Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt

OLG KA zu der Frage, dass sofern sich eine Einrichtung wegen ihrer Vorteilhaftigkeit für beide Seiten objektiv als Grenzeinrichtung darstellt, eine Vermutung dafür spricht, dass sie (einstmals) mit dem Einverständnis beider Nachbarn errichtet wurde

vorgestellt von Thomas Ax

Eine entlang der gemeinsamen Grenze verlaufenden Mauer kann aufgrund ihrer grenzscheidenden Funktion auch dann dem Vorteil beider Grundstücke dienen, wenn die Mauer gleichzeitig dazu dient, das höher gelegene Grundstücke abzustützen. Sofern sich eine Einrichtung wegen ihrer Vorteilhaftigkeit für beide Seiten – wie im Streitfall – objektiv als Grenzeinrichtung darstellt, spricht eine Vermutung dafür, dass sie (einstmals) mit dem Einverständnis beider Nachbarn errichtet wurde.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.04.2025 – 25 U 162/23

Gründe:

I.

Die Kläger begehren von dem Beklagten die Beseitigung einer Grenzmauer, die Errichtung einer neuen Befestigung sowie die Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung von Schäden.

Die Kläger sind seit 2013 Miteigentümer des Grundstücks Flurstück Nr. X, A-Straße in L. Der Beklagte ist seit 1990 Eigentümer des benachbarten Hanggrundstücks Flurstück Nr. Y, B-Straße, L., das im Verhältnis zum Grundstück der Kläger höher liegt. Beide Grundstücke teilen sich eine gemeinsame Grenze. Entlang dieser Grenze befindet sich eine ca. 57 m lange Bruchsteinmauer. Die Bruchsteinmauer ragt fast auf dem gesamten Mauerverlauf auf das Grundstück der Kläger, meist mit einer Breite von einigen Zentimetern, teilweise auch mit einer Breite von bis zu 44 Zentimetern.

Bis zum Erwerb des Grundstücks Flurstück Nummer X durch die Kläger war der Beklagte der Auffassung, die Mauer stünde im Eigentum der Voreigentümerin der Kläger. Die Voreigentümerin hatte bis dahin die Mauer unterhalten und deren Bewuchs reguliert.

Die Kläger forderten mit anwaltlichem Schreiben vom 07.12.2018 (Anlage K 4) den Beklagten u.a. dazu auf, die Mauer zu beseitigen und neu zu errichten. Hierzu übergaben sie dem Beklagten einen Plan (Anlage K 3), auf dem verschiedene aus Sicht der Kläger bestehende Schadstellen der Mauer vermerkt waren. Der Beklagte nahm in der Folge einzelne Ausbesserungsarbeiten vor und erklärte sich mit anwaltlichen Schreiben vom 28.03.2019 (Anlage K 7) und 29.08.2019 (Anlage K 14) zur Sanierung der bestehenden Mauer bereit. Ein kompletter Rückbau und eine Neuerrichtung der Mauer erfolgte jedoch nicht.

Vor dem Landgericht haben die Kläger vorgetragen, die Mauer hätte bei ihrer Errichtung ausschließlich auf dem Grundstück des Beklagten gestanden. Aus der Mauer seien an verschiedenen Stellen Steine ausgebrochen und die Mauer sei nicht standsicher, außerdem sei die Mauer in verschiedenen Bereichen auf ihr Grundstück abgerutscht. Die herabfallenden Steine hätten zudem bereits die Rückwand eines auf dem Grundstück der Kläger stehenden Gartenhauses beschädigt. Es sei weiter davon auszugehen, dass beim Abbruch der Mauer und ihrer Neuerrichtung weitere Teile des klägerischen Grundstücks beschädigt werden würden.

Die Kläger haben beantragt,

1.Der Beklagte wird verurteilt, seine auf das im Eigentum der Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 stehende Grundstück B-Straße in L., Flst.-Nr. X, abgerutschte Mauer auf der gesamten Länge zu beseitigen.

2.Der Beklagte wird weiter verurteilt, auf seinem Grundstück Flst-Nr. Y im Bereich der Grundstücksgrenze zum Flst.-Nr. X der Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 entweder durch Errichtung einer Mauer von genügender Stärke oder durch eine andere gleich sichere Befestigung oder Böschung unter Einhaltung der Abstandsflächen nach §§ 10 ff. NRG BW eine sichere Befestigung auf der gesamten Grundstücklänge zu errichten.

3.Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2 als Gesamtgläubiger sämtlichen Schaden und sämtliche Aufwendungen, die aus der mangelhaften Stützmauer und ihrer Beseitigung sowie der Neuerrichtung resultieren oder noch entstehen werden, zu erstatten.

4.Der Beklagte ist verpflichtet, den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2 als Gesamtgläubiger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.555,29 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Der Beklagte hat beantragt,

Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte hat vorgetragen, es sei zu keinen Hangrutschungen gekommen. Soweit sich Teile der Mauer auf dem Grundstück der Kläger befänden, liege ein duldungspflichtiger Überbau vor. Etwaige Risse oder Hohlstellen der Mauer beruhten darauf, dass im Bereich der Mauer durch die Voreigentümerin der Kläger umfangreiche Rodungsarbeiten ausgeführt worden seien. Seit den von ihm durchgeführten Sanierungsarbeiten würden auch keine Steine mehr auf das Grundstück der Kläger fallen, auch sei das Gartenhaus der Kläger bislang nicht beschädigt worden.

