Ax Vergaberecht

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Vergabekammer Rheinland-Pfalz: Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausschreibungsaufhebung erfolgreich durch AxRechtsanwälte durchgesetzt

In einem von AxRechtsanwälte für die Mdtin w e g e n der rechtswidrigen Aufhebung eines die Vergabe von Abschleppdienstleistungen durch das PP Mainz betriebenen Vergabenachprüfungsverfahren hat die Vergabekammer Rheinland-Pfalz die Rechtswidrigkeit der Ausschreibungsaufhebung festgestellt. Die im Laufe des Verfahrens eingegangenen Rügen haben die Vergabestelle zu einer intensiven Überprüfung der inhaltlichen und formalen Aspekte der Ausschreibung veranlasst. Diese hatte zum Ergebnis, dass sowohl gerügte als auch bisher unentdeckte, schwerwiegende Verfahrensfehler bestätigt werden mussten. Neben formalen Fehlern (z.B. fehlende Angaben von Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, fehlende  Angaben  zur Losaufteilung  gem. §  30 Abs. 3 VgV  in der Auftragsbekanntmachung, fehlerhafte  und nicht ausreichende Angaben in der Vorabinformation nach § 134 GWB) führen insbesondere Mängel in der Angebotswertung zu dieser Entscheidung. Es wird festgehalten, dass eine Auswertung über die Anfahrtszeiten von 30 Minuten mittels der Software ,Google Maps‘ in der angegebenen Form nicht geeignet ist, zu transparenten und gleichberechtigten Ergebnissen zu gelangen. Darüber hinaus muss eine Prüfung der Eignung/Leistungsfähigkeit der Bieter, abweichend zum Vorgehen in diesem Verfahren, losweise erfolgen. Da die Vergabestelle demnach keine Möglichkeit einer sachgemäßen Angebots­wertung verbleibt, war eine Aufhebung des Verfahrens nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV unvermeidlich. Bei ordnungsgemäßer Vorbereitung des Vergabeverfahrens hätten die Gründe, die zur Aufhebung der Ausschreibung geführt haben, vermieden werden können. Die Gründe lagen erkennbar in der Sphäre des Auftraggebers; er hat sie zu vertreten. Ein Rückgriff auf die rechtmäßigen Aufhebungsgründe scheidet damit von vornherein aus.

Die Entscheidung der VK:

Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die rechtswidrige Aufhebung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Er ist für das Verfahren vor der Vergabekammer gebührenbefreit. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten war für die Antragstellerin notwendig.

Der Weg zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist damit frei.

Sachverhalt und Verfahren (Zusammenfassung):

Der Antragsgegner schrieb den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über das Bergen, Abschleppen und Verwahren von Fahrzeugen im Rahmen hoheitlicher Maßnahmen für den Geschäftsbereich des Polizeipräsidiums Rheinpfalz in insgesamt 23 Gebietslosen im offenen Verfahren nach §§ 14, 15 VgV aus. Der Vertrag sollte eine Laufzeit von 48 Monaten mit einer zweimaligen Verlängerungsoption von jeweils bis zu einem Jahr haben.

Die Antragstellerin stellte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20. Februar 2020 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer. Sie begründete ihren Nachprüfungsantrag mit den im Rügeschreiben geltend gemachten Vergaberechtsverstößen. Bis zum genannten Datum hatte sie vom Antragsgegner keine verbindliche Antwort auf ihren Rügevortrag erhalten. Der Nachprüfungsantrag ging am 20. Februar 2020 vorab per Telefax um 12.26 Uhr bei der erkennenden Vergabekammer ein. Er wurde am 21. Februar 2020 um 11.08 Uhr an den Antragsgegner übermittelt.

Das Vergabeverfahren wurde des Weiteren am 21. Februar 2020 um 11.45 Uhr vom Antragsgegner aufgehoben. Die Mitteilung an die Bieter wurde im Vergabemanagementsystem am selben Tag um 11.50 Uhr eingestellt und von dem geschäftsführenden Mitglied der antragstellenden Bietergemeinschaft (Höhl KG) im Anschluss im System um 14.32 Uhr geöffnet.

