Ein Vertrauen der Bieter auf die Beibehaltung einer vergaberechtswidrigen Wertung ist nicht schützenswert. Die Vergabestelle kann deshalb grundsätzlich eine Wertung, nach der ein Bieter wegen fehlender Eignung ausgeschlossen wurde, in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens korrigieren, wenn sie vergaberechtswidrig ist.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.2.2009, 11 Verg 16/08
Gründe
I. Die Antragsgegnerin gab am 4.10.2007 die Vergabe von Bauarbeiten für die Straßenbahnanbindung “A” in der Stadt … europaweit bekannt. In einem Vermerk der mit der technischen Prüfung beauftragten Ingenieurgesellschaft vom 30.1.2008 „Prüfung und Wertung der Angebote zur Ausschreibung“ -(Bl. 219 ff. d.A.) – heißt es unter 2. Prüfung der Eignung in Bezug auf Bieter Nr. 9 ( Beigeladene): „ … Für die Tiefbauarbeiten in geschlossenen Bauweisen aus dem Los 3 liegt der entsprechende Nachweis nach RAL Gütezeichen Kanalbau VO nicht vor. Aus den vorgelegten Referenzobjekten sind solche Arbeiten nicht zu entnehmen, damit auch keine Fachkunde und Leistungsfähigkeit nachvollziehbar dargestellt. … “
Im selben Vermerk heißt es unter 8. Vergaberelevante Hinweise:
„Bieter 9 hat in einem Bietergespräch zu folgenden Punkten Aufklärung zu verschaffen: … Aufklärung über die Art der Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise (siehe auch Kapitel 2 Eignung der Bieter) …“ In einem ebenfalls das Datum 30.1.2008 tragenden „Ergänzungsbericht (nach den Erläuterungsgesprächen)“ – (Bl. 238 ff. d.A.) – heißt es unter 3. Zusammenfassung der Ergebnisse Bieter Nr. 9:
„3.2 Aufklärung über zu erbringende Eigenleistungen und Nachunternehmerleistungen In einem Bietergespräch wurde die Bietergemeinschaft gebeten, nochmals einige Erläuterungen bzgl. einiger fachspezifischen Leistungen aus den Losen 1 bis 6 anzugeben, ob diese in Eigenleistung ausgeführt werden. … Bzgl. der Kanalbauarbeiten (offene Bauweisen) aus Los 3 und Los 4 teilte der Bieter im Erläuterungsgespräch mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung erbracht werden. Mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) wurde durch den bevollmächtigten Vertreter der Bietergemeinschaft –Hr. B von C Bau – mitgeteilt, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich ist, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen. Wir möchten darauf hinweisen, dass aus formalen Gründen die Bietergemeinschaft aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.
3.3 Aufklärung über Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise
Wie auch in der Niederschrift zum Erläuterungsgespräch festgehalten ist, teilte die Bietergemeinschaft mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung ausgeführt werden. Im Rahmen des Erläuterungsgesprächs wurde seitens der Bietergemeinschaft mitgeteilt, dass die gewünschten Nachweise für die Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise innerhalb der Unternehmen vorliegen. Seitens des AG erfolgte einvernehmlich die Einräumung einer Nachlieferungsfrist für die bisher nicht vorgelegten Nachweise bis 30.1.2008, 12:00 Uhr. In einem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 (per Fax: Eingang 12.32 Uhr, siehe auch Anl. E) erfolgte die aus Sicht der Bietergemeinschaft als nicht verpflichtend angesehene Nachsendung der Nachweise zum Stollenbau. Der Nachweis der Fachkunde konnte auf der Basis der vorgelegten Unterlagen nicht eindeutig nachgewiesen werden, da die vorgelegten Unterlagen aus technischer Sicht die Art und den Umfang der ausgeschriebenen Leistungen nicht ausreichend sicherstellen.