Das Landgericht hat die Klage nach Einnahme eines Augenscheins am 31.03.2021 mit Urteil vom selben Tag abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es könne dahinstehen, ob eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliege oder nicht. Denn dem Beklagten könne auch bei Vorliegen eines Anspruchs aus § 1004 BGB nicht auferlegt werden, die Mauer zu beseitigen und eine neue Mauer zu errichten, da es dem Störer überlassen sei, wie er eine mögliche Eigentumsbeeinträchtigung beseitige. Geschuldet sei im Falle einer Störung nur ein Erfolg, nämlich die Beseitigung der Störung. Die Auswahl unter den verschiedenen Möglichkeiten der Beseitigung der Störung obliege jedoch dem Störer. Die Inaugenscheinnahme der Mauer habe zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass die Steine nur an einzelnen Stellen nicht mehr fest mit der Mauer verhaftet seien und eine Sanierung der betroffenen Mauerteile ernsthaft in Betracht komme. Ein Abriss der Mauer stelle somit nicht die einzige Möglichkeit dar, die Störung zu beseitigen.

Der Feststellungsantrag scheitere am Bestimmtheitserfordernis, da nicht klar sei, welche konkreten Schäden und welche Aufwendungen gemeint seien. Zudem fehle es an einer konkreten Pflichtverletzung des Beklagten, nachdem dieser sich auch im Termin zur mündlichen Verhandlung kooperativ gezeigt und deutlich gemacht habe, dass er zur Sanierung der Mauer bereit sei.

Gegen dieses Urteil haben die Kläger am 10.05.2021 Berufung eingelegt, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt haben.

Die Kläger haben gerügt, dass es das Landgericht unterlassen habe, sowohl die von Klägerseite vorgetragene fehlende Standsicherheit der Mauer als auch die Hangrutschung über die Grundstücksgrenze hinaus durch Sachverständigengutachten zu verifizieren. Die Kläger hätten mit der Vorlage des amtlichen Lageplans (Anlage K 16) substantiiert dargelegt, dass die Mauer vollständig auf dem Grundstück des Beklagten errichtet worden und durch das zwischenzeitliche Abrutschen der Mauer die Grundstückslinie und damit die Grundstücksgrenze überschritten worden sei, und zwar auf der gesamten Grundstückslänge mit einer Tiefe von ca. 10 – 15 cm. Wäre das Landgericht dem insoweit angebotenen Sachverständigenbeweis nachgegangen, hätte es festgestellt, dass eine erhebliche Einwirkung im Sinne von § 1004 BGB vorliege. Es hätte weiter festgestellt, dass infolge der fehlenden Standsicherheit der Mauer eine Sanierung nicht möglich sei und zudem die Mauer auf die Grundstücksgrenze zurückgesetzt werden müsse, womit sich die Alternativen auf die Beseitigung und Neuerrichtung als einzige Möglichkeit verdichtet hätten. Dem Landgericht habe die eigene Sachkunde gefehlt, um vermessungstechnisch beurteilen zu können, ob die Mauer über die Grenze gerutscht sei. Ebenso habe dem Landgericht die eigene Sachkunde gefehlt, um sicher beurteilen zu können, ob die Mauer in statischer und bautechnischer Hinsicht noch standsicher sei.

Das Landgericht habe zudem rechtsfehlerhaft die Vorschriften der §§ 9, 10 NRG BW (Gesetz über das Nachbarrecht Baden-Württemberg) nicht beachtet.

Auch die Zurückweisung des Feststellungsantrags sei fehlerhaft. Denn die Kläger hätten vorgetragen, dass die Rückwand des Gartenhauses beschädigt worden sei und in Teilen erneuert werden müsse. Des Weiteren sei Erdreich heruntergerutscht, weshalb fortlaufend Abstützungen angebracht werden müssten. Der hierfür erforderliche künftige Instandsetzungsaufwand könne derzeit noch nicht beziffert werden.

Der Beklagte hat das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens verteidigt. Die Kläger hätten für die erstinstanzlich vom Beklagten bestrittene Behauptung, es sei aufgrund des schlechten Zustands der Mauer sowie infolge des Erddrucks zu Hangrutschungen gekommen, keinen Beweis angeboten. Die behaupteten Hangrutschungen seien im Rahmen eines Augenscheins nicht festgestellt worden. Die Mauer sei standsicher und erfülle vollumfänglich ihre Funktion. Die Behauptung einer fehlenden inneren Standsicherheit erfolge daher erkennbar ins Blaue hinein und laufe auf einen rechtlich nicht zulässigen Ausforschungsbeweis hinaus. Es sei auch heute gar nicht mehr festzustellen, welche genaue Lage die Grenzmauer bei der Errichtung gehabt habe, weshalb auch eine Grundstücksvermessung nicht weiterhelfe. Das Gericht sei auch nicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet gewesen, ein Richter dürfe sich beliebig amtlich und privat unterrichten, auch eine frühere Bearbeitung ähnlich gelagerter Sachverhalte könne zu entsprechenden Fachkenntnissen führen. Die §§ 9, 10 NRG BW fänden keine Anwendung, weil es schon an einer vom Beklagten oder seinen Rechtsvorgängern durchgeführten Erhöhung des Grundstücks fehle.