Die Antragstellerin meint, die vom Antragsgegner mitgeteilten Aufhebungsgründe seien nicht durch die einschlägigen Aufhebungstatbestände gedeckt. Gleichwohl sei die rechtswidrige, durch einen sachlichen Grund veranlasste Aufhebung wirksam, weil ein öffentlicher Auftraggeber nicht gezwungen werden könne, ein Vergabeverfahren mit Zuschlagserteilung zu beenden.

Die Antragstellerin begründet ihr Feststellungsinteresse mit Hinweis auf die Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs. Sie habe für die Beteiligung an dem Vergabeverfahren Angebotsbearbeitungsaufwand betrieben, der nunmehr frustriert sei. Sie habe zur Erstellung ihres Angebots vergeblich Arbeitszeit für Mitarbeiter und Geschäftsführung aufgebracht. Es  habe die Möglichkeit bestanden, die Mitarbeiter alternativ einzusetzen und in diesem Fall Gewinn zu erzielen. Für das sich anschließende neue Vergabeverfahren sei erneut Angebotsbearbeitungsaufwand erforderlich. Ohne die rechtswidrige Aufhebung hätte sie selbst auf den ihr vergaberechtswidrig zugedachten nachrangigen Plätzen zwar nicht vorrangig, aber dennoch nachrangig zum Zuge kommen können, und hätte so Umsatz, der ihr jetzt entgehe, generieren können. Damit seien auch die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erstattung des positiven Interesses gegeben.

Die Antragstellerin beantragt, die Feststellung, durch Nichtbeachtung der die Aufhebung der Ausschreibung betreffenden Vergabevorschriften in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt zu sein.

Der Antragsgegner beantragt,

der Fortsetzungsfeststellungsantrag wird ablehnt.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, das Vergabeverfahren gemäߧ 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV rechtmäßig aufgehoben zu haben. Die Vergabe des Auftrags sei wegen formaler Fehler (z. B. fehlende Angaben .der Eignungskriterien und fehlende Angaben zur Losaufteilung  in der Auftragsbekanntmachung,  Mängel  in der Vorabinformation  nach § 134 GWB) und Mängeln in der Angebotswertung (unterbliebene Prüfung der Eignung/Leistungsfähigkeit der Bieter pro Los, untaugliche Berücksichtigung der geforderten Anfahrtszeiten von 30 Minuten unter Zuhilfenahme der Software „Google Maps“) unvermeidlich gewesen. Da eine sachgemäße Angebotswertung nicht möglich sei, habe auch die Antragstellerin keine Chance auf Zuschlagserteilung gehabt. Die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes sei für die Antragstellerin nicht notwendig gewesen, da sie selber zum Rügevortrag in der Lage gewesen sei.

Wie entscheidet die VK? (Zusammenfassung)

Der Nachprüfungsantrag in Form des Fortsetzungsfeststellungsantrags ist zulässig und begründet.

Ein Fortsetzungsfeststellungsantrag ist nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB zulässig, wenn sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags,· durch Aufhebung, durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt hat, der ursprüngliche Nachprüfungsantrag zulässig war und die Antragstellerin ein besonderes Feststellungsinteresse darlegt (OLG Celle, Beschl. v. 19.03.2019, 13 Verg 7/18).

Der Antrag ist isoliert auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung gerichtet.

Nach der Spruchpraxis des OLG Celle (Beschl. v. 19.03.2019, 13 Verg 1/19) fehlt einem Antragsteller, der nach Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht die Fortsetzung des Vergabeverfahrens in Form der Aufhebung der Aufhebung herbeiführen will, sondern allein festgestellt wissen möchte, dass die Aufhebung rechtswidrig ist, hierfür die Antragsbefugnis (a. A. VK Sachsen, Beschl. v. 19.06.2015, 1 /SVK/009-15). Das OLG begründet seine Auffassung damit, dass ein Nachprüfungsverfahren dem Ziel dienen solle, Primärrechtsschutz in der Weise zu gewähren, dass die Vergabestelle zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen veranlasst werden soll. Die bloße Feststellung der Rechtwidrigkeit einer Aufhebung sei nur auf die Gewährung von Sekundärrechtsschutz gerichtet, was nicht in die Zuständigkeit der Nachprüfungsinstanzen falle, sondern der ordentlichen Gerichtsbarkeit obliege.

