Ax Vergaberecht

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VergabePrax-Vergabeverfahrens-Rechtsprechungsübersicht

von Thomas Ax

Gerne stellen wir Ihnen nachfolgend praxisrelevante Entscheidungen vor als Hilfestellung und Orientierungshilfe, wie welche Entscheidungen im Verlaufe eines Verfahrens zu treffen und zu begründen und zu dokumentieren sind.

Lesen Sie selbst: OLG Schleswig: Zu der Frage, ob eine Vertragsverlängerung wesentliche Änderung ist; OLG Koblenz: Zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Auftragswertschätzung; VK Berlin: Zu den Anforderungen an die Leistungsbeschreibung; VK Baden-Württemberg: Zur Frage, ob 0,00 Euro-Preise die geforderten Preise sind; VK Nordbayern: Zur Ermittlung, ob eine Änderung an den Vergabeunterlagen vorliegt; VK Nordbayern: Zur Wertung eines Angebotes als Nebenangebot; VK Nordbayern: Zur fehlerhaften Wertung einer Präsentation; VK Lüneburg: Zur Zulässigkeit einer Aufhebung und schlussendlich Prozessuales: VK Nordbayern: Zur Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags.

OLG Schleswig: Zu der Frage, ob eine Vertragsverlängerung wesentliche Änderung ist
Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Die Unwirksamkeit betrifft auch wesentliche Vertragsänderungen bei einem entsprechenden öffentlichen Auftrag. Eine wesentliche Änderung eines öffentlichen Auftrags darf nicht freihändig vorgenommen werden, sondern muss zu einem neuen Vergabeverfahren über den geänderten Auftrag führen. Die Verlängerung von Verträgen mit befristeter Laufzeit ist bei Verträgen, bei denen das Zeitmoment ein wesentliches Element der geschuldeten Leistung ist, bei einer erheblichen Ausweitung des Leistungsvolumens als eine wesentliche Vertragsänderung und damit als neuer Beschaffungsvorgang zu werten.
OLG Schleswig, Beschluss vom 09.12.2021 – 54 Verg 8/21

OLG Koblenz: Zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Auftragswertschätzung
Ob der Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder überschreitet, ist von dem öffentlichen Auftraggeber durch eine Schätzung zu ermitteln.
Die Kostenschätzung ist als ein der eigentlichen Ausschreibung vorgeschalteter Vorgang mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet; sie kann daher nicht an den gleichen Maßstäben wie das Angebot der Teilnehmer am Ausschreibungsverfahren gemessen werden. Sie ist eine Prognose, die dann nicht zu beanstanden ist, wenn sie unter Berücksichtigung aller verfügbarer Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch vertretbaren Weise erarbeitet wurde. Methodisch setzt die Schätzung des Auftragswerts zudem eine ernsthafte, realistische, vollständige und objektive Prognose voraus, die sich an den Marktgegebenheiten orientiert. Der Auftraggeber muss eine Methode wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis ernsthaft erwarten lässt, und der Schätzung zutreffende Daten zugrunde legen. Pflichtgemäß geschätzt ist ein Auftragswert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der geplanten Beschaffung veranschlagen würde. Ein Unternehmen, das die Möglichkeit hatte, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, muss nicht vorab die unterlassene europaweite Bekanntmachung bei einer de-facto Vergabe rügen.
OLG Koblenz, Beschluss vom 01.09.2021 – Verg 1/21

VK Berlin: Zu den Anforderungen an die Leistungsbeschreibung
Eine Leistungsbeschreibung ist eindeutig, wenn die Bieter sie ohne große Auslegungsbemühungen verstehen können. Die Vergabeunterlagen müssen so gefasst sein, dass alle durchschnittlich fachkundigen Bieter diese bei Anwendung der üblichen Sorgfalt in gleicher Weise auslegen können. Die Leistung muss derart erschöpfend beschrieben sein, dass sie alle preisrelevanten Faktoren beinhaltet, mithin Art und Zweck der Leistung, die erforderlichen Teilleistungen, Funktions- und Leistungsanforderungen sowie die Bedingungen, Umstände und sonstigen Anforderungen. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Leistungsbeschreibung so auszugestalten, dass eine vernünftige Kalkulation und die Abgabe vergleichbarer Angebote ermöglicht werden. Eine Grenze bildet insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und findet sich im Mach- und Zumutbaren. Auch wenn die vergaberechtlichen Regelungen nicht mehr das Verbot der Auferlegung eines ungewöhnlichen Wagnisses beinhalten, muss die Leistungsbeschreibung dem Bieter gleichwohl eine vernünftige kaufmännische Kalkulation ermöglichen. Vergaberechtlich nicht zu beanstanden ist es, wenn der Auftraggeber den Bietern die Beschaffung von Informationen überlässt, sofern sich Bieter mit geringem Aufwand fehlende Daten selbst beschaffen können und die Vergleichbarkeit der Angebote bei einer solchen Vorgehensweise nicht gefährdet ist. Eine Aufhebung aus anderen schwerwiegenden Gründen ist nur rechtmäßig, sofern nachträgliche, nicht vorhersehbare oder anfängliche, bei pflichtgemäßer Sorgfalt nicht erkennbare Umstände vorliegen. Dokumentationsmängel stellen keine schwerwiegenden, zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigenden Gründe dar. Wenn der Auftraggeber die Aufhebung des Vergabeverfahrens selbst schuldhaft herbeiführt, liegt eine rechtswidrige Aufhebung vor.
VK Berlin, Beschluss vom 09.06.2021 – VK B 1-12/20

