von Thomas Ax
Ein Angebot ist als nicht formgerecht auszuschließen, wenn das Leistungsverzeichnis nur als pdf-Dokument eingereicht wird, obwohl der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegt hat, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einzureichen ist.
Sowohl GAEB-Programme als auch Windows PCs oder das XML-Format sind allgemein verfügbar und mit allgemein verbreiteten Geräten kompatibel im Sinne von § 11a Abs. 1 Satz 1 VOB/A 2016.
OLG Köln, Urteil vom 07.02.2024 – 11 U 118/20
Gründe
I.
Die Klägerin, die ein auf Abbruch- und Sanierungsarbeiten spezialisiertes Bauunternehmen betreibt, verlangt vom Beklagten Ersatz entgangenen Gewinns wegen Nichtberücksichtigung bei einer Vergabe.
Am 7. Februar 2019 schrieb der Beklagte für das Bauvorhaben “JVA P.” die Schadstoffsanierung sowie Abbruch- und Geländearbeiten aus, nachdem eine Kostenberechnung eine Auftragssumme von 136.950,00 EUR netto ergeben hatte. Nach Ziffer 7 der Ausschreibungsbedingungen konnten Angebote elektronisch in Textform eingereicht werden. In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots waren Anlagen aufgelistet, “die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen” waren, und zwar unter anderem
“Angebotsschreiben
Teile der Leistungsbeschreibung: Leistungsverzeichnis/Leistungsprogramm als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84″.
Die Klägerin gab unter dem 4. März 2019 ein Angebot ab, das mit einer Angebotssumme von 165.001,13 EUR netto abzüglich eines Nachlasses von 10 % (ergibt 148.501,02 EUR netto) das günstigste war. Dabei reichte sie die Angebotsunterlagen jedenfalls vollständig im PDF-Format ein. Der Beklagte schloss das Angebot der Klägerin von der Prüfung aus, da es nicht in Form einer GAEB-Datei eingereicht worden sei. Am 12. März 2019 hob er die Ausschreibung wegen des Eingangs unvollständiger Angebote sowie wegen einer Kostenüberschreitung in Höhe von 50 % im Verhältnis zur Kostenberechnung und zum Budget auf. Darüber informierte er die Klägerin zunächst nicht. Stattdessen schrieb er die Leistungen, ohne die Klägerin einzubeziehen, im Rahmen eines formlosen Verhandlungsverfahrens neu aus und beauftragte am 12. April 2019 einen Drittunternehmer; die Auftragssumme betrug 131.947,96 EUR netto.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Ersatz des Gewinns, der ihr nach ihrer Behauptung durch die Nichterteilung des Zuschlags auf ihr Angebot vom 4. März 2019 entstanden ist. Sie hält es für rechtswidrig, dass der Beklagte ihr Angebot von der Prüfung ausgeschlossen hat. Sie behauptet, sie habe das Leistungsverzeichnis auch in Form einer GAEB-Datei eingereicht.
Der Beklagte meint, er habe das Angebot der Klägerin nicht nur wegen Nichteinhaltung der festgelegten Form, sondern auch mangels Eignung ausschließen dürfen. Hierzu hat er behauptet, die Klägerin habe für das Bauvorhaben “Z., L.” unberechtigte Nachträge zu sittenwidrig überhöhten Einheitspreisen geltend gemacht und habe sich bei der Berechnung von Stillstandskosten auf eine Baugeräteliste bezogen, die ursprünglich nicht Grundlage ihrer Kalkulation gewesen sei. Im Rahmen des Bauvorhabens “JVA N., Neubau Flügel C” habe sie Arbeiten an asbesthaltigen Baustoffen vorgenommen, ohne die einschlägigen Sicherheitsvorschriften zu beachten. Auch im Rahmen der Baumaßnahme “V. A.” habe die Klägerin mangelhafte Leistungen erbracht.
Durch Urteil vom 28. Juli 2020 (Bl. 267 ff. GA), auf das wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens, der erstinstanzlich gestellten Anträge, der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung im Einzelnen Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil der Beklagte die Klägerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Vergabeverfahren habe ausschließen dürfen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Mit Urteil vom 25. August 2021 hat der Senat die landgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Klage dem Grunde nach für berechtigt erklärt (Bl. 375 ff. GA). Der Bundesgerichtshof hat in der Folge das Grundurteil des Senats durch Urteil vom 16. Mai 2023 zum Az. XIII ZR 14/21 aufgehoben und den Rechtsstreit an den Senat zurückverwiesen (Bl. 72 ff. BGH-Heft).
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 36.307,31 EUR netto und Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.316,90 EUR jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Hilfsweise beantragt sie gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 17. Januar 2024 (Bl. 430 f. GA) durch Vernehmung der Zeugen D., W., M. und B.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17. Januar 2024 (Bl. 430 ff. ff. GA) Bezug genommen.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den gesamten Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber in der Sache letztlich nicht begründet.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung des in der Ausschreibung liegenden vorvertraglichen Schuldverhältnisses zu. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
Der Beklagten hat das Angebot der Klägerin vom 4. März 2019 zu Recht nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind unter anderem solche Angebote auszuschließen, die den Bestimmungen des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 nicht entsprechen. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A 2016 legt der Auftraggeber fest, in welcher Form die Angebote einzureichen sind. Im Streitfall entsprach das Angebot der Klägerin nicht diesen Festlegungen.