Der Senat hat daraufhin mit Urteil vom 20.01.2022, Az.: 25 U 372/21, das Urteil und das Verfahren des Landgerichts Offenburg aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, das angefochtene Urteil leide an wesentlichen Verfahrensfehlern. So habe das Landgericht den klägerischen Vortrag nicht berücksichtigt, die Mauer sei vom Rechtsvorgänger der Beklagten auf dem Grundstück des Beklagten errichtet worden und sei nun infolge von Hangrutschungen auf ihr Grundstück gerutscht. Dieser Vortrag sei entscheidungserheblich. Denn auf der Grundlage des Vorbringens der Kläger finde durch die Grenzüberschreitung eine Benutzung des klägerischen Grundstücks statt. Die Kläger müssten die daraus resultierende Beeinträchtigung grundsätzlich nicht hinnehmen, sondern könnten nach § 1004 BGB die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen. Zudem komme ein Anspruch aus § 907 BGB in Betracht. Eine Sanierung würde an der durch die Grenzüberschreitung hervorgerufenen Beeinträchtigung nichts ändern.

Das Landgericht habe es außerdem verfahrensfehlerhaft unterlassen, hinsichtlich der Standsicherheit der Mauer Beweis zu erheben. Die Frage der Standsicherheit und der Sanierungsmöglichkeit sei ebenfalls entscheidungserheblich. Zwar sei es grundsätzlich dem Störer überlassen, diejenige Maßnahme auszuwählen, die er zur Beseitigung der Störung für richtig halte, dies gelte jedoch nicht, wenn die Störung nur durch eine konkrete Maßnahme beseitigt werden könne.

Aufgrund dieser Verfahrensfehler sei eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig.

Das Landgericht hat daraufhin aufgrund Beweisbeschlusses vom 11.03.2022 (AS I 72) ein vermessungstechnisches Gutachten des Sachverständigen O. vom 14.06.2022 (Anlageband “Gutachten SV O.”) mit Ergänzung vom 27.04.2023 (AS I 188) zu der Behauptung der Kläger eingeholt, die Mauer sei ganz oder teilweise auf das Grundstück der Kläger gerutscht. Das Landgericht hat außerdem ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen B. vom 13.03.2023 (Anlageband “Gutachten SV B.”) eingeholt, das dieser bei einem als Ortstermin durchgeführten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.07.2023 (AS I 270 ff.) mündlich erläutert hat.

Die Kläger haben ihr bisheriges Vorbringen vor dem Landgericht wiederholt und vertieft. Sie haben angeführt, das Gutachten des Sachverständigen O. bestätige ihre Behauptung, dass die Mauer auf dem Grundstück des Beklagten errichtet worden und später auf ihr Grundstück gerutscht sei und weiter abrutsche. Die Mauer sei nicht mehr standsicher und müsse abgebrochen werden, eine Sanierung sei nicht möglich.

Die Kläger haben beantragt,

1.Der Beklagte wird verurteilt, seine auf das im Eigentum der Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 stehende Grundstück B-Straße in L., Flurstück Nummer X, abgerutschte Mauer auf der gesamten Länge zu beseitigen.

2.Der Beklagte wird weiter verurteilt, auf seinem Grundstück Flurstück Nr. Y im Bereich der Grundstücksgrenze zum Flurstück Nr. X der Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 entweder durch Errichtung einer Mauer von genügender Stärke oder durch eine andere gleich sichere Befestigung oder Böschung eine sichere Befestigung auf der gesamten Grundstückslänge zu errichten.

3.Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2 als Gesamtgläubiger sämtlichen Schaden, der aus der mangelhaften Stützmauer und ihrer Beseitigung sowie der Neuerrichtung resultiert und noch entstehen wird, zu erstatten.

4.Der Beklagte ist verpflichtet, den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2 als Gesamtgläubiger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.555,29 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Der Beklagte hat beantragt,

Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte hat sein bisheriges Vorbringen vertieft und ergänzt. Er hat weiterhin vorgetragen, dass die Mauer bereits seit ihrer Errichtung teilweise auf dem Grundstück der Kläger gestanden habe. Bei der Mauer handele es sich daher um eine Grenzanlage im Sinne des § 921 BGB. Die Unterhaltungskosten seien nach § 922 S. 3 BGB von beiden Grundstückseigentümern daher zu gleichen Teilen zu tragen, so dass die Klage schon deshalb unbegründet sei, weil die dem Beklagten die Kosten der Unterhaltung der Mauer als Grenzanlage alleine aufbürden wolle.

Das Landgericht hat die Klage sodann mit Urteil vom 01.08.2023 erneut abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger hätten keinen Anspruch auf Beseitigung der Mauer aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. aus § 907 BGB, da sie gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung verpflichtet seien.

Bei der Stützmauer handele es sich um eine Grenzanlage gemäß § 921 BGB, die Duldungspflicht ergebe sich somit aus § 922 S. 3 BGB. Die Mauer habe sich nach den Ausführungen des Sachverständigen B., denen sich das Gericht anschließe, von Beginn an auf beiden Grundstücken befunden und schneide damit die gemeinsame Grenze. Sie diene aufgrund ihrer Grenzscheidefunktion beiden Grundstücken, zudem verhindere sie das Abrutschen von Erde vom höher gelegenen Grundstück des Beklagten auf das der Kläger, dies stelle ebenfalls einen Vorteil für beide Grundstücke dar. Für die zudem erforderliche Zustimmung der damaligen Eigentümer des klägerischen Grundstücks spreche eine Vermutung. Die Kläger könnten somit nicht einseitig eine Beseitigung der Mauer verlangen, da der Beklagte ein Interesse am Fortbestand der Mauer bekundet habe.

Das Landgericht hat weiter ausgeführt, dass ein Anspruch auf Beseitigung der Mauer gemäß § 1004 BGB zudem verjährt sei. Die Mauer sei unstreitig ca. 70 Jahre alt. Die 30-jährige Verjährungsfrist beginne mit der Errichtung der Mauer auf dem Grundstück der Kläger zu laufen und sei daher in den 1980er Jahren abgelaufen.

