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OLG des Landes Sachsen-Anhalt: Leistungsänderung durch Verwendung des Straßenaufbruchs einer kontaminierten Betondecke

vorgestellt von Thomas Ax

Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination in den Vergabeunterlagen ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Belastung vorliegt. (Rn.52) Ein 58 Seiten umfassender geotechnischer Bericht kann nicht dadurch wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen werden, dass in der allgemeinen Baubeschreibung ein Hinweis auf ihn und darauf erfolgt, dass Bieter die Möglichkeit einer Einsichtnahme erhalten. (Rn.59) Ein Bieter darf bei einem erkennbar lückenhaften Leistungsverzeichnis nicht einfach von einer ihm günstigen Preisermittlungsgrundlage ausgehen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebotes zu klären versuchen. (Rn.67) Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt 2. Zivilsenat Entscheidungsname: Straßenaufbruch Entscheidungsdatum: 27.06.2019 Aktenzeichen: 2 U 11/18

Gründe
A.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten zusätzlichen Werklohn für Tiefbauarbeiten; streitig ist eine auf § 2 Abs. 5 VOB/B 2012 gestützte Nachtragsposition.  Die Landesstraßenbaubehörde Sachsen-Anhalt schrieb in Bundesauftragsverwaltung für die Beklagte (künftig verkürzt: die Beklagte) im November 2014 die Vergabe von Bauleistungen für das Bauvorhaben „B 1 Ortsdurchfahrt G. , W. Straße – Straßenbauarbeiten, Nebenanlagen, Kanalisation“ in Losen als Einheitspreisvertrag unter Einbeziehung der VOB/B 2012 aus. Die zu erneuernde Bestandstraße wies einen dreischichtigen Aufbau aus: Die oberste Schicht bestand aus einer Asphalt-Fahrbahn und aus Gehwegen aus Pflastersteinen; die mittlere Schicht, der sog. gebundene Oberbau, bestand aus einer festen Betondecke oder – abschnittsweise – aus Pflastersteinen und einer hydraulisch gebundenen Tragschicht (HGT), d.h. aus einem Schotter-Magerbeton-Gemisch; die untere Schicht, der sog. ungebundene Oberbau, bestand aus Schotter.

In der allgemeinen Baubeschreibung (vgl. Anlage K 3) führte die Beklagte unter Ziffer 1.1.1.3 „Baugrund/Erdarbeiten“ (S. 8) u.a. aus, dass sie ein geologisches Baugrundgutachten einschließlich einer umweltrelevanten Untersuchung der Ingenieurgesellschaft F. mbH eingeholt habe und dass dieser geotechnische Bericht zur Einsichtnahme bei der Landesstraßenbaubehörde vorliege. Sodann heißt es:

„… Der Anteil des gebundenen Oberbaus besteht aus bituminösen Schichten mit einer Dicke von 9,5 bis 11 cm. Örtlich erhöht sich diese Schichtdicke auf ca. 20 cm. Unterhalb der Asphaltschichten wurde stellenweise im Bereich der B. Chaussee ein bitumengetränktes Vlies zur Vermeidung von Reflexionsrissen verbaut. …

Ergänzend zum Baugrundgutachten erfolgte eine umweltrelevante Untersuchung. Der bituminösen Schichten des Oberbaus wurden der Verwertungsklasse „A“ zugeordnet.

Die ungebundenen Schichten des Oberbaus wie Pflaster, Packlage und Schottertragschicht wurden als n.g.A. (nicht gefährlicher Abfall) eingestuft und sind nach Aufbereitung als Straßenbaustoff wieder verwendungsfähig, Zuordnungsklasse <= Z 2 gemäß TR LAGA M 20.

Die untersuchten Proben des planmäßigen Aushubhorizontes ergeben bei dem geplanten Bodenaushub einen nichtüberwachungsbedürftigen Ausbaustoff, Zuordnungsklasse <= Z 2 gemäß TR LAGA M 20.

Untersuchung des Oberbodens ergab eine Einstufung des Materials in die Deponieklasse II bzw. III. …

Die vorhandenen Material der Rad- und Gehbahnen, der Unterbauten sowie der Bodenaushub wurde als nicht gefährlicher Abfall eingestuft und sind nach der Aufbereitung als Straßenbaustoff wiederverwendungsfähig. Entsprechend der durchgeführten Analysen ergibt sich die Zuordnungsklasse <= Z 2 gemäß TR LAGA M 20.“

Der in Bezug genommene geotechnische Bericht der Ingenieurgesellschaft F. mbH vom 28.05.2013 (vgl. Anlage K 9) enthielt insoweit folgende Feststellung (S. 8):

„Die hydraulisch gebundenen Oberbauschichten, die Pflasterdecke und der ungebundenen Tragschicht sind bautechnisch und im Ergebnis der umweltrelevanten Untersuchungen nach Aufbereitung als Straßenbaustoff wiederverwendungsfähig, Zuordnungsklasse </= Z 2 gemäß TR LAGA M 20, 2004.“

Diese Feststellung wurde auf S. 34 ff. unter Ziffern 4.1.5.2 und 4.1.6.2 des geotechnischen Berichts jeweils dahin untersetzt, dass sich im Ergebnis der chemischen Untersuchung von Bohrproben der hydraulisch gebundenen Tragschichten (HGT) jeweils die Einstufung in die Zuordnungsklasse Z 2 und n.g.A. ergebe. Unter Ziffern 4.1.5.3 und 4.1.6.3 wurden die ungebundenen Tragschichten nach der chemischen Untersuchung von Proben in die (niedrigeren, d.h. geringere Schadstoffbelastungen anzeigende) Zuordnungsklassen Z 1.1 bzw. Z 1.2 jeweils n.g.A. eingestuft.

