Ax Vergaberecht

  • Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd
  • +49 (0) 6223 868 86 13
  • mail@ax-vergaberecht.de

VergMan ® VergaberechtsRechtsprechungsreport - Aktuelle Entscheidungen des OLG FFM Vergabesenat im Überblick

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 23.12.2021 – 11 Verg 6/21

Aufträge dürfen gemäß § 122 Abs. 1 GWB grundsätzlich nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden. Der Auftraggeber hat die Eignung gem. § 122 Abs. 2 GWB anhand von bekanntgemachten Eignungskriterien zu prüfen. Die im Vorhinein bekanntgemachten Eignungskriterien sind der Maßstab für die Eignungsprüfung (Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., § 122 Rn. 13). Kern der Eignungsprüfung ist die Feststellung, ob die bekanntgemachten Eignungskriterien erfüllt wurden (Ziekow a.a.O. Rn. 13).

Mit der Pflicht zur Eignungsprüfung korrespondiert grundsätzlich die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, Eignungskriterien nach § 122 Abs. 2 GWB festzulegen (Eichler in: Münchener Kommentar Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., § 122 Rn. 266; Friton in: BeckOK Vergaberecht, 21. Aufl., § 122 Rn. 26). Dabei steht dem Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ein Beurteilungsspielraum zu, der seine Grenze in § 122 Abs. 4 GWB findet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.6.2018 – VII Verg 4/18; Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, GWB, § 122 Rn. 25). Es dürfen demnach nur solche Eignungskriterien gestellt werden, die mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Eignungskriterien müssen objektiv dazu dienen und geeignet sein, die Leistungsfähigkeit des Bieters im Hinblick auf den konkret ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nachzuweisen (Ziekow a.a.O. § 122 Rn. 23). Eignung und Erforderlichkeit der Kriterien sind in Relation zum Auftragsgegenstand zu bestimmen (Ziekow a.a.O § 122 Rn. 24). Je komplexer der Auftragsgegenstand desto höhere Eignungsanforderungen können gestellt werden.

Vorliegend hat der Antragsgegner keinerlei eigenständige Eignungskriterien aufgestellt und bekannt gemacht. Die Eignungsprüfung sollte ausweislich der Ausschreibung ausschließlich anhand der geforderten Referenz erfolgen. Grundsätzlich dient eine Referenz jedoch nur dem Beleg der zuvor aufgestellten Eignungskriterien (§ 46 VgV), ersetzt diese indes nicht.

Die singuläre Forderung einer Referenz ohne Rückbezug zu eigenständig definierten Eignungskriterien ist nach Einschätzung des Senats allerdings zulässig, sofern aus der Referenz Rückschlüsse auf damit mittelbar gestellte Eignungskriterien möglich sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.6.2018 – Verg 4/18; OLG Koblenz, Beschluss vom 13.6.2012 – 1 Verg 2/12; Opitz in: Burgi/Dreher, Beckscher Vergaberechtskommentar, § 122 Rn. 52). Die Referenz stellt in einem solchen Fall nicht nur einen Nachweis für die Eignung dar, sondern definiert zugleich konkludent die materiellen Eignungskriterien.

Verzichtet der Auftraggeber – wie hier – auf eine eigene Definition der Eignungskriterien, in dem er allein eine Referenz fordert, ist damit aus der Sicht eines durchschnittlich erfahrenen Bieters zu beurteilen, ob, wenn ja, welche konkludenten Eignungskriterien mit der Referenzforderung verbunden sind. Das Verständnis des durchschnittlich erfahrenen Bieters von den Referenzanforderungen basiert dabei auf der Annahme, dass sich die Vergabestelle vergaberechtkonform verhält (vgl. Lampert in: Burgi/Dreher, Beckscher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. § 122 Rn. 80). Bieter dürfen grundsätzlich Vergabeunterlagen im Zweifel so verstehen, dass sie den vergaberechtlichen Anforderungen entsprechen. Unklarheiten gehen zu Lasten des Auftraggebers (ebenda).