Schließlich stehe dem Beseitigungsanspruch auch eine Duldungspflicht der Kläger unter dem Gesichtspunkt des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB entgegen. Ein solche Duldungspflicht ergebe sich aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zwar nur in Ausnahmefällen, ein solcher sei hier jedoch gegeben. Dies ergebe sich aus der Geringfügigkeit der Überbauung sowie daraus, dass die Kläger und ihre Rechtsvorgänger den Zustand viele Jahr klaglos hingenommen hätten. Hinzu komme, dass die Mauer eine tragende und stützende Funktion habe und nicht entfernt werden könne, ohne durch eine neue, kostenaufwändige Stützmauer ersetzt zu werden.

Auch ein Anspruch auf Errichtung einer Mauer von genügender Stärke oder auf Errichtung einer anderen sicheren Befestigung stehe den Klägern nicht zu. Dieser Klageanspruch stehe in einem Bedingungsverhältnis zum geltend gemachten Antrag auf Beseitigung der Mauer. Den Klägern stehe jedoch – wie bereits ausgeführt – kein Beseitigungsanspruch zu.

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass sich die Standsicherheit der Mauer laut dem Gutachten des Sachverständigen B. vom 13.03.2023 durch Sanierung wiederherstellen lasse. Aus § 922 BGB folge, dass der änderungswillige Eigentümer mit Zustimmung des Nachbarn Änderungen vornehmen bzw. bei Verweigerung der Zustimmung auf Feststellung klagen könne, dass der Nachbar kein Interesse an der unveränderten Beibehaltung der Einrichtung habe. Einen solchen Antrag hätten die Kläger jedoch nicht gestellt. Darüber hinaus habe sich der Beklagte von Beginn an mit einer Sanierung der Mauer einverstanden erklärt.

Schließlich hätten die Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, den Klägern sämtlichen Schaden, der aus der mangelhaften Stützmauer und ihrer Beseitigung sowie der Neuerrichtung resultiere und noch entstehen werde, zu erstatten.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen, soweit sie mit den hier getroffenen nicht im Widerspruch stehen, der Antragstellung in erster Instanz sowie der weiteren Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil haben die Kläger am 31.08.2023 erneut Berufung eingelegt, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen.

Die Kläger rügen, das Landgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Mauer um eine Grenzeinrichtung im Sinne des § 921 BGB handele.

Die Mauer sei vom Rechtsvorgänger des Beklagten ausschließlich auf dem Grundstück des Beklagten errichtet worden und aufgrund ihre Mangelhaftigkeit und ihrer fehlenden Standsicherheit auf das Grundstück der Kläger gerutscht. Dass die Stützmauer ausschließlich auf dem Grundstück der Beklagten habe errichtet werden sollen und auch errichtet worden sei, ergebe sich aus dem bereits in erster Instanz vorgelegten Lageplan (Anlage K 16). Auch der Sachverständigen O. komme in seinem Gutachten zu dem eindeutigen Schluss, dass ein Bewegungsprozess der Bruchsteinmauer stattgefunden habe, so dass bereits nach dessen Gutachten festgestanden habe, dass die Mauer zu beseitigen sei. Dass die Mauer auf das Grundstück der Kläger gerutscht sei, ergebe sich zudem daraus, dass bei der Vermessung durch das Ingenieurbüro F. am 19.03.2013 (Anlage K 3) noch geringere Grenzüberschreitungen vorgelegen hätten als später bei der Vermessung durch den Sachverständigen O..

Auch sei die Mauer schon deshalb keine Grenzeinrichtung, weil die Beklagte weder den Nutzen der Mauer für beide Grundstücke noch das Einverständnis der Rechtsvorgänger der Kläger vorgetragen habe. Die Mauer diene allein dem Grundstück des Beklagten, da sie dessen Grundstück stütze.

Die Kläger sind außerdem der Auffassung, dass der klägerische Anspruch aus § 1004 BGB nicht verjährt sei. Das Landgericht habe verkannt, dass durch den fortlaufenden und immer noch nicht abgeschlossenen Prozess des Rutschens der Mauer auf der gesamten Länge des Grundstücks jeweils weitere selbständige Beeinträchtigungen vorlägen.

Schließlich bestehe auch keine Duldungspflicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis, da es keinesfalls geboten sein könne, eine nicht mehr standsichere Mauer auf dem eigenen Grundstück zu dulden.

Die Kläger beantragen,

Das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 07.08.2023, Az. 2 O 317/20, wird aufgehoben und der Beklagte wie folgt verurteilt:

a) Der Beklagte wird verurteilt, sein auf das im Eigentum der Kläger Ziff. 1 und 2 stehende Grundstück B-Straße in L., Flst.-Nr. X abgerutschte Mauerwerk auf der gesamten Länge zu beseitigen.

b) Der Beklagte wird weiter verurteilt, auf seinem Grundstück Flst.-Nr. Y im Bereich der Grundstücksgrenze zum Flst.-Nr. X der Kläger Ziff. 1 und 2 entweder durch Errichtung einer Mauer von genügender Stärke oder durch eine andere gleich sichere Befestigung oder Böschung eine sichere Befestigung auf der gesamten Grundstückslänge zu errichten.

c) Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägern Ziff. 1 und 2 als Gesamtgläubiger sämtlichen Schaden, der aus der mangelhaften Stützmauer und ihrer Beseitigung sowie der Neuerrichtung resultiert und noch entstehen wird, zu erstatten.