Dies kann aus Sicht der erkennenden Vergabekammer jedoch nur insoweit gelten, als dass der Nachprüfungsantrag von vornherein nur auf die isolierte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufhebung. gerichtet ist. Soweit ein anhängiger, ursprünglich zulässiger Nachprüfungsantrag durch eine Abhilfeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers (hier: Aufhebung) seine Erledigung findet, kann das nicht zum Verlust der Antragsbefugnis führen. In diesen Fällen ist über eine entsprechende erweiterte Anwendung des § 168 Abs. 2 Satz GWB ein Feststellungsbegehren ausnahmsweise zulässig. Es ist einem Antragsteller daher unbenommen, die Aufhebungsentscheidung über eine Streitgegenstandsänderung (analog § 264 ZPO) bzw. -erweiterung zulässigerweise in das Fortsetzungsfeststellungsverfahren einzuführen. Die Beantwortung der vergaberechtlichen Frage, ob eine Aufhebung durch die gesetzlichen Aufhebungsgründe gedeckt ist oder nicht, fällt in die originäre Zuständigkeit der Vergabekammern und Vergabesenate.

Diese Rechtsschutzerweiterung erscheint außerdem vor dem Hintergrund geboten, dass ein Antragsteller ansonsten verpflichtet wäre, zeitgleich einen per se nicht erfolgversprechenden Primärrechtsschutz zu beantragen, um .dann über den Umweg eines zusätzlichen Hilfsantrags eine positive Feststellungsentscheidung über die Rechtswidrigkeit der Aufhebung zu erwirken. Da nach einhelliger Auffassung eine rechtswidrige, aber durch einen sachlichen Grund gedeckte Aufhebung wirksam ist, bliebe dem Hauptantrag der Erfolg versagt.

Ein Primärrechtsschutz kann nicht mehr stattfinden, weil das Ziel des Nachprüfungsverfahrens, korrigierend auf das laufende Vergabeverfahren einzuwirken und dieses zu einem rechtmäßigen Abschluss zu bringen, nicht mehr realisiert werden kann. Es besteht in diesem Fall keine Möglichkeit der Nachprüfungsinstanzen, eine Vergabestelle zur Aufhebung der Aufhebung zu verpflichten.

Aus prozesstaktischen Erwägungen heraus dennoch vom Bieter einen Antrag auf Primärrechtsschutz zu verlangen, macht zumindest bei einem bereits aus anderen Gründen anhängigen Nachprüfungsverfahren keinen Sinn. Es entspricht dem Grundsatz der Prozessökonomie, dass eine Vergabekammer, die bereits sachlich mit der Ausschreibung befasst ist, gemäß § 179 Abs. 1 GWB eine für die ordentliche Gerichtsbarkeit verbindliche Entscheidung über Vergaberechtsverletzungen zu überlassen.

Der Feststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB setzt nach ganz herrschender Meinung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal weiterhin ein Feststellungsinteresse voraus (vgl. z. B. OLG Jena, Beschl. v. 30.03.2009, 9 Verg 12/08). Insoweit reicht jedes anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.03.2005, Verg 77/04; OLG Jena, a.a.O.).

Ein solches Feststellungsinteresse kann unter anderem gegeben sein, wenn der Feststellungsantrag – wie von der Antragstellerin vorgetragen – der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dienen soll (vgl. OLG München, Beschl. v. 19.07.2012, Verg 8/12; OLG Koblenz, Beschl. v. 04.02.2009, 1 Verg 4/08). Das Feststellungsinteresse ist diesbezüglich allerdings zu verneinen, wenn eine entsprechen.de Schadensersatzklage ausgeschlossen bzw. völlig aussichtslos wäre (a.a.O.; VK Sachsen, Beschl. v.17.01.2007, 1/SVK/002-05). Von einer von vornherein aussichtslosen Schadensersatzklage wird in der vergaberechtlichen Spruchpraxis zum Beispiel ausgegangen, wenn das Angebot des Antragstellers mit einem zwingenden Ausschlussgrund behaftet ist (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.). Die Nachprüfungsinstanzen sind im Übrigen nicht berechtigt, die Erfolgsaussichten von beabsichtigten Schadensersatzansprüchen zu prüfen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.08.2019, 11 Verg 3/19; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.10.2008, VII-Verg 25/08).