Im Leistungsverzeichnis beinhaltet die Position 01.00.0013 die Aufnahme der Betondecke einschließlich der Unterlage, einer hydraulisch gebundenen Tragschicht mit einer Aufbruchtiefe von 40 bis 45 cm, wobei das Material der Verwertung „nach Wahl des Auftragnehmers“ zuzuführen war; für die Position war eine Menge von 2.590 m2 vorgegeben. In dieser Position wurde eine Zuordnungsklasse gemäß TR LAGA nicht aufgeführt. Gleiches trifft auf weitere Leistungspositionen des Titels 01 „Aufbrucharbeiten“, Untertitel 01.00. „Fahrbahn“ zu, in denen zwar jeweils eine Verwertung des aufgebrochenen Materials nach Wahl des Auftragnehmers zum Leistungsinhalt bestimmt, eine Zuordnungsklasse gemäß TR LAGA jedoch nicht angegeben wurde (z.B. in Pos. 0004, 0005, 0010, 0011, 0012, 0016, 0017 und 0018).

In ihrem Angebot vom 17.12.2014 trug die Klägerin in der Position 01.00.0013 einen Einheitspreis von 6,91 €/m2 ein.

Am 20.02.2015 erteilte die Beklagte für das Los 1 „Straßenbau“ den Zuschlag auf das o.a. Angebot der Klägerin zu einem Gesamtauftragswert in Höhe von 578.763,90 € brutto (= 486.356,22 € netto).

Die Klägerin führte die Tiefbauarbeiten aus. Mit Schreiben vom 27.03.2015 (Anlage K 10) zeigte die Klägerin einen Vergütungsanspruch für geänderte Leistungen nach § 2 Abs. 5 VOB/B im Hinblick darauf an, dass Deklarationsanalysen der aufzubrechenden und aufzunehmenden Oberflächenbefestigungen eine vom Vertrag abweichende Belastung ergeben hätten, und legte Analyseprotokolle der I. GmbH – Prüfstelle für Baustoffe und Baustoffgemische vom 08.04.2015 und vom 13.05.2015 vor, wonach insbesondere eine erhebliche Belastung des Aufbruchmaterials mit Chloriden festgestellt wurde. Unstreitig war der Straßenaufbruch der gebundenen Tragschicht der Bestandsstraße der Zuordnungsklasse Z 1.2 TR LAGA zuzuordnen. Mit Schreiben vom 23.06.2015 berechnete die Klägerin ihre Nachtragsforderung wegen der Zwischenlagerung des Materials und einer Entsorgung als Abfall der vorgenannten Zuordnungsklasse und bezifferte die entsprechende Zulage zur Position 01.00.0013 in Höhe von 31,36 €/m2.  Nach Fertigstellung der Arbeiten nahm die Beklagte die Bauleistungen der Klägerin mit förmlicher Abnahmeniederschrift vom 18.12.2015 als im Wesentlichen vertragsgerecht ab. Die Klägerin rechnete ihre Leistungen mit Schlussrechnung vom 30.06.2016 im Umfang von insgesamt 811.526,07 € brutto ab. Die Beklagte nahm diverse Abzüge von der Schlussrechnung vor, welche hier nicht im Streit stehen. Die Parteien streiten ausschließlich über die Berechtigung der mit Nachtrag 1 abgerechneten und von der Beklagten vollständig abgesetzten Position 99.01.0010 „Zulage zu Position 01.00.0013“ in Höhe von 31,26 €/m2 bei – unstreitig aufgemessenen – 3.646,610 m2, d.h. über einen Betrag i.H.v. 114.357,69 € netto (= 136.085,65 € brutto).

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass sie aufgrund der fehlenden Angaben zur Einstufung der Materialien aus dem gebundenen Oberbau in den Vergabeunterlagen selbst davon habe ausgehen dürfen, dass dieses aufzubrechende und einer Verwertung zuzuführende Material keine chemischen Belastungen aufweise und deswegen in die Zuordnungsklasse Z 0 gemäß TR LAGA M 20 einzustufen sei. Der bloße Verweis auf den Inhalt eines zur Ansicht ausgelegten Gutachtens sei nicht hinreichend, weil nach § 12a Abs. 2 VOB/A die Unterlagen, welche für die Preisermittlung von Bedeutung seien, den Vergabeunterlagen beizufügen seien. Wesentliche Ergebnisse des Gutachtens seien in die Leistungsbeschreibung zu übernehmen. Eine nur teilweise Übernahme der Untersuchungsergebnisse – hier lediglich für die Materialien aus der ungebundenen Tragschicht – verstoße zudem gegen das Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung nach § 7 Abs. 1 VOB/A. Insoweit hat die Klägerin auf die Anforderungen an die Leistungsbeschreibung lt. DIN 18299 verwiesen, insbesondere Ziffern 0.1.20 und 0.2.14. Zur Höhe der Forderung hat sie Bezug genommen auf den Inhalt des Nachtragsangebots vom 23.06.2015 (Anlage K 11) sowie auf eine Nachtragsangebotskalkulation einschließlich verbaler Erläuterung, eine Auflistung der Entsorgungs-Lieferscheine und der Entsorgungsnachweise, ausgestellt von der Ge. GmbH (Anlage K 12).

