vorgestellt von Thomas Ax
1. Eine Partei kann die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse u. a. daran hat, dass der Zustand einer Person, die Ursache eines Personenschadens und der Aufwand für dessen Beseitigung festgestellt werden, wobei ein rechtliches Interesse anzunehmen ist, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.
2. Der Antragsteller muss die Beweisfragen nicht ausdrücklich formulieren. Es genügt, wenn aus dem Antrag die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden sollen, deutlich hervorgehen. Gleichwohl ist ein Minimum an Substantiierung in Bezug auf die Beweistatsachen zu fordern.
3. Die Beweistatsachen sind jedenfalls dann nicht ausreichend bezeichnet, wenn der Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstellt, ohne diese zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen.
OLG Köln, Beschluss vom 12.12.2023 – 4 W 8/23
vorhergehend:
LG Köln, 08.03.2023 – 16 OH 13/21
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein selbständiges Beweisverfahren.
Er hat geltend gemacht, infolge eines von dem Antragsgegner ausgehenden tätlichen Angriffs am 2. September 2019 ein Schädel-Hirn-Trauma mit großen subduralen Hämatomen erlitten zu haben. Wegen dieser Tat sei der Antragsgegner durch das Amtsgericht ### (51 Ls 1/21) wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden (LG-A 3). Der Antragsteller will den Antragsgegner auf Schadenersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch nehmen (LG-A 4).
Mit dem am 21. Dezember 2021 bei Gericht eingegangenen Antrag vom 20. Dezember 2021 (LG-A 2-5) begehrt der Antragsteller unter Bezugnahme auf beigefügte Behandlungsunterlagen (LG-A 19-409) Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens eine sachverständige Begutachtung, um den Umfang seiner durch die behauptete Körperverletzung bedingten Gesundheitsschäden feststellen und überdies klären zu lassen, ob diese kausal und zurechenbar durch den Antragsgegner verursacht worden seien, ob Dauerschäden verblieben seien, und wie und mit welchem Kostenaufwand die Gesundheitsschäden zu behandeln seien (LG-A 5).
Das Landgericht Köln hat den Antrag mit Beschluss vom Beschluss vom 27. Januar 2021 (Pkh-Heft 238) und nach dessen Aufhebung durch den Senat ein weiteres Mal mit Beschluss vom 8. März 2023 (Pkh-Heft 389 f.) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, die Antragsschrift genüge nicht den Anforderungen des § 487 Nr. 2 ZPO.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller vom 10. März 2023 (LG-A 561-563, Eingang beim Landgericht am 14. März 2023 (LG-A 560) sofortige Beschwerde eingelegt.
Das Landgericht hat der Entscheidung nicht abgeholfen und die sofortige Beschwerde dem Oberlandesgericht mit Beschluss vom 14. März 2023 (LG-A 571) zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Anträge der Beteiligten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde, über die das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden hat, weil die angefochtene Entscheidung von einer Einzelrichterin erlassen worden ist (§ 568 Abs. 1 Satz 1 ZPO), ist zulässig; insbesondere ist sie gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1, 576 ZPO statthaft und gemäß § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO fristgerecht eingelegt. In der Sache ist das Rechtsmittel des Antragstellers teilweise begründet. Die Auffassung des Landgerichts, im Streitfall bestehe kein Anspruch auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens, hält den Rügen der sofortigen Beschwerde nicht stand. Diese hat dahin Erfolg, dass Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Durchführung des selbständige Beweisverfahren nicht, wie geschehen, mangels Zulässigkeit des Antrags auf dessen Einleitung zu versagen ist. Nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragsteller gemäß § 115 ZPO ist dem Antragssteller allerdings, wie mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 (4 W 6/22 OLG Köln, LG-A 534 ff.), auf den zur Meidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ausgeführt ist, Prozesskostenhilfe bei monatlicher Ratenzahlung in Höhe von 116 EUR zu gewähren. Im Einzelnen gilt folgendes:
1. Der Antrag auf Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens wäre nach § 485 Abs. 2 ZPO zulässig. Nach dessen Satz 1 kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse u. a. daran hat, dass der Zustand einer Person, die Ursache eines Personenschadens und der Aufwand für dessen Beseitigung festgestellt werden, wobei ein rechtliches Interesse nach Satz 2 anzunehmen ist, wenn die begehrte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Hierzu ist die Feststellung der Folgen des behaupteten körperlichen Angriffs durch den Antragsgegner im selbständige Beweisverfahren grundsätzlich geeignet. Die ausgebliebene Antragserwiderung im Prozesskostenhilfeverfahren berechtigt nicht zu dem Schluss, dass die Parteien in einem möglichen Hauptsacheverfahren nicht auch darüber streiten werden, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei dem Antragsteller vorliegen, inwieweit diese auf den behaupteten körperlichen Angriff zurückzuführen und mit welchem Aufwand diese möglicherweise zu beseitigen sind. Zur Klärung dieser Fragen ist die beantragte Begutachtung grundsätzlich geeignet.