Bei der Extraktion von Eignungskriterien aus der geforderten Referenz ist seitens der Bieter damit der vergaberechtliche Rahmen der Eignungsprüfung mitzudenken. Bedeutung erlangt dabei insbesondere, dass gem. § 122 Abs. 4 GWB Eignungskriterien in einer Verbindung zum Auftragsgegenstand und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. Entsprechend dürfen gem. § 46 Abs. 3 VgV Referenzen nur verlangt werden, soweit sie sich auf wesentliche Dienstleistungen für die nunmehr ausgeschriebene Leistung beziehen. Eine Referenz soll Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit des Bieters hinsichtlich der ausgeschriebenen Leistung ermöglichen. Dies bedingt zwingend, dass die Geeignetheit der Referenz nur dann gegeben ist, wenn jedenfalls ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit zwischen der referenzierten Leistung und der ausgeschriebenen Leistung besteht (vergleiche Ackermann in: Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, § 46 Rn. 20; Mager in: Beckscher Vergaberechtskommentar, § 46 Rn. 15). Nur dann kommt sie als Grundlage der erforderlichen Prognoseentscheidung in Betracht.

Soweit hier bei der Referenzforderung auf den Zusatz “gleichartig” verzichtet wurde, bedeutet dies allein, dass die referenzierte Leistung nicht in allen wesentlichen Anforderungen der nunmehr ausgeschriebenen entsprechen muss. Da eine Referenz jedoch kraft des vergaberechtlichen Regelungsrahmens nur gefordert werden darf, wenn sie die Leistungsfähigkeit für die ausgeschriebene Leistung prognostisch absichern kann, bleibt immer zu fordern, dass jedenfalls Kernelemente der ausgeschriebenen Leistung auch Bestandteil der referenzierten Leistung waren. Dieser Aspekt wird mit der in § 122 Abs. 4 GWB geforderten Auftragsbezogenheit der Eignungskriterien sowie der Verhältnismäßigkeit, die beinhaltet, dass das Eignungskriterium als prognostische Grundlage für den ausgeschriebenen Auftrag geeignet ist, ausdrücklich betont und findet sich auch in § 46 VgV mit der Formulierung “geeignet” wieder.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 17.02.2022 – 11 Verg 8/21

1. Die Ausschreibung eines Rahmenvertrags, durch den sich ein privater Dienstleister gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, eine Vermittlungszentrale für hoheitlich veranlasste Abschleppdienstleistungen zu betreiben, verstößt gegen § 97 Abs. 1 GWB, wenn der private Dienstleister ein Vermittlungsregister für Abschleppunternehmen führen soll und wenn er insoweit Auswahlentscheidungen treffen muss (und darf), die ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber obliegen. Dies gilt auch dann, wenn die Vermittlungszentrale bei der Beauftragung der registrierten Abschleppunternehmen strikt nach einem von vornherein festgelegten Reihum-Verfahren vorgehen muss.

2. Wenn der Ausschreibung ein fehlerhaftes Verständnis von der Zulässigkeit der Delegation von Vergabeentscheidungen zugrunde liegt und deshalb bei Fortbestand der Beschaffungsabsicht eine Neuorientierung der Aufgabenstellung der Vermittlungszentrale notwendig wird, dann ist die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer nicht zu beanstanden.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.03.2022 – 11 Verg 10/21

1. Auch von einem fachkundigen und erfahrenen Bieter darf nicht ohne Weiteres erwartet werden, dass er im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB weiß, dass eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, als konkludent aufgestellte Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen ist.

2. Eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, ist nicht ohne Weiteres als Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen. Gegen eine Auslegung der Vorgabe als Mindestanforderung für Nebenangebote kann sprechen, dass eine Mehrzahl von Bietern, die sich am Vergabeverfahren beteiligten, Nebenangebote abgaben, die diesen Vorgaben nicht entsprachen.

3. Lässt der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, hat er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssen. Diese Bestimmung schützt die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lässt § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A zum Schutz der Bieter keinen Raum.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.04.2022 – 11 Verg 11/21

Auch Unterkriterien und ihre Gewichtung sind aus Transparenzgründen bekanntzugeben. Eine Veröffentlichung der Bewertungsmethode ist dagegen, soforn die vom EuGH (Urteil vom 14.7.2016 – C-6/15 – Dimarso) aufgezeigten Grenzen eingehalten werden, unabhängig vom Vorliegen einer funktionalen Ausschreibung nicht erforderlich.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 07.06.2022 – 11 Verg 12/21

1. Die Beschwerde ist nur dann wegen eines Begründungsmangels unzulässig, wenn das Beschwerdegericht ihr nicht entnehmen kann, aus welchen Gründen tatsächlicher oder rechtlicher Art die angefochtene Entscheidung nach Auffassung des Beschwerdeführers falsch sein soll. Fehlende Beweisantritte führen daher nur insoweit zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, als ausschließlich die Nichtberücksichtigung von Beweismitteln gerügt, diese aber gleichwohl nicht hinreichend bezeichnet werden. Schlüssigkeit, hinreichenende Substantiierung, Vertretbarkeit oder rechtliche Haltbarkeit der Beschwerdebegründung werden hinsichtlich der formalen Mindestanforderungen nicht verlangt.

