von Thomas Ax
Zwar lässt § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB die Nichtigkeitsfolgen unberührt, die sich aus der Anwendung von Vorschriften des Allgemeinen Teils des BGB ergeben (Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2021, GWB § 168 Rn. 39). Da das Vergabeverfahren nur bei wirksamer Zuschlagserteilung einer Nachprüfung entzogen ist, hindert die Zuschlagserteilung die Prüfung und Entscheidung der Vergabekammer beziehungsweise des Vergabesenats dann nicht, wenn der Vertrag nach § 134 oder § 138 BGB nichtig ist (Antweiler in Burgi/Dreher, Beck`scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 168 Rn. 50). So ist das Nachprüfungsverfahren dann nicht durch einen der Beigeladenen erteilten Zuschlag erledigt, wenn dieser etwa wegen Verstoßes gegen das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB gemäß § 134 BGB nichtig ist (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, NZBau 2010, 124 Rn. 21). Entsprechendes gilt bei einem wegen Verstoßes gegen das für notifizierungspflichtige Beihilfen geltende Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV gemäß § 134 BGB nichtigen Vertrag (BGH, Beschluss vom 12. November 2019, XIII ZB 120/19, NZBau 2020, 179 Rn. 36).
Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Dabei sind nicht nur der objektive Inhalt des Geschäfts, sondern auch die Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, und die von den Parteien verfolgten Absichten und Beweggründe im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, wobei es genügt, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt oder sich dieser Kenntnis grob fahrlässig verschließt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1997, V ZR 74/96, NJW-RR 1998, 590, 591).
Hierfür reicht ein schlichter Verstoß gegen vergaberechtliche Bestimmungen nicht aus.
Aus dem Verstoß gegen Vorschriften, die allein für das Vergabeverfahren relevant sind, ergibt sich grundsätzlich keine Vertragsnichtigkeit (OLG Celle, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 13 Verg 9/19, NZBau 2020, 535 Rn. 60; Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 168 Rn. 28). Ansonsten liefe die in § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung des Gesetzgebers, im Interesse der Rechtssicherheit den geschlossenen Vertrag auch dann wirksam zu lassen, wenn das Vergabeverfahren rechtswidrig war, das zum Zuschlag geführt hat, ebenso leer, wie die Regelung der Feststellung der Unwirksamkeit nach § 135 GWB.
Vielmehr bedarf es bei Rechtsgeschäften, bei denen nicht der Vertragspartner benachteiligt, sondern die eine Vertragspartei mit der anderen zum Nachteil eines Dritten abschließt, für die Annahme einer Nichtigkeit einem entsprechenden Bewusstsein bei beiden Vertragspartnern (vgl. zur Gläubigerbenachteiligung: BGH, Urteil vom 23. April 2002, XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359, 1361/62). Dementsprechend kann etwa ein Vertrag sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn er ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens vergeben wird und der öffentliche Auftraggeber in bewusster Missachtung des Vergaberechts handelt, also entweder weiß, dass der betreffende Auftrag dem Vergaberecht unterfällt oder sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließt, auch kollusiv mit dem Auftragnehmer zusammenarbeitet (OLG Celle, Beschluss vom 24. Oktober 2019, 13 Verg 9/19, NZBau 2020, 535 Rn. 60; OLG Saarbrücken, Urteil vom 17. August 2016, 1 U 159/14, BeckRS 2016, 16273 Rn. 57).
Es kann sein, dass auch jenseits eines kollusiven Zusammenwirkens eine Vertragsnichtigkeit anzunehmen ist, wenn die Vergabe mehrere Verstöße gegen Grundwerte und -prinzipien des Vergaberechts von erheblichem Gewicht mit Auswirkungen auf Dritte sowie die Allgemeinheit aufweist (so OLG Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2015, NZBau 2016, 184 Rn. 34).