d) Der Beklagte ist verpflichtet, den Klägern Ziff. 1 und 2 als Gesamtgläubigern außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.555,29 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte ist der Auffassung, das Landgericht sei zutreffend von der Standsicherheit der Mauer ausgegangen. Das Landgericht habe zudem korrekt eine Grenzanlage im Sinne des § 921 BGB angenommen. Die Mauer sei einvernehmlich so errichtet worden, dass sie von der Grenze geschnitten worden sei. Ein Abrutschen der Mauer als Ganzes sei von den Sachverständigen gerade nicht festgestellt worden. Dem von den Klägern vorgelegte Lageplan komme hier kein Beweiswert zu, da dieser lediglich ein flächendeckendes Verzeichnis der Grundstücke darstelle und die genaue Lage der Mauer vor Erstellung des Planes nicht mittels Vermessung ermittelt worden sei. Die einvernehmliche Errichtung werde vermutet, den (Gegen-)Beweis hätten die Kläger nicht angetreten.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Kläger haben gegen den Beklagten weder einen Anspruch auf Beseitigung der Mauer (1.), noch auf die auf eine Beseitigung folgende Errichtung einer (neuen) Mauer oder sonstigen gleich sicheren Befestigung oder Böschung (2.). Die Kläger können vom Beklagten auch nicht die Feststellung einer Ersatzpflicht für entstandene und künftige Schäden verlangen (3.). Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten (4.).

1. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Beseitigung der streitgegenständlichen Mauer.

a) Es besteht kein Anspruch der Kläger auf Beseitigung der Mauer gemäß §§ 1004 Abs. 1, 903 BGB.

Es ist unstreitig, dass die Mauer über die Grenze zum klägerischen Grundstück in dieses hineinragt.

Die Kläger haben diese Beeinträchtigung ihres Eigentums gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. Die Duldungspflicht ergibt sich aus § 922 S. 3 BGB, weil es sich bei der Mauer um eine Grenzanlage im Sinne des § 921 BGB handelt (a.). Die Kläger können daher vom Beklagten nicht die Beseitigung der Mauer verlangen (b.)

a. Eine Grenzanlage im Sinne des § 921 BGB liegt vor, wenn sich die Anlage zumindest teilweise über die Grenze zweier Grundstücke erstreckt und funktionell beiden Grundstücken dient (vgl. BGH, Urteil vom 07. März 2003 – V ZR 11/02 -). In Betracht kommt ein Vorteil jeglicher Art, der wie bei Hecke, Zaun oder Mauer in einer grenzscheidenden Wirkung liegen kann, aber – wie bei einer gemeinsam genutzten Einfahrt – nicht zwingend in der Grenzziehung bestehen muss (vgl. Staudinger/Roth (2020) BGB § 921, Rn. 8; Fritzsche in BeckOK BGB, Hau/Poseck, 73. Ed. Stand: 01.02.2025, § 921 BGB, Rn. 6 f.). Erforderlich für das Vorliegen einer Grenzeinrichtung ist außerdem, dass beide Nachbarn ihrer Errichtung als einer gemeinsamen Grenzanlage zustimmen. An die Zustimmung der früheren Eigentümer sind die Parteien als Rechtsnachfolger gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2017 – V ZR 42/17 -, Rn. 6 m.w.N.; Fritzsche in BeckOK BGB, 73. Ed. Stand: 01.02.2025, § 921 BGB Rn. 8).

(1) Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass sich die Mauer von ihrer Errichtung an auf beiden Grundstücken befand, ist hiervon- auch in Ansehung der Berufungsangriffe der Kläger – nicht abzuweichen.

(a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung erfasst auch die Feststellung des Erstgerichts, dass eine bestimmte Tatsache nicht nachweisbar sei (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2004 – X ZR 133/03 – Rn. 16). Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Derartige konkrete Anhaltspunkte können sich unter anderem aus dem Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften, auch aus dem Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben. Dabei können sich Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Entsprechende Zweifel liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich daher um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht. Aus diesem Grund hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2017 – VI ZR 434/15 -, Rn. 20; BGH, Beschluss vom 04. September 2019 – VII ZR 69/17 – Rn. 11; BGH, Beschluss vom 08. August 2023 – VIII ZR 20/23 – Rn. 14 ff. m.w.N.).

(b) Das Landgericht hat aufgrund der der Ausführungen des Sachverständigen B. in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.06.2022 und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.07.2023 festgestellt, dass sich die Mauer bereits zum Zeitpunkt ihrer Errichtung teilweise auf dem Grundstück der Kläger und teilweise auf dem Grundstück des Beklagten befand und die Mauer damit bereits bei Errichtung von der gemeinsamen Grenze der Parteien durchschnitten wurde. Das Landgericht ist daher zu dem Schluss gekommen, dass die Mauer nicht ausschließlich auf dem Grundstück der Beklagten errichtet wurde und nicht erst im Lauf der Zeit auf das klägerische Grundstück rutschte.

Die Ausführungen des Sachverständigen B. sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.06.2022 als auch im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.07.2023 sind schlüssig und widerspruchsfrei. Der Sachverständige ging auf Nachfrage im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.07.2023 noch einmal ausführlich auf die Frage ein, ob sich die Mauer von Anfang an auf beiden Grundstücken befunden habe, und kam zum Ergebnis, dass die Mauer von Anfang an teilweise auf dem Grundstück der Kläger stand. Der Senat schließt sich insoweit der überzeugenden Beweiswürdigung des Landgerichts an. Im Streitfall sind daher keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellung des Landgerichts vorhanden, wonach die Mauer teilweise auf dem Grundstück der Kläger errichtet wurde und damit von Beginn an teilweise auf dem Grundstück der Kläger stand.