VK Baden-Württemberg: Zur Frage, ob 0,00 Euro-Preise die geforderten Preise sind
Jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis ist so wie gefordert vollständig und mit dem Betrag anzugeben, der für die betreffende Leistung beansprucht wird. Ein Bieter, der in seinem Angebot die von ihm tatsächlich geforderten Einheitspreise auf verschiedene Einheitspreise anderer Leistungspositionen verteilt, benennt nicht die von ihm geforderten Preise. 0,00 Euro-Preise fehlen nicht und können daher nicht nachgefordert werden.
VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.04.2021 – 1 VK 12/21

VK Nordbayern: Zur Ermittlung, ob eine Änderung an den Vergabeunterlagen vorliegt
Weicht die Ausführungsvariante eines Bieters von den Vorgaben des Amtsentwurfs ab, ist dies als Hauptangebot unzulässig. Das Angebot ist wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2019 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2019 auszuschließen. Das Verbot von Änderungen an den Verdingungsunterlagen trägt dem Umstand Rechnung, dass ein echter fairer Wettbewerb nach Angeboten verlangt, die vergleichbar sind. Dies ist nur dann sichergestellt, wenn die Angebote den ausgeschriebenen Leistungen und den sonstigen Bedingungen entsprechen, die der Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen bestimmt hat, und zu denen er den Vertrag abschließen möchte. Zur Ermittlung, ob eine Änderung an den Vergabeunterlagen vorliegt, muss der Inhalt der Vergabeunterlagen bestimmt werden, der mit dem Inhalt des Angebots verglichen wird. Der Inhalt der Vergabeunterlagen ist aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, auszulegen.
VK Nordbayern, Beschluss vom 21.12.2021 – RMF-SG 21-3194-6-42

VK Nordbayern: Zur Wertung eines Angebotes als Nebenangebot
Ein Angebot kann als Nebenangebot nicht gewertet werden, wenn es die formellen Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach § 13 EU Abs. 3 Satz 2 VOB/A 2019 müssen Nebenangebote auf besonderer Anlage erstellt und als solche deutlich gekennzeichnet werden. Nach § 16 EU Nr. 7 VOB/A 2019 sind Nebenangebote auszuschließen, die dem § 13 EU Abs. 3 Satz 2 VOB/A 2019 nicht entsprechen. Die Gleichwertigkeit muss mit dem Nebenangebot nachgewiesen werden. Der Bieter hat hierzu die in Nebenangeboten enthaltenen Leistungen eindeutig und erschöpfend zu beschreiben. Soweit der Bieter eine Leistung anbietet, deren Ausführung nicht in den Verdingungsunterlagen geregelt ist, hat er im Angebot entsprechende Angaben über die Ausführung dieser Leistung zu machen.
VK Nordbayern, Beschluss vom 21.12.2021 – RMF-SG 21-3194-6-42

VK Nordbayern: Zur fehlerhaften Wertung einer Präsentation
Dokumentierte sachfremde Erwägungen eines Jurors betreffend die Präsentation eines Bieters stellen eine fehlerhafte Wertung der Präsentation dar und nicht nur eine unzureichende Dokumentation des Wertungsvorgangs.
VK Nordbayern, Beschluss vom 22.10.2021 – RMF-SG21-3194-6-23

VK Lüneburg: Zur Zulässigkeit einer Aufhebung
Der öffentliche Auftraggeber ist berechtigt, ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, wenn “andere schwerwiegende Gründe” bestehen.
Für das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes bedarf es einer umfassenden und alle für die Aufhebungsentscheidung maßgeblichen Umstände berücksichtigenden Interessenabwägung der jeweiligen Verhältnisse im Einzelfall. Der Auftraggeber, der im laufenden Vergabeverfahren, erst recht nach (finaler) Angebotsabgabe das Vergabeverfahren aufhebt, greift in ein vorvertragliches Rechtsverhältnis zwischen ihm und den Anbietern ein. Er ist daher verpflichtet, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Der Auftraggeber hat jeden erwogenen Eingriff darauf zu prüfen, ob er geeignet ist, den Mangel abzustellen. Er hat unter den geeigneten Eingriffen den Eingriff mit der geringsten Eingriffstiefe auszuwählen und er hat darüber hinaus eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, ob der nach den obigen Kriterien ausgewählte Eingriff sich angesichts des geltend gemachten Vergabeverstoßes nicht als unverhältnismäßig erweist. Eine Aufhebung ist gerechtfertigt, wenn die Vergabeunterlagen deutlich zu überarbeiten sind und die Zurückversetzung der Aufhebung gleichkommt.
VK Lüneburg, Beschluss vom 19.07.2021 – VgK-24/2021

VK Nordbayern: Zur Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags
Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gem. § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB ist das Vorliegen eines besonderen Feststellungsinteresses. Das notwendige Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Ein solches Feststellungsinteresse kann gegeben sein, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient, eine hinreichend konkrete, an objektiven Anhaltspunkten festzumachende Wiederholungsgefahr besteht oder die Feststellung zur Rehabilitierung des Bieters erforderlich ist, weil der angegriffenen Entscheidung ein diskriminierender Charakter zukommt. Das Feststellungsinteresse ist mit der Umstellung der ursprünglichen Anträge auf den Feststellungsantrag explizit zu begründen.
VK Nordbayern, Beschluss vom 22.10.2021 – RMF-SG21-3194-6-23