Ax Vergaberecht

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Thema: Sicherheit in der Vergabe: Möglichkeiten des Angebotsausschlusses wegen früherer Schlechtleistung

von Thomas Ax

Im Streitfall über die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr mit hinreichender Sicherheit feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist. Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Die Vergabekammer bzw. der -senat ist daher nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess zu klären. Vielmehr hat die Vergabekammer anhand des Vorbringens der Beteiligten und der eingereichten Unterlagen zu prüfen, ob der öffentliche Auftraggeber den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrunds auch mit hinreichender Sicherheit führen kann. Einem Unternehmen kann sein Verhalten bei Erfüllung eines öffentlichen Auftrags als Mitglied einer Bietergemeinschaft, an die ein Auftrag vergeben wurde, im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zugerechnet werden, wenn ihm ein individueller Beitrag zu den während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln zugerechnet werden kann und dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig war. Hat ein Auftragnehmer mit rechtlichen Schritten gedroht oder solche unternommen, die er zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer noch ungeklärten Rechtslage für zulässig halten konnte, so ist bei der Prognoseentscheidung im Rahmen einer Ausschlussentscheidung vom öffentlichen Auftraggeber zu Gunsten des Auftragnehmers zu prüfen und zu berücksichtigen, ob dieser einer vertretbaren Rechtsauffassung folgte.

Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme eines Vergabeverfahrens ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.

Im Streitfall muss die Vergabestelle den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes führen, nämlich dass eine erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistung zur Kündigung oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Es genügt nicht, dass der Auftraggeber gekündigt hat, es muss vielmehr feststehen, dass dies auch zu Recht erfolgt ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16; VK Südbayern, Beschluss vom 08.04.2019 – Z3-3-3194-1-46-12/18).

In der Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, welche Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu stellen sind, wenn wie im vorliegenden Fall ein Unternehmen die behauptete Schlechtleistung bestreitet und die Kündigung des öffentlichen Auftraggebers lediglich als freie Auftraggeberkündigung akzeptiert. Einigkeit besteht nur insoweit, als die Tatsachen, auf die die Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gestützt wird, nicht unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein müssen (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.10.2012 – Verg 15/12; OLG Koblenz, Beschluss vom 25.02.2015 – 1 Verg 5/14).

Das OLG Düsseldorf hat in dieser Frage noch nicht abschließend entschieden, tendiert allerdings dazu, dass der öffentliche Auftraggeber bezüglich der von der Vorschrift verlangten Schlechterfüllung Gewissheit erlangt haben muss, also eine Überzeugung gewonnen hat, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2018 – VII-Verg 49/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 7/18). Nach Auffassung des OLG Celle liegt das Beweismaß für die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zwischen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit gemäß § 287 ZPO und dem Vollbeweis gemäß § 286 ZPO. Es reiche aus, wenn der öffentliche Auftraggeber Indiztatsachen vorbringe, die von einigem Gewicht seien, auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basierten und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters nachvollziehbar erscheinen ließen (OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16).

Gerade wenn es um die Frage geht, ob die für § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erforderliche qualifizierte Rechtsfolge – die Kündigung des Auftrags durch den Auftraggeber – zu Recht erfolgt ist, kann dies nicht zur Folge haben, dass nunmehr die Vergabekammer bzw. der -senat auf eine rechtskräftige Entscheidung der Zivilgerichte warten bzw. die Rechtmäßigkeit der streitigen Kündigung selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung mit unter Umständen langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess klären muss (OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16). Im Nachprüfungsverfahren gilt der insbesondere in § 167 GWB verankerte Beschleunigungsgrundsatz. Diesem Grundsatz würde es eklatant zuwiderlaufen, einen monate- oder gar jahrelangen (Bau-)Zivilprozess abzuwarten bzw. ihn selbst inzident durchzuführen. Unter diesen Umständen wäre bei der Prüfung des Ausschlusses eines Bauunternehmers nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB regelmäßig die Frist des § 167 Abs. 1 GWB nicht zu wahren. Im Vergabenachprüfungsverfahren kann daher regelmäßig nur darüber entschieden werden, ob der öffentliche Auftraggeber die Anforderungen an den im Streitfall zu erbringenden Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes, hier also der zu Unrecht erfolgten Arbeitseinstellung als Kündigungsgrund, führen kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 09.01.2017 – 13 Verg 9/16).

Da § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB den Art. 57 Abs. 4 g der Richtlinie 2014/24/EU umsetzt und nah am Wortlaut und dem Regelungsgehalt der Richtlinie bleibt, kann zur Auslegung des vergaberechtlichen Begriffs des Unternehmens auf die Richtlinie selbst und die zu ihr und insbesondere zu dem Artikel ergangene Rechtsprechung des EuGH zurückgegriffen werden. Die Richtlinie verwendet statt des Begriff des Unternehmens den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers. Dieser ist definiert in Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach ist ein Wirtschaftsteilnehmer eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die bzw. der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen anbietet. Dabei ist zudem zu unterscheiden, dass eine Gruppe von Personen oder Einrichtungen, die als ein Wirtschaftsteilnehmer zählen können von einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern wie in Vorbemerkung 15 zu unterscheiden ist (VK Südbayern vom 06.07.2022 – 3194.Z3-3_01-21-72).

Bieter- und Bewerbergemeinschaften sind damit laut Vorbemerkung 15 und Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU eine Gruppe von einzelnen Wirtschaftsteilnehmern, welche sich durchaus für die Erfüllung eines Auftrags auch so verbinden können, dass ein neuer, weiterer und eigenständiger Wirtschaftsteilnehmer entsteht. Dennoch bleiben die einzelnen Bieter als Unternehmen und als Wirtschaftsteilnehmer daneben bestehen. Damit kann und muss einer Gruppe von Unternehmen im Sinne des GWB bzw. von Wirtschaftsteilnehmern im Sinne der Richtlinie 2014/24/EU, an die ein Auftrag vergeben wurde, der jeweilige Beitrag des einzelnen Unternehmens bzw. Wirtschaftsteilnehmers an während der Vertragsausführung auftretenden Mängeln bei der Erfüllung und an etwaige Anstrengungen, um diese Mängel zu beheben, auch individuell zugerechnet werden. Unabhängig von der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern muss die Anwendung des in Art. 57 Abs. 4 g der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen fakultativen Ausschlussgrundes, der dem § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB entspricht, nämlich darauf gestützt werden, dass dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 26.01.2023 – Rs. C-682/21, Rz. 49).

Der Ausschluss eines Bieters nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB liegt im Ermessen des Auftraggebers. Die Ermessensentscheidung ist von den Nachprüfungsinstanzen allerdings nur daraufhin zu überprüfen, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt wurde (Ermessensausfall), ob eine Maßnahme getroffen wurde, die sich nicht mehr in dem durch die Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen hält (Ermessensüberschreitung) und ob ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Dies ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber relevante Aspekte nicht berücksichtigt, sich auf sachfremde Erwägungen stützt oder Aspekten ein Gewicht beimisst, das ihnen nicht zukommt (OLG München, Beschluss vom 29.01.2021 – Verg 11/20).

Meinungsverschiedenheiten oder das Androhen rechtlich zulässiger Schritte reichen für einen Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht aus (BGH, Urteil vom 17.02.1999 – X ZR 101/97).