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OVG Schleswig-Holstein zu der Frage, dass wenn Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten für den für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand besteht, hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden ist, sondern insoweit das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen wäre

vorgestellt von Thomas Ax

1. Auch für selbständige Beweisverfahren im Verwaltungsprozess (§ 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs 2 ZPO) gilt, dass sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Hauptsachewert richtet. Er ist nach Durchführung der Beweiserhebung und unter Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zu ermitteln.*)
2. Ausgangspunkt der Bemessung ist die sich für den Antragsteller bei Einleitung des Verfahrens aus seinem Antrag ergebende Bedeutung der Sache, §§ 40, 52 Abs. 1 GKG 2004. Dient das Beweisverfahren der Feststellung von (Bau-)Mängeln, bestimmt sich dessen Wert nach dem für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Mängelbeseitigungsaufwand, da dieser regelmäßig Gegenstand eines späteren Hauptsacheverfahrens ist.*)
3. Unerheblich bleibt, wie die Beteiligten die eingeholten Gutachten später bewerten und dass sie durch Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs ein Hauptsacheverfahren vermeiden.*)
4. Besteht Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten, ist hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwerts zu entscheiden, sondern das Beweisverfahren fortzusetzen.*)
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.05.2024 – 6 O 14/24
vorhergehend:
VG Schleswig, 11.05.2023 – 9 E 2/16


Gründe

Über die Streitwertbeschwerden entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG die nach der Geschäftsverteilung des Senats zuständige Berichterstatterin als Einzelrichterin, da die angefochtene Streitwertfestsetzung von einem Einzelrichter der Vorinstanz getroffen worden ist.

Die durch die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin und des Beigeladenen zu 1. jeweils im eigenen Namen eingelegte Streitwertbeschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. Mai 2023 ist gemäß § 32 Abs. 2 RVG zulässig. Beide sind durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beschwert, da eine höhere Streitwertfestsetzung dazu führen würde, dass sie entsprechend höhere Anwaltsgebühren geltend machen könnten. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,- Euro (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG); die Gebührendifferenz zwischen dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert von 5.000,- Euro einerseits und den Gebühren aus dem von den Beschwerdeführern erstrebten Streitwert von 668.592,26 Euro bzw. 558.000,- Euro andererseits liegt über dem Beschwerdewert von 200,- Euro.

Die Beschwerden sind auch begründet, da der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens mit dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG fehlerhaft bemessen ist. Vielmehr bietet der bisherige Sach- und Streitstand genügend Anhaltspunkte, den Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin ergebenden Bedeutung der Sache gemäß § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmen.

In der zivilgerichtlichen Praxis wird der Streitwert für selbstständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich mit dem Hauptsachewert oder mit dem Teil des Hauptsachewertes angesetzt, auf den sich die Beweiserhebung bezieht. Das Gericht hat den Hauptsachewert nach Durchführung der Beweiserhebung und unter Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zum Hauptsachewert – insbesondere aus einem Sachverständigengutachten – festzusetzen und dies bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers (BGH, Beschl. v. 16.09.2004 – III ZB 33/04 -; Kratz in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 52. Ed. 01.03.2024, § 485 Rn. 42; Schreiber in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 494a Rn. 13). Dient das Beweisverfahren der Feststellung von (Bau-) Mängeln, bestimmt sich dessen Wert nach dem für die Mängelbeseitigung erforderlichen und gutachterlich festzustellenden Aufwand (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.05.2010 – 4 W 17/10 -; OLG Hamburg, Beschl. v. 01.02.2000 – 9 W 2/00 -). Dieser entspricht regelmäßig dem im späteren Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruch. Insoweit ist anhand der Antragstellung, aber aus objektiver Sicht zu ermitteln, welchen Anspruch der Antragsteller bei Verfahrenseinleitung im späteren Hauptsacheverfahren verfolgen will. Werden im Beweisverfahren nicht alle behaupteten Mängel bestätigt, sind für die Streitwertfestsetzung diejenigen Kosten zu schätzen, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.05.2010 – 4 W 17/10 -; OLG Celle, Beschl. v. 05.03.2008 – 14 W 6/08 -).

Dem ist gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 485 Abs. 2 ZPO für selbstständige Beweisverfahren im Verwaltungsprozess im Grundsatz zu folgen (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 17.08.2022 – 2 M 79/22 -; OVG Münster, vgl. Beschl. v. 12.07.2017 – 15 E 70/17 -, m.w.N., OVG Bautzen, Beschl. v. 08.10.2012 – 5 E 81/12 -). Dies gilt insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem sich die Beteiligten über behauptete Mängel bei der Herstellung von Erschließungsanlagen auseinandersetzen und für die Auseinandersetzung der zu erwartende Mängelbeseitigungsaufwand maßgeblich ist (vgl. nur OVG Münster, Beschl. v. 23.03.2009 – 15 E 31/09 -). Bei alledem versteht sich von selbst, dass die sich im Rahmen der Wertbemessung ergebenden Fragen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und im Rahmen der maßgeblichen Regelungen des § 52 GKG, gegebenenfalls in Verbindung mit den Bestimmungen des für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erstellten Streitwertkataloges, zu klären sind.