Die Antragstellerin hat sich darauf bezogen, Schadensersatzansprüche in zweierlei Hinsicht geltend machen zu wollen. Zum einen möchte sie ihren Angebotsbearbeitungsaufwand kompensiert wissen und zum anderen bezieht sie sich auf einen nicht generierten Umsatz.

Hinreichende Anhaltspunkte, dass ein Schadensersatzanspruch in Bezug auf das vorgetragene negative Interesse von vornherein völlig aussichtslos wäre, sind nicht feststellbar.

Ein Schadensersatzanspruch nach § 181 Satz 1 GWB auf Ersatz des Vertrauens­schadens steht einem Unternehmen nur zu, wenn ohne den Verstoß eine „echte Chance“ auf Zuschlagserteiling bestanden hätte. Dies ist nur dann der Fall, wenn das unterbreitete Angebot nicht nur in die engere Wahl gelangt wäre, sondern besonders qualifizierte Aussichten auf die Zuschlagserteilung gehabt hätte  (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 04.02.2009, 1 Verg 4/08, zur Vorgängerregelung in § 126 GWB a.F. und mit Hinweis auf BGH, Urt. v. 27.11.2007, X ZR 18/07). Dies erscheint vor dem Hintergrund zweifelhaft, dass die Antragstellerin bei sämtlichen streitgegenständlichen Losen gerade. nicht auf dem ersten Rang gelegen hat, sondern nur auf dem zweiten oder dritten Rang.

Die Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Der Schadensersatzanspruch aus § 181 Satz 1 GWB umfasst lediglich die Angebotsvorbereitungs- und Teilnahmekosten am Vergabeverfahren. Satz 2 der Vorschrift stellt ergänzend klar, dass es sich hierbei um keine abschließende Regelung handelt, sondern dass weiterreichende Ansprüche auf Schadensersatz unberührt bleiben. Das bedeutet, dass konkurrierende zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen, und zwar auch solche, die nicht der engen  Tatbestandsvoraussetzung einer „echten Chance“ unterliegen, weiterverfolgt werden können. Der Ersatz .des Vertrauensschadens kann sich auch über einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 und 241 Abs. 2 BGB ergeben (vgl.. Steck: in ZiekowNöllink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 168 GWB, Rn. 40). Die Prüfung dieser Schadensersatzansprüche liegt in der autonomen Entschei­dungsgewalt der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Im Hinblick auf die „frustrierten“ Angebotserstellungskosten ist ein Schadensersatzanspruch jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen, sondern er kommt nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung grundsätzlich auch in Betracht, wenn der Bewerbungskostenaufwand – wie vorliegend – . auf eine spezielle rechtsfehlerhafte Handlung der Vergabestelle zurückzuführen ist (vgl. BGH, Urt. v. 09.06.201t, X ZR143/10; OLG Schleswig, Beschl. v. 19.12.2017, 3 U 15/17). Dies ist zum Beispiel der Fall, ,,wenn die Auftragsvergabe insgesamt unzureichend vorbereitet worden ist oder wenn die Vergabeunterlagen – vorwerfbar – mangelhaft erstellt worden sind“ (OLG Schleswig, a.a.O.).

Die abschließenden Erfolgsaussichten eines möglichen Schadensersatzanspruchs sind von der Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren nicht zu prüfen (vgl. OLG München, Beschl. v. 19.07.2012, Verg 8/12; OLG Düsseldorf, BeschL v. 02.10.2008, VII-Verg 25/08). Dies gilt vor allem für die Frage, ob getätigte nutzlose Aufwen­ dungen tatsächlich ersatzfähig sind. Ob die vergeblichen Angebotsbearbeitungs­ kosten dem grundsätzlichen Akquisitionsrisiko des Bieters unterliegen oder nur bei gefqhrtem .Nachweis, dass die Mitarbeiter anderweitig für gewinnbringende Zwecke tatsächlich hätten eingesetzt werden können, kompensationsfähig sind, oder ob sie unter Umständen noch im angekündigten neuen Ausschreibungsverfahren Verwendung finden könnten und dann nicht nutzlos wären, hat das mit der Schadensersatzklage befasste Zivilgericht zu prüfen und zu entscheiden.