Aufgrund der o.g. Punkte ist die Eignung des Bieters Nr. 9 für das Los 3 und 4 als nicht gegeben anzusehen.“
Abschließend heißt es in dem ergänzenden Bericht:
„5 Angebotsbeurteilung der Bieter Nr. 7 und 9 nach Erläuterungsgesprächen
Da der Bieter Nr. 9 sowohl aus den zuvor genannten formalen Gründen (s. Pkt. 3.2) und des fehlenden Eignungsnachweises für die Teilleistungen „Tiefbau geschlossene Bauweise“ ( siehe Punkt 3.3) aus dem Vergabeverfahren auszuschließen wäre, empfehlen wir die Vergabe der in den Losen 1 bis 6 ausgeschriebenen Leistungen an den auf Rang 2 liegenden Bieter…“.
Das in diesem Vermerk erwähnte Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (Anlage Bf. 3 = GA 76) lautet:
„… wir bedauern sehr Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die von Ihnen geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal, für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen können. Ebenso ist es uns nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche wir bei Angebotsabgabe nicht benannt haben. …“
Das in dem Ergänzungsbericht erwähnte weitere Schreiben (Fax) der Beigeladenen vom 30.1.2008 enthält als Anlage eine Liste von Referenzobjekten zum Stollenbau.
Im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008, mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, heißt es u.a. (Anl. Bf 5 = GA 78 f):
„Unabhängig von den Gründen des Ausschlusses möchten wir Sie darüber informieren, dass der Versuch des Nachweises der Fachkunde durch die von Ihnen per Fax 30.1. vorgelegten Unterlagen, weder eindeutig noch ausreichend ist, den in den Ausschreibungsunterlagen gestellten Anforderungen zu genügen“
In der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6 – vertraulich) heißt es u.a. (dies zitiert die Antragsgegnerin):
„ Die auf Platz 1 liegende Bietergemeinschaft hatte keinen Nachweis zur Eignung und Fachkunde eingereicht und erhielt im Erläuterungsgespräch die Gelegenheit, den Nachweis zu erbringen. Dies ist der Bietergemeinschaft nicht gelungen, was zum formalen Ausschluss gemäß der VOB-Richtlinien führte.“
Mit Telefax vom 11.2.2008 (Bl. 39 VK) informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, sie beabsichtige deren Angebot nach Ablauf der Frist des § 13 VgV anzunehmen.
Unter dem 19.2.2008 (Bl. 40 VK) teilte die Antragsgegnerin den Bietern dann mit, die Ausschreibung werde aufgehoben, weil kein Angebot eingegangen sei, das den Ausschreibungsbedingungen entspreche, und ein anderer schwerwiegender Grund in Form der Unwirtschaftlichkeit einer Bezuschlagung bestehe.
Mit Telefax vom selben Tag (Bl. 41 VK) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihr Angebot von der Wertung habe ausschließen müssen, weil sie nicht über das geforderte Zertifikat RAL-GZ 962 verfüge. Mit Schreiben vom 21.2.2008 (Bl. 43 VK) rügte die Antragstellerin die Aufhebung des offenen Verfahrens und machte geltend, ihr Angebot sei annehmbar und bezugschlagbar. Die Forderung eines Gütezeichens verstoße in einem europaweit durchgeführten Wettbewerb gegen das Diskriminierungsverbot, da es sich um eine rein nationale Zertifizierung handele. Der Nachweis habe überdies nicht verlangt werden dürfen, weil er nicht bereits in der Bekanntmachung gefordert worden sei. Der Grund für die Aufhebung des offenen Verfahrens sei in keiner Weise für sie nachvollziehbar. Da die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, leitete die Antragstellerin am 4.3.2008 ein Nachprüfungsverfahren ein.