Die Beklagte hat sich auf den oben zitierten Inhalt der Allgemeinen Baubeschreibung sowie darauf berufen, dass dieser weiter zu entnehmen sei, dass es sich bei der abzutragenden Straße um eine seit Jahrzehnten stark befahrene Fernstraße (früher: F 1, heute: B 1) gehandelt habe; insoweit existiere der Erfahrungssatz, dass stets mit Auswaschungen von Schadstoffen aus dem Asphaltmaterial und aus Tausalzen von Winterdiensten sowie auch mit Verkleckerungsmengen von Betriebsstoffen zu rechnen sei. Aus der ausdrücklich erwähnten Schadstoffbelastung der unteren Schicht sei ohne weiteres auf eine adäquate Schadstoffbelastung der darüber liegenden mittleren Schicht zu schließen gewesen.  Hilfsweise hat die Beklagte die Höhe des Mehrvergütungsanspruchs bestritten und dagegen behauptet, dass allenfalls eine Zulage in Höhe von 15,09 €/m2 gerechtfertigt sei; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 11.01.2018, ab Seite 4, Bezug genommen.  Die 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg hat die Klage abgewiesen und einen Anspruch auf Mehrvergütung bereits dem Grunde nach nicht für gerechtfertigt erachtet.

Gegen diese, ihr am 24.01.2018 zugestellte Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 05.02.2018 beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangenen Berufung, welche sie am 19.03.2018 begründet hat.  Die Klägerin verweist weiter darauf, dass die Leistungsbeschreibung sowohl in der allgemeinen Baubeschreibung als auch im Leistungsverzeichnis keine Angaben zu Verwertungserschwernissen für den gebundenen Oberbau enthalten habe. Soweit das Landgericht darauf abgestellt habe, dass das Baugrundgutachten, welchem entsprechende Angaben hätten entnommen werden können, den Bietern zur Einsichtnahme zur Verfügung gestanden habe, genüge dies für eine wirksame Einbeziehung in die Vergabeunterlagen nicht. Vielmehr habe die Verpflichtung bestanden, die Ergebnisse des Baugrundgutachtens vollständig, auch hinsichtlich der Verwertungserschwernisse für den Abfall aus dem Aufbruch des gebundenen Oberbaus, in die Leistungsbeschreibung zu übernehmen. Sie meint (unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Celle), dass das Verhalten der Beklagten, es trotz der eigenen Kenntnis von den Verwertungserschwernissen bei einem pauschalen Hinweis auf das Baugrundgutachten belassen zu haben, statt diese Erschwernisse ausdrücklich zu benennen, als ein arglistiges Verschweigen der Erschwernisse zu bewerten sei.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 136.085,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.08.2016 zu zahlen; hilfsweise, die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Magdeburg zurückzuverweisen. Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung. Der Senat hat mit seinem nach § 358a Satz 1, Satz 2 Nr. 4 ZPO erlassenen Beweisbeschluss vom 28.02.2019 die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet; wegen der Beweisfrage wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen. Der gerichtliche Sachverständige Dr.-Ing. R. E. hat im Termin der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2019 sein Gutachten erstattet, wobei er auf die vorbereitend gefertigte Tischvorlage vom 15.04.2019 und auf seine 1. Ergänzung zur Tischvorlage vom 23.04.2019 Bezug genommen hat.  Die Prozessparteien haben jeweils mit Schriftsätzen vom 05.06.2019 zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen; auf den Inhalt dieser Schriftsätze wird Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Der Senat hat die Berufungsanträge in der Weise ausgelegt, dass der unter Ziffer 1 aufgeführte Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung nur hilfsweise für den Fall gestellt werden soll, dass der unter Ziffer 2 angekündigte Leistungsantrag erfolglos bleibt. Die Berufung der Klägerin hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Mehrvergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B i.V.m. dem Bauvertrag vom 16.12.2014/20.02.2015 im Hinblick darauf hat, dass der Straßenaufbruch der gebundenen Tragschicht der Bestandsstraße als Abfall der Zuordnungsklasse Z 1.2 nach TR LAGA M 20 zu bewerten war.

I. Die Verwertung des Straßenaufbruchs der Betondecke und der HGT mit einer Zuordnungsklasse Z 1.2. nach der Mitteilung 20 der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (Anforderungen an die stoffliche Verwertung von mineralischen Reststoffen/Abfällen – Technische Regeln -, künftig: TR LAGA M 20) durch die Klägerin war vom ursprünglichen Vertragsinhalt bereits umfasst und stellte keine Leistungsänderung dar.

1. Zwischen den Prozessparteien besteht ein Bauvertragsverhältnis unter Einbeziehung der VOB Teile B und C in der Fassung von 2012. Der von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch auf Mehrvergütung nach § 2 Abs. 5 VOB/B setzt u.a. voraus, dass hinsichtlich der vertraglich vereinbarten Leistung – hier maßgeblich der Teilleistung der Aufnahme der Betondecke und der HGT und der Verwertung des Aufbruchmaterials nach Wahl des Auftragnehmers, d.h. der Klägerin – eine Leistungsänderung mit der Wirkung einer Änderung der Preisermittlungsgrundlagen für diese Leistungsposition eingetreten ist. Für die Feststellung einer solchen Leistungsänderung kommt es darauf an, ob im ursprünglichen Vertrag bereits eine entsprechende Vereinbarung über die Art und den Umfang der Leistung und die hierauf bezogenen Preise getroffen wurde, und darauf, ob die tatsächliche ausgeführte Leistung in mindestens einem für die Ermittlung des Preises maßgeblichen Umstand davon abwich. Welche Leistungen durch den Bauvertrag erfasst sind, ist durch Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Dabei ist das gesamte Vertragswerk zugrunde zu legen, insbesondere aber auf die Leistungsbeschreibung, zunächst auf deren Wortlaut, sodann aber auch auf die besonderen Umstände des Einzelfalls, die Verkehrssitte, insbesondere das allgemeine technische Verständnis der Unterlagen, und auf die Grundsätze von Treu und Glauben abzustellen. Bei einem aufgrund einer öffentlichen Ausschreibung nach § 3 Abs. 1 VOB/A geschlossenen Bauvertrag ist für die Auslegung der Leistungsbeschreibung die Sicht eines möglichen fachkundigen Bieters, welcher die Gepflogenheiten des konkreten öffentlichen Auftraggebers nicht kennt, als Empfängerhorizont maßgebend; auf das mögliche Verständnis eines einzelnen Bieters kommt es nicht an. Die Auslegung hat zu berücksichtigen, dass ein Bieter grundsätzlich eine mit den Ausschreibungsgrundsätzen der öffentlichen Hand konforme Ausschreibung erwarten darf. Deshalb darf der Bieter die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A und der VOB/C an die Ausschreibung entsprechen will. Über diese rechtliche Ausgangslage besteht zwischen den Prozessparteien kein Streit.

