dieser Klausel vorgetragen. Die Beklagte will gerade auf eine Pauschalierung der Preise gedrängt haben. Dann hatte sie die Komplettheitsklausel aber gerade nicht ernsthaft zur Disposition gestellt.

Dass unabhängig vom Leistungsumfang Festpreise vorliegen sollen, führt dazu, dass die Klägerin Mengenfehler des Leistungsverzeichnisses tragen soll und auf eine Nachverhandlung mit der Beklagten verwiesen wird. Auch stammt die Mengenplanung zu der Einrüstung von der Architektin der Beklagten, welche die Ausschreibung anhand des von ihr erstellte Leistungsverzeichnisses durchgeführt hatte. Dieses benachteiligt die Klägerin als Vertragspartner der Verwenderin unangemessen.

Aus den gleichen Gründen ist auch die Klausel in Ziffer 16 der Allgemeinen Vorbemerkungen des LV unwirksam.

Die Beklagte kann auch nicht die Vergütung mit der alternativen Begründung kürzen, die Klägerin habe pflichtwidrig eine unangemessene Prüfung der ausgeschriebenen Mengen vorgenommen und einen Hinweis unterlassen, der die Beklagte dazu bewegt hätte, den Auftrag anderweitig zu vergeben. Mit dieser Begründung würde die Beklagte erneut das Risiko, dass die Mengen von der Beklagten unzureichend ausgeschrieben wurden, auf die Klägerin überwälzen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Mengenabweichungen so offenkundig waren, dass sie der Klägerin bereits in der Bieterphase hätten auffallen müssen. Offenbar hatte keiner der Bieter auf ein fehlerhaftes Leistungsverzeichnis verwiesen.

Die von der Klägerin im Rechtsstreit abgerechneten Leistungspositionen sind im Aufmaß (Menge und Zeit) von der Beklagten nicht hinreichend bestritten.

Dabei kann die Kammer auch in diesem Zusammenhang dahingestellt sein lassen, ob die Klägerin mit dem Architekten der Beklagten ein gemeinsames Aufmaß bestimmt hat.

Selbst wenn es an einem gemeinsam festgestellten und daher für die Parteien bindenden Aufmaß fehlen sollte, kann die Beklagte das in dem Rechtsstreit von der Klägerin dargelegte Aufmaß nicht pauschal bestreiten. Denn die Beklagte müsste zunächst dartun, was ihre Architektin zu deren konkreten Wahrnehmungen über die aufgestellten Gerüste (samt Aufstellzeiten) mitgeteilt hatte. Da diese die Schlussrechnung der Klägerin und die darin abgerechneten Massen geprüft hat, muss sich die Beklagte insoweit bei ihrer Architektin über deren Wahrnehmungen erkundigen und darf nicht die Mengen und Vorhaltezeiten pauschal (mit Nichtwissen) bestreiten (vgl. Vohwinckel, NZBau 2017, 258, 260 unter III. 1 b) Wissenszurechnung). Auf einen entsprechenden Hinweis (Bl. 169 f. eA) hat die Beklagte nicht ergänzend vorgetragen. Daher gilt das Vorbingen der Klägerin als nicht wirksam bestritten.

Auch der Einwand, die Abzüge in Höhe von 5.244,89 Euro (Anlage B1), müsse von der Klageforderung erst noch durchgeführt werden, ist nicht erheblich. Denn die Klägerin hat den bereits gekürzten Betrag in Höhe von 36.657,47 Euro (netto) von Anfang an der Berechnung ihrer Klageforderung zu Grunde gelegt.

Soweit die Beklagte vorgetragen hat, die Klägerin dürfe bei Mengenänderungen nicht nach dem Vertragspreis abrechnen, verkennt sie, dass Mengenüberschreitungen über 10 % hinaus nach §?2 Abs.?3 Nr. 2 VOB/B nicht automatisch zu einem neuen Einheitspreis führen, sondern nur, wenn dies verlangt wird (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 1041). Dabei können sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer eine Preisanpassung geltend machen (etwa Jansen, in: Beck´scher VOB-Kommentar Teil B, 3. Aufl., § 2 Abs. 3 VOB/B Rn. 10). Weder die Klägerin noch die Beklagte haben aber vom Vertragspartner verlangt, dass eine Preisanpassung erfolgen soll. Die Klägerin rechnet nach den ursprünglichen Preisen ab. Dies stellt gerade kein Preisanpassungsverlangen dar. Die Beklagte hat ebenfalls keine Preisanpassung verlangt. Sie hat lediglich im Schriftsatz vom 28.02.2023 die Ansicht vertreten, der Klägerin sei es verwehrt, auf der bisherigen Kalkulationsgrundlage abzurechnen, da die Klägerin zuvor eine Preisanpassung verlangen müsse.

Damit ergibt sich im Ausgangspunkt ein Vergütungsanspruch der Klägerin in Höhe von 36.657,47 Euro netto, also 43.622,39 Euro brutto.