Die Vergabekammer hat diese Nachprüfungsanträge mit Beschluss vom 22.4.2008 zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat der Senat durch Beschluss vom 15.7.2008 (11 Verg 4/08) diesen Beschluss der Vergabekammer (Az.: 69 d VK -12/2008) aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Ausschlussentscheidung gegenüber der Antragstellerin zurückzunehmen und die Antragstellerin wieder zum Vergabeverfahren zuzulassen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Antragsgegnerin habe die Antragstellerin zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil sie mit ihrem Angebot nicht auch den geforderten Gütesicherungsnachweis RAL-GZ 962 vorgelegt hat. Die Anforderung des Gütenachweises sei vergaberechtswidrig gewesen, der Ausschluss der Antragstellerin habe deshalb nicht auf den fehlenden Nachweis gestützt werden dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung wird auf den Senatsbeschluss vom 15.7.2008 (Anl. Bf 1 = GA 39 ff.) Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin hat daraufhin beschlossen, die Aufhebung des offenen Verfahrens zurückzunehmen und das Verfahren in den Stand vor der erstmaligen Bieterinformation von Februar 2008 zurückzuversetzen. Zugleich hat sie den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zurückgenommen und unter dem 2.7.2008 der Antragstellerin mitgeteilt, sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, da es das wirtschaftlichste sei.
In einem Vermerk vom 29.7.2008 (Anl. AG 1 = GA 173) heißt es:
„…konnte sich die Vergabestelle bei der Prüfung der Unterlagen zulässigerweise nur auf die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen stützen. Diese Unterlagen stellten indes eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung dar, insbesondere lagen zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten jeweils zahlreiche Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie die Ausbildungs- und Qualifikationsnachweise der jeweiligen Mitarbeiter einschließlich der Eintragungen in das Berufsregister vor. Mithin waren unabhängig von den fehlenden formalen Nachweisen ausreichende materielle Nachweise für eine Prüfung und Feststellung der Eignung gegeben….“
Nachdem die Antragstellerin mit Telefax vom 4.7.2008 die beabsichtigte Zuschlagserteilung gerügt und die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, hat sie am 14.7.2008 ein weiteres Nachprüfungsverfahren eingeleitet.
Die Antragstellerin hat beantragt, 1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen, 3. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist 4. die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 05.9.2008 zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss (Anl. Bf 2 = GA 62 ff.) Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:
Der angefochtene Beschluss vermittle den unzutreffenden Eindruck, der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei allein wegen des fehlenden RAL-Gütezertifikats erfolgt. Bei der formalen Wertung auf der ersten Wertungsstufe seien tatsächlich aber zahlreiche Gründe festgestellt worden, die gegen eine Eignung der Beigeladenen sprächen. Das Mitglied der Beigeladenen, die C GmbH und Co KG, habe zudem mit Schreiben vom 30.1.2008 selbst mitgeteilt, dass sie die geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen könne. Ebenso sei es ihr nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche sie jedoch bei Angebotsabgabe nicht benannt habe. Dieses Schreiben habe die Antragsgegnerin bei der Wertung der Angebote gemäß Ziffer 3.2 ihres Ergänzungsberichts vom 30.1.2008 auch berücksichtigt und dementsprechend mit Schreiben vom 31.1.2008 die Beigeladene vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.
Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, nach Angebotsabgabe auftretende Hinweise auf die mangelnde Eignung eines Bieters zu berücksichtigen. Dies gelte erst recht für eigene Erklärungen des Bieters. Das Schreiben der C GmbH und Co. KG vom 30.1.2008 sei der Beigeladenen gemäß § 164 BGB zuzurechnen, da die C GmbH & Co. KG bevollmächtigte Vertreterin der Beigeladenen ist. Die Erklärung sei von der C GmbH & Co KG im Namen der Bietergemeinschaft abgegeben worden. Deshalb könnten sich die Aussagen über die mangelnde Eignung der in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten nur auf die Bietergemeinschaft insgesamt beziehen. Der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei mithin erfolgt, weil sie selbst erklärt habe, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten weder selbst ausführen zu können, noch mit dem Angebot Nachunternehmererklärungen vorgelegt habe. Ein Zusammenhang mit den RAL-Zertifikaten bestehe nicht.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 aufzuheben,
2. der Beschwerdegegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
3. hilfsweise die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von dem angerufenen Senat festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. die Anträge der Antragstellerin abzuweisen,
2. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig war.
