Ax Vergaberecht

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RügePraxis: Die Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB wird nur ausgelöst, wenn der Antragsteller eine feststellbare und im Streitfall vom öffentlichen Auftraggeber nachzuweisende (nicht nur zu vermutende) positive Kenntnis nicht lediglich von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen (Tatsachenkenntnis), sondern aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen hat

von Thomas Ax

Nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB ist der Antrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat.

Die Rügeobliegenheit dieser Vorschrift wird nur ausgelöst, wenn der Antragsteller eine feststellbare und im Streitfall vom öffentlichen Auftraggeber nachzuweisende (nicht nur zu vermutende) positive Kenntnis nicht lediglich von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen (Tatsachenkenntnis), sondern aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen hat (OLG Dresden, Beschluss vom 23. April 2009 – WVerg 11/08). Bloße Vermutungen und selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügen nicht. Die positive Kenntnis muss mithin zwei Komponenten umfassen. Die Rügeobliegenheit entsteht jedoch nicht erst in dem Zeitpunkt, in dem das Unternehmen Kenntnis von einem völlig zweifelsfreien und in jeder Beziehung sicher nachweisbaren Vergabefehler erlangt.

Ausreichend ist vielmehr das Wissen um einen Sachverhalt, der aufgrund laienhafter rechtlicher Wertung des individuellen Bewerbers/Bieters den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen ergibt und es bei vernünftiger Betrachtung dann gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. August 2000 – Verg 9/00).

Neben der tatsächlichen Kenntnis ist zusätzlich die rechtliche Kenntnis, dass ein Vergaberechtsverstoß vorliegt, erforderlich.

Von einer Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß kann regelmäßig nur gesprochen werden, wenn dem Bieter bestimmte Tatsachen bekannt sind, die bei vernünftiger Würdigung einen Mangel des Vergabeverfahrens darstellen. Ist hierfür eine rechtliche Wertung erforderlich, muss diese jedenfalls nach der gängigen praktischen Handhabung oder bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre zur Annahme eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften führen (vgl. OLG Dresden a. a. O.). Dabei besteht die Rügeobliegenheit nicht erst von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller Kenntnis von einem völlig zweifelsfreien und in jeder Beziehung nachweisbaren Vergabefehler erlangt. Ausreichend ist vielmehr das sichere Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf einen Vergaberechtsverstoß erlaubt und der es bei vernünftiger Betrachtung als gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (OLG Düsseldorf Beschluss vom 22. August 2000 – Verg 9/00; OLG Celle, Beschluss vom 5. Juli 2007 – 13 Verg 8/07).

Gemäß § 187 Abs. 1 ZPO wird der Tag, an dem ein Unternehmen die positive Kenntnis von einem Vergabeverstoß erlangt, nicht mitgezählt. Der erste von 10 Tagen ist also der auf die Kenntniserlangung nachfolgende Tag, und zwar auch dann, wenn es sich um einen Samstag, einen Sonntag oder einen gesetzlichen Feiertag handelt (Summa in: jurisPK, § 160 GWB, Rn. 288). Die Frist endet mit Ablauf des 10. Tages.