Ein Abzug in Höhe von 0,4 % der Schlussrechnungssumme hat zu erfolgen, womit sich die Forderung auf 43.447,90 Euro brutto reduziert. Die Klausel zu Ziff. 11 ist AGB-wirksam (vgl. BGH, NJW 2000, 3348), soweit es sich um AGB handeln dürfte. Die Beklagte hat den Abschluss einer Bauwesenversicherung belegt. Diese muss nicht das Gewerk Gerüstbau absichern. Es genügt, dass das gesamte Bauvorhaben versichert ist und damit auch Schäden, die die Klägerin im Zuge der Gerüstarbeiten an anderen Bauleistungen hervorrufen konnte.

Es hat aber kein weiterer Abzug in Höhe von 1,1 % der Schlussrechnungssumme aufgrund Ziff. 12 der allgemeinen Vorbemerkungen des LV zu erfolgen. Die Klausel stellt nach ihrem äußeren Erscheinungsbild (vgl. die vorstehenden Ausführungen) eine AGB dar und verstößt gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eine Klausel, die dem Werkunternehmer ein verbrauchsunabhängiges Entgelt für von ihm verwendeten Baustrom und/oder Bauwasser auferlegt, weicht nämlich von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab (OLG Stuttgart, NJW-RR 1998, 312; OLG Hamburg, Urteil vom 04.12.2013, 13 U 1/09 = BeckRS 2013, 196588). Der Abzug soll bereits für die bloße Möglichkeit des Verbrauchs von Bauwasser und/oder Baustrom erfolgen und nicht für die tatsächliche Inanspruchnahme, weswegen die Klausel einer Inhaltskontrolle zugänglich ist (vgl. BGH, NJW 1999, 3260; Kniffka, in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 4 Rn. 526). Damit wird aber weder an dem tatsächlichen Gesamtverbrauch an der Baustelle angeknüpft, noch an dem tatsächlichen individuellen Verbrauch des einzelnen Werkunternehmers.

Nicht abziehen kann die Beklagte Skonto für eine Zahlung auf die erste Abschlagsrechnung. Die für die Berechtigung des Skonto-Abzugs darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat schon nicht dargetan, eine Zahlung innerhalb der vereinbarten Frist erbracht zu haben. Der Vortrag der Beklagten, in welcher Höhe die erste Abschlagsrechnung nach Prüfung berechtigt war, lässt die vereinbarten Zahlungsfristen außer Acht.

Zu berücksichtigen sind weiter als Abzüge Zahlungen der Beklagten, § 362 BGB. Nach Abzug von 26.097,83 Euro und 6.798,24 Euro verbleiben noch 10.551,83 Euro brutto.

Die Zahlungsforderung der Klägerin ist auch fällig.

Voraussetzung der Fälligkeit der Schlusszahlung ist – obwohl in § 16 Abs. 3 VOB/B nicht erwähnt – neben der Vorlage der Schlussrechnung zusätzlich noch die Abnahme der Bauleistungen.

Die Abnahme ist dabei, unabhängig von der Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt diese beim Gerüstbauvertrag erfolgen kann, schon entbehrlich, wenn feststeht, dass gar keine Nacherfüllung mehr verlangt wird (vgl. Kniffka, in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 4 Rn. 490). Vorliegend streiten die Parteien so auch allein um die Abrechnung der bereits beendeten Gerüstbauarbeiten. Es ist ein reiner Abrechnungsstreit, der nicht die Mangelhaftigkeit bzw. Unvollständigkeit der Gerüstarbeiten betrifft.

Schließlich ist eine Fälligkeit nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B eingetreten, weil der Beklagten die Schlussrechnung zugegangen ist und danach 30 Tagen verstrichen sind. Die Beklagte hat dabei den Zugang der Schlussrechnung dem Grunde nach nicht bestritten.

Den Einwand der fehlenden Prüffähigkeit kann die Beklagte nicht mehr im Prozess erheben. Die Frist des § 16 Abs. 3 S. 1 S. 3 VOB/B, innerhalb derer Einwendungen gegen die Prüffähigkeit erhoben werden müssen, war bereits bei deren Geltendmachung abgelaufen. Einen Zugang der Schlussrechnung schon am 28.11.2019 oder am 02.12.2019 hat die Beklagte nicht wirksam bestritten. Ihr Vorbringen, der genaue Zeitpunkt des Zugangs könne nicht mehr aufgeklärt werden, genügt insoweit nicht. Der Einwand, die Schlussrechnung sei nicht prüffähig, ist nach dem Vorbringen der Parteien nicht schon innerhalb von 30 bis 60 Tagen nach Zugang der Schlussrechnung erhoben worden. Soweit die Beklagte erklärt hat, sie habe unter Berufung auf den Festpreis entsprechend dem Angebot bezahlt und um Aufklärung der verschiedenen Abweichungen zum Beispiel der Mengenangeben, zwischen Leistungsverzeichnis, 1. Abschlagsrechnung und Schlussrechnung gebeten, zeigt auf, dass entsprechende Einwände auch nach dem Vorbringen der Beklagten erst im März 2020 erhoben worden sein können. Auch der Einwand, es fehle die dritte Ausfertigung der Schlussrechnung, ist präkludiert und gewährt der Beklagten kein Zurückbehaltungsrecht.

Die Klägerin kann Verzugszinsen nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 2, Abs. 3 S. 2, 288 Abs. 2 BGB verlangen. Einen Zugang der Schlussrechnung schon am 28.11.2019 hat die Beklagte nicht wirksam bestritten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 Nr. 1, 709 S. 1 und S. 2 ZPO.