1.
Wie der Bundesgerichtshof für den zweiten Rechtsgang bindend entscheiden hat, war der Beklagte grundsätzlich berechtigt, Festlegung zur Verwendung von elektronischen Mitteln in der getroffenen Weise zu treffen.
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A 2016 berechtige den Auftraggeber auch, festzulegen, mit welchen elektronischen Mitteln im Sinne von §§ 11, 11a VOB/A 2016 Angebote einzureichen sind. Zur “Form” i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 VOB/A 2016 gehören auch die elektronischen Mittel i.S.v. §§ 11, 11a VOB/A 2016. Werden diese festgelegten Mittel nicht verwendet, ist das Angebot nicht formgerecht eingereicht und gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 auszuschießen (BGHU Rn. 11 u. 29).
Die Beklagte hat in den Vergabeunterlagen festgelegt, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 einzureichen ist (BGHU Rn. 28).
Dieser Vorgabe hat die Klägerin nicht genügt. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin das Leistungsverzeichnis nur als pdf-Dokument, nicht indes auch als GAEB-Datei eingereicht hat:
Die Aussage der Zeugin M. war allerdings nicht ergiebig; sie hatte an die Vollständigkeit des Angebots der Klägerin das in Rede stehende Vergabeverfahren betreffend keinerlei Erinnerung (Bl. 432 GA).
Der Senat folgt jedoch den insoweit in sich stimmigen und zudem überzeugenden Bekundungen der Zeugen W. und B., die übereinstimmend bekundet haben, dass die Klägerin ihr Angebot zwar mit zahlreichen Dokumente elektronisch eingereicht habe, aber ohne GAEB-Datei – weder das Leistungsverzeichnis noch ein anderes Dokument (Bl. 432 f. GA). Die Zeugin W. war dabei als Schriftführerin bei der Eröffnung der vier eingegangenen elektronischen Angebote zugegen. Der Senat verkennt nicht, dass diese Zeugen als Mitarbeiter des Beklagten ein Näheverhältnis zu diesem aufweisen. Er hat jedoch nicht den Eindruck gewonnen, dass sich die Zeugen hiervon bei ihrer Aussage hätten leiten lassen. Die Zeugin W. hat den Vorgang ohne jegliche Belastungstendenz beschrieben und erst auf Nachfrage angegeben, dass eine GAEB-Datei nicht dabei gewesen sei. Der Zeuge B. hat ebenfalls ohne Belastungstendenz beschrieben, dass er zwar schon in das Vergabeverfahren unterstützend eingebunden war, sich die Angebotsunterlagen aber nicht zeitnah angeguckt habe, sondern erst im letzten Jahr. Die Bekundungen des Zeugen B. entsprechen dem durch den Beklagte vorgelegten Ausdruck aus der elektronischen Vergabeplattform, aus der sich zahlreiche pdf-Dateien, indes keine GAEB-Datei ergibt (Anlage BZ 1, Bl. 402 f. GA), und werden somit durch objektive Umstände gestützt. Zudem konnte dieser Zeuge dem Senat und den Parteien im Rahmen der Beweisaufnahme auch eigenständigen Einblick in die elektronische Vergabeplattform des Beklagten verschaffen mit dem Ergebnis, dass – bezogen auf die Angebotsunterlagen der Klägerin – dort keine GAEB-Datei ersichtlich war (Bl. 433 GA). Die Klägerin hat diesem eindeutigen Ergebnis der richterlichen Inaugenscheinnahme nicht widersprochen.
Die Überzeugungskraft dieser Bekundungen der Zeugen W. und B. sowie des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der für die Klägerin tätige Zeuge D. abweichend bekundet hat, er habe auch die durch das Kalkulationsprogramm befüllte GAEB-Datei routinemäßig und ohne dass er nachdenken müsse hochgeladen auf die Vergabeplattform des Beklagten (Bl. 431 GA). Denn objektiv sind auf dieser Vergabeplattform die Angebotsunterlagen ohne die GAEB-Datei gespeichert, wobei der Zeuge B. überzeugend ausgeführt hat, dass sie auch nicht etwa gelöscht werden können (Bl. 433 GA). Es liegt daher nahe, dass dem Zeugen D. ein Versehen unterlaufen oder ein technischer Defekt beim Befüllen des Ordners vor dem Hochladen aufgetreten ist.