2. Im Ergebnis der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall auch ohne eine konkrete Angabe der Zuordnungsklasse des Aufbruchs der Betonschicht und der HGT in der Leistungsposition 01.00.0013 bereits der im Bauvertrag beschriebene Leistungsumfang eine Verwertung dieses Aufbruchs jedenfalls dann vorsah, wenn für dieses Aufbruchmaterial im Rahmen der Leistungsausführung die Zuordnungsklasse Z 1.2 nach TR LAGA M 20, wie hier, ermittelt wird.

a) Der gerichtliche Sachverständige hat unter Verweis insbesondere auf die allgemeine Baubeschreibung und – entsprechend der Vorgabe des Senats – ohne Berücksichtigung des geotechnischen Berichts des Dipl.-Ing. O F. vom 28.05.2013, dessen wirksame Einbeziehung in die Leistungsbeschreibung zwischen den Prozessparteien streitig ist, eindeutig ausgeführt und auf wiederholte Nachfragen der Klägerin bekräftigt, dass ein sorgfältig kalkulierender Bieter keinesfalls davon hätte ausgehen dürfen, dass das dem Auftragnehmer zur Verwendung nach eigener Wahl überlassene Material als ein Material angesehen werden durfte, welches für den uneingeschränkten Einbau mit dem Zuordnungswert Z 0 gemäß TR LAGA M 20 verwertet werden konnte (vgl. v.a. Sitzungsprotokoll S. 3). Diese Aussage hat der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar auf im Wesentlichen zwei Argumente gestützt.

aa) Bereits aus der Bezeichnung der ausgeschriebenen Baumaßnahme als „Ausbau der Bundesstraße“ (in der Überschrift der allgemeinen Baubeschreibung) und als „Erneuerung der Bundesstraße“ (in Abschnitt 1.1 Vorbemerkungen, Absatz 2) war für ein fachkundiges, mit der standardisierten Vorgehensweise der öffentlichen Hand bei der Erhaltung und Sanierung von Verkehrswegen vertrautes Tiefbauunternehmen ersichtlich, dass es sich hier um eine Baumaßnahme handelte, welche auf eine vollständige Wiederherstellung der Oberflächeneigenschaften und der Substanz der Verkehrsflächenbefestigungen gerichtet war. Eine solche umfassende bauliche Sanierungsmaßnahme wird nach der Erhaltungsstrategie von Verkehrsanlagen (vgl. Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaues von Verkehrsflächen – RStO -) nur ergriffen, wenn andere Maßnahmen bereits durchgeführt wurden und nicht zu erwarten ist, dass verhältnismäßig weniger aufwendige Maßnahmen, wie die betriebliche Erhaltung, die Instandhaltung oder die Instandsetzung, noch zu einem Erfolg führen können (vgl. Tischvorlage S. 3, 1. Ergänzung S. 4 f., Sitzungsprotokoll S. 2). Ein grundhafter Ausbau kommt danach regelmäßig nur in Betracht, wenn bereits eine zeitlich lange Nutzungsdauer und Beanspruchung des Verkehrsweges vorliegt. Die sich aus der Bezeichnung des Bauvorhabens bereits aufdrängende Erkenntnis, dass es sich bei dem grundhaft zu erneuernden Verkehrsweg um eine jahrzehntelang genutzte und erheblich belastete Straße handelte, wird bestätigt durch die Angabe des Sanierungsgrundes im vorzitierten Absatz der Vorbemerkungen, wonach die Erneuerung „auf Grund des baulichen Zustandes (!) und zur Verbesserung der Verkehrssicherheit …“ erfolgen sollte. Daraus war erkennbar, dass die Straße nur noch durch einen grundhaften Neubau ersetzt werden konnte und andere Maßnahmen seitens des Auftraggebers nicht mehr als ausreichend zur Wiederherstellung der Nutzbarkeit und Verkehrssicherheit angesehen wurden.