Die Berufungsangriffe der Kläger gegen die vom Landgericht erhobenen Beweise und die darauf beruhende umfassende und sorgfältige Beweiserhebung greifen dagegen nicht durch.

Die Kläger rügen, schon der Sachverständige O. sei zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass ein Bewegungsprozess der Bruchsteinmauer zweifelsfrei stattgefunden habe, so dass bereits nach dessen Gutachten festgestanden habe, dass die Mauer zu beseitigen sei. Dies trifft nicht zu.

Der Sachverständige O. hat sowohl die Grundstücksgrenze als auch den zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens vorhandenen Mauerverlauf erfasst. Anhand dieser Daten hat er in seinem Gutachten dargelegt, inwieweit die Mauer zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens auf dem Grundstück des Beklagten stand und inwieweit sie auf das Grundstück der Kläger ragte. In seinem ergänzenden Gutachten vom 27.04.2023 (AS I 188) hat er die Abweichungen zwischen seinen Messungen und der Vermessung vom 19.03.2013 (Anlage K 3) dargestellt.

Der Sachverständige O. hat keine Feststellungen zu einem (möglicherweise abweichenden) früheren Standort der Mauer getroffen. Eine Angabe, es habe ein Bewegungsprozess der Bruchsteinmauer stattgefunden, findet sich in seinem Gutachten nicht. Eine solches Ergebnis lässt sich dem Gutachten auch nicht entnehmen.

Mit ihrer Rüge, aus dem Gutachten des Sachverständigen O. ergebe sich, dass sich die Grenzüberschreitungen seit der Vermessung durch das Ingenieurbüro F. weiter vergrößert hätten, da bei der Vermessung vom 19.03.2013 (Anlage K 3) noch geringere Beeinträchtigungen des Grundstücks der Kläger feststellt worden seien, dringen die Kläger ebenfalls nicht durch. Der Sachverständige B. hat sich in der Sitzung vor dem Landgericht Offenburg am 20.07.2023 bei der mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens vom 14.06.2022 zu dieser Abweichung geäußert und vermutet, die Differenzen könnten durch Messungen an unterschiedlichen Stellen zu erklären sein. Jedenfalls könne die Differenz aber jedenfalls an den nicht geschädigten Stellen nicht durch ein Abrutschen erklärt werden, ein solches sei an diesen Stellen nicht erkennbar.

Auch der in der Berufung erneut vorgebrachte Einwand, aus dem als Anlage K 16 vorgelegten Lageplan ergebe sich, dass die Mauer ursprünglich ausschließlich auf dem Grundstück des Beklagten errichtet worden sei, greift nicht durch.

Der Sachverständige B. hat sich bei seiner Begutachtung auf die vom Sachverständigen O. durchgeführten Messungen, die Messungen aus dem von den Klägern vorgelegten Privatgutachten (Anlage K 3) und seine eigene Begutachtung der Mauer gestützt. Er ist dabei schlüssig und nachvollziehbar zu dem Fazit gekommen, dass die Mauer von Beginn an auf beiden Grundstücken errichtet wurde.

Der als Anlage K 16 vorgelegten Lageplan ist entgegen der Auffassung der Kläger nicht geeignet, dieses Ergebnis in Frage zu stellen. Der Lageplan enthält keinerlei Angaben zu einer vor Ort durchgeführten Vermessung der Mauer. Allein die Einzeichnung der Mauer als Linie im Plan ermöglicht keine Aussage zur exakten Lage der Mauer, die die Schlussfolgerungen des Sachverständigen O. in Frage stellen könnte. Schon dass die Mauer vermessen wurde, lässt sich dem Lageplan nicht entnehmen.

Eine solche Vermessung war im Übrigen auch nicht möglich. Denn der Lageplan datiert vom 23.01.1952. Aus dem von den Klägern vorgelegten Erläuterungsbericht vom 25.01.1952 ergibt sich, dass zu diesem Zeitpunkt, also am 25.01.1952 und somit nach der Erstellung des Lageplans vom 23.01.1952, die Einfriedung des heute im Eigentum des Beklagten stehenden Grundstücks durch eine Mauer zwar bereits geplant war, dass die Mauer aber erst noch errichtet werden sollte. Wenn sich aber die Mauer am 25.01.1952 noch im Planungsstadium befand, kann der Lageplan vom 23.01.1952 allenfalls eine Planung wiedergeben. Eine Feststellung darüber, wo die Mauer in der Folge exakt errichtet wurde, lässt anhand des Lageplans somit gerade nicht treffen.

(2) Die Mauer dient ihrer objektiven Beschaffenheit nach auch dem Vorteil beider Grundstücke.

Dieser beiderseitige Vorteil kann zwar aus rechtlichen Gründen dann nicht mit der tatsächlich vorhandenen Stützfunktion der Steinmauer, durch die ein Abrutschen des Grundstücks des Beklagten auf das tiefer liegende Grundstück der Kläger verhindert wird, begründet werden, wenn der Beklagte sein Grundstück, wie von Klägerseite behauptet, erhöht hätte.