Die vorliegende Feststellung durch die Vergabekammer, dass eine mögliche und angekündigte Schadensersatzklage zumindest nicht von vornherein aussichtslos ist, reicht im Nachprüfungsverfahrens zur Begründung des notwendigen Feststellungsinteresses aus.

Der zulässige Fortsetzungsfeststellungsantrag ist auch begründet. Der Antrags­gegner kann sich nicht auf den Aufhebungstatbestand nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GWB berufen. Es liegen keine schwerwiegenden Gründe vor, die den Antragsgegner berechtigt hätten, das Vergabeverfahren rechtmäßig aufzuheben.

Bei § 63 VgV handelt es sich um eine bieterschützende Vorschrift (Herrmann in: ZiekowNöllink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 63 VgV, Rn. 60). Die Antragstellerin hat einen Anspruch darauf; dass der öffentliche Auftraggeber die Vorschriften über die Zulässigkeit der Aufhebung einhält (a.a.O.). Die geschriebenen Aufhebungsgründe verfolgen den Zweck, dass der Auftraggeber sich „schadensersatzfrei“ von einer Ausschreibung verabschieden kann (Hofmann/Summa, in: juris-pK  Vergaberecht,  5. Aufl.,§ 63 VgV, Rn. 21, Stand: 25.03.2019).

Der Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. Satz 1 Nr. 4 VgV findet nur dann Anwendung, wenn der Auftraggeber die Aufhebung nicht zu vertreten hat (vgl. Conrad: in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 2. Aufl., Kap. 7, Rn. 51, mit umfangreichen Nachweisen; OLG Naumburg, Beschl. v. 23.12.2014, 2 Verg 5/14; OLG München, Beseht. v. 04.04.2013, Verg 4/13, und Beschl. v. 28.08.2012, Verg 11/12; a. A. VK Bund, Beschl. v. 11.10.2010, VK 3-96/10). Dies ist – was unschwer aus dem Vortrag des Antragsgegners abzuleiten ist – nicht der Fall. Der Antragsgegner begründete die Aufhebungsentscheidung gegenüber dem Verfahrensbevoll­mächtigten der Antragstellerin bereits per E-Mail vom 21. Februar 2020 wie folgt:

„hiermit teilen wir Ihnen mit, dass das laufende Ausschreibungsverfahren zum hoheitlichen Abschleppen für das Polizeipräsidium Rheinpfalz (Az: 315-ZB1-2019- sch) aufgehoben werden muss.

Die im Laufe des Verfahrens eingegangenen Rügen haben die Vergabestelle zu einer intensiven Überprüfung der inhaltlichen und formalen Aspekte der Ausschreibung veranlasst. Diese hatte zum Ergebnis, dass sowohl gerügte als auch bisher unentdeckte, schwerwiegende Verfahrensfehler bestätigt werden mussten.

Neben formalen Fehlern (z.B. fehlende Angaben von Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, fehlende  Angaben  zur Losaufteilung  gem. §  30 Abs. 3 VgV  in der Auftragsbekanntmachung, fehlerhafte  und nicht ausreichende Angaben in der Vorabinformation nach § 134 GWB) führen insbesondere Mängel in der Angebotswertung zu dieser Entscheidung.

Es wird festgehalten, dass eine Auswertung über die Anfahrtszeiten von 30 Minuten mittels der Software ,Google Maps‘ in der angegebenen Form nicht geeignet ist, zu transparenten und gleichberechtigten Ergebnissen zu gelangen. Darüber hinaus muss eine Prüfung der Eignung/Leistungsfähigkeit der Bieter, abweichend zum Vorgehen in diesem Verfahren, losweise erfolgen.

Da die Vergabestelle demnach keine Möglichkeit einer sachgemäßen Angebots­wertung verbleibt, ist eine Aufhebung des Vetfahrens nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV unvermeidlich.“

Bei ordnungsgemäßer Vorbereitung des Vergabeverfahrens hätten die Gründe, die zur Aufhebung der Ausschreibung geführt haben, vermieden werden können. Die Gründe lagen erkennbar in der Sphäre des Auftraggebers; er hat sie zu vertreten. Ein Rückgriff auf die rechtmäßigen Aufhebungsgründe scheidet damit von vornherein aus.