Die Antragsgegnerin trägt vor, nach der Rechtsauffassung des Senats dürfe sie die Gütezeichen RAL 961 und 962 von den Bietern mangels ausreichender
Bekanntmachung nicht fordern. Sie habe daher eine neue Eignungsprüfung auf der Grundlage der von den Bietern eingereichten Unterlagen durchgeführt. Auf der Grundlage dieser Unterlagen sei sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beigeladene zur Ausübung der geforderten Leistungen in der Lage sei.
Insbesondere habe sich zweifelsfrei gezeigt, dass die Beigeladene die von den
Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)
Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)
umfassten Leistungen mit eigenem Fachpersonal auszuführen in der Lage sei, wie sich aus dem Vergabevermerk vom 29. Juli 2008 ergebe. Der seinerzeitige Ausschluss sei ausschließlich aufgrund der Tatsache erfolgt, dass die Beigeladene nicht über die geforderten Gütezeichen verfüge und die Leistungen deshalb nicht selbst erbringen konnte. Infolgedessen hätte sie die relevanten Leistungen nur mit Nachunternehmern, die über ein entsprechendes Zertifikat verfügen, erbringen können. Solche habe sie im Angebot nicht benannt. Andere Ausschlussgründe habe es nicht gegeben.
Die Vermerke der beratenden Ingenieursgesellschaft BGS vom 30.1.2008 seien nicht maßgebend, weil die Antragsgegnerin sich diese nicht zu Eigen gemacht habe. Die Einschätzung im Prüfbericht der externen Firma sei ihr nicht zuzurechnen. Die Antragsgegnerin habe allein aufgrund des Vergabevermerks vom 4.2.2008 (Anl. AG 5) und der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6) entschieden. Dies ergebe sich aus der Ergebnisniederschrift zu dieser Sitzung (Anl. AG 7).
Maßgebend seien allein das fehlende RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) und die fehlenden Nachunternehmernachweise gewesen. Über die materielle Eignung, die sich aus den Referenzen ergibt, habe sie sich keine irgendwie verfestigte Meinung gebildet. Dies belege die Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6). Im Gegensatz zum RAL-GZ 962 (Kabeltiefbauarbeiten), das der Antragstellerin fehlte, habe das RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) eine deutlich größere Bedeutung gehabt, da eine 30 m lange Unterquerung einer verkehrsreichen Hauptstraße zu erstellen sei. Aus der Absicht, den Zuschlag der Antragstellerin trotz Fehlens des RAL-GZ 962 zu erteilen, könne daher kein Rückschluss auf die Willensbildung der Antragsgegnerin erfolgen.
Eine ergänzende Eignungsprüfung sei bis zum Zuschlag möglich. Jedenfalls aber könne die Verneinung der Eignung nicht auf die unzureichenden Referenzen gestützt werden, da nicht bekannt gemacht worden sei, dass deren Vorlage erforderlich ist. Maßgebend müssten daher die tatsächlich vorgelegten Unterlagen und nicht die geforderten Referenzen sein. Die Vergabestelle sei auch nicht an ihre ursprüngliche Beurteilung der Eignung gebunden.
Sie, die Antragsgegnerin, habe die vollumfängliche Eignung der Beigeladenen im Rahmen der neuen Eignungsprüfung positiv festgestellt. Tatsachen, die einer Eignung der Beigeladenen entgegenstünden, lägen nicht vor. Da die Beigeladene das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe, sei ihr der Zuschlag zu erteilen. Die neue Eignungsprüfung sei allein auf die von den Bietern schon mit dem Angebot eingereichten Unterlagen gestützt worden. Die Entscheidung über die Eignung der Beigeladenen sei auf Grundlage der als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen erfolgt. Entsprechend sei bei der Antragstellerin an Hand der als Anlage 11a und 11b zur Akte gereichten Unterlagen verfahren worden. Die Feststellung sowohl der Eignung der Antragstellerin wie der Beigeladenen beruhe somit auf vergleichbaren Unterlagen.