2. Der von der vollständig besetzten Vergabekammer zu treffende Beiladungsbeschluss kann in einer konkludenten Billigung der vom Vorsitzenden allein veranlassten Hinzuziehung als Beigeladenem in einem späteren Kammerbeschluss (hier: der Entscheidung über den Nachprüfungsantrag) liegen.

3. Bei Kündigung des Altauftrags und neuer Vergabe der noch nicht fertiggestellten oder nur mangelhaft erbrachten Leistungen ist für den nach § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert auf den gekündigten Altauftrag abzustellen.

4. Der Zugang zum Nachprüfungsverfahren kann nicht mit der Begründung verwehrt werden, das Angebot des Antragsstellers sei aus anderen als mit dem Nachprüfungsantrag zur Überprüfung gestellten Gründen auszuscheiden gewesen, weshalb dem Antragssteller wegen der von ihm behaupteten Rechtswidrigkeit kein Schaden erwachsen sei oder drohe ( Anschluss an BGH, Beschluss vom 18. Mai 2004 – X ZB 7/04, “Mischkalkulationen”, juris, Rn. 21 = BGHZ 159, 186). Die Frage, ob das Angebot aus irgendwelchen Gründen (zwingend) auszuschließen ist, ist daher eine Frage der Begründetheit, allerdings nur, sofern es für diese hierauf ankommt.

5. Die Berufung auf § 135 GWB kann jedenfalls dann nicht nach Treu und Glauben eingeschränkt werden, wenn das Vorgehen der Vergabestelle offensichtlich rechtswidrig war und die Grenze zur Willkür überschritten hat.

6. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB setzt weder einen bereits entstandenen, noch einen drohenden Schaden voraus.

7. Eine äußerste Dringlichkeit im Sinne des § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A setzt voraus, dass der Beschaffungsbedarf bei Einhaltung auch der verkürzten Mindestfristen der § 10a, 10b und 10c EU VOB/A nicht gedeckt werden kann. Allein wirtschaftliche Interessen können die äußerste Dringlichkeit dabei nicht begründen.

8. Im Zuge der das Beschwerdeverfahren nach §§ 171 ff. GWB betreffenden Kostenzugrundeentscheidung bedarf es keiner Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.07.2022 – 11 Verg 4/22

Die Durchführung einer Preisprüfung erfolgt vergabefehlerfrei, wenn das Angebot des Bieters 16 % von dem nächsthöheren Angebot abweicht, weit unterhalb der Kostenschätzung des Auftraggebers liegt und der Bieter selbst den Preis seines ersten Angebots mit seinem finalen Angebot ganz erheblich (60 %) unterschreitet.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26.09.2022 – 11 Verg 2/21

1. Hat der Beschwerdesenat des Oberlandesgerichts die Entscheidung der Vergabekammer über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten im Zuge der Senatsentscheidung geprüft, liegt eine die gerichtliche Kostenfestsetzung durch das Oberlandesgericht tragenede Kostengrundentscheidung im Rahmen eines vollstreckbaren Titels gem. § 103 Abs 1 ZPO auch dann vor, wenn die sofortige Beschwerde diesbezüglich zurückgewiesen worden ist und daher der Tenor der Beschwerdeentscheidung die Entscheidung über Kosten und Aufwendungen des Verfahrens vor der Vergabekammer nicht wiedergibt; zu einer solchen Prüfung besteht bei einer in der Sache zu bescheidenden sofortigen Beschwerde stets Anlass (Anschluss an OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.02.2015 – 2 Verg 2/14, juris, Rn 17).

2. In diesen Fällen ist das Oberlandesgericht im Kostenfesetzungsverfahren zur Entscheidung über die festsetzbaren Aufwendungen des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet (entgegen OLG München, Beschluss vom 30.12.2011 – Verg 9/11, juris).