Denn nach § 9 Abs. 1 NRG BW hat derjenige, der den Boden seines Grundstücks über die Oberfläche des Nachbargrundstücks erhöht, solche Vorkehrungen zu treffen und zu unterhalten, dass eine Schädigung des Nachbargrundstücks durch Absturz oder Pressung des Bodens ausgeschlossen ist. Diese Verpflichtung geht auf den späteren Eigentümer über. Damit liegt die nachbarrechtliche Verantwortung für die Stützfunktion der Steinmauer grundsätzlich beim Beklagten, so dass es widersprüchlich wäre, mit der Stützfunktion eine aus den §§ 921, 922 BGB herrührende rechtliche Verantwortung abzuleiten.

Der beiderseitige Vorteil der Steinmauer ergibt sich aber jedenfalls aus ihrer objektiv grenzscheidenden Funktion. Wie auf dem im Gutachten des Sachverständigen O. vom 14.06.2022 enthaltenen Übersichtsplan zu erkennen, steht die Mauer entlang der gesamten gemeinsamen Grundstücksgrenze der Parteien und grenzt diese durchgängig erkennbar voneinander ab. Eine Mauer ist als Beispiel einer Grenzanlage in § 921 BGB ausdrücklich genannt; das Gesetz geht nach seiner Formulierung (“… eine Mauer … oder eine andere Einrichtung, die zum Vorteil beider Grundstücke dient, …”) davon aus, dass eine Grenzmauer regelmäßig zum Vorteil beider Grundstücke dient. Etwas anderes gilt in Streitfall auch nicht deshalb, weil die Mauer unstreitig auch dazu dient, das höher gelegene Grundstück des Beklagten abzustützen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 09. April 2008 – 6 U 199/06 -, Rn. 10; OLG Karlsruhe, Urteil vom 17. Juni 2022 – 9 U 196/21 – unveröffentlicht).

(3) Sofern sich eine Einrichtung wegen ihrer Vorteilhaftigkeit für beide Seiten – wie im Streitfall – objektiv als Grenzeinrichtung darstellt, spricht eine Vermutung dafür, dass sie (einstmals) mit dem Einverständnis beider Nachbarn errichtet wurde. Denn die Regelung in den §§ 921, 922 BGB haben zum Ziel, Streit über Vorgänge in der Vergangenheit zu vermeiden; eine scheinbare Grenzeinrichtung soll im Zweifel als eine wirkliche gelten. Das lässt sich nur erreichen, wenn auch die einvernehmliche Errichtung vermutet wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2017 – V ZR 42/17 -, Rn. 11 f.; Vollkommer in BeckOGK, Stand: 01.08.2024, § 921 BGB Rn. 19, beck-online; Rösch in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl. Stand: 15.03.2023, § 921 BGB, Rn. 3).

Die Vermutung ergibt sich hier daraus, dass die streitgegenständliche Mauer – wie oben ausgeführt – auf beiden Grundstücken errichtet wurde und wegen ihrer Grenzscheidefunktion für beide Grundstücke objektiv vorteilhaft ist.

Ob es sich dabei um eine gesetzliche oder um eine tatsächliche Vermutung handelt, bedarf keiner Entscheidung. Von einer einverständlich errichteten Grenzeinrichtung ist hier nämlich auch dann auszugehen, wenn für das Einverständnis nur eine tatsächliche Vermutung im Sinne einer Beweiserleichterung sprechen sollte. Es sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die geeignet sind, die Vermutung zu erschüttern. Unstreitig wurde die Mauer weder von den Klägern noch von den Beklagten errichtet. Keiner der Parteien legt dar, welche Kenntnis die damaligen Grundstückseigentümer vom Verlauf der Mauer hatten und ob ein Einverständnis der Rechtsvorgänger der Eigentümer beider Grundstücke vorlag oder nicht. Die tatsächliche Vermutung ist damit nicht erschüttert.

Insbesondere ist die tatsächliche Vermutung nicht durch die Vorlage des Erläuterungsberichts vom 25.01.1952 durch die Kläger in der Sitzung vor dem Senat am 11.03.2025 erschüttert. Denn bei der vorgelegten Urkunde handelt es sich um ein neues Angriffsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2024 – V ZR 164/23 -, Rn. 6). Nachdem der Beklagte den Inhalt der Urkunde bestritten hat, ist die Urkunde nicht nach § 532 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen, da nicht ersichtlich wird, warum die Kläger mit Blick auf ihre Obliegenheiten nach § 282 ZPO diese Urkunde nicht bereits in erster Instanz vorgelegt haben. Im Übrigen ist festzustellen, dass die Urkunde keine Angabe dazu enthält, wo genau die Mauer errichtet werden soll, so dass also auch insoweit weder eine Aussage zur Kenntnis damaligen Grundstückseigentümer noch zu deren eventuellem Einverständnis mit einer Errichtung auf der Grenze getroffen werden kann. Allein daraus, dass das Grundstück des Beklagten gegen die B-Gasse und gegen das Grundstück der Kläger durch eine Stützmauer eingefriedet werden sollte, kann nicht darauf geschlossen werden, dass die Mauer zur Einfriedung dann nicht trotzdem mit dem Einverständnis der Rechtsvorgänger der Kläger auf der Grenze errichtet wurde.

b. Die Kläger sind somit gemäß § 922 S. 3 BGB verpflichtet, die Mauer zu dulden. Solange der Beklagte weiterhin Interesse am Bestand der Mauer hat, darf die Mauer daher nicht ohne seine Zustimmung beseitigt oder geändert werden, auch kann von ihm nicht verlangt werden, dass er die Mauer beseitigt.