bb) Die in der allgemeinen Baubeschreibung enthaltene Schilderung des Aufbaus der Bestandsstraße bestätigte und verstärkte die Informationen darüber, dass es sich bei der aufzubrechenden Straße um einen Verkehrsweg nach jahrzehntelanger Nutzung ohne bisherige grundhafte Ausbausanierung handelte. Der Darstellung ab Seite 3 der allgemeinen Baubeschreibung war zu entnehmen, dass alle früheren Konstruktionen des Straßenaufbaus einschließlich der an ihnen eingetretenen Schäden und Schadstoffbelastungen bisher stets im Straßenkörper belassen und lediglich überbaut worden waren (vgl. Tischvorlage S. 3 bis 5, 1. Ergänzung S. 3 f., Sitzungsprotokoll S. 2). Der Sachverständige bewertete diese Beschreibung als sehr exakt und als unmissverständlich, gerade hinsichtlich des hier maßgeblichen Gesichtspunktes, dass bislang bei der Erhaltung und Sanierung dieses Straßenabschnitts stets ein Hocheinbau erfolgt war und nunmehr erstmals ein neuer Tiefeinbau stattfinden sollte.
Weil die nunmehr aufzubrechenden und einer Verwertung zuzuführenden Materialien, u.a. auch diejenigen des Betons und der HGT, die historischen, bisher stets überbauten Straßenuntergründe darstellten, war eine Schadstoffbelastung dieser Materialien mit Sicherheit zu erwarten. In Kombination mit dem aus der allgemeinen Baubeschreibung ebenfalls erkennbaren und im Übrigen offenkundigen Umstand, dass es sich bei der Bestandsstraße um eine historisch stets mit hoher Priorität der Verbindungsfunktion genutzte Fernverkehrsverbindung handelte (die Reichsstraße 1 war die Fernverkehrsverbindung von der niederländischen Grenze bei Aachen bis zur heutigen polnischen Grenze bei Küstrin, die Fernverkehrsstraße F 1 war in der ehemaligen DDR die Fernverkehrsverbindung von der Grenze zu Niedersachsen bis nach Berlin sowie von der Bezirkshauptstadt Magdeburg nach Potsdam und in den Berliner Raum und die heutige Bundesstraße B 1 erfüllt im streitgegenständlichen Abschnitt wiederum die Funktion der Verbindung des nördlichen Sachsen-Anhalt mit dem Land Brandenburg und mit Berlin), war es im vorliegenden Fall nach Einschätzung des Sachverständigen auszuschließen, dass das ausgebaute Beton- und HGT-Material eine so geringe Schadstoffbelastung hätte aufweisen können, dass eine Zuordnung zur Klasse Z 0 nach TR LAGA M 20 noch gerechtfertigt gewesen wäre (Sitzungsprotokoll S. 3). Infolge der langen Nutzung der Bestandsstraße war mit einer Belastung durch Reifenabrieb und abtropfende Öle und Kraftstoffe sowie vor allem mit einer hohen Chlorid-Belastung durch abfließendes Schmelzwasser im Winter nach dem Einsatz von Tausalzen zu rechnen. Diese Einträge mussten sich über die Jahrzehnte in den Hohlräumen des Betons und auch in der HGT gesammelt haben und dort verblieben sein (vgl. Tischvorlage S. 5; Sitzungsprotokoll S. 3). Der Chlorid-Eintrag in die Betonschicht und die HGT wurde durch deren spätere bituminöse Überbauung nicht reduziert; es war auch nicht zu erwarten, dass nachträgliche Auswaschungen zu dessen vollständiger Beseitigung hätten führen können. Das zeigen letztlich auch die Beprobungsergebnisse des Aufbruchmaterials. Zwar wurden teilweise geringere Schadstoffbelastungen festgestellt, aber in keinem Falle wurde Material der Zuordnungsklasse Z 0 oder auch Z 1.1 vorgefunden.

b) Soweit die Klägerin im Termin der Beweisaufnahme Zweifel an der Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen geäußert hat, sind diese unbegründet.

aa) In prozessualer Hinsicht ist darauf zu verweisen, dass die Klägerin nach Bekanntgabe der Auswahl des Sachverständigen derartige Einwendungen nicht erhoben hat. Aus den Vortätigkeiten des Sachverständigen ergaben sich keine Anhaltspunkte, welche gegen seine Auswahl hätten sprechen können.

bb) Die Sachkunde des gerichtlichen Sachverständigen als ein von der Ingenieurkammer Sachsen öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Tief- und Straßenbau sowie für technische Probleme zur VOB/B im Tief- und Straßenbau steht außer Frage; die Beweisfrage fällt unmittelbar in sein Fachgebiet.

cc) Soweit die Klägerin mit ihren Fragen an den Sachverständigen insbesondere thematisiert hat, ob ein „einfacher Kalkulator“ bei „der bloßen Verpreisung des Leistungsverzeichnisses“ die vom Sachverständigen beschriebenen Erkenntnisse aus der allgemeinen Baubeschreibung hätte gewinnen können, ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Auslegung des Leistungsumfangs des Bauvertrags, wie oben angeführt, aus der Sicht eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, welches über das für eine Angebotserstellung notwendige Fachwissen verfügt (vgl. nur BGH, Urteil v. 11.11.1993, VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64), vorzunehmen ist. Wie sich das Unternehmen intern organisiert und ob es u.U. lediglich einen Kalkulator mit der Angebotserstellung beauftragt, der nicht über die notwendige Fachkunde verfügt, ist für die Frage des objektiven Empfängerhorizontes nicht maßgeblich. Es genügt, wenn einer der satzungsmäßigen Vertreter oder ein Angestellter mit den für die ausgeschriebenen Leistungen erforderlichen besonderen Fachkenntnissen den Leistungsumfang zutreffend interpretieren kann (vgl. BGH, Urteil v. 25.06.1987, VII ZR 107/86, BauR 1987, 683, in juris Tz. 12). Im Übrigen hat der gerichtliche Sachverständige bestätigt, dass (auch) ein einfacher Kalkulator eines im Tief- und Straßenbau tätigen Unternehmens die Bauweise und Erhaltungsstrategie im öffentlichen Fernverkehrswegebau kennt (Sitzungsprotokoll S. 2).