2. Dass der Antragsteller, was sinnvoll gewesen wäre, Beweisfragen nicht ausdrücklich formuliert hat, ist unschädlich. Ausdrücklich formulierte Beweisfragen sind nämlich nicht zwingend, soweit aus dem Antrag die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden sollen, deutlich hervorgehen (OLG Köln, Beschluss vom 11. Oktober 2018 – 5 W 20/18). Das ist hier der Fall.
3. a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Landgericht allerdings davon aus, dass jedenfalls ein Minimum an Substantiierung in Bezug auf die Beweistatsachen zu fordern ist, auch wenn man berücksichtigt, dass sich aus dem besonderen Charakter des selbständigen Beweisverfahrens und dem mit ihm verfolgten Zweck, einen Rechtsstreit zu vermeiden, möglicherweise niedrigere Anforderungen an die Darlegungslast ergeben und deshalb die Angabe der Beweistatsachen in groben Zügen ausreichen soll. Nur so ist der Verfahrensgegenstand zweifelsfrei abgrenzbar und hat der Sachverständige eine Grundlage für die ihm übertragene Tätigkeit. So sind etwa die Beweistatsachen im Sinne von § 487 Nr. 2 ZPO jedenfalls dann nicht ausreichend bezeichnet, wenn der Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstellt, ohne diese zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen (BGH, Beschluss vom 10.11.2015 – VI ZB 11/15, mit weiteren Nachweisen).
b) So liegen die Dinge hier aber nicht. Der beabsichtigte Antrag wird den Anforderungen des § 487 Nr. 2 ZPO gerecht. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Antragstellers, die der Sachverständige einer Begutachtung unterziehen soll, sind in der Antragschrift (LG-A 3) bezeichnet. Das Krankheitsbild (Schädel-Hirn-Trauma mit großen subduralen Hämatomen) ist offensichtlich der Diagnose aus den Berichten des ###-Hospitals ### über die Notfallbehandlung vom 02.09.2019 (LG-A 38-43) und der ###-Klinik ### vom 09.09.2019 (LG-A 173) entnommen worden. Trotz der ergebnisoffenen Fragestellung (LG-A 5), wonach ein Gutachter sich dazu verhalten soll, welche Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das Verhalten des Antragsgegners zurückzuführen sind, ob eingetretene Gesundheitsbeeinträchtigungen Dauerschäden darstellen, sowie ob und mit welchem Aufwand die Gesundheitsbeeinträchtigungen beseitigt werden können, ist der beabsichtigte Antrag nicht so allgemein gehalten, dass ein Sachverständiger eigenständig alle denkbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen selbst suchen und begutachten müsste, was tatsächlich als Ausforschung auch im selbständigen Beweisverfahren unzulässig wäre (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 12 W 17/19). Im Hinblick auf die in Bezug genommenen Diagnosen des ### und der ### ist der beabsichtigte Antrag dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller festgestellt wissen, dass der darin dokumentierte Gesundheitsschaden eines Schädel-Hirn-Traumas mit großen subduralen Hämatomen ohne den körperlichen Angriff des Antragsgegners nicht eingetreten wäre. Der beabsichtigte Antrag zielt danach auf die Feststellung der Kausalität des Verhaltens der Beklagten für die konkret bezeichnete Gesundheitsbeeinträchtigung und damit auf eine zulässige Fragestellung ab. So verstanden handelt es sich um einen nach § 487 Nr. 2 ZPO zulässigen Antrag. Das Beweisersuchen soll zwar im Hinblick auf mit dem Schädel-Hirn-Trauma mögliche weitere im Zusammenhang stehende, bisher nicht bekannte (dauerhafte) Beeinträchtigungen und im Hinblick auf den möglichen Aufwand zur Beseitigung des Personenschadens offen gestellt bleiben. Dies begegnet vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller nicht wissen kann, ob noch weitere, bislang nicht bekannte (dauerhafte) Körperschäden eingetreten sein könnten, indes keinen Bedenken. Bei der Formulierung der Beweisfrage kann – zur Erleichterung der Arbeit des Sachverständigen – auf das von dem Antragsteller konkret behauptete Krankheitsbild Bezug genommen werden nehmen und im Übrigen kann die Beweisfrage offen formuliert werden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 11. Oktober 2018 – 5 W 20/18).
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).
4. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO liegen nicht vor.