Frage:
die Stadt … plant die Erschließung … in …. Die Entwässerung erfolgt im Trennsystem. Hierzu werden getrennte Abwasserkanäle für Regen- und Schmutzwasser verlegt. Das Regenwasser wird in die … eingeleitet, das Schmutzwasser der Kläranlage … zugeführt. Für die Durchführung der Baumaßnahme benötigen die … Flächen für die Baustelleneinrichtung, Lagerflächen und Fahrwege, die sich auf privaten Bauplätzen befinden. Wir haben versucht, mit den Eigentümern mit einem Gestattungsvertrag bezüglich der Nutzung von Teilflächen eine Vereinbarung zu treffen. Wir müssen die Grundstücke befahren, um die Baumaßnahme umzusetzen. Wir haben einen Plan erstellt, in dem die Flächen, die wir aus bautechnischen (Böschung und Fahrspur) und arbeitssicherheitstechnischen (Sicherheitsstreifen gem. UVV) Gründen benötigen, eingezeichnet sind. Die Fahrspur ist alternativlos, da es sich bei der Fläche gegenüber um eine geschützte CEF-Fläche (Naturschutz) handelt, die auf gar keinen Fall befahren werden darf. Wir würden die von uns benötigte Fläche mit einem Bauzaun vom restlichen Grundstück trennen. Die Baumaßnahme ist genehmigt und wurde in einer öffentlichen Sitzung des … vorgestellt. Die beiden Flächen wurden landwirtschaftlich genutzt und liegen jetzt brach. Dürfen uns die beiden Eigentümer die Nutzung der zwingend notwendigen Fahrspur inkl. der Abstandsflächen (Arbeitssicherheit) untersagen? Gibt es eine rechtliche Grundlage, auf die wir uns bei der Nutzung der zwingend notwendigen Teilflächen berufen können? Gibt es eine rechtsichere Formulierung? Gibt es ein “Gemeinwohl”, auf dass wir uns berufen können? Müssen wir Fristen einhalten? Müssen wir eine Entschädigung zahlen? Die genutzte Fläche wird nach Beendigung der Baumaßnahme geräumt, wieder hergestellt und mängelfrei an den Eigentümer zurückgegeben.
Antwort:
Es ergibt sich ein Anspruch nach § 7 d des Gesetzes über das Nachbarrecht (Nachbarrechtsgesetz – NRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Januar 1996. Danach ist es so, dass wenn eine nach den baurechtlichen Vorschriften zulässige bauliche Anlage nicht oder nur mit erheblichen besonderen Aufwendungen errichtet, geändert, unterhalten oder abgebrochen werden kann, ohne dass das Nachbargrundstück betreten wird oder dort Gerüste oder Geräte aufgestellt werden oder auf das Nachbargrundstück übergreifen, der Eigentümer und der Besitzer des Nachbargrundstücks die Benutzung insoweit zu dulden, als sie zu diesen Zwecken notwendig ist. Es ist dann allerdings so, dass die Absicht, das Nachbargrundstück zu benutzen, dem Eigentümer und dem Besitzer zwei Wochen vor Beginn der Benutzung angezeigt werden muss.
Ist der im Grundbuch Eingetragene nicht Eigentümer, so genügt die Anzeige an den unmittelbaren Besitzer, es sei denn, dass der Anzeigende den wirklichen Eigentümer kennt. Die Anzeige an den unmittelbaren Besitzer genügt auch, wenn der Aufenthalt des Eigentümers kurzfristig nicht zu ermitteln ist. Der Eigentümer des begünstigten Grundstücks hat dem Eigentümer des Nachbargrundstücks den durch die Maßnahmen entstandenen Schaden zu ersetzen. Auf Verlangen des Berechtigten ist vor Beginn der Benutzung eine Sicherheit in Höhe des voraussichtlich entstehenden Schadens zu leisten.
7 d NRG verpflichtet den Eigentümer bzw. Besitzer eines Grundstücks, die Benutzung dieses Grundstücks durch den Grundstücksnachbarn durch Betreten einerseits oder durch Aufstellen und Übergreifen von Gerüsten und Geräten andererseits zu dulden, wenn und soweit eine nach den baurechtlichen Vorschriften zulässige bauliche Anlage auf dem Nachbargrundstück andernfalls nicht oder nur mit erheblichen besonderen Aufwendungen errichtet, geändert, unterhalten oder abgebrochen werden kann.
Diese Regelung war vor der letzten Änderung des NRG Anfang 2014 in 7 c NRG enthalten.