3. Dieses Beweisergebnis steht entgegen der Auffassung der Klägerin im Einklang mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und derjenigen der Instanzgerichte. Der Bundesgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass im Rahmen der Auslegung eines Bauvertrages, wie hier, zu berücksichtigen ist, dass der Bieter grundsätzlich eine mit den vergaberechtlichen Anforderungen konforme Ausschreibung erwarten darf, d.h., dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A und der VOB/C an die Leistungsbeschreibung entsprechen will. Danach ist die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle fachkundigen Unternehmen die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Hinsichtlich der notwendigen Angaben zu möglichen Kontaminationen des auszuhebenden und nach eigener Wahl des Auftragnehmers zu verwertenden Straßenaufbruchmaterials schreiben sowohl die DIN 18299 (Allgemeine Regelungen für Bauarbeiten jeder Art) in Abschnitt 0.1.20 und Abschnitt 0.2.13 als auch die DIN 18300 (Erdarbeiten) in Abschnitt 0.2.8 als Bestandteile der VOB Teil C jeweils vor, dass der Auftraggeber u.a. gehalten ist, „nach den Erfordernissen des Einzelfalls“ Angaben zur Art und zum Umfang von Schadstoffbelastungen, z.B. des Bodens, in die Leistungsbeschreibung aufzunehmen und Fachgutachten beizufügen. Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination ist jedoch nicht in jedem Falle zwingend; sie kann unterbleiben, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Belastung vorliegt (vgl. BGH, Urteil v. 22.12.2011, VII ZR 67/11 „Teerstraße“, BGHZ 192, 172, in juris Tz. 22; ebenso BGH, Urteil v. 21.03.2013, VII ZR 122/11 „Kreisstraße“, NJW 2013, 1957, in juris Tz. 16; OLG Zweibrücken, Urteil v. 21.05.2015, 4 U 101/13, BauR 2016, 267, in juris Tz. 105). Eine solche Klarheit der Aussage in den Vergabeunterlagen, dass der Bieter nicht mit einem Straßenaufbruchmaterial aus Beton und der HGT rechnen kann, welches der Zuordnungsklasse Z 0 nach TR LAGA M 20 entspricht, hat der Senat mit sachverständiger Hilfe festgestellt.

II. Ebenso vermag der von der Klägerin in Anspruch genommene Aspekt des Vertrauens auf die Vollständigkeit und Richtigkeit des Leistungsverzeichnisses eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen.

1. Allerdings fehlte im Leistungsverzeichnis der Ausschreibung in der Position 01.00.0013 eine Angabe zur Schadstoffbelastung des Beton- und HGT-Aufbruchmaterials unter Bezugnahme auf die Zuordnungsklassen nach der TR LAGA M 20.

a) Die Beklagte hat, obwohl sie nach den Vorausführungen hierzu nicht verpflichtet war, die Preisermittlungsgrundlagen auch für die von den Teilnehmern des Vergabeverfahrens anzubietende und zu kalkulierende Verwertung des Straßenaufbruchmaterials im Einzelnen dargestellt. Diese Angabe war zur Klarstellung des Leistungsumfangs mindestens zweckmäßig, denn jede genauere, auch überobligatorische Leistungsbeschreibung ist grundsätzlich geeignet, das Risiko von Missverständnissen zu reduzieren. Die Beklagte hat die Bodenverhältnisse erkundet und in diesem Rahmen insbesondere auch Befunde zur Schadstoffbelastung der einzelnen Tragschichten der Bestandsstraße erheben lassen.

b) Die Beklagte übertrug die Ergebnisse des geotechnischen Berichts der Ingenieurgesellschaft F. mbH vom 28.05.2013 nicht vollständig in das Leistungsverzeichnis, denn in der o.g. Leistungsposition 01.00.0013 führte sie zwar aus, dass es sich beim Straßenaufbruchmaterial um einen wiederverwendungsfähigen, nicht überwachungspflichtigen Baustoff handele, welcher der Zuordnungsklasse </= Z 2 gemäß TR LAGA M 20 (Stand: 2004) unterfalle, beschränkte diese Angabe aber – fehlerhaft – auf die ungebundene Tragschicht, während der geotechnische Bericht diese Feststellung sowohl für die ungebundene als auch für die gebundene Tragschicht traf. Damit fehlte im Leistungsverzeichnis eine Angabe zur (voraussichtlichen) Schadstoffbelastung der Betonschicht und HGT.

c) Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass jeder Bieter die vollständigen Befunde der Bodenuntersuchung einschließlich der Angaben zu den zu erwartenden Schadstoffbelastungen der Beton- und HGT-Decke dem o.a. geotechnischen Bericht selbst hätte entnehmen können.

aa) Die Prozessparteien gehen zwar zu Recht davon aus, dass ein den Vergabeunterlagen beigefügtes Baugrundgutachten Bestandteil der Leistungsbeschreibung wird und bei der Auslegung der Leistungsbeschreibung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil v. 20.08.2009, VII ZR 205/07, BGHZ 182, 158, in juris Tz. 61 f.; 78; OLG Koblenz, Urteil v. 17.04.2002, 1 U 829/99, juris, nachgehend BGH, Beschluss v. 27.02.2003, VII ZR 188/02). Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – die Leistungsbeschreibung keine vom Gutachten ausdrücklich abweichenden Vorgaben enthält (vgl. zur Problematik der ausdrücklichen Abstandnahme Putzier/Goede/Katzenbach/Werner/Schuldt/Giere in: Beck´scher VOB-Komm., VOB/C, a.a.O., DIN 18300 Rn. 123). Die Beklagte fügte hier jedoch den o.a. geotechnischen Bericht den Vergabeunterlagen nicht bei.