Das Schreiben der C GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 stehe dem nicht entgegen.
Es sei keineswegs in dem von der Antragstellerin behaupteten Sinne gemeint.
Andere Ausschlussgründe als das Fehlen der Gütezeichen RAL 961 und 962 habe es nicht gegeben. Damit stehe fest, dass die Beigeladene infolge des vom Senat vorgegebenen Verzichts auf das Gütezeichen RAL 962 selbst ausführen könne.
Die Beigeladene beantragt,
1. die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 zurückzuweisen,
2. die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig war.
Die Beigeladene trägt vor, sie habe der Antragsgegnerin im Rahmen eines Bietergesprächs am 29.1.2008 dargelegt, dass alle im Leistungsverzeichnis beschriebenen Stollen- und Kanalbauarbeiten durch das Mitglied der Bietergemeinschaft D-E GmbH & Co. KG durchgeführt würden, weil das andere Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.
Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.
Die Antragsgegnerin habe daraufhin die D-E GmbH & Co KG aufgefordert, ihre Eignung zur Vornahme der im Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten mittels Nachweisen und Zertifikaten zu belegen. Diesbezügliche Nachweise seien weder in den Verdingungsunterlagen noch in der Bekanntmachung gefordert worden. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin sei deshalb als vergaberechtswidrig gerügt worden. Zusätzlich habe die C GmbH & Co. KG gegenüber der Antragsgegnerin nochmals bestätigt, dass sie mangels eigener fachlicher Eignung nicht in der Lage sei, die Arbeiten durchzuführen. Da dies nur die fachliche Eignung des ersten Mitglieds der Bietergemeinschaft betroffen habe, sei die Erklärung nicht auf dem Briefkopf der Bietergemeinschaft abgegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde (§§ 116, 117 GWB) hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Vergabekammer hat den zulässigen Nachprüfungsantrag zutreffend als unbegründet zurückgewiesen.
Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Absicht der Antragsgegnerin, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen, sei vergaberechtswidrig.
Die Antragsgegnerin durfte nach erneuter Prüfung die Eignung der Beigeladenen bejahen.
Die Antragsgegnerin war nicht gehindert, die Eignung der Beigeladenen erneut zu prüfen.
Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Eignung maßgeblich ist, ist umstritten.
Teilweise wird vertreten, Eignungsgesichtspunkte könnten generell auch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden.
Nach anderer Auffassung müssen die Kriterien der Fachkunde und der Zuverlässigkeit spätestens zum Zeitpunkt der Angebotswertung vorliegen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.12.2007, Verg W 21/07 zit. nach juris; zum Meinungsstreit vgl. etwa Müller-Wrede/Noch, VOL/A 2. Aufl. § 25 Rn. 189 ff.)
Nach einer weiteren Auffassung ist hinsichtlich aller Eignungsmerkmale im Interesse der Transparenz, der Gleichbehandlung und des fairen Wettbewerbs allein auf den Zeitpunkt der Angebotsabgabe abzustellen.
Unabhängig davon stellt sich hier die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bereits durchgeführte Eignungsprüfung wiederholt und ggfs. revidiert werden kann.
Grundsätzlich ist der Auftraggeber an eine einmal getroffene Ermessensentscheidung zur Eignung eines Bieters gebunden (OLG Frankfurt, VergabeR 01, 243), wenn er in Ausübung seines Beurteilungsspielraums die Zuverlässigkeit, fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit bejaht hat (Weyand, Vergaberecht, 2. Aufl., § 97 GWB Rn. 809 ff).
Eine erneute Eignungsprüfung kann allerdings geboten sein, wenn der Auftraggeber andernfalls einem ungeeigneten Bieter den Auftrag erteilen müsste.