Mit der im Wesentlichen seit dem 1. Januar 1965 geltenden Regelung hat der Landesgesetzgeber von der in Artikel 124 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch gewährten Befugnis Gebrauch gemacht, den Grundstückseigentümern über die Beschränkungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (im Folgenden BGB) hinaus bestimmte Duldungspflichten aufzuerlegen. Nach den Bestimmungen des BGB würde sich eine Pflicht zur Duldung des Betretens bzw. des Aufstellens oder Übergreifens von Gerüsten oder Geräten regelmäßig nur unter den Voraussetzungen des Notstandes ( 904 Satz 1 BGB) er – geben, also zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr.
7 d Absatz 3 Satz 1 NRG gewährt dem Duldungsverpflichteten im Gegenzug einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die von ihm zu duldenden Maßnahmen entsteht. Dieser Anspruch umfasst ebenso wie der Schadenersatzanspruch nach 904 Satz 2 BGB grundsätzlich jeden ersatzfähigen Schaden im Sinne der allgemeinen schadensrechtlichen Regelungen der 249 ff. BGB. Ersatzfähig ist damit neben einem Sachschaden (z. B. Reparatur eines beschädigten Weges) grundsätzlich auch ein Vermögensschaden (z. B. Mietausfall).
Da die Vorschrift nur einen Schadenersatzanspruch gewährt, hängt dies davon ab, ob und inwieweit die Inanspruchnahme des Grundstücks des Duldungsverpflichteten für diesen einen ersatzfähigen Schaden darstellt, weil er sein Grundstück nicht wie gewohnt nutzen kann. Grundsätzlich ist dies nicht der Fall. Entsprechend den allgemeinen schadensersatzrechtlichen Regelungen der 249 ff. BGB sind die entgangenen Gebrauchsvorteile einer Sache regelmäßig nicht ersatzfähig. Das gilt beispielsweise für Beeinträchtigungen der Nutzung des Gartens oder der Terrasse.
Anders verhält es sich, wenn die Inanspruchnahme des Grundstücks zur Folge hat, dass der Duldungsverpflichtete ein Lebensgut nicht nutzen kann, dessen ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebensführung von zentraler Bedeutung ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung legt diese Voraussetzungen zwar eng aus. Sie hat aber einen Anspruch auf Schadenersatz in Form einer Nutzungsausfallentschädigung bei der fühlbaren Beeinträchtigung des Gebrauchs von Wohnraum bejaht (vgl. dazu beispielsweise BGHZ 200, 203 [juris Rz. 16 ff.]).
Die Nachbarrechtsgesetze der meisten anderen Bundesländer bestimmen zwar neben einem 7 d Absatz 3 Satz 1 NRG vergleichbaren Schadenersatzanspruch auch einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung.
Dieser erschöpft sich aber in der ortsüblichen Miete für einen dem benutzten Grundstücksteil vergleichbaren gewerblichen Lagerplatz.
Im Übrigen kann die Nutzungsentscheidung regelmäßig nur bei einer Nutzung beansprucht werden, die eine bestimmte zeitliche Grenze übersteigt. Artikel 46 b Absatz 6 Satz 1 des bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze zieht diese Grenze bei einer Woche. Eine ähnliche Bestimmung findet sich in 24 Absatz 1 Brandenburgisches Nachbarrechtsgesetz, 18 Absatz 1 Berliner Nachbarrechtsgesetz, 25 Absatz 1 Landesnachbarrechtsgesetz Rheinland-Pfalz, 26 Satz 1 Saarländisches Nachbarrechtsgesetz, 19 Absatz 1 Satz 1 und 2 Nachbarrechtsgesetz für das Land Schles – wig-holstein. 25 Absatz 1 Thüringer Nachbarrechtsgesetz und 19 Satz 1 Nachbarschaftsgesetz Sachsen-Anhalt gewähren eine Nutzungsentschädigung für eine länger als zwei Wochen dauernde Inanspruchnahme, 48 Absatz 1 Niedersächsisches Nachbarrechtsgesetz für eine Inanspruchnahme von mehr als zehn Tagen und 25 Absatz 1 Nachbarrechtsgesetz Nordrhein-Westfalen für eine Inanspruchnahme von mehr als einem Monat.
Regelungen zur Verhältnismäßigkeit und zum Rechtsmissbrauch sind entbehrlich, weil sich schon aus allgemeinen Bestimmungen ergibt, dass die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt und eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme ausgeschlossen ist. Allgemein anerkannt ist, dass die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks die 7 d Absatz 3 Satz 1 NRG ohnehin nur zulässt, soweit sie notwendig ist so durchzuführen ist, dass das Nachbargrundstück möglichst geschont wird. Daraus lässt sich beispielsweise ein Verbot der Inanspruchnahme zur Unzeit oder ein Gebot der Durchführung begleitender Schutzmaßnahmen ableiten (vgl. statt aller Bruns, NRG, 2. Aufl., 7 c Rz. 28).
Sollen wir Formulierungsvorschläge unterbreiten?