Selbst wenn man den Vortrag der Kläger unterstellt und davon ausgeht, dass die Mauer nicht mehr standsicher und eine Sanierung technisch nicht möglich ist, können die Kläger nicht einseitig vom Beklagten die Beseitigung der Mauer verlangen, da die Verwaltung der Grenzanlage in Anwendung der §§ 922 S. 4, 744, 745 BGB beiden Nachbarn gemeinsam zusteht, wobei nach § 922 S. 2 BGB die Unterhaltungskosten von den Nachbarn zu gleichen Teilen zu tragen sind. Dies gilt sowohl für Aufwendungen, die erforderlich sind, die Grenzeinrichtung zu erhalten (also etwa Sanierungskosten) als auch für Kosten des Abbruchs bei einer drohenden Gefahr (Roth, in: Staudinger (2020) BGB § 922, Rn. 6, 7).

b) Die Kläger haben auch keinen deliktischen Anspruch gegen den Beklagten auf Beseitigung der Mauer.

Die Kläger haben schon keine Pflichtverletzung des Beklagten dargelegt. Da es sich – wie oben ausgeführt – bei der Mauer um eine Grenzanlage im Sinne des § 921 BGB handelt, obliegt die Sanierung der Mauer beiden Parteien gleichermaßen. Die Kläger können grundsätzlich gemäß §§ 922 S. 4, 744 Abs. 2 BGB die zur Erhaltung der Mauer notwendigen Maßnahmen ohne Zustimmung des Beklagten treffen und vom Beklagten die Übernahme der hälftigen Kosten verlangen. Sie können aber nicht verlangen, dass der Beklagte die Mauer beseitigt. Dadurch, dass der Beklagte die Mauer – wenn man den Vortrag der Kläger als wahr unterstellt – lediglich unzureichend saniert hat, hat er somit keine Pflicht verletzt.

Den Klägern steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 1004, 903, 907 BGB zu, auch hier besteht eine Duldungspflicht und gehen die Regelungen über Grenzeinrichtungen gemäß §§ 921 BGB vor.

2. Bezüglich des Anspruches auf Neuerrichtung der Mauer kann auf die Ausführungen des Landgerichts verwiesen werden. Der Klageantrag Ziff. 2 steht in einem Bedingungsverhältnis zum geltend gemachten Antrag auf Beseitigung der Mauer. Wie oben dargestellt, steht den Klägern jedoch kein Beseitigungsanspruch zu.

3. Schließlich haben die Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Feststellung einer Verpflichtung, sämtlichen Schaden, der aus der mangelhaften Stützmauer und ihrer Beseitigung sowie der Neuerrichtung resultiert und noch entstehen wird, zu erstatten.

a) Einem Anspruch gemäß §§ 1004, 907 BGB stehen die Regelungen über Grenzanlagen gemäß § 921 ff. BGB entgegen. Etwaige sich aus dem Eigentum ergebende Rechte werden durch die gemeinsamen Unterhaltspflichten der Nachbarn vollständig überlagert (vgl. Vollkommer in BeckOGK, Stand: 01.08.2024, § 921 BGB Rn. 20, beck-online).

b) Die Kläger haben auch keinen Anspruch aus § 823 BGB. Für einen solchen Anspruch fehlt es bereits an einer Pflichtverletzung des Beklagten im Verhältnis zu den Klägern. Der Beklagte war nicht dazu verpflichtet, die Mauer alleine zu unterhalten und dafür zu sorgen, dass sich keine Steine aus der Mauer lösen. Er war vielmehr gemäß § 922 S. 2 BGB lediglich dazu verpflichtet, die Unterhaltungskosten gemeinsam mit den Klägern zu tragen. Eine Pflichtverletzung des Beklagten in Bezug auf dieses Gemeinschaftsverhältnis ist weder von den Klägern vorgetragen noch sonst ersichtlich.

4. Da dem Kläger nach den vorstehenden Ausführungen keine Ansprüche gegen den Beklagten zustehen, bleibt auch der von den Klägern als Nebenforderung geltend gemachte Antrag auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in der Sache ohne Erfolg.

III.

Der Antrag der Kläger aus dem (nicht nachgelassenen) Schriftsatz vom 21.03.2025, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, wird abgelehnt.

Nach § 156 ZPO kann das Gericht die Wiedereröffnung einer bereits geschlossenen Verhandlung anordnen; es ist hierzu verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen ergibt, dass die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (BGH, Urteil vom 11. Juni 1974 – VI ZR 210/72 -, juris Rn. 25; (BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 – III ZR 139/67 -, juris, Rn. 254).

Dies tragen die Kläger jedoch schon nicht vor. Die Kläger wiederholen in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz ihre Auffassung, die streitgegenständliche Mauer sei nicht teilweise auf dem Grundstück der Kläger errichtet worden, sondern erst später auf das klägerische Grundstück abgerutscht. Sie stützen diese Auffassung, wie bereits in der Berufungsverhandlung am 12.03.2025, ergänzend auf einen erst in diesem Verhandlungstermin vorgelegten Antrag auf Erstellung einer Stützmauer und Einfriedung am Grundstück Flurstück Y des damaligen Eigentümers des Grundstücks des Beklagten. Neues tatsächliches Vorbringen, aufgrund dessen die bisherige Verhandlung lückenhaft gewesen sein könnte oder das Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts geboten hätte ist dem Schriftsatz nicht zu entnehmen. Allein dass das Gericht nach Auffassung der Kläger den Sachverhalt und die Rechtsprechung hätte anders würdigen müssen, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Kläger dar.

Ax Vergaberecht | Rechtsanwalt
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