Ein nach Angebotsabgabe eintretender Wegfall der Eignung ist danach stets beachtlich. Werden dem Auftraggeber nachträglich solche Umstände bekannt, so muss er seine Wertung wiederholen. Das Wettbewerbsinteresse bzw. das Interesse der Allgemeinheit daran, dass nur geeignete Unternehmen die Leistung ausführen, überwiegt gegenüber dem Vertrauensinteresse des Bieters (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2003 Verg 11/03; Beschl. v. 5.5.2004 – VII Verg 10/04; Weyand, a.a.O. Rn. 809 ff).
Es ist darüber hinaus grundsätzlich unbedenklich und kann sogar geboten sein, eine Eignungsprüfung nachträglich zu korrigieren, wenn sich zwischenzeitlich aufgrund neuer Erkenntnisse herausgestellt haben sollte, dass die ursprüngliche Eignungsprüfung letztlich auf falschen Tatsachen beruhte (Weyand, a.a.O. Rn. 810 m.w.N.).
Das gilt grundsätzlich nicht nur für Umstände, die die bereits bejahte Eignung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung beanspruchen in Fällen, in denen die Eignung eines Bieters aufgrund „falscher Tatsachen“ zunächst verneint worden war. Denn der öffentliche Auftraggeber ist nicht gehindert, im Zuge einer ihm durch die Nachprüfungsinstanzen aufgegebenen erneuten Angebotswertung bislang vorhandene Wertungsfehler zu beseitigen. Das gilt unabhängig davon, ob sie Gegenstand der betreffenden Nachprüfungsentscheidung waren oder nicht. Ein Vertrauen der Bieter auf Beibehaltung der bisherigen vergaberechtswidrigen Wertung ist rechtlich nicht schützenswert und deshalb schon aus Rechtsgründen nicht anzuerkennen (Weyand, a.a.O. Rn. 807 m.w.N.).
So liegt der Fall auch hier. Vorliegend war die Antragsgegnerin an ihre frühere Eignungsprüfung, aufgrund derer die Beigeladene ausgeschlossen wurde, nicht gebunden, weil sie vergaberechtswidrig war und auf falschen Voraussetzungen beruhte. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass die Forderung nach dem RAL – Gütezeichen 961 – wie der Senat für das Zeichen RAL 962 entschieden hat (Beschl. v. 15.07.2008 11 Verg 4/08). – vergaberechtswidrig war. Darüber hinaus war auch die Forderung nach weiteren Referenzunterlagen anlässlich des „Aufklärungsgesprächs“ am 29.01.2008 vergaberechtswidrig, so dass die nachgereichten Unterlagen ebenso wenig zur Eignungsprüfung hätten verwendet werden dürfen (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43). Nicht – ordnungsgemäß – mit der Bekanntmachung geforderte Unterlagen, die ein Bieter gleichwohl vorlegt, darf der Auftraggeber für die Prüfung der Eignung jedenfalls zu Lasten eines Bieters nicht heranziehen.
Zwar ist die Beigeladene gegen ihren Ausschluss nicht mit einer Rüge bzw. einem Nachprüfungsverfahren vorgegangen. Die Vergabestelle kann aber – wie dargelegt – von sich aus Mängel des Verfahrens in einem späteren Stadium korrigieren, soweit sie dabei die allgemeinen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung beachtet. Gegen ihre Vorgehensweise, das (vergaberechtswidrig) ausgeschlossene Angebot der Beigeladenen wieder in die Wertung mit einzubeziehen, nachdem der Senat entschieden hatte, dass bei der Eignungsprüfung das RAL Gütezeichen nicht hätte berücksichtigt werden dürfen, sind vergaberechtliche Bedenken deshalb weder ersichtlich noch geltend gemacht worden. Auch die Antragstellerin hat nicht grundsätzlich gerügt, dass das Angebot der Beigeladenen überhaupt wieder in die Wertung einbezogen worden ist. Eine neue Eignungsprüfung der Beigeladene ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil sich die Beigeladene mit Schreiben vom 30.1.2008 unabhängig von den vergaberechtswidrig geforderten RAL-Gütezeichen selbst für ungeeignet erklärt hätte.