bb) Der geotechnische Bericht ist auch nicht dadurch wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen worden, dass in der allgemeinen Leistungsbeschreibung ein Verweis auf dessen Inhalt erfolgte und den Bietern die Möglichkeit einer Einsichtnahme angeboten wurde. Das ergibt sich zwar verbindlich nicht aus der von der Klägerin zitierten Empfehlung aus dem VHB 2008, dort unter Ziffer 4.8.2, weil das VHB ein – mit dem Rechtscharakter einer Verwaltungsvorschrift versehener – Leitfaden für die Ausschreibungen des Bundes im Hochbau ist und das für den Straßenbau herausgegebene HVA-StB eine entsprechende Empfehlung nicht enthält. Nach § 12 Abs. 5 VOB/A sind aber die für die Preisermittlung wesentlichen Unterlagen nur dann zur Einsicht auszulegen, wenn deren Vervielfältigung und Beifügung zu den Vergabeunterlagen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist (vgl. Rechten in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, 2014, § 12 Rn. 83). Diese Voraussetzung war hier für den o.a. geotechnischen Bericht mit 58 Seiten nicht erfüllt.

2. Die Unterlassung der Angabe der Zuordnungsklasse für das Beton- und HGT-Aufbruchmaterial stellte dennoch keinen Verstoß gegen § 7 VOB/A und die vorzitierten Ausschreibungsregeln der DIN 18299 und 18300 sowie keine Irreführung der Bieter dar.

a) Zwar dürfen sich Bieter grundsätzlich darauf verlassen, dass eine Leistung richtig beschrieben ist, dazu gehört auch, dass Details vollständig angegeben sind (vgl. nur Lausen in: jurisPK-VergabeR, 5. Aufl. 2016, § 7 VOB/A Rn. 17 mw.N.). Gleichwohl kann nicht jede noch so geringe Unvollständigkeit eines Leistungsverzeichnisses als ein Vergaberechtsverstoß des Auftraggebers bewertet werden (vgl. Lausen, a.a.O., Rn. 18). So liegt der Fall hier.

b) Das Fehlen dieser Angaben im Leistungsverzeichnis war für jeden Bieter als versehentliche Auslassung zu erkennen.

aa) Für ein arglistiges Verschweigen positiv bekannter, ganz erheblicher Schwierigkeiten bei der Ausführung der Bauarbeiten, wie es die Klägerin geltend gemacht hat (vgl. OLG Celle, Urteil v. 09.04.2015, 5 U 63/14, IBRRS 2018, 0716 zum Verschweigen von erheblichen Risiken bezüglich der Tragfähigkeit des Baugrundes, vgl. Abschnitt II. 2. der Gründe; nachgehend BGH, Beschluss v. 08.11.2017, VII ZR 96/15), sind konkrete Anhaltspunkte weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Beklagte ging zutreffend von der Verwertbarkeit des gesamten Aufbruchmaterials und von dessen Einordnung als nicht gefährlicher Abfall und damit letztlich von einer für alle Tragschichten der Bestandsstraße mehr oder weniger einheitlichen Schadstoffbelastung aus und vermittelte diese Einschätzung auch über ihre allgemeine Baubeschreibung. In der Baubeschreibung verzichtete sie darauf, für die Zuordnungsklassen </= Z 2 eine weitere Differenzierung vorzunehmen, obwohl ihr dies, soweit sie die Zuordnungsklasse Z 1.1 bzw. Z 1.2 hätte ausschreiben können, Vorteile bei den preislichen Angeboten hätte einbringen können. Nach den Gesamtumständen der vorliegenden Ausschreibung handelte es sich deswegen hier um die versehentliche Auslassung der Aufführung einer von mehreren Tragschichten der Bestandsstraße bei der Beschreibung der für alle Tragschichten einheitlich formulierten Schadstoffbelastung.

bb) Aus der objektivierten Sicht eines fachkundigen Bieters war erkennbar, dass die Angaben zu den Zuordnungsklassen nach TR LAGA M 20 unvollständig waren. Denn die Beklagte hatte in der allgemeinen Baubeschreibung alle Tragschichten der Bestandsstraße ausführlich beschrieben, sowohl den gebundenen Oberbau als auch die ungebundenen Schichten des Oberbaus, und eine Beprobung des gesamten planmäßigen Aushubhorizontes als nichtüberwachungsbedürftiger Ausbaustoff, Zuordnungsklasse </= Z 2 gemäß TR LAGA M 20 angegeben. Jedem Bieter musste aus dem Vergleich der allgemeinen Baubeschreibung zum Aufbau der Bestandsstraße mit dem Leistungsverzeichnis hinsichtlich der Einzelpositionen zum Aufbruch der Bestandsstraße auffallen, dass entgegen der Systematik des Leistungsverzeichnisses für den gebundenen Oberbau eine ausdrückliche Aufführung der Zuordnungsklasse fehlte.

c) Die Unterlassung der Angabe der Zuordnungsklasse für das Beton- und HGT-Material berechtigte keinen Bieter, auch nicht die Klägerin, die fehlende Angabe eigenmächtig zu interpretieren. Jedenfalls rechtfertigte die Unterlassung nicht die Auslegung der Leistungsbeschreibung dahin, dass ein i.S. der Zuordnungsklasse Z 0 schadstofffreies Material des Straßenaufbruchs vorgefunden würde.

