Was soll dadurch bewirkt werden?
Es soll dadurch bewirkt werden, dass sich die Bieter mit den Vergabeunterlagen auseinandersetzen und den Auftraggeber auf mögliche Verstöße rechtzeitig hinweisen. Gleichzeitig soll verhindert werden, dass der Bieter einen Verstoß zwar erkennt, aber erst nach einer für ihn ungünstigen Angebotswertung nach Ablauf der Angebotsfrist den Vergaberechtsverstoß rügt, weil er auf eine andere Wertung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens hofft.
Worauf bezieht sich die Erkennbarkeit?
Erkennbar sind solche Verstöße, die bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen eines durchschnittlich mit Vergabeverfahren vertrauten Unternehmens auffallen können. Die Erkennbarkeit bezieht sich auf die den Verstoß begründenden Tatsachen und deren rechtliche Beurteilung. Dies betrifft vor allem die Kenntnis der vergaberechtlichen Mindestanforderungen an die Vergabeunterlagen. Weiterhin muss der Bieter den Text der aktuellen Verfahrensordnungen zur Kenntnis nehmen (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 08. Mai 2019 – 1 VK 19/19).
Ist ein subjektiver Maßstab anzulegen?
Das bloße Lesen der Vergabeunterlagen löst keinen Fristbeginn aus, sofern der Vergaberechtsverstoß nicht bereits aus dieser Lektüre offensichtlich ist. Es bedarf einer objektiven Erkennbarkeit; ein subjektiver Maßstab ist nicht anzulegen (vgl. EuGH (Fünfte Kammer), Urteil vom 12. März 2015, C-538/13; Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 160 Rn. 51).
Sind mehr als vergaberechtliche Grundkenntnisse zu erwarten?
Bei einer EU-weiten Ausschreibung seitens einer öffentlichen Vergabestelle entsteht zunächst der Rechtsschein, dass dieses Verfahren vergaberechtmäßig abgelaufen ist. Vom Bieter kann keine bessere Rechtskenntnis verlangt werden, als sie die Vergabestelle durch ihr Handeln nach außen für sich beansprucht. Mehr als vergaberechtliche Grundkenntnisse sind nach der Rechtsprechung nicht zu erwarten, Verstöße müssten vielmehr auf den ersten Blick erkennbar sein (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 16. Juni 2011 – 13 Verg 3/11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06. September 2017 – Verg 9/17: “Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter auffallen muss”). Das wäre etwa dann der Fall, wenn sich der Verstoß bereits aus einem Gesetzestext ergibt, der von Bietern für gewöhnlich heranzuziehen ist (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. November 2020 – 1 VK 55/2020).
Muss ein Bieter externen Rechtsrat einholen?
Ebenso wenig muss ein Bieter externen Rechtsrat einholen und das Vorliegen von Vergabefehlern prüfen lassen oder selbst sonstige Nachforschungen anstellen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Oktober 2006 – Verg 35/06; Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 160 Rn. 49).
Wer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Präklusion eingetreten ist?
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Präklusion eingetreten ist, liegt beim Antragsgegner bzw. der Beigeladenen. Dass die Antragstellerin den Vergaberechtsverstoß im Sinne des § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB erkennen konnte oder sogar Kenntnis hatte, wurde nicht substantiiert dargelegt. Im Urteil des OLG Celle vom 27. Februar 2020 – 13 Verg 5/19 hatte der Antragsgegner vorgetragen, dass die dortige Antragstellerin in einem anderen Verfahren das Verbot negativer Preise gerügt hatte. Dies hatte die Antragstellerin nicht bestritten. Damit war eindeutig, die Problematik war für die dortige Antragstellerin nicht nur erkennbar, sondern überdies bekannt. Da sie lediglich über die Reichweite der Ausnahmen von diesem Verbot einem Rechtsirrtum unterlegen war, wurde die Präklusion bejaht.