Ausgangspunkt der Bemessung ist deshalb auch hier § 52 Abs. 1 GKG und damit die sich für die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens aus ihrem Antrag ergebende Bedeutung der Sache. Für die Bestimmung dieser Bedeutung räumt § 52 Abs. 1 GKG dem Gericht Ermessen ein, wobei mit dem Begriff des Ermessens die Möglichkeit einer mit § 3 ZPO vergleichbaren Schätzung der Streitwerthöhe eingeräumt wird (OVG Bautzen, Beschl. v. 23.06.2010 – 4 E 33/10 -; Toussaint in: BeckOK KostR, 45. Ed. 01.04.2024, § 52 GKG Rn. 10; Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 52 GKG Rn. 5 m.w.N.). Bei der Ausübung des Ermessens wiederum kommt es auf das objektiv zu beurteilende Interesse des jeweiligen Antragstellers zum Zeitpunkt der den Rechtszug einleitenden Antragstellung (§ 40 GKG) an (BVerwG, Beschl. v. 08.12.2022 – 2 KSt 2.22 -).

Maßgeblich bei der Bestimmung der sich für die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens aus ihrem Antrag ergebenden Bedeutung der Sache ist deshalb, dass sie gegenüber der Antragsgegnerin offenkundig einen vertraglichen Gewährleistungsanspruch verfolgt hat, gestützt auf § 7 des zwischen ihnen geltenden “Städtebaulichen – und Erschließungs-Vertrages” vom 10. Juli 2000. Dabei kann unterstellt werden, dass sie diesen Anspruch unter Anführung der von ihr bei Einleitung des Verfahrens unter Beweis gestellten Mängel in einem späteren Hauptsacheverfahren geltend gemacht hätte.

Dass Ausmaß und Beseitigungsaufwand hinsichtlich der Mängel von den Beteiligten im Nachhinein unterschiedlich bewertet werden, ist für sich betrachtet kein Grund, auf § 52 Abs. 2 GKG zurückzugreifen. Dies käme vielmehr erst dann in Betracht, wenn sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, worauf ein späteres Hauptsacheverfahren hätte gerichtet sein können (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 24.07.2023 – 7 OB 33/23 -) – so, wie es in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Verfahren des OVG Bautzen der Fall war. Die dortigen Antragsteller hatten nicht dargelegt, welcher durch das selbstständige Beweisverfahren zu sichernde Anspruch ihnen zustehen sollte, falls der Sachverständige die begehrten Feststellungen trifft (OVG Bautzen, Beschl. v. 08.10.2012 – 5 E 81/12 -). Wie aufgezeigt, liegt es hier jedoch nicht so.

Auf Grundlage der beiden vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten und der darin jeweils geschätzten Kosten für die Beseitigung der behaupteten und gutachterlich festgestellten Mängel bei Erstellung der Erschließungsanlage im 3. Bauabschnitt des B-Planes Nr. 5 der Antragstellerin ergibt sich ein Streitwert von insgesamt 668.592,26 Euro. Davon entfallen 558.000,- Euro auf den Rückbau und die Neuerstellung der gesamten Straßenbauarbeiten und 110.592,26 Euro auf den Umbau der straßenbegleitenden Grünflächen. In der Wertermittlung enthalten sind auch die sog. “Sowieso-Kosten” für eine erforderliche, aber von Anfang an fehlende Drainage; derartige Kosten reduzieren den Wert nur, wenn der Antrag entsprechend beschränkt worden ist (OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2008 – 3 W 36/08 -). Dies war hier nicht der Fall. Im Übrigen sind beide Gutachter davon ausgegangen, dass nach erfolgter Mangelbeseitigung kein Minderwert der Erschließungsanlage verbleibt. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin bei Einleitung des Verfahrens einen technischen oder merkantilen Minderwert, der den Streitwert noch erhöhen würde, geltend gemacht hat oder machen wollte, bestehen nicht.

Vom objektiven Interesse der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ausgehend kommt es schließlich nicht darauf an, wie die Beteiligen die eingeholten Gutachten später bewerteten und dass sie, statt ein Hauptsacheverfahren einzuleiten, eine vergleichsweise Regelung fanden. Besteht Streit über die Richtigkeit der Höhe der von den Sachverständigen ermittelten Kosten, ist hierüber nicht im Verfahren zur Festsetzung des Streitwertes zu entscheiden; insoweit wäre vielmehr das Beweisverfahren fortzusetzen gewesen (Herget in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 3 Rn. 16.151 m.w.N.). Vorliegend haben die Beteiligten jedoch trotz angemessener zeitlicher Möglichkeit davon abgesehen, im Rahmen des Beweisverfahrens Einwendungen gegen die beiden Gutachten zu erheben. Dessen ungeachtet bleibt die im vorliegenden Verfahren geübte Kritik der Antragsgegnerin am Gutachten des Sachverständigen ### auch zu unsubstantiiert, als dass daraus eine sachgerechte Reduzierung des Streitwertes hätte abgeleitet werden können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).