aa) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung darf der (spätere) Auftragnehmer ein erkennbar lückenhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen, sondern muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots klären (vgl. BGH, Urteil v. 22.11.1965, VII ZR 191/63, NJW 1966, 498, Tz. 27; Urteil v. 09.12.1974, VII ZR 158/72, WM 1975, 233, nach juris; BGH, Urteil v. 25.06.1987, VII ZR 107/86, BauR 1987, 683, in juris Tz. 15; OLG Naumburg, Urteil v. 22.02.2013, 12 U 120/12, BauR 2013, 998, in juris Tz. 55 ff.; auch Werner, a.a.O., Rn. 1421; K. Englert/Grauvogl/Katzenbach in: Beck´scher VOB-Kommentar, VOB/C, 3. Aufl. 2014, DIN 18299 Rn. 39). Die Klägerin hat selbst nicht behauptet, bei der Beklagten um eine sachdienliche Auskunft zur Zuordnungsklasse des Beton- und HGT-Materials nachgesucht zu haben. Letztlich kann für die Entscheidung im vorliegenden Fall jedoch offen bleiben, ob zu Lasten der Klägerin nach §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB tatsächlich eine Aufklärungspflicht bestanden hat.

bb) Jedenfalls darf ein Bieter nicht ohne Rücksprache mit dem Auftraggeber von einer ihm günstigen Preisermittlungsgrundlage ausgehen, die nach dem Inhalt der Leistungsbeschreibung ausgeschlossen ist (vgl. OLG Koblenz, Urteil v. 17.04.2002, 1 U 829/99, nach juris, nachgehend BGH, Beschluss v. 27.02.2003, VII ZR 188/02; auch Putzier/Goede/Katzenbach/Werner/Schuldt/Giere, a.a.O., DIN 18300 Rn. 129). So liegt der Fall hier. Wie der gerichtliche Sachverständige eindeutig ausgeführt hat, war nach der allgemeinen Baubeschreibung die Annahme eines Zuordnungswertes Z 0 nach TR LAGA M 20 für das Beton- und HGT-Aufbruchmaterial ausgeschlossen.

d) Unter den vorbeschriebenen Bedingungen stellte die unterlassene Angabe zur konkreten Schadstoffbelastung des Beton- und HGT-Materials auch keinen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A dar.

aa) Diese Vorschrift verbietet dem öffentlichen Auftraggeber, dem Bieter ein ungewöhnliches Wagnis aufzubürden. Aus der Vorschrift folgt aber nicht, dass dem Auftragnehmer keinerlei Risiken auferlegt werden dürfen oder dass der Auftragnehmer etwa keine vertraglichen Risiken übernehmen dürfte. Nur die Verlagerung eines Wagnisses, auf das der Auftragnehmer keinen Einfluss hat (das trifft für die Schadstoffbelastung des zu verwertenden Materials zu) und dessen Einwirkung auf die Preise er nicht bzw. nicht zumutbar schätzen kann, ist vergaberechtlich unzulässig.

bb) Umfasste nach den Vorausführungen die ausgeschriebene Leistung die Verwertung von Material der Zuordnungsklasse </= Z 2 nach TR LAGA M 20, so konnte ein Bieter seine Kalkulation auf die Wiederverwendbarkeit als Baustoff – mit verschiedenen Abstufungen, ggf. sicherheitshalber der Zuordnungsklasse Z 2 – bzw. auf die Entsorgung als nicht gefährlicher Abfall abstellen und u.U. auch – je nach den ihm zur Verfügung stehenden Wiederverwendungsmöglichkeiten – Risikozuschläge bei einer Preisermittlung auf der Grundlage einer Zuordnungsklasse unterhalb von Z 2 kalkulieren.

cc) Die Übernahme solcher Risiken durch den Auftragnehmer war hier den Bietern zumutbar. Die in Betracht kommenden Verwertungsmöglichkeiten von Material der Zuordnungsklassen Z 1 und Z 2 waren für ein Branchenunternehmen regelmäßig zugänglich. Nach dem Inhalt der Leistungsposition umfasste die ausgeschriebene Leistung die Verwertung des Materials „nach Wahl des AN“. Das bedeutete, dass zwar u.a. auch das Material der Betondecke und der HGT, zu dem im Leistungsverzeichnis keine Angabe zur Zuordnungsklasse enthalten war, je nach seinem Zustand zu verwerten war, aber dass dem Auftragnehmer die Dispositionsbefugnis über die Art der Verwertung überlassen wurde (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil v. 01.10.2015, I-23 U 45/15, in juris Tz. 4). Ein Bieter konnte sich deswegen hinsichtlich seiner konkreten Leistungspflichten bei der Ausführung des Bauauftrags offen halten, welche Verwertungsart er wählte, und mehrere Verwertungsarten alternativ kalkulieren. Diese Ausgangssituation entsprach im Übrigen exakt derjenigen für die Verwertung des Aufbruchmaterials der ungebundenen Tragschicht. Auch dort war dem jeweiligen Bieter nicht mehr bekannt als die obere Zuordnungsklasse Z 2 und die Möglichkeit einer Unterschreitung dieser Zuordnungsklasse hin zu den Zuordnungsklassen Z 1.2 oder gar Z 1.1. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass die Klägerin gegen die in anderen Leistungspositionen enthaltene Risikozuweisungen, welche aus der Angabe einer Spanne der Schadstoffbelastung resultierten, keine Einwendungen erhoben hat.

III. Fehlt es nach den Vorausführungen jedoch bereits an einer Leistungsänderung i.S. von § 2 Abs. 5 VOB/B, so kommt es auf die weitere Streitfrage, ob eine Änderung des Bauentwurfs durch die Beklagte vorgenommen wurde, nicht mehr an.
C.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 26 Nr. 8 EGZPO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 sowie 543, 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war entgegen der Anregung der Klägerin nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die maßgebliche Streitfrage im Rechtsstreit ist unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausschließlich aufgrund tatsächlicher Feststellungen zu den Umständen des hier vorliegenden Einzelfalls entschieden worden.

Dr. Engel Manshausen Wiedemann