Das Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (GA 76) bezieht sich insgesamt nur auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Denn für die Kanalbauarbeiten in offener Bauweise hatte die Beigeladene das RAL-GZ 961 Anforderungen Gruppe AK1 und AK 2 mit den Angebotsunterlagen (Anlage 5.1) vorgelegt. Auch war Gegenstand des Erläuterungsgesprächs am 29.1.2008 nur der Nachweis der eigenen Fachkunde der Beigeladenen für die Ausführung der Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die C Bau GmbH & Co. KG der Antragsgegnerin durch das vorerwähnte Schreiben mitteilt, die Beigeladene könne weder die geforderten Zertifikate für eigenes Fachpersonal nachweisen, noch die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise mit RAL-zertifizierten Nachunternehmern ausführen, weil deren Benennung in den Angebotsunterlagen unterblieben ist.
Ausgehend davon bezieht sich auch die Feststellung unter 3.2 des Ergänzungsberichts vom 30.1.2008, wonach mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) mitgeteilt worden sei, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich sei, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Insofern ist der sich an diese Feststellung anschließende Hinweis folgerichtig, dass aus formalen Gründen – nämlich wegen der fehlenden RAL-Zertifikate Anforderungen Gruppe VO für die geschlossene Bauweise – die Beigeladene aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.
Aus dem Ergänzungsbericht vom 30.1.2008 (Punkt 3.3) wie aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008 (Anl. Bf 5 = GA 78 f), mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, geht zwar hervor, dass die Eignung der Beigeladenen auch im Hinblick auf die mit dem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen verneint wird.
Die Verwertung dieser nachgeforderten Unterlagen zum Nachteil der Beigeladenen war jedoch – wie ausgeführt – nicht zulässig, weil es der Vergabestelle grundsätzlich nicht erlaubt ist, Nachweise für die Prüfung eines Eignungsmerkmals heranzuziehen, die von den Bietern tatsächlich vorgelegt wurden, obwohl dies in der Bekanntmachung nicht gefordert war (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43).
Der Vergabevermerk vom 29.7.2008 steht auch nicht im Widerspruch zu den früheren Feststellungen im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008. Die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen, auf die dieser Vermerk abstellt, sind nicht die mit dem Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen. Bei den zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten vorgelegten Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie den Ausbildungs- und Qualifikationsnachweisen der jeweiligen Mitarbeiter handelt es sich vielmehr um die als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen. Soweit ein Dokumentationsmangel darin begründet sein sollte, dass aus dem Vergabevermerk vom 29.7.2008 nicht ohne weiteres ersichtlich war, auf welche Unterlagen die Antragsgegnerin abgestellt hat, kann dies nicht zu Gunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden, da diese einen Dokumentationsmangel nicht gerügt hat.
Die von Anfang an mit den Angebotsunterlagen eingereichten Eignungsunterlagen durfte die Antragsgegnerin – ebenso wie bei der Antragstellerin – als Erkenntnisgrundlage verwerten. Es lag im Rahmen ihres Prüfungsermessens, diese Unterlagen als eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung anzusehen. Diese Unterlagen lagen zwar schon im Zeitpunkt der ersten Prüfung vor. Die erste Wertung, die zur Verneinung der Eignung der Beigeladenen führte, beruht jedoch nicht auf diesen Unterlagen, sondern – wie dargelegt – auf dem fehlenden RAL – Gütezeichen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren war angesichts der Komplexität des vorliegenden Falles für notwendig zu erklären. Für die Beigeladene folgt die Notwendigkeit, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, schon aus dem Gesetz (§ 120 Abs. 1 S. 1 GWB), weshalb es einer dahingehenden Tenorierung nicht bedurfte. Der Streitwert war gemäß § 50 Abs. 2 GKG festzusetzen (5% der Bruttoangebotssumme der Antragstellerin).