Soweit die Klägerin vorbringt, unvollständige Angaben lasse das Bietertool technisch gar nicht zu (Bl. 3 f. u. 414 GA), trifft diese vage, nicht näher beschriebene und aus sich heraus auch nicht verständliche Behauptung bereits nach den Angaben des von ihr benannten Zeugen D. nicht zu. Dieser hat nämlich bekundet, dass die mittels des von ihm verwendeten Kalkulationsprogramms “K.” befüllte GAEB-Datei neben anderen Dateien von ihm in einen Ordner gelegt und dieser Ordnerinhalt sodann auf die elektronischen Vergabeplattform hochgeladen werde. Dies gehe für ihn schon automatisch (Bl. 431 GA). Damit hat er indes lediglich eine von ihm verinnerlichte Routine, ausdrücklich aber keine technisch notwendige Verfahrensweise beschrieben. Der insoweit angetretene Sachverständigenbeweis (Bl. 4 GA) der Klägerin geht danach als offensichtliche Ausforschung ins Leere, zumal auch unverständlich wäre, inwieweit das Bietertool eine allgemeine technische Vorgabe zur zwingenden Einreichung einer GAEB-Datei treffen könnte, wo doch das vorgegebene technische Mittel im jeweiligen Vergabeverfahren durch den Auftraggeber bestimmt werden muss.
2.
Das vorgegebene Softwareprogramm GAEB-Datei erfüllt auch den Anforderungen von § 11a VOB/A 2016.
Nach dieser § 11 VgV entsprechenden Regelung müssen elektronische Mittel und deren technische Merkmale allgemein verfügbar, nichtdiskriminierend und mit allgemein verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie kompatibel sein. Sie dürfen den Zugang von Unternehmen zum Vergabeverfahren nicht einschränken und die barrierefreie Ausgestaltung muss gewährleistet sein.
Hierzu stellte die Revisionserwiderung und stellt nun die Berufung darauf ab, dass die Systemvoraussetzung eines Windows PC und das verwendete XML-Format nicht allgemein verfügbar und kompatibel i.S.v. § 11a Abs. 1 S. 1 VOB/A 2016 sei (Bl. 65 f. BGH-Heft u. 414 GA).
Dies ist unzutreffend: Sowohl GAEB-Programme als auch Windows PCs oder das XML-Format sind allgemein verfügbar und mit allgemein verbreiteten Geräten kompatibel.
GAEB steht für “Gemeinsamer Ausschuss Elektronik im Bauwesen” und fördert die Rationalisierung im Bauwesen mittels Datenverarbeitung. Das einheitliche Format dient zum einfachen Austausch von Daten zwischen den am Bau Beteiligten. Ziel des GAEB ist eine effiziente Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung (AVA) von Bauleistungen zu ermöglichen (zum Ganzen Vergabekammer Freistaat Thüringen, Beschluss vom 20. Mai 2020 – 250-4002-817/2020-E-003-SH K -, juris Rn. 132). Dieses Format ist allgemein verfügbar und kompatibel, kann also von allen Menschen gegen ein marktübliches Entgelt erworben werden und ist mit üblicherweise verwendeten Geräten bzw. Programmen nutzbar (s. dazu Schranner, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A u. B, 22. Aufl. 2023, § 11a VOB/A Rn. 2). Die Beklagte stellt nach Klägervortrag ein kostenloses Programm für den Versand nach dem GAEB-Standard zur Verfügung (Bl. 65 BGH-Heft); jeder Bieter kann damit dem GAEB-Standard entsprechen. GAEB-Dateien sind ferner – was die Bekundungen des Zeugen D. eindrücklich bestätigen – branchenüblich, was auch ihre übliche Verwendung indiziert (Prell, in: VergabeR-HdB, 3. Aufl. 2021, § 5 Rn. 58).
Zwar mag wiederum das Betriebssystem Windows eine Systemvoraussetzung sein. Auch Windows liegt aber – wie allgemein bekannt – nicht außerhalb üblicher Standards, sondern wird üblicherweise verwendet und ist allen Menschen zugänglich gegen ein markübliches Entgelt. Ob die GAEB-Dateien auch mit den Betriebssystemen von Apple oder dem Betriebssystem Linux hergestellt und bearbeitet werden können, ist insoweit entgegen der Ansicht der Berufung unerheblich. Allgemein verfügbar und kompatibel i.S.v. § 11a Abs. 1 S. 1 VOB/A 2016 ist jede am Markt frei verfügbare Standardlösung; unzulässig sind demgegenüber nur Sonderkonfigurationen, die besondere Programme oder besondere EDV-Fähigkeiten erfordern, die außerhalb üblicher Standards liegen und deshalb nur für einen eingeschränkten Kreis von Nutzern verwendbar sind (vgl. Planker, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/A u. B, 8. Aufl. 2022, § 11a VOB/A Rn. 2). Rechtlich gefordert ist mithin nicht etwa, dass jeglicher EDV-Standard akzeptiert wird.
Auch das XML-Format zählt schließlich zu den mit allgemein verbreiteter Hard- und Software kompatiblen Dateiformaten (Wichmann, in: Zielkow/Völlink, VergabeR, 4. Aufl. 2020, § 11 VgV Rn. 5).
Der Zugang zum Vergabeverfahren wird nach alledem vorliegend nicht i.S.v. § 11a Abs. 1 S. 2 VOB/A 2016 durch unzumutbare technische Hürden eingeschränkt.